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Die ägyptische Weisheitstradition

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macat

Die ägyptische Weisheitsliteratur – die Bezeichnung als solche wurde übrigens aus der alttestamentlichen Wissenschaft übernommen14 – wird vor allem in den sogenannten ,Lehren‘, ägyptisch śb¦j.t, greifbar. Als Verfasser dieser Lehren wird in den Texten selber häufig auf weise, alte Männer hingewiesen; dahinter steckt zumeist allerdings eine literarische Fiktion. In den ägyptischen Lehren werden vor allem die „Verhältnisse und Verhaltensweisen der Menschen in bezug auf Mitmenschen, Gesellschaft und Staat“15 geregelt. Das universale Ordnungsprinzip, auf dem alles ruht, ist dabei die macat, die Jan Assmann folgendermaßen umschreibt: „Maat, ein kompakter Begriff, den wir im Deutschen mit einer Vierheit von Wahrheit, Gerechtigkeit, Ordnung und Sinn umschreiben müssen, ist der Inbegriff des Echten, Beständigen und Unvergänglichen. Auf Maat beruht der Kosmos und bezieht aus diesem Fundament seine zyklische Unendlichkeit, auf Maat beruht der Staat und bezieht daraus seine Beständigkeit. Der Mensch gewinnt durch das Tun und Sagen der Maat Anteil an dieser Unvergänglichkeit.“16

Im Alten Reich (2640–2155 v. Chr.) sind die Lehren an gesellschaftspolitischen Fragen orientiert; Adressaten sind hier Mitglieder eines hierarchischen Beamtenapparates. Der Zusammenhang von Tun und Ergehen ist streng an der macat orientiert, die die Grundstruktur von Welt und Wirklichkeit prägt.

Im Neuen Reich (1552–1070 v. Chr.) wird die Frömmigkeit das zentrale Thema der Lehren. Die macat als Mittlerin tritt in den Hintergrund und es zeigt sich eine Tendenz hin zu einer persönlichen Frömmigkeit.

In den späteren demotischen Lehren aus der 2. Hälfte des 1. Jt. v. Chr. werden Sprichwörter und Sentenzen mehr oder weniger lose gesammelt. Inhaltlich werden die Texte anschaulicher und plastischer; zahlreiche Hinweise auf das Landleben lassen erkennen, dass hier ein anderer Adressatenkreis als in den älteren Lehren angesprochen wird.

Die ägyptischen Lehren sind durchgängig in der Erziehung der ägyptischen Jugend verwendet worden, worauf zahlreiche Zitate, etwa auf Grabtexten, Papyri und königlichen Dokumenten, hinweisen. Die Lehren gehörten offensichtlich zum Grundwissen eines kultivierten Ägypters.

Lehre des Ptah-hotep

Die älteste der ägyptischen Lehren ist die Lehre des Ptah-hotep, die wohl aus dem Alten Reich stammt. Diese Lehre, innerhalb derer sich der Wesir Ptah-hotep an einen – vielleicht nur übertragen zu verstehenden – Sohn richtet, enthält eine Einleitung und einen Epilog, also eine Art Rahmen, und ein Korpus von 37 Lehrsprüchen, die ethische Maximen, aber auch Benimm-Regeln umfassen. Im ersten Abschnitt heißt es hier:

„Sei nicht hochmütig wegen deiner Bildung, berate dich mit dem Ungebildeten wie mit dem Gebildeten. Denn nie erreicht man die Grenzen der Kunst, kein Künstler existiert, dessen Fähigkeit vollkommen ist.“17

Lehre für Meri-ka-re

Die Lehre für König Meri-ka-re verortet sich selber im 22. Jh. v. Chr., richtet sich an einen Königssohn und enthält konkrete politische Anweisungen, aber auch allgemeine Maximen und einige hymnische Abschnitte. Es handelt sich um eine Art ,Fürstenspiegel‘, was den sozialen Rahmen erkennen lässt, in dem derartige Texte abgefasst werden. Religionsgeschichtlich ist die Lehre für Meri-ka-re vor allem wegen ihrer Bezeugung eines Totengerichts bedeutsam. Die Textzeugen für die Lehre sind sehr viel jünger und stammen aus dem Neuen Reich, so dass man vermuten kann, dass in der Lehre nur noch vage Erinnerungen an das Alte Reich erhalten sind.

