Читать книгу Der Mensch und das liebe Vieh - Martin M. Lintner - Страница 17

1.2 Der Herrschaftsauftrag über die Erde und über die Tiere a) Die Hypothek, die auf dem Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 lastet

Оглавление

Bekanntermaßen wurde und wird der Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 für eine ausbeuterische Haltung gegenüber der Natur verantwortlich gemacht. Dieser Vers sei der ideengeschichtliche Hintergrund der heutigen Umweltkrise. Seit der amerikanische Wissenschaftshistoriker Lynn T. White Jr. 1967 in seinem Aufsatz „Die historischen Wurzeln unserer ökologischen Krise“32 diese These veröffentlicht hat, haben auch andere Autoren diesen Vorwurf aufgegriffen und zu erhärten versucht. Der deutsche Umweltaktivist Carl Amery (1922–2005) bezeichnet in seinem 1972 ersterschienenen Buch „Das Ende der Vorsehung“ die Christen als „Fachleute für die Ausbeutung der Welt“33. Selbst Theologen wie Eugen Drewermann (geb. 1940)34 schlugen in dieselbe Kerbe. Er machte den angeblichen biblischen Anthropozentrismus, wonach sich der Mensch als radikal von der Natur herausgelöst sieht, für das gestörte Mensch-Natur-Verhältnis verantwortlich.

Viele Theologen haben sich kritisch mit diesem Vorwurf auseinandergesetzt und ihn zu widerlegen versucht35, und zwar sowohl aus historischer wie auch aus bibeltheologischer Perspektive. Historisch wurde besonders darauf hingewiesen, dass der Herrschaftsauftrag erst in der Neuzeit in dem Sinne interpretiert worden ist, dass der Mensch mit der Natur willkürlich verfahren dürfe. Ideengeschichtlicher Hintergrund der modernen Umweltkrise sei vielmehr der nach René Descartes (1596–1650) benannte cartesianische Dualismus, wonach der Mensch als res cogitans, d. h. als denkendes Wesen, alle anderen Lebewesen hingegen – einschließlich der Tiere – lediglich als res extensa, d. h. als ausgedehnte und damit bloß materielle Dinge bzw. komplexe Maschinen verstanden worden sind. Damit habe sich der Mensch als außerhalb der übrigen Natur und als ihr gegenüber stehendes Wesen begriffen. Das Bewusstsein, dass der Mensch zutiefst in die naturalen Abläufe eingebunden und Teil der Natur ist, das die abendländische Geschichte bis zum Beginn der Neuzeit geprägt habe, sei dadurch zusehends verloren gegangen. Im Zusammenspiel mit dem Erstarken der Naturwissenschaften sowie mit der damit einhergehenden wissenschaftlich-technologischen Sichtweise der Natur habe sich die Mentalität entwickelt, der Mensch könne die Natur nach Belieben zu seinen Zwecken nutzen. Dieser Gebrauch der Natur sei erst nachträglich durch den Rückgriff auf den biblischen Herrschaftsauftrag legitimiert worden, etwa durch den englischen Naturphilosophen Francis Bacon (1561–1626). Bacon verstand die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse explizit als Herrschaftswissen mit dem Ziel, dass sich der Mensch die Natur unterjoche und sie seinen eigenen Zwecken dienlich mache.36 In Folge wurden die Natur und die Tiere zunehmend nur mehr in ihrem instrumentellen Nutzwert in Bezug auf die menschlichen Bedürfnisse wahrgenommen. Exegeten und Bibelwissenschaftler haben der These widersprochen, durch den Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 ließe sich ein derart zweckbestimmter und ausbeuterischer Umgang mit der Natur rechtfertigen.37 Der eigentliche Sinn des Herrschaftsauftrages liege vielmehr darin, dass Gott die Erde und die Tiere der Fürsorge der Menschen anvertraut habe. Dies soll im Folgenden herausgearbeitet werden.

Der Mensch und das liebe Vieh

Подняться наверх