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9 Der Weiße Hammel

Sie zogen in einem Gewaltmarsch von Konya aus nach Nordosten. Sultan Bayezid unterbrach seine Rückreise nach Bursa und schickte seinen ältesten Sohn Süleyman Chelebi mit einem großen Truppenkontingent los. Er selbst wollte ebenfalls nach Sebast nachkommen. In Aksaray trafen die Soldaten aus Konya auf das Heer Süleymans. Zwanzigtausend Reiter und viertausend Fußsoldaten waren auf dem Weg nach Sebast. Sie zogen durch eine verwunschene Landschaft, die Wind, Wetter und Wasser im Laufe der Jahrmillionen aus dem Tuffstein geformt hatte. Wie riesige Phalli ragten an manchen Stellen die Felstürme in den Himmel. Ins Steinmassiv gehauene Fenster und Türen waren die einzigen Hinweise darauf, dass hier in den Höhlen auch Menschen lebten. Zu Gesicht bekamen sie niemanden. Hans notierte später alle Eindrücke genauestens in sein Heft.

Als Uthman, Anführer der Weißen Hammel, von dem nahenden Heer erfuhr, löste er einen Teil seines Lagers auf. Er ließ die Familien, Hab und Gut und vor allem das wertvolle Vieh ins Gebirge bringen. Mit nur tausend Stammeskriegern erwartete er den Feind. Süleyman schickte zweitausend Reiter voraus, die sofort von Uthman angegriffen wurden und trotz der Überzahl unterlegen waren. Süleyman Chelebi schäumte, als ihn die Boten davon berichteten. Er setzte seine ganze Armee in Bewegung. Inzwischen waren die Männer Uthmans, die die Herden in die Berge gebracht hatten, zurückgekehrt. Uthman nutzte die Gunst der Stunde und überfiel umgehend das Heer Süleymans, das sich noch im Marsch befand und daher nicht Aufstellung nehmen konnte. Uthman konzentrierte sich auf die Sipahi und deren Reiterei. Metzelte nieder, was ging. Der über diese Dreistigkeit verblüffte Süleyman überlegte kurz, ob er zum Rückzug blasen sollte, entschied sich dann aber für Angriff. Er richtete sich hoch auf seinem Pferd auf, damit alle ihn sehen konnten. Reckte seine Lanze zum Himmel und stieß den schrillen Kriegsschrei seiner Vorfahren aus. Er gab seinem Pferd die Sporen und stürmte mit Anfeuerungsrufen ins Getümmel.

Während die Reiter kämpften, rückten die Fußtruppen weiter gegen das Lager Uthmans vor. Der Nomadenfürst schickte vierhundert Reiter zurück, um die Lagerwachen zu unterstützen. So kam es, dass Hans das erste Mal als Janitschar tatsächlich in blutiges Kampfgeschehen involviert wurde. Wie schon bei Nikopolis erlebte Hans den Schlachtverlauf in einem einzigen großen Rauschen. Er funktionierte automatisch. Die Nomadenkrieger erwiesen sich als zähe Gegner. Hans brachte nur kurz den Bogen zum Einsatz. Zum Spannen und Zielen schien ihm die Zeit zu knapp. Er verlor bald seine Lanze, das heißt, er ließ sie in einem Nomaden stecken, weil er keine Zeit hatte, sie wieder herauszuziehen, da er zum Schwert greifen musste, um einen weiteren Angreifer zu enthaupten. Mit Schwert und Streitaxt behauptete er sich, gefangen in seinem Tunnel. Um ihn herum fiel Janitschar um Janitschar, von Pfeilen oder Lanzen durchbohrt. Eine Lanze schlug dicht neben ihm in den Boden. Als er herumwirbelte, sah er dem Nomadenkrieger, der sie geworfen hatte, direkt in die Augen. Der Krieger ließ seinen Schwertarm heruntersausen, und Hans wäre nur Sekundenbruchteile später tot gewesen. Doch mitten im Schwung verlor der Krieger die Kontrolle über seinen Arm, denn der segelte im hohen Bogen, das Schwert immer noch festhaltend, davon. Aus dem Stumpf schoss Blut. Ein Stich in den Rücken, und der Angreifer kippte tot um. Dahinter blitzte es blau. Dass da Yorick stand, grinste und »Gern geschehen« sagte, realisierte Hans erst später nach der Schlacht. Dann brach Yorick, von einem Schwerthieb in die Seite getroffen, zusammen.

