Читать книгу Die wilde Reise des unfreien Hans S. - Martin Arz - Страница 12

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5 Schwarze Dämonen

Es hatte drei Tage geregnet, der Boden war weich. Keine optimalen Bedingungen für eine Schlacht. Immerhin schien an diesem Tag endlich die Sonne, die feuchten Zelte dampften in der Wärme. Sie hatten in der Früh im nahen Dolay-Bach gebadet und sich von der Aprilsonne trocknen lassen, bevor es zum Frühstück ging. Es gab Fleisch für alle, Kraftfutter für den Kampf. Vor ihnen lag die Ebene von Konya. Im Osten erahnte man die Zitadelle der Stadt, deutlich besser sah man die Truppen des Gegners, die vor der Stadt lagerten. Weit in der Ferne leuchteten die weißen Gipfel des Taurusgebirges.

Hans war gespannt, wie ihr erster Einsatz verlaufen würden. Sultan Bayezid musste seinen Schwager zur Räson bringen, den aufrührerischen Alaeddin Ali, König von Karaman. Alaeddin Ali war ein ständiger Dorn im Fleisch der Osmanen. Er hatte schon gegen Bayezids Vater Murad Krieg geführt, hatte andere anatolische Herrscher gegen den Sultan aufgewiegelt, und seit einiger Zeit paktierte er ganz offen mit dem berüchtigten Tamerlan, dem Tatarenherrscher, der das Reich Bayezids bedrohte. Die Abwesenheit des großen Sultans während der Schlacht von Nikopolis hatte Alaeddin Ali dreist dazu genutzt, Anatolien zu besetzten und den Gouverneur Timurtasch Pascha gefangen zu nehmen. Schwager oder nicht, Bayezid wollte im Frühjahr 1398 mit aller Härte gegen Alaeddin Ali vorgehen. Wozu hatte der Vater die Schwester mit dem rebellischen Fürsten verheiratet? Gewiss nicht einfach so. Niemand bekam einfach so eine Prinzessin, schon gar nicht Bayezids Schwester Nefise Melek Sultan Hatun, die bei der Hochzeit zarte fünfzehn Lenze zählte, also im allerbesten Hochzeitsalter steckte. Dafür konnte man Loyalität und dauerhaften Frieden erwarten.

Beim Auszug aus Bursa hatte Hans endlich einen kurzen Blick auf die prachtvolle Hauptstadt erhaschen können. Wenn er zurückkäme, dann würde er diese Stadt erkunden. In München waren steinerne Häuser noch immer eine Seltenheit, auch wenn langsam die Ziegelproduktion in einem räudigen Kaff namens Haidhausen östlich der Stadt angekurbelt wurde. Hans hatte mehrere Stadtbrände erlebt, große und kleine. Kaiser Ludwig der Bayer hatte zwar schon vor Jahrzehnten verfügt, dass alle neu erbauten Häuser zumindest Ziegeldächer haben mussten, um den Funkenflug zu unterbinden, doch die wenigsten Bauherren hielten sich daran. Holz und Lehm waren einfach billiger als Ziegel. Da es im gesamten Umkreis von München keine Natursteinvorkommen gab, konnten sich nur die Reichsten Steinhäuser leisten. Wie hatte Hans gestaunt, als er unterwegs in Wien und Buda und auch Nikopolis viele Steinhäuser gesehen hatte. Und nun in Bursa schienen sie praktisch nur Steinhäuser zu haben. Eine Art Zukunftsvision von München.

Sie zogen in strammen Märschen durch die bergige, teils hochgebirgige Landschaft. Vorneweg die Träger des großen Suppenkessels, dann die Musiker, gefolgt von den Janitscharen, dann der Sultan mit großem Gefolge, die Generäle und die Reiterei. Das Schlusslicht bildeten wie immer die Marketender, die fast alles bereithielten, womit man Krieger bei Kräften und Laune halten kann.

Wir folgen tatsächlich einem Suppenkessel, dachte Hans.

Als sie das Lager auf der beinahe baumlosen Steppe vor der Oasenstadt Konya aufschlugen, öffnete sich kurz das Haupttor der Stadt. Eine kleine Karawane von zerlumpten Gestalten verließ die Stadt. Männer, Frauen und Kinder. Nur wenige konnten aufrecht gehen. Sie humpelten und krochen so schnell sie konnten davon, um aus der Schusslinie zu kommen. Man hatte die Aussätzigen, Krüppel und Bettler davongejagt, um sie nicht bei einer Belagerung mit durchfüttern zu müssen.

Das erste Treffen der Kriegsparteien war kaum mehr als ein abtastendes Kräftemessen. Der Pfeilregen der einen Seite wurde mit dem Pfeilregen der anderen beantwortet, bevor die Fußtruppen aufeinanderprallten. Sultan Bayezid setzte nur einen kleinen Teil der erfahreneren Janitscharen, unterstützt von Sipahi-Reitern, ein. Hans und seine Orta blieben im Lager. Fußkämpfer zu sein, war für sie neu. Sie standen bereit, falls der Einsatzbefehl kommen würde und fachsimpelten über den Schlachtverlauf. Wobei sie mehr interpretierten, als sie tatsächlich sehen konnten. Denn was die hin und her jagenden Boten den hohen Herren mitzuteilen hatten, konnten sie nicht hören.

