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Kapitel 2

Theorien über Thor

Das altnordische Heidentum als Glaubenssystem mag sich von bestimmten monotheistischen Religionen, wie z. B. dem Christentum oder dem Islam, dadurch unterscheiden, dass es keine evangelikale Mission kannte und daher nicht auf die Gewinnung von Konvertiten ausgerichtet war. Doch trotz dieser offensichtlichen Aufgeschlossenheit war der altnordische Mythos ideologisch nicht minder allumfassend und konservativ in seiner Weltanschauung. Ähnlich wie auch in anderen mythologischen Systemen brachte die Verbindung der Edda-Mythen mit den Sitten der altnordischen Gesellschaft eine Einheit von Tugenden hervor, die in den Eddas in abstrahierter Form vorlag: Überall gab es die gleichen Werte und damit auch die gleichen Ängste, die ihnen zugrunde lagen. Untrennbar waren damit existenzielle Gedanken verbunden, etwa die uralten philosophischen Fragen: Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Wie sollen wir leben? – Während die Antworten auf die ersten beiden Fragen in der eschatologischen Entwicklung von der Erschaffung der Welt bis zur Ragnarök gegeben werden, war die Antwort auf die letzte Frage teilweise von sozialen Hierarchien und den daraus folgenden Erwartungen bestimmt, die an den Einzelnen gerichtet waren. Es wird niemanden überraschen, dass die altnordische Mythologie nicht dazu tendierte, Frauen den Männern vorzuziehen, noch dass diesbezüglichen Vorurteilen erst seit dem späten zwanzigsten Jahrhundert umfängliche kritische Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

Thor

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