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THEORIEN ÜBER DIE RIESEN

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Thor zu verstehen, erfordert jedoch eine genauere Analyse dessen, was die Riesen dargestellt haben mögen; und diese weist über eine reaktionäre männliche Sexualität hinaus auf Fragen hinsichtlich der Sterblichkeit und der widersprüchlichen Weltbilder, die in der menschlichen Psyche angelegt sind. Eine Herangehensweise der strukturellen anthropologischen Theorie, besonders im Werk von Claude Lévi-Strauss (1908 - 2009), besteht darin, die Riesen als Abstraktionen von Naturgewalten zu betrachten, die im Gegensatz zu den Kräften der Kultur stehen, die durch die Götter repräsentiert werden.12 Diese Zweiteilung ist in vielerlei Hinsicht überzeugend. Die Riesen leben draußen an der Peripherie, in der freien, ungebändigten Wildnis, wo zwangsläufig Gefahren lauern. Abgesehen von Utgardlokis Hof, leben alle Riesen, denen Thor begegnet, an einsamen Orten, während die Götter, ähnlich den Menschen, Gemeinschaften bilden. Um in die Anderswelt der Riesen zu gelangen, muss Thor Grenzflüsse überqueren, d. h. einen Übergangsritus an der Schwelle von einer Ebene der Existenz zur nächsten vollziehen: von der nährenden Sicherheit der Mitwelt zu den isolierenden Gefahren wilder, friedloser Orte. In stark vereinfachter Form ist dies ein Gegensatz zwischen Leben und Tod. Doch Menschen sind sowohl Natur- als auch Kulturwesen, und darin besteht eine der Paradoxien unserer Existenz. Auf der einen Seite sind Menschen auch voll wilder Triebe und schäumen vor antisozialen Antrieben, die einer Zügelung bedürfen, über; auf der anderen Seite hängt das menschliche Überleben vom Zusammenwirken und dem gemeinschaftlichen Nutzen ab. Und letztlich muss natürlich jedes menschliche Wesen seiner persönlichen Ragnarök begegnen – dem Punkt, an dem Natur und Kultur einander gleichsam aufheben. Wie die Götter haben auch menschliche Wesen Riesenblut in ihren Adern, weshalb ihre Endlichkeit vorherbestimmt ist.

Dieses Paradoxon trifft besonders auf Thor zu, der, wie oben schon angeführt, zum einen Teil ein Gott und, aufgrund unmittelbarer Abstammung, zum anderen auch ein Riese ist. Abgesehen von der Tatsache, dass die mütterliche Linie nicht als gleichermaßen bedeutsam angesehen wurde wie die väterliche Linie, und dass Thor bei weitem nicht der einzige unter den Göttern von gemischter Abkunft ist, kann sein Kampf gegen einen Teil seiner eigenen Herkunft als Kampf gegen die Sterblichkeit betrachtet werden, sowohl gegen die eigene als auch gegen die all jener, die er zu beschützen sucht, mit anderen Worten: der Menschen und deren mythologischer Hypostasierung in Gestalt der Götter. Die Auslöschung der gegen das Leben gerichteten Gewalten ist Thors Lebenssinn; als seine Erzfeindin, die Midgardschlange, sich schließlich auf dem Schlachtfeld von Ragnarök gegen ihn erhebt, ist dies in mancherlei Hinsicht sein eigener Tod, den er bekämpft. Es ist ein Kampf, den er nicht gewinnen kann, ebenso wenig, wie er den Kampf gegen das Alter an Utgardlokis Hof gewinnen konnte. Wenn denn die Riesen und ihre monströsen Verbündeten all das repräsentieren, was dem Leben schadet – gesellschaftlich, politisch und physisch – so verkörpert Thor das Wesen sozialer Sicherheit, politischer Stabilität und physischer Gesundheit. Thor und die Riesen mögen in einer Hinsicht Gegensätze sein, doch in einer anderen sind sie verwandte Aspekte der conditio humana wie auch des menschlichen Strebens, dem Ungeordneten eine Ordnung aufzuerlegen – letztlich also des Überlebenskampfes.

Thor

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