Hans schnappte sich eines der herrenlos herumirrenden Pferde, hob seinen Freund auf dessen Rücken und saß dann auf. Wie damals in Nikopolis galoppierte er zum Rand des Schlachtfelds und hieb beidhändig mit Schwert und Axt nach allem, was nach Feind aussah. Er legte Yorick an einem Gebüsch ab, wendete das Pferd und stürzte sich ins Gemetzel. Er zog noch zwei verwundete Janitscharen zu sich hoch und brachte auch sie in Sicherheit. Zurück unter den Kämpfenden, trennte er mit dem Schwert einem Nomaden den Arm an der Schulter ab, als dieser einen vor ihm knienden Janitscharen den tödlichen Streich versetzen wollte. Hans zog auch diesen Janitscharen hoch und brachte ihn weg. Dass er eben Don Juan gerettet hatte, realisierte er nicht. Der Kastilier starrte ihn ungläubig an und schrie: »Du verdammtes Arschloch! Ich will dir nicht mein Leben schulden!« Dann brach er ohnmächtig zusammen.

Uthman, für den es inzwischen nicht mehr so aussah, als könnte er die Truppen Süleymans schlagen, zog sich mit seinen Leuten ins Gebirge zurück. Von dort aus schickte er einen Vermittler. Man handelte aus, dass Uthman mit seinem Volk geschont würde, wenn sie umgehend in die Heimat der Weißen Hammel zurückkehren und nie wiederkommen würden. Danach ließ Süleyman sein Lager vor den Toren von Sebast aufschlagen, und die Bürger schickten Abgesandte, die ihm die Stadt übergeben wollten. Süleyman jedoch fand, dass das nur seinem Vater zustehen würde. Erst nachdem Sultan Bayezid Tage später mit seinem Tross eintraf, wurde die Stadt besetzt. Bayezid bestimmte nicht Süleyman, sondern seinen jüngeren Sohn Mehmed als neuen Herrn für Sebast und das ganze Land Eretna mit den Städten Amasya und Kayseri, als Belohnung für Mehmed, der hier siegreich an seiner ersten Schlacht teilgenommen hatte.

Hans fühlte sich einsam in Sebast. Max, der in der Schlacht tapfer gekämpft hatte, war teilnahmslos wie immer. Yorick hatte eine Fleischwunde und lag verletzt im Krankenhaus der Stadt – ja, so etwas gab es, und es war kein Vergleich mit den schmutzigen, elendigen Siechenhäusern in der alten Heimat. Hans hatte einmal einen Onkel ins Siechenhaus vor dem Sendlinger Tor begleitet und war von dem Schmutz und dem Elend der Kranken nachhaltig schockiert gewesen. Hier jedoch war alles sauber, es kümmerten sich türkische und jüdische Ärzte um die Verwundeten, die erstaunlich rasch wieder auf die Beine kamen.

Seine Aynur war unerreichbar fern auf dem Weg nach Bursa. Hans versuchte, nicht dauernd an sie zu denken. Und genau dadurch dachte er erst recht ständig an sie. Ob und wie er sie in Bursa jemals wiedersehen würde, wusste er nicht. Dort würde der Harem von Wesir Memduh sicher deutlich besser bewacht sein. Er fürchtete, dass er ihr nie wieder so nahe kommen würde wie in den Nächten von Konya. Nie wieder. Bei dem Gedanken musste er einmal nachts heulen. Wenn er ehrlich zu sich war, was ab und zu vorkam, dann wusste er genau, dass es bei Konya bleiben würde und er sich alle Zukunftspläne aus dem Kopf schlagen konnte. Sie war die Konkubine eines mächtigen Mannes und er nur ein kleiner Militärsklave, ein Bursche, ein halbes Kind noch, das bald seinen achtzehnten Geburtstag feierte. Wenn sie wenigstens auch hier in Sebast gewesen wäre. Was Hans gehört hatte, gab es im Norden jenseits der hohen Berge ein christliches Kaiserreich namens Trapezunt. Es lag am Schwarzen Meer. Dort gab es, so sagte man, genuesische und venezianische Handelsniederlassungen. Dort gab es also Schiffe, die sie zurück nach Europa bringen konnten. Dorthin könnten sie es vielleicht gemeinsam schaffen, wenn sie Glück hätten. Wenn, wenn, wenn … Wenn sie nur wenigstens hier bei ihm wäre. Er bekam immer öfter Heimweh. Scheiß auf das Ende der Welt.