»Ouuuh, der steht nicht mehr auf!«

»Ich hätte ja mit dem Schwert und nicht mit der Axt zugeschlagen.«

»Quatsch, siehst doch, dass das Schwert mehr gebracht hat!«

»Scheiß Matsch. Da kann doch keiner vernünftig standhalten. Voll weggerutscht!«

»Der Alaeddin hat keine Chance, Mann. Warum schickt der Sultan, unser Vater, nicht mehr Männer? Die fegen wir doch weg! Das sind doch nur Stammeskrieger.«

»Von Strategie hast du auch noch nie was gehört, oder?«

»Was ist jetzt? Signal zum Rückzug? Wieso das denn?«

»Alaeddin Ali zieht sich doch auch zurück.«

»Ja, eben, da muss man doch nachrücken!«

»Klugscheißer.«

Die Schlacht am Nachmittag verlief heftiger, aber ebenso ergebnislos und ohne Einsatz der jungen Janitscharen. Enttäuschung machte sich breit. All das angestaute Adrenalin verpuffte. In und vor den Zelten vertröstete man sich auf morgen, während die Suppenmacher sich über die Zahl der Gefallenen und Verletzten informieren ließen. Die Ärzte hatten alle Hände voll zu tun, doch die Verluste hielten sich in Grenzen. Ihr Vater, Sultan Bayezid der Blitz, und Alaeddin Ali von Karaman hatten sich durch Boten auf einen Waffenstillstand für die Nacht geeinigt, ließ man die Truppe wissen.

Kaum war die Sonne untergegangen, verflüchtigte sich auch die Frühlingswärme. Überall zwischen den Zelten wurden Feuer entfacht, und Essensdüfte stiegen in die Nasen. Zur Überraschung aller kam unmittelbar nach dem Essen der Befehl des Sultans, dass alle Feuer nun zu löschen seien. Man werde die Nacht in völliger Dunkelheit verbringen. Erschöpft von Märschen verkrochen sich die meisten aus Hans’ Orta in die Zelte und schliefen sofort ein. Tosender Lärm ließ sie bald hochschrecken. Von Konya her schallten Pauken und Trompeten.

»Die wollen uns mit Lärm zermürben«, hörte Hans einen Koch vor dem Zelt zum andern sagen. Hans erkannte die Stimme von Bahadir. »Das wird sicher die ganze Nacht so gehen!«

»Die zermürben sich vor allem selbst«, antwortete der andere Koch. »Die müssen ja selbst wach bleiben.« Die beiden Offiziere lachten.

»Und unsere Jungs?«

»Ich habe eine Idee.«

Kurz darauf kam der Koch Bahadir in das Zelt und verteilte an alle Soldaten grüne Oliven. »Hier, jeder zwei. Steckt sie euch in die Ohren, und dann schlaft gut.«

Während eine muntere Olivenschlacht unter den jungen Janitscharen ausbrach, kaum dass der Koch das Zelt verlassen hatte, beschloss Hans, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Yorick wollte nicht mit, er stopfte sich demonstrativ die Oliven in die Ohren und drehte sich zur Seite.

Hans schlenderte durch die Zeltreihen zum Bach, wenn Wachen auftauchten, versteckte er sich in einem Schatten. Der Dolay war zwar breiter, aber viel träger als die Bäche in München. Das regenreiche Frühjahr hatte die Gräser und das Schilf am Ufer bereits kräftig in die Höhe schießen lassen. Bald lag das Lager hinter ihm, und Hans beschloss, ein nächtliches Bad zu nehmen. Er zog sich aus, legte die Kleidung ordentlich zusammen und ließ sich langsam in das kalte Wasser gleiten. Die Frische bitzelte unter seiner Haut. Er schwamm ein wenig stromaufwärts, legte sich dann auf den Rücken und spielte toter Mann. So trieb er einige Meter zurück, dann schwamm er wieder vor und wiederholte das Spiel. Im Übermut beschloss er, sich ein ganzes Stück mit dem Bach treiben zu lassen. Er war sich sicher, dass er die Strecke zurückschwimmen können würde und wenn nicht … auch egal. Er sah hinauf zu den Sternen, schließlich kam er an einer Herde riesiger Schatten vorbei, die unbeweglich in der Dunkelheit standen – das Lager. Mit seinen Ohren im Wasser hörte er den Lärm von Konya nicht.

Als ihm das Lager weit genug entfernt schien, schwamm er zum Ufer ins Schilf. Da hörte er etwas. Er lauschte angestrengt. Das war nicht die Musik von Konya, sondern das waren leise Stimmen, flüsterndes Lachen. Hans kroch vorsichtig durch die Uferpflanzen den Geräuschen nach. Er wähnte sich in einem Traum: Dort am Ufer und im flachen Wasser tummelten sich junge Frauen. Im Mondlicht schien eine schöner als die andere. Sie trugen dünne weiße Kleider, die sich durchnässt eng an ihre Körper schmiegten und so mehr zeigten, als sie verbargen. Sie wuschen sich, kämmten sich, flochten sich die Haare oder rieben sich die Beine und Arme mit Öl ein, dessen köstlicher Duft zu Hans herüberwehte. Wie benommen kniete Hans weiter auf allen vieren und sog diesen Traum in sich auf. Er hielt die Luft an, denn sein Atmen, da war er sicher, würde ihn schlagartig in die Realität zurückholen. Vor allem aber wollte er den köstlichen Duft nicht mehr loslassen.

