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8 Ghul und Ghula

Gülsüm begrüßte ihn in der nächsten Nacht mit einem fröhlichen Lächeln. Hans bedeutete Aynur, ihm zu folgen. Er führte sie durch den Tunnel zu den Kastanien. Sie legten sich im weichen Gras auf den Boden und sahen zu den Sternen hinauf. Sie hielten schweigend Händchen und waren selig. Es gab so viel zu fragen und zu sagen, also schwiegen sie. Später tanzten sie zu einer inneren Melodie, die nur sie hören konnten, sprangen herum und plapperten verliebtes Zeug.

In der zweiten Nacht wartete Aynur schon im Zimmer des Wesirs vor der Geheimtür.

»Bist du wahnsinnig?«, raunte Hans. »Wenn er aufgewacht wäre!«

Aynur zuckte mit den Schultern. »Dann wäre ich zu ihm ins Bett«, sagte sie mit einer Nüchternheit, die Hans einen kleinen Stich versetzte.

Sie legten sich wieder unter die Sterne und hielten Händchen.

»Warum bist du damals bei Nikopolis nicht geflohen?«, brach Hans irgendwann das Schweigen.

»Wir wollten fliehen, aber der Esel meines Vaters ist in der Nacht gestorben. Einfach so. Altersschwäche vermutlich. Wir haben den Karren erst selbst gezogen, dann haben wir ihn sogar zurückgelassen, um schneller zu sein. Aber sie haben uns eingeholt. Meine Familie und mich.«

»Dein Vater war Wäscher?«

»Nein, wie kommst du darauf?«

»Weil ich dich bei den Wäscherinnen gesehen habe. Ich … du bist keine Wäscherin?« Wäscherinnen verdienten sich in der Regel immer noch etwas als Huren nebenbei. Das war bekannt. Und Hans betonte es so, dass Aynur es deutlich heraushören konnte.

»Nein«, sagte Aynur empört. »Ich war ein anständiges Mädchen.«

Hans’ Herz hüpfte vor Freude. Er drückte ihre Hand.

»Mein Vater war Koch. Wir haben ihn als Küchenhilfen begleitet, meine Mutter und meine kleinen Brüder und ich. Jetzt sind alle tot, bis auf mich.« Sie schluckte. »Aber ich kann mich nicht beklagen. Der Türke, der mich gefangen nahm, wollte mich auch auf einem Sklavenmarkt verkaufen. Er hat mich nicht angerührt, weil er wusste, dass er für eine Jungfrau einen besseren Preis bekommt.« Sie berichtete, wie sie sich von einer dreckigen Alten, die nach Katzenpisse stank, untersuchen lassen musste. »Zum Glück hat mich der Wesir Memduh entdeckt und gekauft. Das hätte er nicht, wenn ich nicht noch Jungfrau gewesen wäre. Ich kann mich gar nicht beklagen. Er behandelt mich sehr gut. Er hat mich von einer einfachen Haremssklavin schnell zu seiner Konkubine gemacht. Er ist ein guter Mann.« Tränen stiegen ihr in die Augen und glitzerten im Sternenlicht. Hans wischte die Tränen vorsichtig mit seinem Daumen weg und küsste ihre Augen. Dann ihren Mund. Endlos.

In der folgenden Nacht schmiedeten sie Pläne für eine Flucht, wohl wissend, dass die Erfolgschancen gleich null waren. Sie träumten davon, auf einem Pferd durch die Türkei zu reiten. Verfolgt vom wütenden Wesir. Bis ans Ende der Welt! Aynur fand Hans’ Plan völlig verrückt und gleichzeitig unglaublich romantisch.

Sie küssten sich leidenschaftlich, und Hans fühlte ihre Hand, die sich in seine Hose tastete und seinen harten Penis umfasste. Hans keuchte überrascht auf und wäre allein von der Berührung fast gekommen. Sie keuchten beide, als sie ihm ihr Becken entgegendrückte und ihn vorsichtig einführte. Mit der Hand bremste sie ihn, damit er nicht zu schnell und hart eindrang. Seine Entjungferung endete sehr schnell. Sie zog endlich ihre trennende Hand weg, er glitt die letzten Zentimeter tief in sie, spürte sein Schamhaar sich mit ihrem knisternd verkräuseln und kam sofort. Für das zweite Mal zogen sie sich aus. Hans, immer noch unbeholfen, aber neugierig und lernwillig, merkte schnell, dass es sich lohnte, den Orgasmus so weit als möglich hinauszuziehen.

