Читать книгу Der Mensch und das liebe Vieh - Martin M. Lintner - Страница 15
1.Der Mensch – weder Mittel- noch Höhepunkt der Schöpfung Ein verantwortungsethisches Verständnis der Gottebenbildlichkeit
ОглавлениеFür die christliche Umwelt- und Tierethik ist das biblische Verständnis sowohl der Gottebenbildlichkeit des Menschen als auch des Herrschaftsauftrages, denen wir in Gen 1,26–28 begegnen, wichtig. Aus der Gottebenbildlichkeit ergeben sich bedeutsame Implikationen hinsichtlich der Frage, was den Menschen aus der biblischen Sicht vom Tier unterscheidet, aus dem Herrschaftsauftrag hingegen für die Problematik, wie sich der Mensch der Natur und besonders den Tieren gegenüber verhalten soll.
Zunächst eine grundsätzliche Vorbemerkung: Die entsprechenden Verse aus den ersten Kapiteln des Buches Genesis werden im Folgenden nicht als eine Art Bericht gelesen, wie Schöpfung geschehen ist, sondern als der Versuch darüber nachzudenken, was der Mensch um sich herum vorfindet und wie er sich in seiner Beziehung zu sich selbst sowie zu seiner natürlichen Umwelt erfährt. Es geht also nicht um Ursprung und Entstehung der Welt, als vielmehr um die Deutung von zutiefst menschlichen Erfahrungen der Geschöpflichkeit und wie sich der Mensch zur außermenschlichen Natur verhält.26 Die Erzählung von Schöpfung und Paradies stellt in dieser Perspektive vielmehr eine Art an den Anfang projizierte Vision davon dar, wie die Welt sein könnte, wenn es auf ihr kein Leid geben würde. In der Paradieserzählung in Gen 1–3 begegnen wir also einer tief im Menschen angelegten Ahnung, wie die vollkommene bzw. die vollendete, d. h. die von Leid und Übel erlöste Welt ausschauen könnte. Theologisch spricht man deshalb von der eschatologischen Dimension der Schöpfungserzählung, weil es um die letzte Hoffnung auf Heil und Vollkommenheit geht. Dabei ist interessant, dass die biblischen Autoren darüber nachgedacht haben, dass viel des Leids und Übels, dem der Mensch in der Welt begegnet ist, von Menschen zu verantworten ist, denn der Mensch hat die ambivalente Macht, Leben zu töten oder zu schützen, Lebensräume zu zerstören oder zu pflegen. Natürlich fügen auch andere Lebewesen einander Leid zu, etwa Raubtiere, die Beutetiere reißen. Allerdings – und darüber reflektieren die biblischen Autoren eingehend – ist der Mensch als einziges Lebewesen in der Lage, Rechenschaft für das abzulegen, was er tut; also auch dafür, dass er im Unterschied zu den Tieren dem Leben anderer Lebewesen auch dort nachstellt, wo dies nicht nur seinem Überleben dient, sodass seine konkrete Verfügungsmöglichkeit weit über die bloße Nutzung dieser Lebewesen zur eigenen Lebenserhaltung hinausgeht.
Doch nun im Detail zu den beiden Fragen: Was bedeutet die Gottebenbildlichkeit des Menschen und wie ist der Herrschaftsauftrag zu verstehen? Dabei soll die Schöpfung des Menschen im Kontext der Erschaffung der Tiere angeschaut werden, die am fünften (Vögel und Wassertiere) und sechsten Schöpfungstag (Landtiere und Menschen) stattfindet. Im Folgenden wird die Übersetzung der revidierten Elberfelder Bibel (2006) verwendet, die sich durch ihre Nähe zum hebräischen Urtext auszeichnet.
„Vers 20 Und Gott sprach: Es soll das Wasser vom Gewimmel lebender Wesen wimmeln, und Vögel sollen über der Erde fliegen unter der Wölbung des Himmels! 21 Und Gott schuf die großen Seeungeheuer und alle sich regenden lebenden Wesen, von denen das Wasser wimmelt, nach ihrer Art, und alle geflügelten Vögel, nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war. 22 Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt das Wasser in den Meeren, und die Vögel sollen sich vermehren auf der Erde! 23 Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein fünfter Tag. 24 Und Gott sprach: Die Erde bringe lebende Wesen hervor nach ihrer Art: Vieh und kriechende Tiere und wilde Tiere der Erde nach ihrer Art! Und es geschah so. 25 Und Gott machte die wilden Tiere der Erde nach ihrer Art und das Vieh nach seiner Art und alle kriechenden Tiere auf dem Erdboden nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war.
26 Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserm Bild, uns ähnlich! Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen! 27 Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. 28 Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie euch untertan; und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen! 29 Und Gott sprach: Siehe, ich habe euch alles Samen tragende Kraut gegeben, das auf der Fläche der ganzen Erde ist, und jeden Baum, an dem Samen tragende Baumfrucht ist: es soll euch zur Nahrung dienen; 30 aber allen Tieren der Erde und allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf der Erde regt, in dem eine lebende Seele ist, habe ich alles grüne Kraut zur Speise gegeben. Und es geschah so.
31 Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: der sechste Tag.“