Dann kam eine Frau aus dem Wasser, deren Anmut und Schönheit Hans im Innersten traf. Er kannte dieses Mädchen. Da war er absolut sicher. Es war das Mädchen, das bei Nikopolis an der Donau bereits mehr von ihm gesehen hatte, als es Sitte und Moral zuließen. Die junge Frau nahm ein großes weißes Tuch und hüllte sich darin ein. Sie setzte sich kaum mehr als eine Armlänge von Hans entfernt und rubbelte ihr Haar. Hans konnte nicht anders, auch auf die Gefahr hin, dass ihm der Teufel hier nur einen üblen Streich spielte, und sich alle Frauen in blutrünstige Nachtdämonen verwandeln würden. Er nahm ein kleines Steinchen und warf es in Richtung des Mädchens. Zu kurz. Ein weiteres Steinchen streifte sie am Fuß. Sie sah nur kurz auf, drehte sich aber nicht um. Ein weiterer Wurf, und sie sah erschrocken über die Schulter. Er sah ihre leuchtenden Augen, in denen Überraschung lag. Sie öffnete fragend den Mund. Er hoffe, dass seine Augen auch leuchteten. Da riss ihn ein wütender Schrei aus allen Träumen, und vor ihm erschien ein riesiger Geist, ein monströses Gespenst, das keinen Kopf, kein Gesicht hatte, nur zwei glühende Augen, die über dem Körper schwebten. Es hatte auch keine Hände, dennoch schwang es ein blitzendes Schwert. Hans wollte schreien, bekam aber keinen Laut heraus. Er taumelte rückwärts, der Nachtalp folgte ihm grunzend und entblößte riesige Zähne, die ebenso wie die Augen im Nichts schwebten.

Hans rannte ins Wasser, tauchte unter und schwamm so schnell er konnte stromaufwärts. Als ihm die Luft ausging, tauchte er kurz auf, atmete tief ein und schwamm unter Wasser weiter und weiter, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Was heißt wäre, der Leibhaftige oder einer seiner Dämonen war tatsächlich hinter ihm her. Als er glaubte, weit genug entfernt zu sein, und hinter sich nichts und niemanden sah, hörte oder spürte, krabbelte er erschöpft ans Ufer. Sein Herz wollte sich lange nicht beruhigen. Bei jedem kleinsten Geräusch zuckte Hans zusammen. Doch kein Dämon tauchte auf. Als er sich halbwegs beruhigt hatte, lief er vorsichtig und gebückt das Ufer entlang, bis er die Stelle mit seiner Kleidung wiederfand. Schnell anziehen und ins Lager zurückhetzen und den Wachen ausweichen und Yorick alles erzählen. Aber Yorick schlief und reagierte auf Hans’ Rütteln mit einem mürrischen Schnauben.

Hans legte sich hin und starrte zur Zeltdecke. Die Musik von Konya nahm er kaum wahr. Der Teufel hatte ihn mit diesem Schauspiel in die Hölle ziehen wollen. Kein Zweifel. Diese riesigen Augen ohne Gesicht … Hans stopfte sich Oliven in die Ohren und rollte sich ein.

Hans machte in dieser Nacht fast kein Auge zu, was nicht nur an der Begegnung mit dem Teufel lag. Denn kaum war er irgendwann endlich eingeschlummert, riss man ihn und seine ganze Orta schon aus dem Schlaf. Es war noch weit vor Sonnenaufgang, doch sie bekamen einen Marschbefehl. Sultan Bayezid ließ dreitausend Mann in dieser Nacht in einem großen Bogen hinter die feindlichen Linien ziehen. Der Lärm von Konya half den Truppen, unentdeckt zu bleiben.

Unterwegs versuchte Hans, sein nächtliches Abenteuer in Worte zu fassen. Doch Yorick meinte nur: »Frauen in weißen Gewändern? Du spinnst doch!«

»Nein, wirklich, da waren erst die schönen Frauen und dann plötzlich dieser gesichtslose Dämon. Ich schwöre es dir.«

»Du warst zu lange im kalten Wasser.«

»Nein, du Depp. Wenn ich es dir doch sage. Das war alles ein Trugbild des Leibhaftigen. Ich habe bisher auch nicht an Dämonen geglaubt, egal, was die Pfaffen gesagt haben. Mein Vater hat immer an Dämonen geglaubt, meine Mutter, Gott hab sie selig, auch. Die hat sich bei jeder Gelegenheit bekreuzigt und den heiligen Michael angerufen. Aber ich nicht. Bis jetzt. Es gibt sie. Glaub mir, es gibt sie.«

»Na, wenn du meinst.« Yorick klang zunehmend weniger skeptisch. »Ich glaube, ich habe auch mal einen Dämon gesehen …«

»Du glaubst es?«

»Na, so richtig habe ich ihn nicht gesehen. Aber als ich jünger war, so fünf oder sechs, bin ich einmal nachts aus dem Haus – wir haben einen Hof, weißt du, einen Bauernhof eigentlich, aber weil mein Vater Edelmann ist, gilt es als Rittersitz. Na, egal, da bin ich mal nachts raus, weil ich endlich den Mann im Mond sehen wollte. Davon hatte meine Großmutter immer erzählt. Sie hat gesagt, dass einst ein törichter Bauer aus unserem Dorf lange vor unserer Zeit sich über das Arbeitsverbot am Sonntag hinweggesetzt hat und einfach Reisig sammeln gegangen ist. Das hat Gott zu erzürnt, dass er den Mann packte und auf den Mond schleuderte. Dort kann man ihn nun sehen, wenn Vollmond ist.«

»Und das hast du geglaubt?«

»Hast du noch nie den Mann im Mond gesehen?«, fragte Yorick.