In seinen freien Stunden streunte Hans durch die Stadt. Manchmal begleitete ihn Max, trottete wie ein braves Hündchen nebenher, manchmal nicht. Mit jedem Streifzug faszinierte Sebast mehr. Nahe der uralten Stadt fanden sich noch verfallene Siedlungsreste der Hethiter aus der Zeit um 1000 vor Christus. Einige Bauten aus der Zeit der Römer und der Byzantiner waren noch gut erhalten, und Hans zeichnete sie in sein Heft. Vor allem aber beeindruckten ihn die Bauten der Seldschuken aus dem 13. Jahrhundert, die Blaue Madrasa mit den hohen, reich verzierten Minaretten und dem Portal, in dessen Giebel sich ein wundervolles Gewebe von Murqarnas und Knotenmustern schmiegte, die Madrasa mit doppeltem Minarett und die noch ältere Große Moschee. Nahe der Stadt entdeckte Hans die Ruine der alten armenischen Kirche des Heiligen Kreuzes, in der der Legende nach der Thron der Arzruni-Könige von Vaspurakan, einem versunkenen armenischen Großreich, aufbewahrt worden war. Er setzte Max auf einen Stein und nutzte die Kirchenruine für ein heimliches Gebet zum heiligen Johannes. Er hätte es nicht heimlich tun müssen, denn in der Stadt lebten immer noch viele griechische und armenische Christen, die ihren Glauben leben durften.

Yorick kam schon nach fünf Tagen quietschfidel zurück in die Soldatenunterkunft. Weil die Stadt nicht genügend Platz bot, hatten mehrere Ortas ihre Zelte außerhalb der Stadtmauern aufgeschlagen. Die Tage vergingen mit Wachdiensten und Waffenübungen. Aus Tagen wurden Wochen. Hans zeigte Yorick die alte Kirchenruine, zu der er häufig kam, weil er hier Ruhe fand.

Weil Max immer öfter dasaß und in der Luft seine imaginäre Laute spielte, beschloss Hans, dass es Zeit für ein Geschenk war.

»Max hat heute Geburtstag«, sagt er, als sie auf den Steinen der Kirchenruine herumlungerten und Eidechsen beobachteten.

»Was?«, fragte Yorick. »Woher weißt du das denn?«

»Hab ich beschlossen.« Hans zuckte mit den Schultern. Er holte aus seiner Tasche einen Gegenstand, der in buntes Tuch eingewickelt war. »Hier, Max. Ein Geschenk für dich.«

Max nahm teilnahmslos das Präsent und legte es sich auf die Knie.

»Na los!«, rief Yorick ungeduldig. »Pack aus!«

Max wickelte das Tuch ab. Dann gab er das zweite Mal, seit er ein lebender Toter war, einen Laut von sich. Er hielt das Geschenk in den Händen, starrte es an und begann still zu weinen.

»Wo hast du denn die her?«, fragte Yorick erstaunt.

»Ein kleines Tauschgeschäft mit dem alten Ölmez aus Konya«, sagte Hans zufrieden. »Ich dachte, mein Schweigen über den Geheimtunnel kann er sich ein bisschen was kosten lassen. Und das Ding da hat ihn sicher nicht so sehr viel Geld gekostet. Der Alte kann zufrieden mit dem Geschäft sein.«

Max starrte weiterhin das Geschenk an. Eine wunderschön gearbeitete Oud, eine Kurzhalslaute. Ganz ähnlich der Laute, die er früher gespielt hatte.

»Freust du dich, Max?«, fragte Hans und weil ihn die Tränen so gerührt hatten, gab er Max einen Kuss auf die Wange. »Kleiner Bruder«, flüsterte er fast zärtlich.

»Ich glaube, er freut sich«, sagte Yorick. »Los, Max, spiel was!«

Aber Max blieb in seiner Starre, drückte die Oud gegen die Brust und wiegte den Oberkörper leicht vor und zurück.

Es dauerte drei Tage, bis Max anfing zu spielen. Die Lieder, die er zuvor in der Luft geübt hatte, klangen wunderbar traurig.

