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b) Eine exegetische und bibeltheologische Erschließung von Gen 1,28
ОглавлениеDie in Gen 1,26 formulierte Funktion des Herrschens wird in V 28 aufgegriffen und als Auftrag formuliert. Dabei fällt zunächst ins Auge, dass dieser Auftrag im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Segenswort formuliert wird, das Zuspruch von Leben und Fruchtbarkeit bedeutet. Bereits im V 22 findet sich ein solcher Segensspruch, gerichtet an die Wassertiere und die Vögel, der auch dort verbunden ist mit dem Auftrag, fruchtbar zu sein und die für sie vorgesehenen Lebensräume zu füllen. Im Unterschied zu V 22 allerdings heißt es in V 28 ausdrücklich, dass Gott das Segenswort nicht einfach ausspricht, sondern „zu ihnen“ spricht, womit der dialogische Charakter des folgenden Auftrags deutlich wird. Es geht hier nicht um ein in den Adressaten hineingelegtes natürliches oder instinktives Streben danach, sich fortzupflanzen und sich den Lebensräumen bestmöglich anzupassen bzw. diese den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten, um sie zu bewohnen, sondern um einen Auftrag, der nach einer Antwort verlangt – eben nach Verantwortung.
In dieser Perspektive kann der Herrschaftsauftrag als ein Reflex davon verstanden werden, dass die Menschen über die ihnen eigene Fähigkeit nachdenken, dem Mitmenschen, den Tieren und der Umwelt gegenüber nicht nur instinktiv oder impulsiv, sondern überlegt und verantwortlich zu handeln. Der dialogische Charakter, dass Gott den Segensspruch und den Herrschaftsauftrag „zu ihnen“ spricht, untermauert diese exklusive – also ausschließlich auf die Menschen bezogene – Lesart von Gen 1,28. Demgegenüber werden jedoch auch Argumente stark gemacht für eine sogenannte inklusive Auslegung, der zufolge sich Gen 1,28 auf alle Landtiere beziehen würde.38 Diese Argumentation macht u. a. den parallel gestalteten Aufbau des fünften und sechsten Schöpfungstages geltend, im Besonderen des Prokreations- und Mehrungssegens in V 22 und in der ersten Hälfte von V 28. Richtigerweise stellt sich die Frage, warum der Fruchtbarkeitssegen, der den Fischen und Vögeln zugesprochen wird, den Landtieren vorenthalten sein und sich unter jenen Lebewesen, deren Erschaffung am sechsten Tag genannt wird, allein auf die Menschen beschränken sollte. Der Segensspruch in V 22 bezieht sich auf alle am fünften Tag geschaffenen Tiere, deshalb wäre es nur folgerichtig, V 28 ebenso auf alle am sechsten Tag geschaffenen Lebewesen zu beziehen. Folgt man dieser Lesart, kann der Auftrag, sich die „Erde untertan zu machen“, nur als Nutzungsauftrag verstanden werden, und zwar in dem Sinne, dass alle Tiere wie die Menschen ein Anrecht darauf haben, die Erde zu bewohnen und zu bevölkern. Tiere und Menschen teilen sich die Erde als gemeinsamen Lebensraum. Einer anthropozentrischen Auslegung, wonach die Menschen das Recht hätten, ihren Lebensraum zu erweitern, indem sie jenen der Tiere zurückdrängen, oder die Erde als Lebensraum nur für sich sowie für die eigenen Interessen und Zwecke zu benutzen, wäre damit jede Grundlage entzogen. Im Gegenteil: Die Menschen haben bei jeder Form, wie sie die Erde bewohnen und mit ihr umgehen, zu bedenken, dass sie dabei nicht zugleich das Habitat der Tiere zerstören dürfen. Sie haben vielmehr die Verantwortung, auch den Tieren zu ermöglichen, dass sie das Land bewohnen und dem Fortpflanzungsauftrag nachkommen können. Es wurde weiter oben bereits darauf hingewiesen, dass in der sogenannten Aufgabenbestimmung in V 26 nur die Herrschaft über die Fische, die Vögel und die domestizierten Tiere angesprochen wird, nicht jedoch über die Wildtiere. Die Menschen dürften also die wilden Tiere nicht für sich nutzen, sondern hätten vielmehr die Verantwortung, den Lebensraum, den sie mit ihnen teilen, zu schützen bzw. ihnen den von ihnen benötigten Lebensraum – also ihr Habitat – zuzuerkennen. Das käme für die Menschen freilich einer nicht unbedeutenden Einschränkung gleich, sich die Erde anzueignen bzw. sie zu nutzen. Nachdem aber – immer der inklusiven Lesart folgend – auch den Wildtieren kein Verfügungsrecht über die domestizierten Tiere zuerkannt wird, sondern nur über die Fische, die Vögel und die Kriechtiere, könnte man indirekt das Recht der Menschen herauslesen, ihr Hausvieh bzw. die Nutztiere vor den Angriffen der Wildtiere zu schützen – mehr aber auch nicht39.
