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3 Tricktrack

Hans Schiltberger verbrachte die folgenden Tage mehr oder minder in einem Dauerdämmerzustand. Was um ihn herum passierte, versank in einem Wirbel aus Schmerzen und Schlaf. Manchmal schrie er. Dann kam jemand und gab ihm etwas zu trinken, woraufhin die Schmerzen nachließen und Hans sich ganz leicht fühlte. Jemand fütterte ihn und flößte ihm Wasser ein. Jemand wusch ihn. In wacheren Momenten merkte er, dass er mit anderen Verwundeten in einer Kutsche transportiert wurde. Bayezid hatte die Gefangenen nach Adrianopel in Griechenland geschickt, der Hauptstadt von Rumelien, dem osmanischen Teil Europas. Als einmal die Schmerzen unerträglich waren und Hans brüllend die Augen aufriss, glaubte er, eine Erscheinung zu haben. Der, der ihn versorgte, hatte einen flachsblonden Haarschopf.

»Yorick!«, keuchte Hans.

»Schschsch«, machte der Flame und flößte Hans das schmerzstillende Getränk ein. Dann wechselte er die Verbände.

»Warum machst du das für mich?«, sagte Hans leise, bevor er wieder ins Reich der Träume glitt.

»Weil du das auch für mich tun würdest«, antwortete Yorick. Und damit, das musste Hans zugeben, hatte er verdammt recht.

In Adrianopel lagerten sie zwei Wochen. Dann kam der Befehl, die Gefangenen nach Gallipoli zu bringen, wo man sie in einen Turm sperrte. Die Edlen ebenso wie die anderen. Den Edlen teilte man kleinere, komfortablere Zellen zu, wo sie ihrem Status gemäß eine bevorzugte Behandlung und Versorgung genossen. Die restlichen mussten sich große, mit Stroh ausgelegte Quartiere teilen. Licht fiel nur durch kleine, vergitterte Schlitze herein.

Zu Hans’ Überraschung kam zweimal täglich eine kleine Delegation von Männern, die sich um die Verletzten kümmerte. Ihr Anführer war offensichtlich ein Heilkundiger, ein Arzt, der sich alle Wunden genau besah und seinen Männern Anweisungen zur Pflege und Versorgung gab. Der Unterschied zu den Quacksalbern und Brechbadern, die Hans aus seiner Heimat kannte, hätte nicht größer sein können. Der Arzt entdeckte, dass in Hans’ eiternder Schulterwunde noch die Pfeilspitze steckte. Wieder bekam Hans einen Trank, der ihn schweben ließ. Als er zu sich kam, hockte Yorick neben ihm und hielt ihm freudestrahlend die Spitze entgegen, die sie aus der Schulter geholt hatten. Die Spitze wurde ihm später weggenommen. Man musste den Gefangenen nicht unnötig potenzielle Waffen überlassen. Nur eine kleine Pfeilspitze, aber dennoch. Gegen Abend kam jeden Tag ein Mann, der an einer langen dünnen Kette einen kleinen Kessel schwenkte, in dem stark riechende Kräuter brannten und räucherte die Zellen aus.

Der junge Bursche, der sich im Auftrag des Arztes auch um Hans kümmerte, zeigte Yorick, wie er die Wunden fachmännisch reinigen und neu verbinden konnte. Er war ein fröhlicher Kerl, der gerne lachte, worüber, konnten sich weder Hans noch Yorick erklären. Schließlich sagte der Bursche eines Tages: »Benim adım Cem.« Er wiederholte es langsam und deutete auf sich. »Cem. Benim adım Cem.« Dann deutete er auf Hans und Yorick.

Hans begriff als erster: »Hans. Benim adım Hans.«

»Hans! Bu komik bir isim.« Das sollte Hans später noch öfter hören – Hans, was für ein komischer Name. Cem lachte, als auch Yorick sich auf Türkisch vorstellte. »Cerh«, sagte Cem und deutete auf die drei Wunden. »Ciddi yaralar, Hans

»Ja, schwere Wunden«, seufzte Hans, ohne zu wissen, dass Cem genau das gesagt hatte. Und so begannen Hans und Yorick während der Gefangenschaft in Gallipoli Türkisch zu lernen. Dank der guten Versorgung machte die Genesung rapide Fortschritte. Sie bekamen kräftige Suppen mit gekochtem Gemüse, dazu eine körnige gelbliche Masse, die Hans zunächst für eine Art Hirse hielt. Später sollte er lernen, dass es Bulgur war. Neben Suppen gab es Linsen- und Bohnengerichte. Oft erhielten sie sogar gekochtes Fleisch, meist Pferd, denn viele Tiere waren schwer verwundet aus der Schlacht hervorgegangen und mussten getötet werden. Seltener kam Hammel in die Näpfe, einmal sogar Huhn.