»Doch, schon. Den sieht jeder. Aber ich glaube nicht, dass das ein dummer Bauer aus deinem Dorf ist.«

»Ich auch nicht«, kicherte Yorick. »Na, egal, da bin ich ums Haus. Alles stockdunkel. Die Kammer meine Großmutter, mir schien es so, als sei ihr Fenster offen und davor sehe ich diese seltsame Gestalt mit einer langen Kutte. Ich schreie, dieses Wesen hebt die Arme, zischt etwas Teuflisches und seine Augen glühen rot. Dann ist er plötzlich verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Mein Vater kommt herausgerannt, dann meine Mutter. Meine Oma schaut erschrocken aus ihrem Fenster und zündet ein Öllicht an. Weil ich geschrien habe und nachts draußen war, bekam ich ordentliche Prügel. Meine Oma, vor deren Kammer ich das gesehen habe, hat mir später gesagt, dass das ein Dämon gewesen sein muss, und ich solle nie wieder nachts vor ihrem Kammerfenster herumschleichen. Sie wüsste, dass dieser Dämon öfter käme und auch, wie man solche Dämonen in Schach halten kann.«

»Gruselig«, kommentierte Hans.

»Nicht wahr?«

»Oder aber deine Oma hatte einen Galan …«

»Untersteh dich!«

»Entschuldige, Yorick.«

Mit dem ersten Hahnenschrei gab Alaeddin Ali von Karaman den Angriffsbefehl. Das Heer Sultan Bayezids stand ebenfalls kampfbereit. Oberbefehlshaber Lala Nedim Pascha ließ seine Truppen aber abwarten. Als Alaeddin Ali begriff, dass er in der Nacht umzingelt worden war, sah er nur noch eine Möglichkeit. Er befahl, die Tore der Stadt zu öffnen und zog sich mit seinen Mannen hinter die Mauern von Konya zurück.

Bayezid ließ seine Zelte direkt vor der Stadt aufschlagen, und die Belagerung begann. Anders als vor Nikopolis gestaltete sich die elf Tage dauernde Einkessellung nicht als fröhliches Fress- und Saufgelage voll Hurerei. Die Köche und Suppenmacher bestanden auf Disziplin. Lala Nedim Pascha kontrollierte auf seinem täglichen Rundgang alles. Er wusste sich hervorragend zu inszenieren. Stets prächtigst gekleidet flößte der Prackl allein durch sein Erscheinungsbild größte Ehrfurcht ein. Dazu kam seine vierköpfige Leibgarde aus auffallend großen jungen Männern, die allesamt blaue Augen hatten, und – sofern man ihren Bärten glauben konnte – allesamt hellblond waren. Lala ließ sie mit kostbaren, goldbestickten Mänteln ausstatten. Exzentrisch, fast schon frech, doch Lala Nedim Pascha war nicht nur auf dem Feld ein kluger Stratege. Er achtete sorgsam darauf, dass weder er noch seine Männer den Sultan und dessen Garde an Pracht in den Schatten stellten.

Die Tage zogen sich öde dahin, Wachdienste und Kampftraining waren die einzige Abwechslung. Um die Stärke der Truppe zu demonstrieren, mussten die Janitscharen ihre Kampftechniken so üben, dass man sie von den Mauern der Stadt bestens beobachten konnte.

»Madonna, bei Nikopolis war es lustiger«, motzte Don Juan, als sie eines Nachmittags zwischen den Zelten patrouillierten. Ausgerechnet Don Juan hatte man mit Hans Schiltberger zur Wache eingeteilt. Doch seit er in Bursa zum Küchenarrest verurteilt worden war, hielt sich Don Juan mit Stänkereien und Pöbeleien zurück. »Wenn man wenigstens zu den Weibern dürfte.«

»Die Marketender hier haben keine Weiber dabei«, antwortete Hans. »Und selbst wenn, dürften wir ja nicht.«

»Davon soll mich mal einer abhalten«, sagte Don Juan und griff sich mit einem blöden Lachen demonstrativ in den Schritt. »Dafür nehme ich zwei Monate Küchenarrest in Kauf. Und außerdem haben die hier schon Weiber, du armer Ahnungsloser. Nur halt nicht für uns. Die noblen Herren haben sich ihre Mädels mitgebracht. Oder habt ihr euch nie gefragt, was in den verhangenen Wagen transportiert wird, die gleich hinter dem Sultan fahren? Weiber! Bei der Heiligen Jungfrau Maria, ich habe sie gesehen.«

»Du fantasierst, Spanier«, sagte Hans, kam aber ins Grübeln. Doch keine Chimäre neulich nachts? Könnte es möglich sein?

»Wetten?«

»Worum?«

»Um den nächsten Dinar, den uns der Sultan zukommen lässt.«

»Gut.« Hans schlug ein.

»Dann komm mal mit.«

»Wohin?«

»Na, zu den Weibern, du Blitzmerker!«

Hans passte das nicht, denn sie mussten durch ein bestimmtes Areal zwischen den Zelten patrouillieren, das sie nicht verlassen durften.