»Hast du gehört?«, fragte Yorick, als sie wieder einmal auf großen Steinen in der Ruine lagen und einfach nichts taten. Nur Max spielte auf seiner Laute.

»Was?«, fragte Hans faul zurück. »Wieder Krieg?«

»Nein, na, wer weiß, bestimmt wieder bald. Es soll nach Kayseri gehen«, antwortete Yorick.

»Ich weiß.«

»Das meine ich aber nicht. Es sieht so aus, als würde Bayezid noch eine ganze Weile in der Gegend bleiben wollen. Und darum hat er auch seine wichtigsten Berater hierherholen lassen.« Er ließ eine bedeutungsvolle Pause.

Hans begriff nicht.

»Wichtigste Berater! Verstehst du?«

Hans drehte den Kopf zu Yorick und starrte ihn missmutig an. »Ja, und?«

»Mann, du kapierst auch nicht die plumpeste Anspielung! Zu den wichtigsten Beratern zählen bekanntlich auch die Wesire. Ich habe gehört, dass Wesir Memduh aus Konya eingetroffen sein soll …«

Schlagartig war Hans putzmunter. Er setze sich auf. »Du meinst …«

»Sicher.« Yorick grinste. »Genau das meine ich.«

Hans begann zu zittern, sein Hirn fuhr Karussell. »Oh, Gott. Sie ist hier. Oh, Gott.« Er fuhr sich über das Gesicht, wieder und wieder.

»Ja, und hier gibt es keine Geheimgänge. Zumindest keine, von denen wir wissen.«

»Scheiße.« Hans sprang vom Stein und tigerte auf und ab. »Weißt du, wo sie untergebracht wurden?«

»Ich habe sein Prunkzelt gesehen. Hinter den Zelten der Reiterei vor dem Haupttor. Jede Wette, dass dort auch die Konkubinen in der Nähe untergebracht sind. Und jetzt setz dich bitte und beruhige dich!«

»Ich muss sofort was tun«, sagte Hans.

»Wir können nichts tun.«

»Ich muss!«, schrie Hans verzweifelt.

»Dann denk dran: Im Krieg und in der Liebe sind alle Mittel erlaubt. Im Krieg hält dich ja auch nichts.«

Yorick hatte absolut recht. Hans überlegte fieberhaft. Das Mädchen mit der Tulpe – eine der kleinen Dienerinnen der Konkubinen, vielleicht … Der schwarze Eunuch Rafik – wenn er sich mit Janitscharen amüsierte, vielleicht … Die Konkubine Gülsüm – wenn man an einen ihrer Liebhaber aus der Truppe herankäme, vielleicht …

»Verneigt euch vor dem ehrwürdigen großen Beylerbey, Lala Nedim Pascha!«, bellte da eine laute Stimme. Die drei Burschen wirbelten herum. Vor ihnen stand der bärenhafte Oberbefehlshaber mit einer Leibgarde aus drei schlanken Hünen. Max warf sich mit dem Gesicht nach unten sofort auf den Boden, die Hand mit der Oud hielt er so, dass sie die Erde nicht berührte. Hans und Yorick knieten nieder und senkten die Köpfe, bis ihre Stirnen den Boden berührten. Wenn der Beylerbey, der Oberbefehlshaber, den sie unter sich einfach nur Prackl nannten, persönlich mit ihnen sprach, musste etwas ganz Großes kommen. Hans fürchtete nichts Gutes.

»Hans.« Der tiefe Donnerbass von Lala Nedim brummte bei den Konsonanten. »Hans, wir haben beschlossen, dass deine Orta künftig auf dich verzichten wird. Du warst bisher Küchenjunge. Das bist du nun nicht mehr.«

Hans schluckte, sein Herz rutschte in die Hose. »Verzeiht, Herr …«, brachte er mit erstickter Stimme heraus.

»Schweig«, herrschte ihn eine der Leibwachen an.

»Wir haben dich beobachtet«, brummte der Beylerbey weiter. »Du hast in der Schlacht um Sebast einigen Kameraden das Leben gerettet. Und du bist mit dem Pferd geritten, als wärst du eins mit ihm. Darum wirst du fortan ein Reiter. Du wirst die Janitscharen verlassen und zur Reiterei gehen. Ein Pferd wartet bereits auf dich. Melde dich bei Karabulut, deinem neuen Hauptmann.«

Hans glaubte nicht, was er da hörte. »Herr, … ich weiß nicht … Ich danke Euch, Herr«, stammelte er.

