Читать книгу Der Mensch und das liebe Vieh - Martin M. Lintner - Страница 30
b) Infragestellung klassischer Deutungsmuster
ОглавлениеDurch Darwin geriet die teleologische Argumentation ins Wanken. Die erstaunlich differenzierte Struktur der Organismen und ihre Angepasstheit an die Umwelt wird in der Evolutionstheorie nicht mehr auf den Einfluss eines intelligenten göttlichen Planers zurückgeführt, sondern durch rein natürliche Ursachen und Faktoren erklärt. An die Stelle einer theologischen Erklärung trat nun eine natürliche. Die bislang leitende Vorstellung einer übernatürlichen, göttlichen Erschaffung und Erhaltung der Organismen wurde ersetzt durch die Theorie einer natürlichen Abstammung und Entwicklung der Arten.
Vor Darwin ging man in Physikotheologie und Biologie durchweg von der Konstanz der Arten aus. Man war davon überzeugt, dass die Arten der Organismen im Laufe der Naturgeschichte im Wesentlichen stabil geblieben seien und sich nicht grundlegend verändert hätten. Theologisch gedeutet hieß dies, dass Gott alle Arten einzeln bzw. unabhängig voneinander erschaffen und optimal in die jeweilige Umwelt eingefügt habe. Die Evolutionstheorie entwarf dagegen ein ganz anderes Bild der Wirklichkeit. Laut Darwin stammen die komplexeren Arten von früheren, weniger komplexen Formen des Lebens ab. Das Leben auf Erden habe sich allmählich durch einen natürlichen Mechanismus entwickelt. Gestützt auf Fossilienfunde und vergleichende Studien der physiologischen Merkmale skizzierte Darwin eine Abfolge der Arten, die von den einfachsten Bakterien bis hin zu hoch entwickelten Säugetieren verläuft. Alle Arten stammen von gemeinsamen Vorfahren ab, die sich schrittweise in verschiedene Richtungen entwickelt hätten. Darwin nannte diesen Vorgang Abstammung mit Abänderung durch natürliche Auslese (descent with modification). Als die maßgeblichen Antriebskräfte der Weiterentwicklung identifizierte Darwin Mutation und die nachfolgende Selektion in Kombination mit Umweltbedingungen, mit denen die Organismen in Wechselwirkung stehen. Mutation bezeichnet zufällige Änderungen im Erbgut, die Selektion meint den Fortpflanzungserfolg aufgrund von Umwelt- und Konkurrenzdruck. „Was evolutionär überlebt und was ausstirbt, hängt wesentlich von der Umwelttauglichkeit ab. […] Die Anpassung von Organismen an ihre Umwelt verliert damit ihre Bewunderungswürdigkeit; sie wird vielmehr […] aus ihrer evolutionären Erfolgsgeschichte heraus erklärbar.“76