Eines Tages brachte Cem ein schweres Stück Holz und ließ Hans damit Greifübungen mit der linken Hand machen. Hans verstand, dass seine Beweglichkeit wieder hergestellt werden sollte. Als das Greifen gut funktionierte, packte Cem Hans am Handgelenk und wies ihn an, mit Kraft dagegenzuziehen. Cem freute sich über jeden Fortschritt mindestens ebenso wie Hans und Yorick.

Bald konnte Hans mit Yorick Tricktrack spielen, wofür sie sich das Spielbrett auf den staubigen Boden malten und kleine grüne und schwarze Früchte als Spielsteine nutzten. Die komischen kleinen Früchte, die hauptsächlich aus einem großen Kern im Inneren zu bestehen schienen, bekamen sie täglich mit der Essensration. Hans mochte höchstens die schwarzen, die erinnerten ihn zwar an große Hasenköttel, aber die schmeckten weniger sauer als die grünen, doch meist verzichtet er ganz darauf. Oliven – den Namen lernte er erst später. Dass er ihren Geschmack einmal lieben und noch später vermissen würde, konnte er da noch nicht ahnen. Das Spiel Tricktrack, das in leicht abgewandelter Form unter dem Namen Backgammon in ferner Zukunft weltweit bekannt werden sollte, mochte Hans schon seit seinen Münchner Tagen. Er hatte es immer in den Badehäusern gespielt, wenn er auf seinen Vater warten musste. Die Würfel hatte ihnen Cem mitgebracht. Immer wenn er würfelte, sagte Hans »Puff«, wie er es als Bub gemacht hatte. Bis Yorick sagte, das Puff nerve ihn total und überhaupt: Was solle das denn sein?

»Das machen wir bei uns so«, erklärte Hans. »Weil die Würfel beim Fallen eben Puff machen.«

»Würfel machen nicht Puff«, entgegnete Yorick.

»Machen sie wohl! Puffpuffpuff. Das spielt man bei uns in den Badehäusern. Mein Vater hat immer gesagt, dass er nun zum Puff geht. So populär ist das bei uns.«

Yorick war ein passabler Gegner, der von Tag zu Tag besser spielte. So vergingen die Tage. Wenn Cem kam, sammelten sich immer mehr Burschen um Hans, denn auch sie wussten, dass es besser wäre, die Sprache ihrer neuen Herren zu lernen. Auch die anderen Pfleger begannen, ihren Schützlingen Türkisch beizubringen. Als es den Verwundeten besser ging, kam der Medicus nur noch alle zwei Tage vorbei. Schließlich gar nicht mehr.

Eines Tages, als Hans – höchst ungewöhnlich für ihn – trüben Gedanken nachhing und vor Heimweh Brustbeklemmung bekam, fragte er Yorick, um sich abzulenken: »Weißt du, was mit meinen Freunden geworden ist? Max und Josef?«

»Josef war der dumme, oder?« Yorick zuckte mit den Schultern. »Wenn er überlebt hat, dann wird er wohl auch hier irgendwo im Turm sein. Und Max war der, der so gut Laute spielen konnte? Komm mal mit.« Yorick half Hans auf. Sie durchquerten die große Zelle. Hans vermutete, dass um die hundert Gefangene ihr Schicksal teilten. Eben stand die Zellentür offen, bewacht von türkischen Soldaten. Wie jeden Tag am späten Vormittag wurden die Toiletteneimer ausgewechselt. Man hatte die Gefangenen in verschiedene Dienste eingeteilt, Essen verteilen, Stroh erneuern, Notdurfteimer wegbringen. Die Dienste wechselten täglich. Ausgenommen waren nur die Verwundeten. Einer, der einen Toiletteneimer mit stoischem Blick zur Tür trug und dort einen leeren in Empfang nahm, kam Hans bekannt vor. Aber das konnte nicht sein. Max war kaum wiederzuerkennen. Spindeldürr, mit hängenden Schultern, leerem Blick und schmalen Lippen schlurfte Max an ihm vorbei.

