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Der Anfang der Weisheit

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Das erste Textbeispiel wurde bereits zitiert, es ist der Eröffnungsvers der ersten Weisheitsrede des Sprüchebuches in Spr 1,20:

Die Weisheit ruft auf der Straße, auf den Plätzen erhebt sie ihre Stimme.

Synonymer Parallelismus

Mit Spr 1,20 wird eine längere Rede der Weisheit eingeleitet, die hier als eine personifizierte Größe auftritt und den öffentlichen Raum für ihre Rede als Forum in Anspruch nimmt. Der Vers ist ein mustergültiges Beispiel für einen parallelismus membrorum, der sich zwischen Teil1 und Teil2 des Verses erkennen lässt. Es wird in beiden Versteilen der gleiche Sachverhalt zum Ausdruck gebracht, die einzelnen Satzteile finden jeweils eine Entsprechung: ,Auf der Straße‘ als Ortsangabe in Teil1 des Verses entspricht ,auf den Plätzen‘ in Teil 2, ,rufen‘ als Prädikat in Teil1 des Verses entspricht der Wendung ,ihre Stimme erheben‘ in Teil2 des Verses, die Weisheit ist leitendes Subjekt beider Aussagen. Man bezeichnet einen solchen Parallelismus, in dem sich beide Teile in ihrer Aussage entsprechen, als synonymen Parallelismus. Es wird hier in gewisser Weise dasselbe zweimal, aber mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht. Dieses doppelt gefasste, alternierende Sprechen ist nicht nur ein stilistisches Mittel neben anderen, sondern ein konstitutives Element hebräischen Denkens, das grundsätzlich ,stereometrisch‘7 vorzugehen scheint. Einlinige Ableitungen und Erklärungen sind in der Hebräischen Bibel eher die Ausnahme, vielmehr wird durch Parallelismen auf allen Ebenen der Zweiseitigkeit und Doppelbödigkeit von Welt und Wirklichkeit Rechnung getragen.

Das zweite Textbeispiel findet sich in Spr 1,7 innerhalb des Eröffnungsabschnittes des Sprüchebuches, in dem sich zahlreiche wegweisende und die Lektüre des Buches anleitende Passagen finden:

Die Furcht Jahwes ist der Anfang der Erkenntnis.

Toren verachten Weisheit und Unterweisung.

Antithetischer Parallelismus

Im ersten Teil des Verses wird zunächst der Begriff dācat verwendet, erst im zweiten Teil findet sich ḥokmāh in Parallele zu mūsār. Teil1 und Teil2 des Verses sind nicht synonym parallel aufgebaut, sondern antithetisch konstruiert. Man könnte die Aussage von Spr 1,7 folgendermaßen paraphrasieren: Während die Furcht vor Jahwe – Jahwe ist hier als genitivus objectivus aufzufassen – der Anfang aller Kenntnis ist und jeder, der zu Kenntnis kommen will, dieses Streben in der Jahwefurcht verankern wird, verachten die törichten Menschen genau diese Weisheit und unterwerfen sich keiner Zucht, was sie letztlich als Jahwe nicht fürchtende Gottlose dastehen lässt. In der hebräischen Poesie finden sich zahllose Beispiele für derartige Zuordnungen, in denen zwei sich inhaltlich gegenüberstehende Sachverhalte stilistisch nebeneinander gestellt werden; man spricht in solchen Fällen von einem antithetischen Parallelismus – die Parallele liegt hier in der die beiden Teile des Verses verbindenden gemeinsamen Thematik, die allerdings durch das Nebeneinander von These und Antithese entfaltet wird.

Das dritte und komplizierteste Textbeispiel findet sich in Ps 111,10:

Der Anfang der Weisheit ist die Furcht Jahwes,

heilsame Einsicht für alle, die so handeln,

sein Ruhm bleibt für immer bestehen.

Synthetischer Parallelismus

Der Vers am Ende des weisheitlichen Ps 111 lässt sich in drei Teile zerlegen: Zunächst findet sich die an Spr 1,7 erinnernde programmatische Aussage zum Anfang der Weisheit, der mit der Furcht Jahwes verknüpft wird. Daraus ergibt sich gewissermaßen als Folge der zweite Teil: Wer diesen Anfang in der Furcht Jahwes nimmt, wird erfolgreich sein. Den Abschluss des Verses und des Psalms bildet das Lob Jahwes, dessen Ruhm ewig besteht. In diesem Vers liegt eine Steigerung von Versteil zu Versteil vor. Insbesondere zwischen Teil2 und Teil1 besteht ein Folgeverhältnis: Wer den Anfang der Weisheit in der Furcht Jahwes begründet, der wird erfolgreich sein. Teil 3 verknüpft alle drei Teile des Verses, indem er zum einen auf Jahwe bzw. an dieser Stelle seinen Ruhm zurückgreift, zum anderen der menschlichen Perspektive aus Teil2 die göttliche Seite nachstellt und in der Abfolge des Verses überordnet, wenn man den Vers als sich steigernd versteht. Man spricht bei solchen Versstrukturen von einem synthetischen Parallelismus, innerhalb dessen sich die einzelnen Teile zu einer Einheit zusammensetzen und weder in synonymer noch in antithetischer Weise, sondern in Form der Zusammensetzung verschiedener Aspekte, bei denen häufig der eine aus dem anderen folgt, eine Aussage bilden. Innerhalb des Verses, der als Gesamtheit als dreigliedriger synthetischer Parallelismus aufzufassen ist, findet sich in Teil1 eine Parallelisierung, die – wie die ganz ähnliche Formulierung in Spr 1,7 – wegweisenden Charakter hat und das Wesen der ḥokmāh eng mit Jahwe verbindet.

Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur

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