»Was soll denn schon passieren?«, lachte Don Juan. »Wir sind in zehn Minuten wieder da. Und die meisten machen jetzt Siesta.«

»Hä?«

»Siesta. Mittagsschlaf.«

Sie verließen ihr Wachgebiet, beachteten aber, dass sie keinen anderen Wachen in die Arme liefen. Sie schlichen zwischen den einfachen Mannschaftszelten zu einer kleinen Baumgruppe aus uralten, exotischen Bäumen, in deren Schatten prächtigere Zelte standen. Bäume wie diese hatte Hans noch nie gesehen. Sie hatten große Blätter, die wie Finger an der Hand zusammenstanden und üppige weiße Blütendolden, die nach oben standen. Auf dem Boden lagen ein paar Früchte der Bäume. Hans hob eine auf, dunkelbraun und glatt, wie ein Kieselstein. Auf seinen Reisen sollte Hans später noch öfter diesen exotischen Bäumen begegnen und lernen, dass man sie Rosskastanien nannte.

Don Juan legte überflüssigerweise seinen Zeigefinger auf die Lippen, Hans hätte auch so gewusst, dass sie leise sein mussten. Der Kastilier schlich voran. Sie tauchten unter Stoffbahnen hindurch, die als Abschirmung gespannt waren. Don Juan bedeutete Hans, sich auf den Boden zu legen. Mit ausgestrecktem Arm zeigte er unter einer roten Stoffbahn hindurch. Nun sah Hans, dass Don Juan recht hatte. Frauen schlenderten zwischen Zelten umher. Edel gekleidet, in duftende Parfumwolken gehüllt.

Don Juan wies mit dem Kopf nach hinten. Rückzug. Sie krabbelten zurück. Hinter der Barriere aus Stoffbahnen klopften sie sich den Staub aus der Kleidung, als eine Stimme barsch fragte: »Was machen wir denn da?«

Erwischt worden! Hans sah erschrocken zu Don Juan. Dessen Gesichtsausdruck wechselte schnell von erschrocken zu einem breiten Grinsen, dann zu grotesk überzogen gespieltem Schreck.

Zwei Janitscharen-Wachen bauten sich vor ihnen auf. Hans erkannte den Ungarn Hodor und den Spanier Felipe, zwei von Don Juans Kumpanen. Zwei, die Don Juan von Anfang an schon im Turm von Gallipoli speichelleckerisch bei seinen Fiesheiten assistieren hatten.

»Da wird aber einer gewaltigen Ärger bekommen«, knurrte Hodor, Felipe lachte blöde, und Hans begriff langsam. Denn die beiden Wachen richteten ihre Waffen nur auf ihn. Don Juan tänzelte langsam rückwärts, winkte fröhlich mit der rechten Hand und grinste gemein. »Was? Nein, Herr, ich weiß auch nicht, was mit Hans los ist«, plapperte er. »Nein, Herr, er hat gesagt, er müsse mal austreten. Ich bin auf dem Posten geblieben, Herr. Das schwöre ich bei der Heiligen Jungfrau Maria.« Er verbeugte sich affektiert und verschwand hinter der nächsten Zeltwand. Die Falle war zugeschnappt, und Hans hätte sich selbst ohrfeigen können. Wie konnte er nur so dumm sein. Der Kastilier hatte alles geschickt eingefädelt.

Jetzt das Schwert ziehen, würde nicht viel bringen. Hans zuckte mit den Schultern und ergab sich. Hodor und Felipe ließen die Schwerter sinken, genau wie Hans gehofft hatte. Er schlug Hodor in die Magengrube und trat Felipe in die Eier. Das doppelte Zusammensacken nutzte er, um schnell hinter der ersten Stoffbahn abzutauchen. Hans hetzte in Richtung der größten Kastanie, sprang über die gespannten Zeltschnüre wie ein Hase und merkte doch, dass ihm die Verfolger im Nacken saßen. Seine Chancen schwanden. Er schlug Haken, strauchelte, rappelte sich auf und rannte weiter. Da teilten sich die Vorhänge des Prunkzelts rechts von ihm, ein gewaltiger schwarzer Dämon schob sich ins Freie und starrte ihn mit riesigen Augen an. Der Dämon, den er neulich Nacht gesehen hatte. Hans stolperte über eine Schnur und blieb für eine Schrecksekunde starr liegen. Da öffnete der Dämon seinen Mund, die großen Zähne blitzten, und er entließ einen hohen quietschenden Schrei. Hans war sich sicher, dass sich gleich die Pforten der Hölle öffnen würden. Darum hatte er neulich nachts gedacht, dass der Dämon kein Gesicht hatte. Es war vor Schwärze mit der Nacht verschmolzen.

Hodor und Felipe schlossen auf und stoppten abrupt. Zu Hans’ Verwunderung ließen sie sich vor dem Dämon auf die Knie fallen. Hans sprang auf und hechtete hinter die große Kastanie zwischen die Felsen. Unter ihm begann der Boden zu beben.

»Was geht hier vor?«, kreischte der Dämon mit schriller Stimme.

»Verzeiht, Herr«, antwortete Hodor unterwürfig. »Wir haben einen Burschen erwischt, der sich den Damen nähern wollte.«

»Und?«, quietschte der Dämon. »Wo ist der Kerl?«

Entweder der Dämon war gar kein Dämon, oder Hodor und Felipe waren mit dem Teufel im Bunde. Aber wenn das kein Dämon war, warum war er dann so rabenschwarz wie die finsterste Nacht? Wenn er ein Mensch war, dachte sich Hans, denn konnte die Farbe nur bedeuten, dass er verbrannt war. Der Boden unter Hans bebte stärker, Erde rutsche zur Seite. Er schickte ein schnelles Stoßgebet zum heiligen Johannes, seiner Seele gnädig zu sein. Da tat sich also die Hölle auf. Doch ein Dämon! Der Fels neben ihm knallte zur Seite, und aus dem Loch im Boden wuchs der Oberkörper eines alten Manns mit weißem Bart. Er trug die vornehme Kleidung eines osmanischen Edelmanns und verbeugte sich leicht Richtung Hans. »Verzeih, mein Junge, wenn ich dich erschreckt habe«, sagte der Alte und lächelte. Er hatte nur noch zwei Zähne im Mund. »Kannst du mir helfen? Ich bin alt und kann nicht mehr so gut klettern.«

Wie ferngesteuert griff Hans den Alten bei den Armen und zog ihn aus dem Loch. Nun half er auch noch dem Teufel in Gestalt eines Greises aus der Hölle. Es wurde immer besser!