»Schweig«, raunzte wieder eine Leibwache.

»Du, Yorick, bist nicht der beste Kämpfer in der Schlacht«, fuhr Lala Nedim fort.

»Verzeiht, Herr«, keuchte Yorick. »Verzeiht, ich werde mich bessern.«

»Schweig!«

»Schon gut.« Lala Nedim gab dem Leibgardisten einen kleinen Wink. »Du bist vielleicht nicht der beste Kämpfer in der Schlacht, Yorick, aber wir brauchen auch gute Männer jenseits der Schlachtfelder. Wie du siehst, haben wir den Verlust eines unserer Gardisten zu beklagen. Du wirst künftig unser Leibgardist.«

Groß, blond, blauäugig – dass Hans das nicht schon längst aufgefallen war! Darum hatte sich Lala Nedim Pascha des Öfteren in ihrer Nähe herumgetrieben. Er hatte sich schon vor Langem einen neuen Leibwächter auserkoren. Hans war auch klar, dass die Entscheidungen ihre Freundschaft gefährden würde. Sie würden sich nicht mehr häufig sehen können und Max … Es durchzuckte ihn. Max!

»Verzeiht, Herr«, sagte Hans mit fester Stimme. »Wir sind hier drei, Herr.«

»Ja?« Lala Nedim verzog den Mund und kraulte seinen schwarzen Bart. »Dein untoter Freund ist nur zu bekannt. Wir finden ihn … nun ja … unheimlich. Er ist eindeutig verrückt. Kann er reiten? Und beherrscht du ihn? Ich meine, hast du ihn im Griff?«

»Ja, Herr.«

»Gut. Dann soll er mit dir zur Reiterei. Du bist für sein Tun und Handeln verantwortlich.« Beylerbey Lala Nedim Pascha drehte auf dem Absatz um und schritt davon. Seine Garde folgte mit wehenden Mänteln. Goldstickereien flirrten in der Sonne. Immer noch kniend ließen sich Hans und Yorick auf die Fersen nieder. Hans gab nach einer Weile des starren Schweigens Max einen Stups, der weiterhin regungslos mit dem Gesicht nach unten, alle viere von sich gestreckt, auf dem Boden lag. Max richtete sich auf.

»Wir werden Reiter, Max«, sagte Hans. Keine Reaktion. »Klopf dir den Staub aus den Kleidern.« Max säuberte sich.

»Wahnsinn«, sagte Yorick mit leuchtenden Augen und glühenden Wangen.

»Ehrlich gesagt, hatte ich mir so was schon erhofft.«

»Erhofft?«

»Sicher. Leibgarde beim Prackl! Als Janitschar hätte ich es nicht weit gebracht. Da ist man doch nur Fußvolk. Schlachtfutter. Und dass der Prackl auf blaue Augen abfährt, weiß jeder. Blauere Augen als ich hat niemand weit und breit!«

»Stimmt.«

»Er soll Angst vor dem bösen Blick haben, sagt man. Der große Prackl Lala Nedim Pascha, ein Schrank von einem Kerl, glaubt an Gruselgeschichten. Darum umgibt er sich mit Blauäugigen.«

»Moment mal«, unterbrach Hans. »Ich habe gehört, dass Blauäugige den bösen Blick haben …«

»Und dagegen hilft nur ein anderes blaues Auge. Überall siehst du die Nazar-Amulette, die blauen Blick-Perlen aus Glas. Da wird Feuer mit Feuer bekämpft. Blaues Auge hilft gegen blaues Auge. Darum hat der Prackl blauäugige Garden, um mögliche böse Blicke abzuwenden.«

»Erinnerst du dich an Bahadir, der in Bursa unser Koch war? Der hat mich gewarnt, es sei nicht immer von Vorteil, wenn sich der Prackl für einen interessiert.«

Yorick lachte. »Ich weiß. Aber du kannst dir sicher sein, dass es für mich ein Vorteil sein wird!«

»Wenn du meinst.« Hans ließ sich auf eine umgestürzte Säule sinken und starrte vor sich hin. In seinem Kopf rauschte alles. Reiter. Sipahi. Aynur.

»Max, komm. Lassen wir den Hans in Ruhe.« Yorick ging Richtung Stadt davon, Max trottete hinterher.

Die wilde Reise des unfreien Hans S.

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