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DAS AUFKOMMEN DES CHRISTENTUMS

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Selbst in der Zeit nach der Bekehrung stimmten kulturelle Überlieferungen, die den Platz Thors in der Rangordnung der altnordischen Götter betrafen, nicht zwangsläufig mit dem überein, was wir dazu in den Eddas finden; allerdings tendierten christliche Autoren dazu, ebenso wie Thors Anhänger aus Uppsala, ihn als Jupiter zu betrachten. In ihrer Ablehnung aller heidnischen Gottheiten setzten Saxo Grammaticus, ein dänischer Historiker des zwölften Jahrhunderts, und Ælfric, ein englischer Homilet und Prediger im zehnten Jahrhundert, Jupiter mit Thor gleich und folgten damit der römischen Tradition, die Odin mit Merkur identifizierte, wobei Odin allerdings nicht als höherrangig gegenüber Thor gesehen wurde.24 Die gleiche Beurteilung von Thors Status finden wir in der Clemens Saga, eine der vielen Lebensgeschichten Heiliger, die aus frühen lateinischen Quellen von isländischen Klerikern zur Erbauung ihrer Landsleute während des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts übersetzt wurden. In dieser Erzählung über Pontifikat und Märtyrertum des Heiligen Clemens von Rom im ersten oder zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, wird das Prinzip der interpretatio Romana umgekehrt, wobei den römischen Gottheiten die Namen ihrer mutmaßlichen altnordischen Entsprechungen gegeben werden. Hier bezieht sich der Übersetzer auf den Tempel Thors, der sicherlich dem Tempel des Jupiter entspricht. Als Clemens von ‚verstockten Heiden’ angegriffen wird, bezichtigen diese ihn der Gotteslästerung, werfen ihm vor, dass er die Befähigung zu seinem Amt durch Zauberei erlangt habe und ‚unsere edlen Götter entehrt und sagt, Thor sei kein Gott, unser treuer Schutzpatron und die höchste Göttlichkeit, voller Mut und immer nahe, wo immer er verehrt wird.’25

Weiterhin wurde ihm zur Last gelegt, alle nordischen Götter in Verruf zu bringen. Doch ziehen nicht alle Hagiographen die gleichen Parallelen zwischen den römischen und den altnordischen Göttern, weshalb Thor – abhängig von der jeweiligen Heiligenvita – hier mit Jupiter und dort mit Herkules gleichgesetzt wird, ebenso wie Odin sowohl als Jupiter oder Herkules wie auch als Merkur oder Mars auftauchen kann.26 Trotzdem erlangten, wie hinlänglich bekannt ist, die Korrespondenzen zwischen altnordischen und römischen Göttern eine quasiorthodoxe Festschreibung – und zwar in den Tagen der Woche. Eine vereinfachte Darstellung dieser Entsprechungen wäre die folgende: der germanische Dienstag [engl.: Tuesday] oder Tyrs-/​Tiustag entspricht dem ‚Marstag’, wie im Französischen Mardi; der Mittwoch [engl.: Wednesday] oder Odins-/​Wodenstag entspricht dem ‚Merkurtag’, wie im Französischen Mercredi; und der germanische Thors-/​Donnerstag entspricht dem ‚Joves-/​Jupiterstag’, analog zum französischen Jeudi. Im Laufe des dritten Jahrhunderts u. Ztr. wurde die Ersetzung der germanischen durch römische Götter in den Namen der Wochentage üblich.27

