Читать книгу Die wilde Reise des unfreien Hans S. - Martin Arz - Страница 13

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6 Tulpen

Die Konkubinen des Wesirs Memduh machten sich in Konya auf den Weg von ihrer Unterkunft, die man ihnen im Palast Alaeddin Alis zugewiesen hatte, zu einem legendären Garten, der angeblich an Schönheit nicht zu überbieten sei. Dort, das wollten die Damen unbedingt sehen, stünden gerade die berühmten Frühlingsblumen in voller Blüte, die aussehen wie bunte Turbane. Tulpen, so tuschelten sie untereinander, hießen diese Wunderblumen. Wesir Memduh, einer der wichtigsten Berater des Sultans, war ein kugelrunder Mann, der sich mitunter wenig um Etikette scherte, und glücklich war, wenn seine Konkubinen glücklich waren. Memduh war fast immer gut gelaunt und liebte alles schöne, vor allem schöne Frauen. Vier Konkubinen hatte er, mehr gehörte sich nicht und mehr schaffte er nicht. Dazu kamen nämlich noch die drei Ehefrauen zu Hause in Bursa, unter denen seine Hauptfrau ein strenges Regiment führte. Eine Frau durfte er also noch heiraten. Da er sich unter seinen Konkubinen nicht entscheiden konnte, hatte er beschlossen, dass diejenige die glückliche Ehefrau Nummer vier werden würde, die ihm als Erste einen Sohn gebar. Die Sache mit den Kindern war für Memduh ein Problem, denn bisher hatte keine einzige seiner Frauen Nachwuchs zur Welt gebracht. Dass die wichtigen Edelleute mit ihren Konkubinen reisten, war keine Besonderheit. Die Ehefrauen blieben häufig zu Hause, damit sie und der Nachwuchs – und damit die potenziellen Erben – nicht in Feindeshand fielen. Ausnahmen bestätigten die Regel. Mancher hatte immer seine Lieblingsfrau dabei. So wie Sultan Bayezid. Seine Favoritin, die serbische Prinzessin Olivera Despina, war stets an seiner Seite, beherrschte dessen Konkubinen und hatte, wenn man den Gerüchten glauben durfte, enormen Einfluss auf den Sultan, obwohl oder weil sie nie zum Islam konvertierte. Wesire waren gut damit beraten, wichtige Pläne erst mit Olivera Despina zu diskutieren, bevor sie zum Sultan gingen.

Wesir Memduh hingegen war froh, seine Hauptfrau nicht bei sich zu wissen. Begleitet von Lakaien und bewacht von schwarzen Eunuchen, kugelte der fröhliche Memduh mit seinen sittsam verhüllten Damen durch die Gassen. Die Konkubinen, obwohl selbst Sklavinnen, führten ihre eigenen Sklavinnen mit, die für ihre Annehmlichkeiten zuständig waren. Es war ein Zufall, dass Hans Schiltberger zum Wachdienst genau an der Pforte zu diesem Garten eingeteilt war. Er neigte höflich den Kopf, als der Wesir passierte. Als Hans wieder aufsah, traf sein Blick den einer der Konkubinen. Diese wunderschönen blau-grünen Augen. Auch sie reagierte, starrte ihn überrascht an. Ihr Gesichtsschleier verrutschte etwas – ganz zufällig! –, sie lächelte. Hans blieb mit offenem Mund stehen, als alle im Garten verschwunden waren und sich die Pforte schloss. Kein Zweifel, es war das Mädchen von der Donau und von neulich am Bach. Hans konnte kaum die Wachablösung erwarten, wobei er sich selbst fragte, warum. In den Garten konnte er nicht. Zumindest nicht durch das Tor. Er könnte versuchen, in der Mauer eine Lücke zu finden oder wenigstens eine niedrige Stelle zum Darüberschauen. Er wusste, dass das höchst unwahrscheinlich war, aber dennoch. Einen Versuch wäre es wert. Und dann? Sich mit den bewaffneten schwarzen Eunuchen anlegen? Den Wesir umbringen? Sich die Schöne schnappen und vogelfrei mit ihr ein Leben auf der Flucht verbringen? Bis ans Ende der Welt …

Er grübelte und wurde erst aus seinen Gedanken gerissen, als sich die Gartentür öffnete und ein kleines Mädchen herausrannte. Sie versteckte sich zwischen seinen Beinen.

»He, kleines Fräulein«, rief Hans und hob das Mädchen hoch. »Wohin so eilig?«

Ihr dicht auf den Fersen folgten zwei Eunuchen, die Hans finster anfunkelten. »Lass das Mädchen sofort los«, befahl der eine.