»Danke, mein Junge. Man nennt mich Ölmez. Der Rat der Stadt Konya schickt uns.« Hinter dem alten Ölmez kletterten zwei weitere vornehm gekleidete Männer heraus.

Hans begriff, lachte vor Erleichterung kurz hysterisch auf und schickte dem heiligen Johannes ein Stoßgebet hinterher, dass er ihn so geschwind erhört hatte.

»Wo ist der Kerl?«, quietschte der schwarze Dämon erneut.

»Dort, zwischen den Felsen, Herr«, antwortete Felipe.

»Ja und? Warum steht ihr da noch herum wie die Ölgötzen? Ergreift ihn, elendiges Pack!« Der Dämon trat nach Felipe.

»Schau nicht so, mein Junge. Wir sind durch diesen Tunnel aus der Stadt gekommen«, sagte der alte Ölmez und kicherte verschmitzt. »Kannst du uns zu deinem Vater, dem großen Sultan, bringen, Bursche? Ich habe wichtige Nachrichten für ihn.«

Ein triumphierendes Lächeln schlich sich in Hans’ Gesicht, das er für die nächsten Minuten nicht mehr unter Kontrolle bekam. »Sicher, ehrwürdiger Ölmez und edle Herren«, antwortete er. »Ich geleite Euch gerne zu meinem Herrn!« Er nahm den Alten an der Hand und führte ihn zwischen den Felsen zurück zum Zelt des schwarzen Dämons.

»Da ist er ja«, höhnte Hodor und deutete auf Hans. »Hat sich Verstärkung geholt.«

»Verzeihung?«, sagte Hans laut. »Was ist hier los? Ich bringe den weisen Herrn Ölmez und weitere hochwohlgeborene Gesandte vom Rat der Stadt Konya, die wichtige Nachrichten für unseren Vater, den Sultan, haben. Wollt ihr euch etwa dem edlen Ölmez in den Weg stellen?«

Hodor und Felipe zögerten, sahen unsicher von Hans zum Dämon und zurück.

»Weiser Ölmez, werte Gesandte«, quietschte der Dämon, verbeugte sich tief und wedelte mit den Händen, als wolle er die beiden Janitscharen wie lästige Fliegen verscheuchen. »Verzeiht diese ungehobelten Burschen! Ein unentschuldbares Missverständnis, gewiss, doch ich erflehe aus tiefstem Herzen Eure Vergebung. Ich bringe Euch selbstverständlich zum Sultan!«

»Wie ist dein Name, ehrwürdiger Eunuch?«, fragte der Alte in einem Tonfall, aus dem Hans heraushörte, dass ein verbrannter Mensch durchaus eine Respektsperson war. Offenbar nannte man solch schwarze Menschen Eunuchen, und sie schienen erhebliche Macht zu besitzen. Wieder etwas gelernt, dachte Hans. Und er schämte sich ein klein bisschen dafür, dass er neulich Nacht an einen Dämon geglaubt hatte.

»Tamer, mein Herr, ich bin Tamer, der Vertreter des Obersten der Schwarzen Eunuchen unseres Vaters, Sultans Bayezid, den man den Blitz nennt.«

»Gut, Tamer, Vertreter des Obersten der Schwarzen Eunuchen. Ich danke dir für deine Freundlichkeit. Auch dieser Bursche hier hat mich freundlich empfangen. Bring uns zu deinem Herren. Der Bursche wird uns begleiten.« Er stützte sich auf Hans’ Unterarm.

»Ich fürchte, edler Ölmez«, quiekte der Eunuch Tamer, »dass der freche Bursche hier uns nicht begleiten kann. Er hat …«

»Unsinn«, unterbrach ihn der Alte. »Der Bursche ist ganz famos und kommt mit uns. Wie ist dein Name?«

»Johannes, äh, Hans, Herr.«

»Hans? Was für ein komischer Name!« Ölmez zog Hans ganz nah an sich heran. »Hör zu, Junge, wir wären dir wirklich sehr dankbar, wenn du diesen geheimen Tunnel das sein lässt, was er bisher ist. Geheim. Sag deinen Herren, dass du uns zwischen den Zelten herumirrend gefunden hast.«

Hans nickte. »Ihr könnt euch auf mich verlassen.«

So kam Johannes Schiltberger in den Genuss, einer Audienz beim Sultan beiwohnen zu dürfen, in der das Schicksal Konyas beschlossen wurde. Die Delegation unter dem alten Ölmez bot im Namen der Stadt an, dem Heer des Sultans heimlich Zugang nach Konya zu verschaffen, wenn der Sultan dafür die Stadt schonen würde. Die Bevölkerung sei die Belagerung leid, und man werde den Herrn Alaeddin Ali keinesfalls unterstützen, da dieser kein guter Herr sei. Der Sultan entließ Hans, bevor es um die Details der Übernahme ging, nicht ohne ihn ausdrücklich vor den Generälen und Beratern zu belobigen.

