Читать книгу Der Mensch und das liebe Vieh - Martin M. Lintner - Страница 24
d) Eine verantwortungsethische Anthropozentrik
ОглавлениеWie bereits gesagt: Freiheit macht verantwortlich. Die Moralfähigkeit ist mit der Freiheit gegeben und erweist sich als „Rüstzeug“ dafür, dass der Mensch der ihm von Gott zugedachten Aufgabe gerecht werden kann. In dieser Hinsicht ist aussagekräftig, dass die Bibel die Moralfähigkeit unmittelbar mit der Gottebenbildlichkeit in Zusammenhang bringt: „Und Gott, der HERR, sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns, zu erkennen Gutes und Böses“ (Gen 3,22)58. Die sittliche Verantwortung ist der Gottebenbildlichkeit eingeschrieben. Sie ist mit der Aufgabe verbunden, die Gott für die Menschen entsprechend Gen 1,26 vorgesehen und die er ihnen in Gen 1,28 übertragen hat. Sie kann allerdings nicht dahingehend anthropozentrisch ausgelegt werden, dass sich der Mensch als Mittelpunkt der Schöpfung ansieht und die Natur sowie die Tiere nach Belieben zu seinen eigenen Zwecken nutzen darf. Vielmehr bleibt er selbst eingebunden in die naturalen Abläufe und in die komplexen ökologischen Zusammenhänge und ist mit der Natur und den Tieren zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden. Ebenso ist ihm die Anerkennung des Eigenwertes aller Lebewesen, der sich z. B. in deren natürlichem Streben nach Erhaltung und Entfaltung des Lebens manifestiert, sowie aufgrund des Wissens um deren Vulnerabilität der Schutz der Lebewesen und des Ökosystems aufgetragen. Der verantwortungsethische Zugang, der sich aus der in diesem Kapitel vorgeschlagenen Interpretation des Herrschaftsauftrags in Gen 1,28 ergibt, wahrt die Differenz zwischen den Menschen und den Tieren, insofern sich nur der Mensch in jener Freiheit vorfindet, die ihn zugleich in die Verantwortung ruft bzw. in die Pflicht nimmt gegenüber den anderen Lebewesen.59 „Man kann vom Menschen nicht einen respektvollen Einsatz gegenüber der Welt verlangen, wenn man nicht zugleich seine besonderen Fähigkeiten der Erkenntnis, des Willens, der Freiheit und der Verantwortlichkeit anerkennt und zur Geltung bringt.“60 Zugleich unterstreicht er auch die enge Verbundenheit der Menschen mit den Tieren, weil alle Lebewesen, die die Erde als gemeinsamen Lebensraum bewohnen, eine Lebens- und Schicksalsgemeinschaft bilden. Eine verantwortungsethische Anthropozentrik betont die Verpflichtung der Menschen gegenüber den Tieren, sie in ihrem Eigenwert anzuerkennen und in ihrer Verletzbarkeit zu schützen. Den Tieren werden also von vornherein Rechte zuerkannt, noch bevor diese moralphilosophisch im Tier als „Rechtsträger“ begründet werden. Diese grundlegenden Rechte der Tiere, zu leben und nicht verwundet bzw. in ihrer Lebensentfaltung eingeschränkt zu werden, ergeben sich vielmehr aus jener Verantwortung, in der der Mensch sich vorfindet und über die er reflektiert.