Читать книгу Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur - Markus Saur - Страница 7
Die Sprache der Weisheit
ОглавлениеTerminologie
Im Hebräischen findet man für den Begriff ,Weisheit‘ den Terminus ḥokmāh, der von der hebräischen Wurzel ḥkm abgeleitet wird. Diese Wurzel ist auch in anderen semitischen Sprachen, etwa dem ugaritischen ḥkm oder dem akkadischen htakāmu, belegt. Das hebräische Verb wird im Grundstamm Qal in der Regel mit ,weise sein‘ oder ,weise werden‘ übersetzt, ist darüber hinaus aber auch im Doppelungsstamm Picel (,unterweisen‘), Pucal (,erfahren sein‘), Hitpacel (,sich weise zeigen‘) und im Kausativstamm Hifcil (,weise machen‘) belegt. Insgesamt wird die Verbalwurzel in der Hebräischen Bibel aber nur 27 Mal verwendet, das vom Verbum abgeleitete Adjektiv ḥākām dagegen 138 Mal und das Nomen ḥokmāh 149 Mal. Die wohl als Intensivplural zu verstehende Form ḥokmōt findet sich sicher nur in Spr 1,20; 9,1; 24,7 und in Ps 49,4. Insbesondere für das Adjektiv ist neben der Bedeutung ,weise‘ sehr häufig eine Übersetzung mit ,kunstfertig‘ oder ,geschickt‘ sachgemäß; ebenso bezeichnet das Nomen neben der Weisheit auch die technische Fertigkeit oder das Geschick, aber auch die Erfahrung oder die Klugheit im Allgemeinen4. In der hebräischen Terminologie schwingt demnach immer auch ein gewisses Maß an Sachkunde und an Wissen darum mit, wie man sich in der Welt zurechtfindet.
Wichtige Parallelbegriffe bzw. Synonyme zu ḥkm sind im Hebräischen bjn, bīnāh und tebūnāh, aber auch dacat oder mūsar – allesamt Termini, die im Umfeld der Rede von ḥkm verwendet werden. bjn, das im Qal, Nifcal, Hifcil, Polel und Hitpolel belegt ist, bedeutet im Grundstamm ,merken‘ oder ,bemerken‘; mit den Nomen bīnāh und tebūnāh wird die ,Einsicht‘ bezeichnet. Die Form dacat leitet sich von der Wurzel jdcab, die ihrerseits am besten mit ,begreifen‘ oder ,erfassen‘ wiedergegeben werden sollte, da in diesen Übersetzungen das taktil-haptische Element der Bedeutung der Wurzel auch in der deutschen Begrifflichkeit mitschwingt; dacat ist dementsprechend das Begreifen oder das Erfassen bzw. das Ergebnis dieses Prozesses, also die Kenntnis von irgendetwas. Die Wurzel jsr bedeutet im Qal ,unterweisen‘, im Picel ,züchtigen‘ oder ,zurechtweisen‘ – diesen intensiveren Aspekt spiegelt auch das Nomen mūsār, das mit ,Züchtigung‘ oder mit ,Mahnung‘ bzw. ,Warnung‘ wiedergegeben werden kann5.
Es finden sich in den hebräischen Texten zahlreiche weitere Begriffe, vor allem negative Gegenstücke zur Weisheit, die das Begriffsfeld dessen abstecken, was mit ḥokmāh gemeint ist. Hier seien nur die von der Wurzel ksl abgeleiteten Termini kesīlūt bzw. kesīl genannt, mit denen die Torheit bzw. der Tor bezeichnet wird6. In Spr 15,20 ist zu lesen:
Ein weiser Sohn macht seinem Vater Freude,
aber ein törichter Mensch verachtet seine Mutter.
parallelismus membrorum
Mit solchen Gegensatzbildungen wird im Hebräischen ein Begriff definiert und damit der Sprach-Raum angegeben, innerhalb dessen er sinnvoll verwendet werden kann: Es wird nicht nur positiv ausgedrückt, was mit einem bestimmten Begriff gemeint ist, sondern es wird auch von der jenseits des Begriffes liegenden Seite her umgrenzt, wo der Terminus an seine Grenzen stößt und was er eben nicht bezeichnen kann. Am Beispiel von Spr 15,20 heißt das für das Adjektiv ḥākām: Weise ist, wer seinen Vater erfreut und – das ist nun zu erschließen – seine Mutter achtet; töricht (kesīl) ist dagegen, wer seine Mutter verachtet und – das ist wieder zu erschließen – seinem Vater Ärger bereitet. Das hier vorliegende Stilmittel bezeichnet man als parallelismus membrorum, also als eine parallele Zuordnung einer Aussage A’ zu einer vorangehenden Aussage A. Dieses Stilmittel prägt weite Teile der hebräischen Poesie. Auch wenn die Grundstrukturen hebräischer Poesie nach wie vor zu den großen Problembereichen der Hebraistik gehören, ist doch nicht zu übersehen, dass ihre genauere Erforschung eine grundlegende Bedingung für das Verständnis der poetisch strukturierten Textbereiche der Hebräischen Bibel ist. Da zur Bestimmung hebräischer Poesie vor allem der parallelismus membrorum als Kriterium angeführt werden kann, seien hier drei Beispiele zur Illustration gegeben, die zugleich erste inhaltliche Einblicke in das erlauben, was in der Hebräischen Bibel mit ḥokmāh bezeichnet wird.