Die unterschiedlichen Einschätzungen der Rangordnung der Götter und die damit implizierte unterschiedliche Bewertung der Wichtigkeit der drei göttlichen Aufgaben sind durch die jeweiligen historischen Zusammenhänge bedingt. Handel und Wohlstand, der gewiss auch die Fruchtbarkeit der Felder und Viehbestände einschloss, hatten für die frühen Stämme Germaniens, von denen Tacitus berichtet, anscheinend Vorrang vor körperlicher Kraft und militärischer Leistungsfähigkeit. In späteren Zeitabschnitten wurde jedoch die militärische Leistungsfähigkeit zunehmend mit dem Schutz des Landes in Verbindung gebracht, der für den Besitz guter Weiden und eine reiche Ernte erforderlich war; mit der Verlagerung dieser Prioritäten wurde Thor eine größere Bedeutung zugemessen. Für das einfache Volk, das auf dem Lande oder auf See arbeitet, und – im neunten und zehnten Jahrhundert – auch in den kriegerischen Verbänden der Wikingerzeit nach materieller Verbesserung strebt, ist dies nachvollziehbar. Gerade weil Thor sich dieser großen Beliebtheit erfreute, wurde er von christlichen Berichterstattern als die wichtigste altnordische Gottheit wahrgenommen, und deshalb wurde ihm in besonderem Maße kritische Aufmerksamkeit zuteil; eine unbeabsichtigte Folge war, dass sich, zumindest für eine gewisse Zeit, die Anhänger Thors ihm jetzt erst recht zuwandten. Dass Thors Platz in der göttlichen Hierarchie in den Eddas oder in der Skaldendichtung nicht so stark glorifiziert wurde, ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Dichter im Dienste der Aristokratie standen, deren politische Interessen und Ziele treffender von Odin widergespiegelt wurden. Was die Übereinstimmungen zwischen altnordischen und römischen Gottheiten betrifft, wird die Zuordnung auch dadurch erschwert, dass sowohl Verwandtschaftsstatus als auch Eigenschaften des jeweiligen römischen Gottes ebenfalls variieren können, je nachdem, ob sich das Imperium gerade im Krieg oder im Frieden befand. Darauf mögen die unterschiedlichen Einschätzungen der Entsprechungen verschiedener Götter in den Übersetzungen lateinischer Texte zurückzuführen sein, die auf das dritte und vierte Jahrhundert zu datieren sind, so wie es in vielen isländischen Sagas der Fall ist, die über das Leben von Heiligen berichten.

Während die unbesiegten Germanenstämme östlich des Rheins im Laufe des siebten und achten Jahrhunderts letztendlich der christlichen Mission unterlagen, blieben die weiter entfernten skandinavischen Stämme isoliert und behielten die alten Sitten bis zu ihrer kriegerischen Ausbreitung ab dem frühen neunten Jahrhundert in der Wikingerzeit bei, als die christliche Mission, nicht ganz zufällig, im fernen Norden mit zunehmendem Ernst betrieben wurden. Dies führte im späten zehnten und beginnenden elften Jahrhundert schließlich zu nachhaltigen Bekehrungen in Dänemark, Norwegen und Island, wo die Monarchen und Kriegsherren Vorteile in einer Angleichung an die religiöse Kultur des übrigen Europa sahen, während Schweden einen ungleichmäßigeren Missionsprozess durchlief, der über ein Jahrhundert länger dauerte. Mit dem Christentum kam nicht allein die biblische Wissenschaft, sondern auch die klassische literarische Kultur des Mittelmeerraumes. Um die Zeit, als Snorri an seiner Prosa-Edda schrieb, im frühen dreizehnten Jahrhundert, war die griechisch-römische Kultur Teil der intellektuellen Grundlagen des westlichen und nördlichen Europa, wie auch aus Snorris euhemeristischer Erklärung des ‚Irrtums’ des altnordischen Heidentums ersichtlich ist. Die lange Geschichte der Ähnlichkeiten zwischen nord- und südeuropäischen religiösen Überlieferungen ist daher ebenso wenig verwunderlich wie ihre Komplexität und Veränderlichkeit. Zwischen den germanischen Völkern und denen des indischen Subkontinents hingegen existiert keine derartige Historie von Beziehungen. Die bemerkenswerten Ähnlichkeiten zwischen der nordisch-germanischen heidnischen Mythologie und der des Ostens sind also kaum mit Impulsen erklärbar, die aus Kontakten im Laufe des ersten Jahrtausends resultieren würden. Sie sind per se ein zwingender Beweis für die Theorie eines gemeinsamen indoeuropäischen Ursprungs.

Thor

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