»Blöd gelaufen, was?«, sagte Hans zu Don Juan, als sie sich im Zelt begegneten. »Ganz blöd.«

»Ich weiß nicht, was du meinst, Arschloch«, entgegnete der Spanier finster. »Ich wollte nur schnell zu unserem Posten zurück, den wir wegen dir aufgegeben haben.«

»Und ich habe den Posten nur aufgegeben, wie alle wissen, weil ich dem ehrwürdigen Ölmez von Konya zu unserem Vater bringen musste. Nicht wahr?«

»Du schuldest mit trotzdem einen Dinar!«

Als Bayezid zum Angriff blasen ließ, hielten die Bürger Wort. Sie verteidigten weder die Mauern noch die Tore. Die Armee schwappte in die schmalen Gassen. Alaeddin Ali, völlig überrascht, ließ mobilmachen und ein kurzes, blutiges Gemetzel begann in Konya. Doch die Soldaten Alaeddins mussten feststellen, dass sie keinerlei Unterstützung von den Bürgern bekamen. Türen, Tore und Fenster waren fest verriegelt, es gab kein Haus, in das sie sich hätten flüchten können. Auch die steinernen Mauern des altehrwürdigen Mevlana-Klosters waren bald blutbesudelt. Die tanzenden Derwische hatten alle Klostertüren rings um das Grabmal des hochverehrten Mystikers und Erfinders des Tanzrituals, Dschelaleddin Rumi, verriegelt. Sie ließen die Trommeln spielen und drehten sich in Ekstase, um die Todesschreie nicht hören zu müssen.

Als Alaeddin Ali begriff, dass er verraten worden war, wollte er fliehen. Ein sinnloses Unterfangen. Er wurde überwältigt und zu Bayezid gebracht. Der hatte sich vor dem Eingang zur Alaeddin-Moschee auf dem Zitadellenberg installiert. Warum er, Alaeddin Ali, Herr von Karaman, ihm denn nicht untertan sein wolle, fragte er wütend seinen Schwager. Worauf Alaeddin trotzig antwortete, er sei ebenso ein König wie Bayezid. Darum!

Bayezid, innerlich wie äußerlich bebend, brüllte, man solle ihm diesen frechen Kerl endlich aus den Augen schaffen. Niemand traute sich, den Herrn anzufassen. Noch zweimal rief der Sultan wütend, dass man Alaeddin wegbringen solle. Schließlich trat der oberste Suppenkoch persönlich vor, packte Alaeddin und führte ihn ein Stück zur Seite. Dort zog er sein Schwert und enthauptete Alaeddin. Er reinigte sein Schwert und kehrte zu Bayezid zurück. Der wollte wissen, was mit Alaeddin Ali nun geschehen sei. Er habe ihn geköpft, erwiderte der Suppenkoch.

Der Wutausbruch Bayazids ließ die Mauern wackeln. Sofort, so befahl er, solle der Suppenkoch das Schicksal Alaeddins teilen. Sofort! Man führte den obersten Suppenkoch neben die Leiche Alaeddins und köpfte ihn. Das sollten sich alle eine Lehre sein lassen, rief Bayezid. Niemandem stünde es zu, einen mächtigen Herrn einfach so zu enthaupten. Egal, wie wütend er, Bayezid der Blitz, sei. Man habe zu warten, bis der Zorn Bayezids verraucht sei. Da aber nun mal der Herr Alaeddin Ali geköpft worden war und immer noch vereinzelte Gefechte in den Gassen stattfanden, ließ der Sultan Alaeddins Kopf auf einen Spieß stecken und durch die Stadt tragen. Alle sollten sehen, dass ihr Herr gefallen war und sich ergeben. Frieden kehrte in Konya ein und die Bewohner trauten sich langsam aus ihren Häusern.

Hans, Max und Yorick bummelten durch die Gassen. Von Gallipoli und Bursa hatten sie kaum etwas gesehen. Nun bestaunten sie die mehrstöckigen Gebäude, die Moscheen, die Zitadelle, die fremdartig gekleideten Menschen, die seltsam verzückt dreinblickenden Mönche der Mevlevi-Bruderschaft und als schließlich die ersten Marktstände wieder öffneten, auch die exotischen Auslagen. Wobei nur Hans und Yorick staunten, Max blieb teilnahmslos wie immer. Alles kam ihnen viel bunter vor als auf den heimischen Märkten in München oder Nazareth, wobei Yorick betonte, dass man ohnehin lieber den großen Markt im nahen Gent besucht habe als den mickrigen von Nazareth. Wegen der Belagerung waren Konyas Stände nicht übermäßig gefüllt. Vieles kannten sie schon von den Märkten ihrer Heimat, wie Pfeffer oder Zimt, die aber in München ein Zigfaches von dem kosteten, was man hier dafür verlangte. Hans entdeckte auch große Zitronatzitronen, eine äußerst exotische Frucht, die praktisch kein Fruchtfleisch enthielt und deren dickwandige Schale man kandierte. In München wurden sie wie Gold gehandelt. Anderes hatten sie durch ihren Speiseplan kennengelernt, wie die dunkelvioletten Auberginen. Hans fand ja, dass sie besser aussahen, als sie schmeckten. Es gab auch säckeweise Linsen in verschiedenen Farben und diese weißen länglichen Körner, die sie in gekochter Form gelegentlich mit der Suppe bekamen. Man nannte sie Reis. Hans mochte Reis, während Yorick Bulgur bevorzugte. Bei Max wusste man es nicht. Er aß einfach.