»Max.« Hans packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. »Ich bins.«

Max hob kurz den Kopf und starrte durch ihn hindurch, dann versuchte er seinen Weg fortzusetzen.

Yorick zog vorsichtig Hans’ Hände weg. »So ist er seit der Schlacht«, sagte Yorick nüchtern. »Er redet nicht mehr. Überhaupt reagiert er nicht mehr. Er hört wohl, was man sagt, und macht alles, was man ihm sagt, aber er reagiert einfach nicht mehr wie ein Mensch. Ein lebender Toter.«

»Ein lebender Toter.« Fassungslos ließ Hans die Arme sinken. »Aber, Max …«

Max stellte den leeren Eimer in die Notdurftecke, schlurfte dann an seinen Platz, wickelte sich in die grobe Decke, die jeder von ihnen bekommen hatte, und setzte sich hin. Er wiegte leicht den Oberkörper vor und zurück, rührte sich ansonsten nicht weiter.

Hans taumelte zurück zu seinem Platz. Über das Grauen, das sie überlebt hatten, hatten sie nie auch nur ein Wort verloren. Es war einfach Teil ihres Lebens, Teil von Gottes unergründlichem Plan. Seit Beginn der Schlacht gab es für Hans nur noch das diffuse, gewaltige Rauschen, in dem alle Erinnerung verschwand. Er sackte an seinem Platz zusammen und gab sich dem heulenden Elend hin, das ihn übermannte. Das letzte Mal hatte er so geheult, als seine Mutter gestorben war. Sieben Kinder hatte sie zur Welt gebracht, davon hatten immerhin drei die ersten Jahre überlebt. Hans, sein älterer Bruder Mathis und seine kleine Schwester Maria. Die Geburt des achten Kindes überlebten weder die Mutter noch das Baby.

Yorick setzte sich daneben und schwieg, bis es vorbei war.

Während der zwei Monate im Turm von Gallipoli veränderte sich die Stimmung unter den Gefangenen. Aggressionen brachen aus. Die Verwundeten ließ man weitgehend in Ruhe, Hans sowieso, denn er gehörte zu den Älteren, und man wusste, dass er sich im Kampf wie ein Mann geschlagen hatte. Er galt als ›Türkenfresser‹, hatte er doch mindestens fünf Türken getötet. Dennoch wünschte sich Hans, dass Josef noch bei ihnen wäre, denn der hatte sich nie gescheut, ordentlich zuzuschlagen. Auch um Yorick machte man einen Bogen, denn der war größer als alle anderen, und wenn er nicht bei Hans war, hing er mit ein paar flämischen Jungs herum, die sich zu wehren wussten. Schnell entstanden aus Nichtigkeiten brutale Schlägereien. Die türkischen Wachen gingen nicht immer dazwischen. Je nach Lust und Laune. Banden rotteten sich zusammen, meist nach Herkunftsländern. Eine Gruppe von Spaniern aus Kastilien mit ihrem Anführer, einem sehnigen fünfzehnjährigen Burschen mit gebrochener Nase, den alle nur Don Juan nannten, genoss bald den größten Respekt. Don Juan, der stets betonte, er sei Juan Gonzáles de Clavijo, und hätte aufgrund seines Standes überhaupt nichts bei den einfachen Knappen verloren, sondern würde zu den Edlen gehören, terrorisierte mit Vorliebe die Jüngeren und Schwächeren. So pinkelte er in das Essen eines kleinen Italieners und zwang ihn anschließend, alles runterzuschlucken.

Einmal ging Yorick dazwischen, als Don Juan einen kleinen Buben in der Mangel hatte. Don Juan packte den Jungen am Hals, hielt ihm seinen Penis vor die Nase und drohte, ihm damit sein Maul zu stopfen. Hans verstand zwar kein Spanisch, aber was er sah, ließ nicht viel Interpretationsspielraum. Obwohl der kleine Junge kein Flame war, griff Yorick ein. Eine Keilerei entstand, doch bevor ein wirklicher Kampf losgehen konnte, flog die Tür auf. Ein türkischer Edelmann mit prächtiger golddurchwirkter Kleidung und üppigem schwarzen Vollbart betrat mit drei Wachen den Saal. Ein Bär von einem Mann, nicht groß, nicht fett, eher gewaltig. »Was für ein Prackl«, entfuhr es Hans.

»Was ist denn ein Prackl?«, fragte Yorick.