»Ich habe sie nur für euch eingefangen.«

Ohne ein weiteres Wort nahm jeder der Eunuchen das Mädchen an einer Hand und führte es in den Garten zurück.

»Das war lustig«, sagte das Kind fröhlich. »Spielen wir noch einmal Fangen?«

»Nur, wenn du dich von der Pforte fernhältst«, antwortete ein Eunuch freundlich. »Versprochen?«

»Versprochen.«

Hans stellte sich wieder auf seine Position und strich den Mantel glatt. Dabei bemerkte er, dass etwas zu seinen Füßen lag. Eine rote Blume, deren Blüte an einen Turban erinnerte. Hans bückte sich und hob sie auf. So eine exotische Blüte hatte er noch nie gesehen. Er schnupperte daran, zu seiner Enttäuschung duftete sie nicht besonders. Dafür stieß seine Nase an etwas Hartes. Er öffnete vorsichtig die Blüte, darin fand er eine kleine Papierrolle, die er mit zitternden Fingern öffnete. Dort stand in lateinischen Buchstaben auf Deutsch: »Ich heiße Aynur.«

Hans presste den Zettel an seine Brust, leider mit der Blüte, rote Blätter fielen herab. Hans hob sie leise fluchend auf und verwahrte sie sorgsam mit dem Zettel in seinem Mantel. Wenn doch nur endlich die Wachablösung käme!

Als die Ablöse kam, lief Hans los in die Gassen der Stadt. Er hatte bei einem Händler Papier entdeckt. Er kaufte sich ein kleines ledergebundenes Heft, das mit groben Fäden zusammengeheftet war, einen Federkiel und ein kleines Fässchen Tinte. Dafür ging fast sein ganzes Geld drauf. Vorsichtig legte er die aufgesammelten Tulpenblüten in die Mitte des Hefts, um sie zu pressen. Den Zettel steckte er in den kleinen Beutel um seinen Hals, in dem sich bereits die Pfeilspitze befand. Glücklich summte er ein Liedchen auf dem Weg zurück in die Unterkunft.

Feuerwaffen hatten sich in der Kriegsführung noch nicht wirklich durchgesetzt, zu schwach war die Wirkung der Geschosse. Doch Bayezid hatte auf diesem Feldzug einige Madfaas mitgenommen, arabische runde Feuertöpfe, die bisher noch nicht zum Einsatz gekommen waren. Er ließ sie von Konya herschaffen, ebenso ein größeres Truppenkontingent, zu dem ein frisch verliebter Johannes Schiltberger gehörte. Der Sultan befahl, Schanzen anzulegen, auf die er die Madfaas positionierte. Die Feuertöpfe wurden mit Schwarzpulver gefüllt und mit einem runden Stein verschlossen. Dann zündete man die aus einer seitlichen Öffnung herausragende Lunte an. Später würde Hans Schiltberger in sein Heft auch die Madfaas zeichnen und aus einer Laune heraus aus den runden Töpfen lang gezogene Rohre machen. Denn er dachte sich, dass eine Kugel wohl viel weiter fliegen würde, wenn man ein langes Rohr statt eines Topfes nehmen würde und die Kugel hineinstopfen und nicht vorne draufstecken würde. Er musste selbst über seine Idee lachen, denn wenn das so wäre, dann hätten das die klugen Mechaniker des Sultans sicher längst so gebaut.

Eine Salve von Geschossen ließ Bayezid aus den Madfaas abfeuern. Einige flogen über die Mauer, andere schlugen in die Steine und blieben stecken. Großen Schaden richtete keine Kugel an – abgesehen davon, dass eine hinter der Mauer einen Esel erschlug –, aber der Beschuss verfehlte die Wirkung nicht.

Die Tore der Stadt öffneten sich, eine Delegation der Stadtoberen zog heraus, angeführt von Nefise Hatun, der Witwe Alaeddin Alis, Schwester von Sultan Bayezid. Eine auffallend üppige Dame, die dem Geschmack der Zeit entsprechend dank ihrer gewaltigen Leibesfülle als äußerst reizvoll und begehrenswert galt und die Männerherzen höherschlagen ließ. An jeder Hand hielt sie einen Sohn fest und zog auf Bayezid zu. Seiner Schwester zu Ehren verließ der Sultan sein Zelt und schritt ihr entgegen. Nefise Hatun, Mehmet und Bengi Ali warfen sich Bayezid zu Füßen und küssten selbige. Nefise Hatun flehte den Bruder an, sie zu schonen. Sie sei mit ihren Söhnen übereingekommen, dass die Stadt nicht ihretwegen ins Verderben gestürzt werden dürfe. Man erkenne an, dass Bayezid der größte aller Herrscher sei. Mehmet, der ältere Sohn, überreichte Bayezid den symbolischen Schlüssel der Stadt.