Lehre des Amen-em-het

Aus dem Mittleren Reich, wohl dem 20. Jh. v. Chr., stammt die sehr pessimistische Lehre des Amen-em-het; ausführliche Versionen des Textes sind erst aus dem Neuen Reich belegt. Die Lehre setzt sich aus 15 Abschnitten zusammen, in denen Amen-em-het einerseits von seinen eigenen Taten und Erfahrungen als Pharao berichtet, in denen andererseits sein Sohn vor allem vor seinen eigenen Untergebenen gewarnt wird:

„Höre auf das, was ich dir sagen will, dann wirst du, wenn du König des Landes bist und die Ufer beherrschst, das Gute mehren. Nimm dich in acht vor deinen Untergebenen, die nichts geworden sind und auf deren Absichten man nicht achtet. Nähere dich ihnen nicht in deiner Einmaligkeit. Vertraue keinem Bruder, kenne keinen Freund, schaffe dir keinen Vertrauten – das führt zu nichts. Wenn du schläfst, behüte dir selbst dein Herz, denn niemand hat Anhänger am Tage des Unheils.“18

Amen-em-het wurde wohl Opfer eines Anschlags seiner eigenen Leibwache, so dass ihm – rückblickend aus der Perspektive des Toten geschildert – das Vertrauen in seine Umgebung verloren ging.

Lehre des Ani

Die Lehre des Ani entstand wohl im 16.–14. Jh. v. Chr., also in der ersten Phase des Neuen Reiches. Es handelt sich um die Lehre eines Schreibers für seinen Sohn, in der vor allem die Liebe für die Familie und die persönliche Frömmigkeit im Zentrum stehen:

„Erhebe deine Stimme nicht im Hause Gottes, denn Lärm ist ihm ein Greuel. Bete (still) für dich aus liebendem Herzen, dessen Worte alle verborgen bleiben. Dann wird er deinen Bedarf befriedigen, dann wird er hören, was du sagst, dann wird er deine Opfer annehmen. […] Gib deiner Mutter doppelt so viel Nahrung, wie sie dir gegeben hat, trage sie, wie sie dich getragen hat.“19

Joachim Friedrich Quack hat in seiner Studie zu der Lehre des Ani darauf hingewiesen, dass sich indirekte Einflüsse dieser Art von Weisheit auf kanaanäische Texte annehmen lassen20, so dass man davon ausgehen kann, dass sich Spuren der alten ägyptischen Weisheitslehren auch innerhalb der alttestamentlichen Weisheitsliteratur finden lassen.

Lehre des Amen-em-ope

Die Lehre des Amen-em-ope stammt wohl aus der Zeit der 20. ägyptischen Dynastie, also dem 12./11. Jh. v. Chr. Der Text selber hat eine ausführliche Einleitung und besteht aus 30 Kapiteln. Es geht um die Pflichten des Beamten, um Regeln für den sozialen Umgang und um Zurückhaltung im Streit. Besonders deutlich tritt in dem Text die persönliche Frömmigkeit hervor, die einem Beamten der unteren Tempelhierarchie in den Mund gelegt wird. Für die alttestamentliche Wissenschaft ist der Text von großer Bedeutung, weil sich hier zahlreiche wörtliche Entsprechungen zu Spr 22,17–24,22 finden. Ob hier literarische Abhängigkeiten vorliegen und wie diese zu beschreiben sind, muss in jedem Fall gefragt werden; womöglich liegen keine direkten, sondern indirekte, vermittelte Einflüsse auf die israelitische Literatur vor21.

Lehre des Anch-scheschonqi

Die Lehre des Anch-scheschonqi ist in demotischer Schrift verfasst, was in die späte Ptolemäerzeit, also das 3./2. h. v. Chr., weist; der Text selber ist nur fragmentarisch erhalten. Einer Sammlung von Maximen ist eine Erzählung vorangestellt, die von Anch-scheschonqi, einem Priester, erzählt, der seinen Freund besucht und von diesem in eine Verschwörung gegen den König verwickelt wird, die sein Freund mit dem Leben bezahlt. Anch-scheschonqi verfasst seine Lebenslehre im Gefängnis, um damit seinen Sohn zu unterrichten. Hier ist zu lesen:

„Kein Dummkopf findet Gewinn.

[…]

Es gibt keinen, der Hinterlist anwendete, ohne daß man ihn hinterginge.

Es gibt keinen, der Verfehlungen beginge und dann erfolgreich seinen

Weg machte.

[…]

Sei nicht gierig, daß man Dich nicht beschimpfe.