Sie kauften an einem Stand mit Backwaren köstliches, vor Honig triefendes Baklava mit grünen Pistazien, Letztere hatten sie noch nie irgendwo gesehen. Yorick schwor, nie wieder eine andere Nuss zu essen, denn Pistazien seien wohl das Göttlichste, was es an Nüssen gäbe. Da könnten Mandeln nicht mithalten.

Weil sich herumsprach, dass die mysteriösen Mönche des Mevlana-Klosters wieder ihren Drehtanz begonnen hatten, drängten sich die Soldaten ins Kloster, um dem Schauspiel beizuwohnen. Vor allem die Christen wie Hans und Yorick wollten sehen, wie sich die Männer in Ekstase brachten. Verrückte Tanzwut und Veitstänze kannte Hans auch aus seiner Heimat. Doch das waren entweder einzelne Personen, die Fallsucht hatten, oder fanatische Reigentänzer, die sich in Gruppen bis zur völligen Erschöpfung verausgabten und den heiligen Veit anriefen. Die Mönche hier drehten sich jedoch auf der Stelle im Kreis, jeder für sich mit seitlich ausgestreckten Armen. Der Andrang an Gaffern war so groß, dass der Sultan das Kloster räumen ließ und den Mönchen das Tanzen untersagte, solange die Truppen in der Stadt seien.

Am Abend fanden sie eine kleine Weinschenke, die noch nicht mit lärmenden Soldaten überfüllt war. Zwar gab es schon Gegenden, in denen die Auslegung des Koran allen Alkohol verboten hatte, doch Bayezids Reich gehörte zum Glück nicht dazu. Auf den Weinbergen, an denen sie auf ihrem Marsch nach Konya vorbeigekommen waren, rankten sich bereits die Triebe an den Stäben hoch. Der Wirt bewarb seinen angeblich vorzüglichen Wein, den er exklusiv aus einer Stadt namens Shiraz aus dem fernen Persien beziehen würde. »Nur Wein allein kann mich retten, kann vertreiben alle Angst und Herzenspein!«, rezitierte der Wirt eine Zeile des berühmten Dichters Hafez. Den Burschen, die von einem berühmten Dichter namens Hafez noch nie gehört hatten, war klar, dass er damit nur den Preis in die Höhe treiben wollte. Wein kannte Hans von Kindesbeinen an. Jeder in München trank Wein, denn was im Wasser war, wusste man nie genau. Man wusste zwar auch nie genau, was im Wein war, aber von verseuchtem Wein hatte Hans noch nie gehört, und es hatte in München noch nie eine Epidemie mit vielen Toten vom Wein gegeben – vom Wasser schon. Wenn kein Wein verfügbar war, braute der Vater gelegentlich ein Hausbier. Der Wein, den Hans aus München kannte, war in der Regel mit diversen Gewürzen versetzt. Dieser hier dagegen schmeckte nur nach Wein, was die Burschen ziemlich gewöhnungsbedürftig fanden. Aber Hauptsache, endlich einmal wieder Alkohol. Später kamen Musiker dazu, spielten fröhliche Lieder auf Zither, Spießgeige und Flöte. Man sang, tanzte und lachte. Da geschah ein kleines Wunder, denn Max, der wandelnde Tote, seufzte. Yorick hatte es nicht mitbekommen, wohl aber Hans, dem plötzlich ein Kloß im Hals saß. Dann begann Max die Finger seiner rechten Hand in der Luft zu bewegen, nur ein bisschen. Die Finger zuckten sanft, als würden sie Saiten zupfen. Hans begriff, dass Max Luftlaute spielte. Er musste sich wegdrehen.

Am nächsten Tag blieben etliche Ortas, darunter auch die von Hans Schiltberger, in Konya als Ordnungsmacht zurück. Den Rest des Heeres führte Bayezid nach Karaman, Alaeddin Alis Hauptstadt. Bayezid ließ den abgeschlagenen Kopf Alaeddins mitführen und vor dem Haupttor der Stadt aufstellen. Der Sultan forderte sofortige Unterwerfung. Nach einigen Stunden kam eine Delegation von vier vornehmen Bürgern aus der Stadt. Dass der Herr Alaeddin tot sei, sei äußerst bedauerlich, jedoch habe Alaeddin zwei Söhne in der Stadt, Mehmet und Bengi Ali. Man würde daher vorschlagen, einen der Söhne als Herrn von Karaman einzusetzen. Im Gegenzug würde man Bayezid als obersten König anerkennen und ihn in die Stadt lassen. Natürlich vorausgesetzt, der Sultan würde sie an Leib und Gut schonen.

Schonung würde er gerne gewähren, antwortete der Sultan, jedoch würde er alleine bestimmen, wer künftig Herr von Karaman sei. Darauf wollten sich die Bürger nicht einlassen. Einer von Alaeddins Söhnen oder gar nichts! Sie verwiesen zudem auf die mächtige Zitadelle der Stadt mit ihren drei Mauerringen, erbaut unter den Seldschuken auf einem künstlichen Hügel. Dagegen könne Bayezid ruhig anrennen. Das fände er alles sehr bedauerlich, betonte der Sultan, aber wenn es ihr Wille sei, dann eben auf die harte Tour. Er ließ drei der Bürger enthaupten und gab dem vierten auf seiner Rückkehr in die Stadt die Köpfe mit. Die Belagerung von Karaman begann.

Die wilde Reise des unfreien Hans S.

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