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DIE ETAPPEN 1. ETAPPE: CLOWNERIE UND SCHAUSPIEL
Оглавление01. – 07. April 2018: Christiane Zanger,
Figurentheaterregisseurin und Musikerin (Tübingen)
Sich nach der Schule mit bisher Unbekannten auf einen Weg ins Unbekannte zu machen, um gemeinsam dem Impuls, lernen zu wollen zu folgen, wirft ganz zu Beginn viele Fragen auf. Die meisten beantworteten sich auf dem Weg: durch das ständige Miteinander in mehreren unbekannten Städten. Über zwei entscheidende Fragen wollten wir uns direkt zu Beginn Gedanken machen, da sie für das Gelingen einer solchen Bildungsreise entscheidend sind:
1. Wie es möglich ist, sich in kurzer Zeit gut kennenzulernen? Es ist eine Grundvoraussetzung, sich zumindest ein Stück weit vorher zu kennen, wenn man sich darauf einlassen will, über einen längeren Zeitraum eine derart enge Beziehung einzugehen.
2. Zum anderen war uns wie schon erwähnt von Anfang an klar, dass wir uns Gedanken über die Finanzierung des WSG machen mussten. Hier waren eine gute Planung und ein sparsames, überlegtes Wirtschaften gefragt.
Eine Antwort auf diese beiden Fragen war mit unserem ersten Kurs gefunden: Wir folgten unserem Impuls, der Zeit des theoretischen Lernens eine Woche Theaterschauspiel und Clownerie voranzustellen.
Diese Woche verbrachten wir in Tübingen mit unserer ersten Dozentin, der Figurentheater-Regisseurin Christiane Zanger.
Nach Cello- und Schauspielstudien hatte sie begonnen, in verschiedenen Funktionen Theatererfahrungen zu sammeln: als Musikerin, Autorin, Schauspielerin und Regieassistentin. Seit 1993 arbeitet sie freischaffend für verschiedene Figurentheaterensembles und seit 2008 vermehrt auch im soziokulturellen Bereich. 2011 gründete sie »KOBA Initiative für Empathie, Kunst und Theater«. Kinder mit emotionalem und sozialem Förderbedarf, Menschen mit Fluchterfahrung und Menschen mit Behinderung stehen im Zentrum der KOBA-Theaterprojekte. Wir fragten Christiane Zanger, ob sie sich vorstellen könne, uns zu unterstützen, und schilderten ihr unsere Erwartungen an die Theaterarbeit, denn wir hatten eine Idee: Wir wollten in dieser Zeit ein Programm einstudieren, mit dem wir als Gruppe auf der Straße Theater spielen könnten, um damit unsere Kasse aufzufüllen.
An das Straßentheater sind einige Forderungen gestellt: Es muss einfach »auf- und abzubauen«, also möglichst mobil sein. Es muss originell und überraschend sein und die Passanten zum Stehenbleiben einladen, um für eine Weile zum Publikum zu werden. Ein Auftritt auf der Straße darf nicht zu lang und nicht zu kurz sein. Im besten Fall möchte man erreichen, dass das Publikum stehen bleibt und die kurze Darbietung möglichst in voller Länge genießt. Um diese Anforderungen zu erfüllen, erarbeiteten wir kleine Szenen und Sketche. Dank Christiane Zangers Talent wurde unser Programm auch musikalisch begleitet, sie schrieb einen Text für eine Clownshymne und unterstützte uns in unseren Gesangsproben.
Es war eine bunte Woche, in der wir zu Clowns wurden: Zu Charmy mit dem Cello, dem verplanten Trolf, Sonnenschein Klonk, dem selbstverliebten Prachtkerl Bert und der liebevoll verschüchterten Schpusi. Der besondere Charme dieser fünf Clowns liegt in ihren völlig unterschiedlichen Charakteren; die Komik der Szenen liegt in der Regel in den Reaktionen der einzelnen Figuren aufeinander.
Schnell hatten wir einige Grundlagen verstanden: Im Clownsspiel ist alles extrem, überzogen. Mit dem Herauswachsen aus dem Alter, in dem überschwängliche Emotionen völlig normal sind, beginnt der Mensch immer mehr abzuwägen und sich zurückzuhalten. Einer einzelnen Emotion Körper und Geist gänzlich zur Verfügung zu stellen, das übten wir mit Christiane als Clowns während der ganzen Zeit. Und siehe da: Nach dem Überwinden der ersten Hemmschwellen erlebten wir das Eintauchen in die extremen Situationen der Clownerie als überaus befreiend. Man hört auf, sich ständig Gedanken über das Warum zu machen, und Art und Weise des Ausdrucks verlieren irgendwann völlig an Bedeutung.
Unsere Übungen bestanden oft darin, uns in einen Charakter vollständig hineinzuversetzen, mal traurig, mal verliebt, belustigt oder aggressiv zu sein. Die besondere Herausforderung war es, diese Gefühle nicht nur innerlich zu spüren, sondern sie auch im Extremen hemmungslos und übersteigert auszuspielen. Hier schrien wir uns gegenseitig an, da schauten wir einander so lange in die Augen, bis die »Schmerzgrenze« weit überschritten war.
Es war faszinierend zu sehen, wie in diesem künstlich hervorgerufenen Extrem eigene Emotionen, Gedanken und auch Ängste offenbar wurden. Auch wenn man spielt – oder vielleicht gerade dann – wird einem klar, welche Momente mit einer besonderen Überwindung verbunden sind und wann eine große Menge an Vertrauen in die Beobachtenden und vor allem in sich selbst notwendig ist.
»Mir wurde bewusst, dass ich zu manchen Emotionen einen guten Zugang habe und sie leicht zum Ausdruck bringen kann. Andere dagegen ließen sich von mir nur schwer greifen. Deutlich wurde mir aber, dass alle emotionalen Regelungen in mir liegen, und dass es nur förderlich und befreiend sein kann, die ganze Bandbreite der Emotionen und ihre jeweilige Erscheinungsform zu entdecken und zu erforschen.«
Franziska Jauß
Wunderbarerweise kamen wir als Gruppe von Anfang an beim Vorspielen einzelner Szenen völlig ohne Scham und Häme aus. Diese Form des gegenseitigen Respekts, der sich zum Beispiel darin äußerte, wie Spielideen und Rollenverteilungen angenommen wurden und wie vorsichtig wir mit der Kritik untereinander umgingen, war ein großes Geschenk für uns als Gruppe.
In dieser ersten Etappe wurden die Ideen und Wünsche, die wir an die Schauspielzeit gestellt hatten, vollständig umgesetzt und erfüllt. Wir sind in sehr kurzer Zeit durch die Offenheit, die das Schauspiel erfordert, zu einer Gruppe zusammengewachsen, in der man auf den anderen Rücksicht nahm und sich tatsächlich schnell ziemlich gut kennengelernt hat.