»Ein Mordstrumm Kerl. Ein Prackl eben.«

Die Wachen bedeutenden den Jungen, sich aufzustellen. Der Edelmann schritt durch den Raum, ein parfümiertes weißes Tuch vor der Nase wedelnd, ließ seinen musternden Blick auf manchen Burschen länger liegen als auf anderen. Manche mussten sich ausziehen und vor ihm drehen. Wie auf dem Viehmarkt. Yorick wurde fast unwohl, so lange prüfte ihn der Edelmann. Dann verließ der Herr samt Gefolge die Zelle.

»Was sollte das jetzt?«, fragte Yorick. Keiner wusste eine Antwort.

»Das ist noch nicht vorbei«, zischte Don Juan zu Yorick in Anspielung auf ihre unterbrochene Auseinandersetzung. Hans wunderte sich erst, dass er nun plötzlich Spanisch verstand, dann begriff er, dass Don Juan Türkisch gesprochen hatte. Man hatte eine gemeinsame Sprache.

Tage später versuchte Don Juan, Hans und Yorick zu provozieren, indem er Max am Genick packte und den Kopf in einen Urineimer steckte. Herausfordernd sah er zu Hans und Yorick herüber. Max ließ alles wie üblich katatonisch über sich ergehen. Zunächst. Hans und Yorick stürzten herbei. Die anderen Deutschen und Flamen rotteten sich solidarisch hinter den beiden zusammen. Einer von Don Juans Burschen trat ohne Vorwarnung nach Hans’ linkem Oberschenkel, gezielt auf die Verletzung. Hans knickte weg, die fast verheilte Wunde platzte wieder auf. Yorick ballte die Fäuste und wollte sich auf den Angreifer stürzen, da geschah etwas Unerwartetes. Don Juan schrie plötzlich hysterisch vor Schmerzen auf. Max, der nun seinen Kopf aus dem Eimer zog, hatte blitzschnell mit der rechten Hand unter Don Juans weißes Kuttenhemd gefasst und hielt die Genitalien des Gegners fest umklammert. Don Juan wand sich wimmernd und die Heilige Jungfrau Maria anrufend, was Max nur antrieb, noch erbarmungsloser zuzudrücken. Urin tropfte von seine Haaren und rann über das Gesicht, das keinerlei Gefühlsregung zu erkennen gab. Max behielt seinen Griff bei, zog Don Juan mit der freien Hand an den Haaren hoch und tunkte seinen Kopf in einen Koteimer. Don Juans Schreie erstickten zu einem Gurgeln. Dann ließ Max urplötzlich los, stand auf und setzte sich, als wäre nichts gewesen, an seinen Stammplatz, den Oberkörper leicht nach vorne und hinten wiegend. Don Juan, spuckend und keuchend, wischte sein Gesicht am Hemd eines seiner Speichellecker ab und stieß brutale Flüche aus. Fortan hatten Hans, Yorick und Max Ruhe. Nur die Wunde am linken Oberschenkel musste erneut versorgt werden. Hans konnte Max dazu bewegen, seinen alten Stammplatz aufzugeben, und sich zu ihm und Yorick zu legen. Er hatte mit Schwierigkeiten gerechnet, doch es war ganz einfach. Max folgte ihm wie ein Hündchen.

Eines Tages erschien ein Trupp schwer Bewaffneter und befahl allen Gefangenen, ihnen sofort zu folgen. Man führte sie aus dem Turm. Nach Wochen im Halbdunkel der Zellen brannte die Sonne in den Augen. Geblendet stolperten die Gefangenen an die nahen Klippen des Meeres. Dort mussten sie sich entlang der Felsen aufstellen und zum Meer hinausblicken. In der Ferne tauchten einige Schiffe auf und kamen schnell näher. Zu seinem Erstaunen bemerkte Hans, dass nicht nur die einfachen Gefangenen angetreten waren, sondern auch die Edelmänner. Coucy, Bar, d’Eu, Tremoille, Marschall Boucicaut, Johann Ohnefurcht und wie sie alle hießen.

Ein irrer Gedanke durchzuckte Hans. Wenn er jetzt die Klippen hinunterspringen würde … zu den Schiffen schwimmen … Flucht … Er war nicht der Einzige, der daran dachte. Zwei Burschen hechteten los und ließen sich vom Felsen fallen. Noch bevor sie das Wasser erreichten, waren sie von türkischen Pfeilen durchbohrt. Hans begrub den Gedanken an Flucht tief in seinem Innersten.