Allerdings geht diese inklusive Lesart von V 28 – wie soeben bereits angeklungen ist – davon aus, dass die im Herrschaftsauftrag neben den Fischen und Vögeln genannten Tiere nur die Kriechtiere sind, sodass der Auftrag sich auch an die wilden und domestizierten Tiere richtet.40 Beachtet man hingegen, dass sich die hebräische Formulierung „alle Tiere, die sich auf der Erde regen“, nicht nur auf die Kriechtiere bezieht, sondern auf alle tierischen Lebewesen41, stellt sich die begründete Frage, ob V 28 – speziell der Herrschaftsauftrag – sich nicht doch exklusiv an die Menschen richtet. Dafür könnten einige Gründe sprechen wie z. B. der bereits angedeutet dialogische Charakter, dass Gott „zu ihnen“ spricht. Die Auslegung, dass der Auftrag des Menschen sich auch auf alle Landtiere erstreckt, kann nun folgende Bedeutung haben. Zwischen den Tieren im Wasser und in der Luft auf der einen und jenen auf dem Land auf der anderen Seite gibt es in Bezug auf den Menschen einen wesentlichen Unterschied: Die Wasser- und die Lufttiere machen dem Menschen den Lebensraum nicht streitig, die Landtiere hingegen sehr wohl, denn sie können den Menschen unmittelbar bedrohen. Dem Menschen würde als sowohl das Recht zuerkannt, Haustiere zu halten, als auch sich vor den wilden Tieren zu schützen. Der grundlegenden Intention der oben beschriebenen inklusiven Lesart würde diese Auslegung damit inhaltlich nicht widersprechen, insofern der Herrschaftsauftrag an dieser Stelle inkludiert, die Erde als den gemeinsamen Lebensraum aller Tiere anzusehen, und lediglich die Erlaubnis beinhaltet, das von den Menschen bewohnte und bestellte Land sowie das Nutzvieh vor den Wildtieren zu schützen, nicht jedoch das Anrecht, dass die Menschen die Erde als Lebensraum für sich allein beanspruchen. Auch aus der exklusiven Lesart ergibt sich daher, dass „die Herrschaft über die (wilden) Tiere ein Tötungsrecht keineswegs einschließt. Erst dem nachsintflutlichen Menschen wird das Fleisch zur Nahrung geben (Gen 9,3), und erst daraus erfolgt der Schrecken aller Kreatur vor den Menschen (Gen 9,2; vgl. Sir 17,1–4)“42. Allerdings kann daraus kein generelles Tötungsverbot von Tieren vor der Sintflut abgeleitet werden, denn in Gen 3,21 wird ausdrücklich gesagt, dass Gott Adam und Eva mit Röcken aus Fellen bekleidete, und in Gen 4,4 bringt Abel ein Opfer dar von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett – beides, die Röcke aus Fell wie auch das Tieropfer, bedeutet die Tötung von Tieren.