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2.3 SUCHT SUCHT

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Genuss wird aber nicht nur mit Gier in Verbindung gebracht, sondern auch mit Sucht. Physiologisch lassen sich zwei Mechanismen zu Genussgefühlen feststellen: Der eine ist jener mittels Substanzen wie Alkohol, Kokain oder Nikotin. Die entsprechenden Moleküle kommen über den Blutkreislauf ins Gehirn und wirken dort direkt auf das Dopaminsystem. Es folgt eine verstärkte Ausschüttung von Dopamin und anderen Katecholaminen. Der andere Mechanismus führt über Sinneswahrnehmungen wie Riechen, Sehen, Fühlen …, die an Rezeptoren Impulse erzeugen, die wiederum über Acetylcholin vermehrt zur Dopaminausschüttung führen. Das dopaminerge System sorgt dafür, dass auf die im Gehirn erzeugten Erregungen Handlungen folgen.

Nutzt man Genussmittel nur ihrer Wirkung wegen und meint man, die Glücksgefühle bloß noch dadurch zu erzielen, bewegt man sich eigentlich schon abseits des Genusses. Wenn also der Kaffee nur noch zum Aufputschen dient, der Wein bloß mehr entspannt und berauscht, die Zigarette nicht schmeckt, nur anregt oder beruhigt. Wenn also Genussmittel nicht für den Genuss gebraucht werden, sondern auf Dauer unbewältigbare oder Alltags-Situationen, Stress und Ärger kompensieren sollen. Wenn das Glas Bier belohnt, die Schokolade den Frust verdauen soll, das neue Kleid die innere Leere füllt. Wenn man ausweicht.

Können aber auch einzelne Nährstoffe unabhängig davon süchtig machen? Zucker ist immer wieder in Diskussion. Suchtexperten sehen die Basis dafür nicht gegeben. Denn das Entscheidende an einem Suchtmittel ist, dass es unglaublich gut und unmittelbar wirken muss, dass es uns massiv psychisch verändert, dass es also psychotrop wirkt. Wie eben Opiate, Kokain, Tranquilizer oder Alkohol. Mit Zucker lässt sich eine derartige psychotrope Wirkung nicht erreichen. Schließlich ist Sucht immer etwas Desaströses, etwas, das einem irgendwann völlig entgleitet. Da ist man bei Zucker weit davon entfernt. Selbstverständlich gibt es auch bei Zucker Menschen mit übermäßigem Konsum. Doch nicht jeder übermäßige Konsum führt zu einer Abhängigkeit. Für das Abhängigkeitssyndrom gibt es zudem, gemäß der sogenannten ICD-10 Systematik (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), eine klare Definition. Danach müssen mindestens drei von sechs Kriterien über mehrere Wochen zutreffen, bevor man von einer Sucht spricht (s. unten).

Kriterien für ein Abhängigkeitssyndrom:

1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren (Craving)

2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums (Kontrollverlust)

3. Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums (Körperliche Abhängigkeit)

4. Nachweis einer Substanztoleranz (Toleranzentwicklung)

5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen (Psychische Abhängigkeit I)

6. Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (Psychische Abhängigkeit II)

Körpereigene Drogen durch Fett

Bei Fett ist der Mechanismus im Körper genauer geklärt: Es setzt körpereigene Drogen frei – nämlich dann, wenn Fett auf der Zunge schmilzt. Diese sogenannten Endocannobinoide entstehen im vorderen Abschnitt des Darms und steigern den Appetit auf das Weiteressen. Das bedeutet, dass es zu einer Spirale kommt: Wieder landet Fett auf der Zunge und wieder werden Endocannabinoide freigesetzt. Oft ist es daher nicht leicht, mit dem Essen von fetten Lebensmitteln oder Speisen aufzuhören. Doch nicht alle Menschen reagieren gleich. Der eine tut sich schwerer als der andere. Und nicht jeder ist übergewichtig. Das hängt von vielerlei Faktoren ab. Zum einen von der inneren Einstellung und Selbstdisziplin, zum anderen vom restlichen Ernährungsverhalten und Lebensstil, in erster Linie vom Bewegungsmuster. Solch endogene Drogen gibt es beim Verarbeiten von eiweißreichen oder zuckerreichen Speisen übrigens nicht.

Sucht durch achtsamen Genuss reduzieren

Sucht ist oftmals nicht die Primärerkrankung, sondern folgt auf psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Panikstörungen. Rund ein Drittel schwer depressiver Menschen ist süchtig, bei einer generalisierten Angststörung sind 14 % (Männer) bzw. 36 % (Frauen) von irgendeiner Substanz abhängig. Zerlegt man Suchtprophylaxe etymologisch, steht »pro« für »vor« und »phylax« für »Wachsamkeit« oder übersetzt in den Kontext für »behüten, beschützen, wachsen lassen«. Was lässt nun Menschen wachsen? Geborgenheit, Sinn und Orientierung, Abenteuer und Selbsterfahrung, Anerkennung und Bestätigung, Glück und Zufriedenheit, Bewegung und Körpererfahrung. Einen Großteil haben wir selbst in der Hand. Ein selbstfürsorglicher und genussvoller Umgang hat sich als wesentlicher Kern in der Therapie und Prophylaxe erwiesen. Denn die Psychologie des Genießens gründet auf den gleichen psychologischen Abläufen, die für seelische Gesundheit bestimmend sind. Dr. Rainer Lutz hat vor mehr als 25 Jahren ein Gruppentherapieprogramm dazu entwickelt: die »Kleine Schule des Genießens«. Es kommt seither in psychiatrischen oder psychosomatischen Kliniken zum Einsatz. Aus den Erfahrungen mit der Genussgruppe ließ sich der euthyme Therapieansatz ableiten. Zentraler Inhalt ist die Wieder-Entdeckung der Sinne. Sie wecken ganz unmittelbar positive Emotionen, wodurch ein allgemeinpsychologischer Mechanismus gefördert wird: nämlich die Aufmerksamkeit auf Positives lenken zu können und zu halten. Diese Fokussierung gilt als grundlegendes Verhalten, um seelische Gesundheit zu fördern.

Mut zum Genuss

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