Читать книгу Mut zum Genuss - Marlies Gruber - Страница 15
2.4 KÖNNEN WIR GENIESSEN?
ОглавлениеFür die große Mehrheit in Österreich und Deutschland ist genießen wichtig, sogar wichtiger als Karriere, Geld oder soziales Ansehen (89 bzw. 86 %). Doch viele leiden unter mangelnder Zeit dafür und wünschen sich, sich für die genussvollen Momente im Leben mehr Zeit nehmen zu können. Im Vergleich zu Deutschland wird dem Genießen hierzulande mehr Zeit eingeräumt. Allerdings genießen die Deutschen entspannter, die Österreicher haben ständig ein schlechtes Gewissen dabei. Gut acht von zehn Personen verschaffen sich auch aktiv im Alltag Genussmomente. Dabei sagen nur 15 %, dass das Genießen heutzutage leichter ist als vor 25 Jahren. Das sind Resultate einer Befragung aus 2014 des Marktforschungsinstitutes market in Österreich mit 1007 Teilnehmern zwischen 22 und 49 Jahren und von FORSA in Deutschland. Daten des Österreichischen Genussbarometers des forum. ernährung heute aus 2009/10 mit 2000 Teilnehmern zwischen 14 und 69 Jahren stimmen mit den Ergebnissen überein. Genuss ist mehr eine Frage des Lebensstils als jene der Geldtasche. Immerhin schätzen sich acht von zehn als Genießer ein. Und nur 0,8 % der Befragten finden, dass Genießen ein teures Vergnügen ist. Doch ein detaillierter Blick zeigte auch da: Die Mehrheit zweifelt beim Genießen und hat ein schlechtes Gewissen.
Denn nicht jeder kann genießen. Menschen unterscheiden sich in ihrer Fähigkeit dazu. Nach dem Bilanzierungsmodell von Roland Bergler lassen sich drei Typen ableiten: die Genießer, die Genusszweifler und die Genussunfähigen. Das Modell gründet auf einer Art Kosten-Nutzen-Rechnung für soziale Beziehungen und einer Erwartungs-mal-Wert-Theorie. Wieviel muss ich investieren und was kommt bei dem Verhalten heraus? Ist der Nutzen größer als der Aufwand? Und welches Verhalten verspricht den meisten Wert? Am Beispiel Sport: Überwiegt der Nutzen gegenüber den Kosten? Also Auspowern, gute Laune, Stabilisierung des Körpergewichts, Treffen von Freunden, Abschalten … gegenüber Zeitaufwand, Überwinden des inneren Schweinehunds, Umziehen, Anstrengung? Wenn ja, dann wird man bei der Sportart bleiben. Die zweite Theorie kommt ins Spiel, indem in die jeweilig persönliche Kalkulation eingeht, ob zum Beispiel eine andere Sportart die persönlich wichtigsten Bedürfnisse ebenfalls erfüllen oder gar übertreffen würde. Je nachdem bleibt man bei der einen Sache, wechselt oder macht beides.
Bei der Bewertung des eigenen Genussverhaltens ist es ähnlich. Genießer ziehen bei genussvollem Verhalten eine positive Bilanz. Bei ihnen überwiegen in der persönlichen Bewertung deutlich die wahrgenommenen vorteilhaften Folgen des Genießens gegenüber möglichen Nachteilen. Gute Laune, Entspannung und gesteigertes Wohlbefinden bewerten sie weitaus höher als mögliche zeitliche oder finanzielle Einschränkungen.
Genussunfähige sehen im Genießen kaum Vorteile und bewerten die Nachteile als wahrscheinlicher und bedeutsamer. Die persönliche Genussbilanz fällt für sie negativ aus. Sie können sich weder vorstellen, ihre Laune, ihr Selbstbewusstsein, ihre Leistungsfähigkeit oder Problemlösekompetenzen mit genussvollen Handlungen verbessern zu können, noch nehmen sie die entspannende Qualität wahr.
Zwischen den beiden rangieren die Genusszweifler. Sie genießen eigentlich gerne, aber mit schlechtem Gewissen. Sie ängstigt der Gedanke, beim Genießen zu gierig oder unkontrolliert zu handeln; zudem befürchten sie zum Beispiel zeitliche oder finanzielle Kosten. Genusszweifler nehmen Vorteile und Nachteile gleichermaßen wahr und kommen somit zu einer ambivalenten Haltung. Damit lebt der Genusszweifler ständig angespannt in der Ungewissheit, ob er sein Verhalten nun gut oder schlecht finden soll.
Die Kategorisierung in die drei Typen lässt sich über Fragen nach den Assoziationen zum Genießen und den persönlichen Auswirkungen von Genussentzug, also der Bilanzierung zu den Vor- und Nachteilen des Genießens, treffen.
Für Österreich ergab sich im Österreichischen Genussbarometer des forum. ernährung heute (f.eh) aus 2009/10 folgende Aufteilung: 15 % Genießer, 68 % Genusszweifler und 17 % Genussunfähige. Die Ergebnisse des f.eh-Genussbarometers »Best Ager« in der Altersgruppe der 60- bis 79-Jährigen aus dem Jahr 2014 mit 300 Personen deuten darauf hin, dass mit dem Alter das Genussverständnis steigt: Zwar ist auch bei der Generation 60+ die überwiegende Mehrheit den Genusszweiflern zuzuordnen (70,5 %), doch 29 % sind Genießer. Der Anteil der Genussunfähigen liegt demnach in dieser Umfrage unter 1 %.