Der greise Ziegenhirte, der in der Nähe seine Herde bewachte und unter Schlaflosigkeit litt, beobachtete auch das. Zwar nur schemenhaft, denn seine Augen waren nicht mehr die besten, doch er war sich sicher, dass er drei Nächte lang ein Paar bei den Kastanien gesehen hatte. Das erzählte er jedem, ob der er hören wollte oder nicht. Die meisten schimpften ihn einen Spanner, doch dann trumpfte er mit dem Ende auf: Er sei jedesmal, wenn das Paar gegen Morgen zwischen den Bäumen verschwunden sei, dorthin gegangen, um nachzusehen, wo sie sich versteckt hatten. Natürlich erst, nachdem die Sonne aufgegangen war, da er im Dunkeln zu viel Angst hatte. Denn er hatte sie nie über die Ebene von der Stadt kommen oder zur Stadt gehen sehen. Und das sei doch schließlich mehr als seltsam, oder? »Glaub es mir, oder nicht«, sagte der Alte. »Ich weiß, was ich gesehen habe, oder besser, nicht gesehen habe. Denn da war niemand! Keine Menschenseele. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt! Ich habe zu Allah gebetet, mich zu schützen. Ich sage euch, das waren Dschinn! Am Ende sogar ein Ghul und seine Ghula!« Weil man in der Nähe die Leiche des reitenden Boten von Amasya gefunden hatte, schien diese Theorie vielen am wahrscheinlichsten. Dschinn konnten dem Menschen durchaus wohlgesonnen sein. Nicht so die Ghule. Ghule konnten bekanntlich in jegliche Gestalt schlüpfen, um damit die Menschen zu narren, sie ins Verderben zu führen und zu verschlingen. Wenn man den alten Ziegenhirten darauf hinwies, dass die Leiche des Boten komplett und ohne Bisswunden gefunden wurde, dann antwortete der Hirte: »Seht ihr, die Ghule haben ihn drei Nächte lang gesucht! Weil sie ihn fressen wollten. Und ich habe sie schmatzen gehört! Das ist der Beweis.« Manch einer warf ein, dass es vielleicht auch Ifrits gewesen sein könnten, Rachegeister mit Löwenklauen und Stierhörnern, die aus dem Totenreich gekommen seien, um den Mörder des armen Boten zu holen. Jedenfalls beschloss man in Konya, die kleine Ansammlung von Kastanien künftig weiträumig zu umgehen.

Als der Befehl kam, die Truppen sollten Richtung Sebast aufbrechen, blieb Hans nur noch wenig Zeit, ein Vorhaben zu erledigen. Er lief durch die Gassen von Konya, und fragte sich zum Wohnhaus des weisen Ölmez durch. Da jeder den angesehenen Bürger kannte, fand er die Adresse schnell. Der alte Mann schien nicht sehr überrascht, ihn zu sehen.

»Ich habe mir schon gedacht, dass du kommen wirst, Hans«, sagte Ölmez.

»Warum?« Hans war ehrlich überrascht.

»Nun, der geheime Tunnel schickt dich her, oder?«

»Ja, ehrwürdiger Herr.«

»Na, siehst du. Du wirst mir jetzt sicher einen Preis nennen, den dein Schweigen darüber kostet.« Enttäuschung schwang im Ton mit. »Aber erwarte keine zu großen Reichtümer.«

»Nein, Herr, das erwarte ich gar nicht.« Hans war beleidigt, weil man ihn für einen Erpresser hielt. »Ich habe nur eine bescheidene Bitte, Herr. Ich denke, was ich erbitten möchte, ist ein sehr kleiner Preis für mein Schweigen.« Dann sagte er dem alten Ölmez, was er sich wünschte und auch warum.

Die wilde Reise des unfreien Hans S.

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