Der Sultan sah die umstehenden Edelmänner empört an und fragte mit bebender Stimme, ob sich die werten Herren nun genug daran ergötzt hätten, seine geliebte Schwester, die Königinwitwe, und seine nicht minder geliebten Neffen derart erniedrigt auf dem Boden zu sehen und wie lange sie denn noch tatenlos zuschauen wollten? Wesire und Generäle sprangen sofort hin. Oberbefehlshaber Lala Nedim Pascha persönlich half der Schwester des Sultans auf. Ganz Karaman befand sich nun in der Hand des Sultans. Er lud Nefise Hatun und ihre Söhne ein, fortan seine Gäste zu sein, stellte ihnen zu ihrer Sicherheit eine bewaffnete Truppe zur Seite und ließ sie nach Bursa bringen.

Alaeddin Alis Kopf blieb zur Abschreckung möglicher Revolten auf dem Spieß. Der Kopf brachte auch personelle Veränderungen. Weil der obere Suppenkoch, der Alaeddin getötet hatte, ebenfalls hingerichtet worden war, musste jemand nachrücken. Auch gab es einige Gefallene. Der Sultan bestimmte den Koch Bahadir zum neuen General, also musste jemand Koch werden und so weiter. Bewährte Kämpfer wurden befördert, und als es um die nun vakante Stellung eines Küchenjungen ging, konnte Hans sein Glück kaum fassen, dass sein Name aufgerufen wurde. Er habe sich in Konya für die Eroberung der Stadt verdient gemacht, indem er die Delegation unter dem alten Ölmez empfangen habe. Der Posten des Küchenjungen brachte zwar kaum irgendwelche neue Kompetenzen, aber dennoch. Der Weg führte nach oben!

Was Hans nicht ahnen konnte, war der Grund für Bahadirs Karrieresprung. Der hatte sich nämlich eine Audienz beim Sultan erbeten und dort die Idee einer organisierten Knabenlese unter der christlichen Bevölkerung für die künftigen Janitscharen dargelegt. Der Sultan strafte seine Berater mit einem bösen Blick, warum denn keiner von ihnen auf diese so naheliegende und effiziente Idee gekommen sei, und versicherte Bahadir seine Dankbarkeit.

Eine Runde ausgeben, dafür hatte Hans kein Geld mehr. Es erwies sich auch als unnötig, denn der Sultan ließ zur Feier des Sieges Wein und Lammbraten, Reis mit Rosinen und Zuckermelonen auffahren. Dass Don Juan sich mit seinem Anhang aus Felipe und Hodor finster blickend absonderte, störte niemanden. Hans fühlte sich zum ersten Mal richtig und wunschlos glücklich, seit er aus München aufgebrochen war.

»Und wie willst du dieses Mädchen für dich gewinnen?«, fragte Yorick. Sie hatten sich ein ruhigeres Plätzchen gesucht, lümmelten satt, angetrunken und bräsig an einer Madfaa. Hans hatte sich getraut, seinem Freund sein Herz auszuschütten und ihm den kleinen Brief gezeigt. »Immerhin scheint sie Deutsche zu sein. Aber wenn sie eine Konkubine des Wesirs ist, hast du keine Chance!«

»Aynur, Aynur«, wiederholte Hans selig. »Was für ein schöner Name! Wie wohl ihr eigentlicher Name ist?«

»Gott, muss Liebe schön sein«, seufzte Yorick und verdrehte die Augen.

»Pass auf, ich werde ihr einen Brief schreiben und meine Liebe gestehen. Dann besteche ich einen Eunuchen, ihr den Brief zu bringen. Wir verabreden uns an einem geheimen Ort, und dann fliehen wir gemeinsam.«

»Toller Plan«, lachte Yorick. »Bestens durchdacht. Liebe macht offensichtlich nicht nur blind, sondern auch blöd.« Er knabberte eine Olive ab und spuckte den Kern weit weg.

»Morgen sind wir zurück in Konya, dann werde ich mir was einfallen lassen. Aynur«, seufzte er, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah in den Sternenhimmel. »Bestimmt heißt sie Margaret oder Elisabeth oder Appolonia.«

»Oder Peternella.«

»Wieso Peternella?«

»Wieso nicht Peternella?«

»Nein, Peternella gefällt mir nicht. So heißt sie bestimmt nicht. Walburga, das würde auch passen. Egal, wenn sie mit ihrem neuen Namen glücklich ist, bin ich es auch. Aynur.«

Mitten in der Nacht kam ihm der Geistesblitz. Er wusste, wie er mit Aynur in Kontakt treten konnte.

Die wilde Reise des unfreien Hans S.

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