Ein Trompetensignal. Dann waren die Schiffe so nah, dass man erkennen konnte, dass sie unter venezianischer Flagge segelten – und wer da stand: König Sigismund und andere, denen die Flucht gelungen war.

Weil Sigismund schwer getroffen von der Fahnenflucht der Walachen war, hatte er beschlossen, den Heimweg nicht über Land anzutreten. Er fürchtete, Mircea der Alte könnte ihm in den Rücken fallen und ihn an die Türken verraten. So war er mit den Venezianern die Donau hinuntergefahren und hatte sich einige Zeit in Konstantinopel ausgeruht, bevor er auf dem Seeweg nach Italien aufbrach. Bei der Durchquerung des Hellesponts starrte er mit unbeweglicher Miene auf die Reihen der Gefangenen, alles Männer, die für ihn gekämpft hatten. Man hatte sie zu seiner Demütigung aufgestellt. Die Türken hatten keine Flotte vor Ort, schickten aber ein paar Schiffe hinaus, mit denen es zu kleinen Scharmützeln kam. Nichts, was den venezianischen Schiffen wirklich gefährlich werden könnte.

Die Türken begannen, Spottlieder zu singen. Sie schrien dem König zu, er solle anlegen und von Bord kommen, wenn er ein Mann sei. Ein Hauptmann lief an den christlichen Edelmännern vorbei. Bei jedem blieb er stehen, brüllte dessen Namen und dann eine Lösegeldsumme. Er pries die Prinzen, Grafen und Herzöge wie Sklaven auf einem Markt an. Johlendes Gelächter und Applaus der türkischen Soldaten begleiteten das Schauspiel. Selbst als die Schiffe nur noch kleine Punkte am Horizont waren, klatschten und sangen die Türken.

Während Johannes Schiltberger in Gallipoli im Turm saß, zog Bayezid mit seinen Truppen nach Ungarn, überquerte die Save und verwüstete einige Herzogtümer, ließ Städte niederbrennen und nahm über sechzehntausend Gefangene, Männer, Frauen und Kinder, die er mit Sack und Pack nach Griechenland umsiedeln ließ. Per Boten ließ er seinen Statthalter in Gallipoli wissen, dass die Gefangenen auf dem Seeweg in die Reichshauptstadt Bursa zu bringen seien.

So fuhr Hans Schiltberger das erste Mal mit einem Schiff übers Meer, besser gesagt, klammerte er sich die ganze Fahrt über verzweifelt mit seinen Innereien ringend und den heiligen Johannes um Gnade anflehend unter Deck an einem Tau fest. Um seinen Hals baumelte ein neuer Glücksbringer: Cem hatte ihm zum Abschied unauffällig ein kleines Stoffsäckchen an einer langen Schnur in die Hand gedrückt, darin befand sich die Pfeilspitze aus der Schulter.

In Bursa brachte man die Edelleute in den Palast des Sultans und befahl ihnen, Briefe an ihre Familien zu schreiben und die jeweiligen Lösegeldsummen zu fordern. Jacques de Helly wurde ausgewählt, die Schreiben nach Paris an den französischen Königshof zu bringen. Schon von Konstantinopel aus hatte König Sigismund auf diplomatischem Weg versucht, die Gefangenen auszulösen. Boten waren hin und her geeilt. Doch Bayezid hatte alle Angebote als viel zu niedrig abgelehnt. An Weihnachten brach Helly auf. Hans und die einfachen Gefangenen, die man in Kasernen untergebracht hatte, bekamen davon nur über Gerüchte etwas mit. Es kümmerte sie auch kaum, denn sie würde niemand freikaufen. Tatsächlich war es so, wie sich viel später herumsprach, dass alle Lösegeldforderungen erfüllt wurden und die hohen Herren in ihre Schlösser und Burgen zurückkehren konnten. Mal abgesehen vom Grafen d’Eu, den man neun Tage vor seiner Freilassung im Gefängnis vergiftete, und Zar Iwan Sratsimir von Bulgarien, den Bayezid erdrosseln ließ, um dessen Sohn Constantin zum Marionetten-Zar zu ernennen.

Sigismund aus dem Hause Luxemburg, geboren in Nürnberg, König von Ungarn und Kroatien, brachte die Niederlage bei Nikopolis übrigens keinerlei Nachteile, im Gegenteil. 1411 wählten ihn die Kurfürsten zum neuen römischdeutschen König, und 1433 setzte ihm der Papst in Rom gar die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen auf.

Die wilde Reise des unfreien Hans S.

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