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1.1 Gottebenbildlichkeit als Repräsentationsfunktion

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Der Mensch wird nach Gen 1,26 als „Bild“ Gottes erschaffen. Mit dem entsprechenden hebräischen Begriff werden in der Regel Stelen oder Abbilder bezeichnet, die die Funktion haben, den Abgebildeten – sei es eine Gottheit, sei es eine Herrscherfigur – zu vergegenwärtigen. Dabei geht es gerade nicht um die äußere Form, sondern um die Funktion, Gott zu repräsentieren. Im Unterschied etwa zu anderen Kulturen wie beispielsweise jener Ägyptens oder Mesopotamiens wird diese Aufgabe nicht nur dem König zuerkannt, sondern jedem Menschen. Allerdings ist der Mensch nicht Gott; er ist nicht göttlich, wie die Ergänzung deutlich macht, dass er zwar nach dem „Bild“ Gottes, aber ihm nur „ähnlich“ geschaffen ist. „Ähnlichkeit“ bedeutet eine enge Zugehörigkeit, etwa im Sinne eines Verwandtschaftsverhältnisses, zugleich wird aber betont, dass zwei ähnliche Realitäten nicht ident sind. Auch darin kann zunächst eine scharfe Abgrenzung zu Vorstellungen herausgelesen werden, die sich in verschiedenen damaligen Kulturkreisen finden, wonach bestimmte Herrscherfiguren als göttlich verehrt worden sind. Dass der Mensch Gott als dessen Bild repräsentiert, liegt in dieser Ähnlichkeit begründet, die ihn zugleich von den Tieren unterscheidet. Beachtenswert ist, dass die Schöpfung des Menschen eingereiht wird in jene der übrigen Landtiere. Sie werden am selben, nämlich am sechsten Tag erschaffen, mit ihnen teilt er den Lebensraum „trockenes Land“, während die Vögel und die Wassertiere, die entweder die Luft oder das Wasser bewohnen – beides kein Lebensraum für die Menschen –, am fünften Tag geschaffen werden. Man kann also sagen, dass sich entsprechend diesem Text die Mensch-Tier-Differenz nicht auf der geschöpflichen Ebene ausmachen lässt, vielmehr ist der Mensch hineingenommen in die Reihe der anderen Landtiere. „Tier und Mensch sind in der Schöpfungsordnung von Gen 1 sehr nah beieinander angesiedelt.“27 Auch der sogenannte zweite Schöpfungsbericht in Gen 2,4b–25 lässt keinen Zweifel daran, wie nah sich Mensch und Tier sind: Beide sind aus dem Ackerboden geformt und teilen sich den Lebensodem sowie die Sterblichkeit. Sie bilden eine Schicksalsgemeinschaft, die Leben und Tod umfasst.28

„Denn das Geschick der Menschenkinder und das Geschick des Viehs – sie haben ja ein und dasselbe Geschick – ist dies: wie diese sterben, so stirbt jenes, und einen Odem haben sie alle. Und einen Vorzug des Menschen vor dem Vieh gibt es nicht, denn alles ist Nichtigkeit. Alles geht an einen Ort. Alles ist aus dem Staub geworden, und alles kehrt zum Staub zurück. Wer kennt den Odem der Menschenkinder, ob er nach oben steigt, und den Odem des Viehs, ob er nach unten zur Erde hinabfährt?“ (Koh 3,19–21)

Und dennoch: Nur vom Menschen heißt es, dass er „nach Gottes Bild, ihm ähnlich“ geschaffen ist. Auffallend ist, dass in Gen 1,26 von Gott im Plural die Rede ist. Dahinter könnte die Vorstellung von göttlichen Wesen stehen, die Gott im himmlischen Rat umgeben.29 Das würde die Annahme bestärken, dass die Ähnlichkeit des Menschen mit Gott in seiner Dialog- und Kommunikationsfähigkeit bestehen würde und in Folge in seiner Vernunftfähigkeit, durch die er von Gott befähigt wird, seinen Ratschluss zu erkennen und ihm entsprechend zu handeln. Im Duktus des Schöpfungsberichtes kann dieser Ratschluss nicht anders gedeutet werden denn als Wille Gottes, für alle Lebewesen – die Tiere und die Menschen (die Pflanzen wurden nach damaligem Verständnis nicht zu den Lebewesen gezählt) – einerseits den Rhythmus von sechs Arbeitstagen und einem Ruhetag als Zeitraum zu befolgen und andererseits die Erde als Lebensraum zu erhalten. Beides, die geregelte Zeitenfolge und der geordnete Lebensraum, dienen der Erhaltung und der Entfaltung des Lebens der Tiere und der Menschen. Es ist bezeichnend, dass im Gebot der Sabbatruhe, dem dritten Gebot des Dekalogs, ausdrücklich die Nutztiere eingeschlossen sind. In Ex 20,10 wird „dein Vieh“ genannt, und in Dtn 5,14 findet sich die Ausweitung auf „dein Rind, dein Esel und dein ganzes Vieh“, das in den Genuss der Sabbatruhe kommen soll.

Unmittelbar nach dem Entschluss Gottes in Gen 1,28, die Menschen „nach seinem Bild, ihm ähnlich“ zu schaffen, wird die Funktion formuliert, die Gott für die Menschen vorgesehen hat: „Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen!“ Diese Aufgabe ist es, die Gott den Menschen – die schließlich als Mann und Frau geschaffen werden – anvertrauen will, und indem sie diesem Auftrag gerecht werden, erweisen sie sich als würdige Repräsentanten Gottes in der Schöpfung bzw. vergegenwärtigen sie ihn wirksam. Jedenfalls kann festgehalten werden: „Die in Gen 1 […] programmatisch formulierte, Mensch und Tier unterscheidende Gottebenbildlichkeit von Mann und Frau ist rein theologisch aus einem Willensakt Gottes, sie ist nicht biologisch begründet.“30

Bevor der Herrschaftsauftrag näher beleuchtet wird, soll noch auf eine weitere bedeutende Eigenheit hingewiesen werden. Bei der Erschaffung der Landtiere wird in Gen 1,24–25 nämlich differenziert zwischen „Vieh“, „kriechenden Tieren“ und „wilden Tieren“. Der mit „Vieh“ übersetzte Begriff meint die domestizierten im Unterschied zu den wilden Tieren, also jenen, die in der Wildnis leben und sich nicht zähmen lassen, und zum kleineren Getier, das auf der Erde kriecht.31 Es ist nun interessant, dass die Funktion, die Gott in V 26 für die Menschen vorsieht, die Wassertiere, die Vögel, das domestizierte Vieh und die Kriechtiere aufgezählt werden, nicht jedoch die wilden Tiere. Im eigentlichen Herrschaftsauftrag in V 28 hingegen fehlt die Unterscheidung von domestiziertem Vieh und den wilden Tieren, denn neben den Fischen und den Vögeln werden zusammenfassend „alle Tiere, die sich auf der Erde regen“, genannt. Was das bedeuten könnte, darauf soll im folgenden Kapitel zurückgekommen werden.

Der Mensch und das liebe Vieh

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