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a) Freiheit macht verantwortlich

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Gerade weil der Mensch nicht nur instinktiv und impulsiv, sondern in Freiheit und überlegt handelt, und weil er durch technische Errungenschaften in die Natur auf eine Weise eingreifen kann, die weit über das hinausgeht, was er durch den Einsatz lediglich der eigenen Körperkraft schaffen könnte, obliegt ihm die Verpflichtung, sich den Mitmenschen, den Tieren und der Natur gegenüber so zu verhalten, wie es dem schöpferischen Handeln Gottes entspricht. „Dass Gott den Menschen als sein Bild, also zu seiner besonderen Entsprechung unter den Geschöpfen schuf, begründet nicht nur einen Vorzug ihnen gegenüber, sondern auch eine Verpflichtung.“50 Der Mensch soll sich einerseits bleibend bewusst sein, dass er in die natürliche Schöpfungsordnung eingebunden ist und dass zwischen ihm und den Tieren eine große Nähe und enge Beziehung herrscht. Andererseits soll er als Ebenbild Gottes der ihm anvertrauten Aufgabe entsprechen und die ihm faktisch gegebenen Möglichkeiten des Eingreifens in die Natur und des Umgangs mit den Tieren und den Mitmenschen so nutzen, dass er damit dem Leben dient und der Schöpfung zum Segen gereicht, indem er das in allen Lebewesen beobachtbare Streben nach Entfaltung und Weitergabe des Lebens als Ausdruck der lebensbejahenden und schöpferischen Liebe Gottes zu deuten weiß. Die leidvolle und oft verstörende Erfahrung, dass Leben de facto jedoch nur auf Kosten anderen Lebens möglich ist, dass das eigene Überleben den Tod anderer Lebewesen impliziert, stellt dabei eine Art „Kontrasterfahrung“ dar, mit der sich viele Menschen nicht abfinden, weil diese Logik des Fressen-und-gefressen-Werdens immer auch Schmerz und Leid verursacht. Die vielen religiösen Rituale rund um das Töten von Tieren, die sich in archaischen Religionen ausgebildet und die zu vielfältigen Opferritualen geführt haben, spiegelt etwas von diesem intuitiven Wissen des Menschen wider, dass jede Tötung eines Tieres nie nur dem eigenen Leben dient, sondern zugleich eine schwerwiegende Verletzung eines anderen Lebewesens ist und in einem gewissen Sinn eine Ordnung stört, sodass entweder dieses Lebewesen selbst oder eine Gottheit dafür um Vergebung gebeten werden muss bzw. durch unterschiedliche Rituale die gestörte Ordnung wiederhergestellt werden muss. Im Unterschied zu den Tieren hat der Mensch die Möglichkeit, über dieses Dilemma, dass Leben nur auf Kosten anderen Lebens möglich ist, zu reflektieren, und er kann die Logik des Fressen-und-gefressen-Werdens wenigstens bis zu einem gewissen Punkt durchbrechen, indem er so weit wie möglich nicht auf Kosten anderer Lebewesen lebt und dort, wo er nicht umhinkommt, es zu tun, Schmerz- und Leidzufügung vermeidet.

Der Mensch und das liebe Vieh

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