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2.1 WAS IST GENUSS?

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»Genuss ist die Handlung in der Gegenwart, die Hoffnung für die Zukunft und die Erinnerung an vergangene Dinge.«

-Aristoteles

Orientiert man sich am Beispiel Essen, so treffen all diese drei Aspekte zu. In der Gegenwart: Die sensorische Wahrnehmung von gut schmeckenden Speisen macht erwiesenermaßen Menschen ruhiger, entspannter und zufriedener. Für die Zukunft: Sich auf kulinarische Ereignisse zu freuen, ist keine Seltenheit. Manchmal geht es darum, satt zu werden, dann wieder darum, einen bestimmten Gusto zu stillen oder weniger ums Essen und mehr um die Gesellschaft. Egal wie, Vorfreude und Belohnung sind eng aneinander gekoppelt. Ihre Mechanismen steuern das Verhalten zu Zielen, die das Überleben sichern, wie Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung. Zur Belohnung gibt es eine Ausschüttung: jene von Wohlfühlhormonen. Bei Menschen ist der Belohnungskreislauf komplex und steht mit mehreren anderen Hirnregionen in Zusammenhang, die mit Gefühlserlebnissen verbunden sind, wie auch beim Essen. Die präzisen Pfade der für Genuss zuständigen Substanzen im Zentralnervensystem sind noch nicht vollständig erforscht. Entscheidende Bedeutung kommt jedoch den Nervenzellen des Zentralnervensystems zu, die dem ventralen Tegmentum entstammen. Leiten diese Zellen einen Impuls weiter, wird der Neurotransmitter Dopamin freigesetzt. Und Dopamin ist schließlich der Key Player in der Genuss- und Belohnungsphysiologie.

Die Erinnerung: Gerade ans Essen in der Kindheit oder bei speziellen Anlässen kann man sich oft ein Leben lang erinnern. Omas samstägliche Erdäpfelsuppe oder ihren Apfelstrudel habe ich heute noch in der Nase. Was wir von klein an als wohlschmeckend und nährend mitbekommen haben, wirkt auch heute noch und vermittelt ähnliche Gefühle – in dem Fall Wärme und Geborgenheit. Es gibt auch Menschen, die wiederkehrende Feste nur durchs Essen unterscheiden – der Geburtstag, an dem es Tapas gab, Curry, Fondue oder eine Wildsau … Manche merken sich vielleicht nicht den Namen des Lokals, wissen aber genau über das mehrgängige Menü zu berichten. Ebenso leben Urlaubserinnerungen häufig von »Ess-Kapaden« und der Atmosphäre rundherum. Neben dem aktuellen Erleben und der Vorfreude gehören also angenehme Erinnerungen zu den wichtigsten Erfahrungen von Freude und Entspannung.

Der gängigen Definition nach ist Genuss eine positive Sinnesempfindung, die mit körperlichem und/oder geistigem Wohlbefinden verbunden ist. Die Genussfelder lassen sich demnach in kulinarische, in kulturelle mit etwa Theater, Musik, Literatur und in körperliche mit Sexualität, Sport oder Massagen einteilen. Was jemand als genussvoll wahrnimmt, ist äußerst subjektiv und von Mensch zu Mensch verschieden. Genussfähigkeit bildet jedenfalls die Voraussetzung dafür. Der Schriftsteller François de La Rochefoucauld hat dieses Faktum auf die Kulinarik bezogen kurz gefasst: »Essen ist ein Bedürfnis, Genießen ist eine Kunst.« Schließlich muss man eine Kunst erst erlernen – die Bildhauerei oder das Musizieren ebenso wie das Kochen, Genießen, Lieben oder Leben. Immer sind Neugierde, Leidenschaft, Interesse, ein intensives Beobachten und Erleben, Selbsterfahrung, Kontemplation und Reflexion notwendig, um zum Aficionado aufzusteigen. Denn selbstverständlich ist das Genießen ganz und gar nicht.

Natürlich ist Genuss auch alleine möglich, vom Linguistischen her deutet es aber eine Gemeinschaftskomponente an. Genießen und Genosse hängen ebenso zusammen. Beides beruht dem etymologischen Wörterbuch Kluge zufolge auf dem nahezu gleichen germanischen Stamm »neuta/nauta«. Das bedeutet ursprünglich »Nützen oder Vorteil haben« und in der Gemeinschaftsbildung »der das Vieh gemeinsam hat«. Zudem weist die Vorsilbe »ge-« ursprünglich bei vielen Worten auf Zusammensein hin. Dass während gemeinsamer Mahlzeiten zwei zu Kumpel (compain, compagno, von lat. panis, Brot) werden können, liegt aber nicht nur daran: Wir essen und reden mit dem Mund. Gemeinsam Essen führt zum Austausch, schafft Nähe und Zusammenhalt, fördert emotionale Bindungen.

Genuss ist nicht dasselbe wie Lust. Lust kann als ein kurzfristiger und mitunter auch kurzsichtiger Konsum gesehen werden, der spontan geweckte Bedürfnisse befriedigt. Beim Genuss steuert der Kopf mit, bei der Lust geht es um das Animalische, das Instinktive. Bei der Lust hat die Vernunft Pause. Lustvolles kennt keine Grenzen. Mit Lust zu essen bedeutet, den Appetit zu stillen, zu verschlingen, sich fallen zu lassen. Genießen hat dagegen mit Selbststeuerung, Maßhalten, Autonomie und Zeit zu tun. Genießen geht mit bewusster Wahrnehmung und bewusster Gestaltung einher. Genuss unterscheidet sich daher auch eklatant von Gier und Sucht.

Mut zum Genuss

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