Sei nicht geizig, daß man Dich nicht hasse.“22

Demotisches Weisheitsbuch

Das Demotische Weisheitsbuch ist in mehreren Papyri bezeugt, am besten erhalten ist der Papyrus Insinger23. Der Text wurde wohl in der Ptolemäerzeit zusammengestellt und umfasst 25 Kapitel, in denen das Gegensatzpaar , Weiser – Tor‘ eine zentrale Bedeutung hat. Die einzelnen Kapitel tragen jeweils eine Überschrift, die das Thema der folgenden Sentenzen angibt. In Kapitel 12 finden sich folgende Einsichten:

„Man entdeckt nicht das Herz im Charakter eines Menschen, wenn man ihm nicht einen Auftrag übertragen hat.

Man entdeckt nicht das Herz eines Weisen, wenn man ihn nicht mit irgendeiner Sache geprüft hat.

Man entdeckt nicht das Herz eines wahrhaftigen Menschen, wenn man ihn nicht in einer Überlegung zu Rate gezogen hat.

Man entdeckt nicht <das Herz> eines vertrauenswürdigen Menschen, wenn man nicht etwas von ihm erbeten hat.

Man entdeckt nicht das Herz eines Freundes, wenn man ihn nicht in Not um Rat gefragt hat.

Man entdeckt nicht das Herz eines Bruders, wenn man (ihn) nicht im Elend (um Hilfe) gebeten hat.

Man entdeckt das Herz eines Sohnes nicht bis zu dem Tage, da man etwas von ihm möchte.

Man entdeckt nicht das Herz eines Dieners, wenn sein Herr nicht angegriffen wurde.

Man entdeckt nie jemals das Herz einer Frau, ebensowenig wie den Himmel.“24

Die wenigen Beispiele zeigen bereits, in welchem Rahmen sich die altägyptische Weisheits- und Lebensführungsliteratur bewegt und welche literarischen Formen sie annimmt. Die Lehren sind zumeist Sammlungen von Einzelworten, die in einen bestimmten Rahmen gebracht werden, der durchaus Formen annehmen kann, wie sie auch aus alttestamentlicher Weisheitsliteratur bekannt sind. Die Themen sind über die zwei bis drei Jahrtausende breit gestreut und führen vom Königshof bis in die ländlichen Bevölkerungsschichten hinein. Gebündelt wird in den Lehren vor allem ein auf Kurzformen gebrachtes Erfahrungswissen – ganz so, wie es sich auch in der alttestamentlichen Spruchweisheit findet. Die Wertschätzung der Lehren der ägyptischen Weisen, aber wohl auch ihr Selbstverständnis zeigt sich in einem Text aus der 19. Dynastie:

„(Diese Dichter) haben sich keine Pyramiden aus Erz erbaut noch Denksteine (dazu) aus Eisen. Sie konnten keine Erben hinterlassen in Gestalt von Kindern, die ihre Namen lebendig erhielten. Doch haben sie sich Erben geschaffen in Gestalt von Büchern und Lehren, die sie verfaßt haben. […] Nützlicher ist ein Buch als ein Grabstein mit Inschrift, als eine feste Grabkammer (?); die (scil. die Schriftsteller) schaffen sich Gräber und Pyramiden im Herzen dessen, der ihren Namen nennt, und es ist doch wahrhaftig ein Name im Munde der Leute nützlich im Totenreich. […] Sie sind verborgen, aber ihre Macht (wörtl. Zauber) erstreckt sich auf alle, die in ihren Lehren lesen. Sie sind dahingegangen und ihre Namen wären längst vergessen – aber ihre Schriften halten ihr Andenken wach.“25

Auseinandersetzungsliteratur

Neben den ägyptischen Lehren finden sich einige weitere Texte, die als ,Tendenzschriften‘ oder ,Auseinandersetzungsliteratur‘ bezeichnet werden und aufgrund ihrer Betrachtungen in das weitere Umfeld der Weisheitsliteratur gehören. Neben den Mahnworten des Ipuwer, in denen möglicherweise der Vorwurf an Gott gerichtet wird, er sei am Zusammenbruch der Ordnung schuld, und den Klagen eines Bauern, die eine rhetorisch ausgearbeitete Gegenwartsanklage sind, ist besonders das Streitgespräch des Lebensmüden mit seinem Ba zu nennen, das eigentlich ein Selbstgespräch des Menschen mit seiner ,Seele‘ darstellt und daher in seiner literarischen Form als ,Rollendichtung‘ eingeordnet werden muss:

„Wenn du immer an das Begräbnis erinnerst – das ist nur Trauer. Das heißt nur zu Tränen rühren und den Menschen beweinen, das heißt, ihn aus seinem Hause holen und auf die Hügel der Wüste werfen. Nie wirst du nach oben steigen und das Sonnenlicht wiedersehen! […] Darum höre auf mich. Es ist gut, wenn die Menschen hören: Folge dem frohen Tage! Vergiß die Sorge!“26

Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur

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