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2.4 Das evolutionäre Weltbild und das Problem des Übels

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Die Übernahme des Entwicklungsgedankens stellt Kirche und Theologie vor große intellektuelle Herausforderungen. Die Probleme betreffen vor allem den Bereich des Handelns bzw. Wirkens Gottes in der Welt.97 Um nur einige zu nennen: Welchen Einfluss übt Gott auf die Entwicklung des Lebens aus? Steuert er den Evolutionsprozess? Und falls ja, auf welches Ziel lenkt er die Evolution hin? Welche Rolle spielt dabei der Zufall? Und wie lässt sich eine theologische Sicht des Evolutionsgeschehens mit der naturwissenschaftlichen Perspektive vermitteln?

Im Folgenden wird aus diesem Problemkreis nur eine Fragestellung näher behandelt, die vielen Gläubigen existentiell unter den Nägeln brennt, nämlich das sogenannte Theodizee-Problem.98 Als Frage formuliert, lautet die Problemstellung: Warum gibt es in der Welt, die Christen als Gottes Schöpfung bekennen, so viele Übel? Weshalb lässt Gott zu, dass seine Geschöpfe Schmerzen empfinden und leiden? Im Rahmen eines evolutionären Weltbildes verschärft sich die Problematik: einerseits, weil der Evolutions-prozess selbst Übel verursacht. So erhöht etwa das unerbittliche Gesetz von Fressen und Gefressenwerden den „Leidensdruck“ im Tierreich. Dies wirft die Frage auf, weshalb Gott die Arten nicht anhand einer weniger leidvollen Methode erschaffen hat, „weniger leidvoll im Vergleich zu einer durch Ausrottung mangelhaft angepasster Lebewesen voranschreitenden Evolution“99. Andererseits stellt sich im Blick auf Dauer und Verlauf der Evolution die Frage, weshalb Gott die Organismen nicht unmittelbar erschaffen hat. Warum all die Umwege und Sackgassen, wozu das millionenfache Sterben und Verenden von Individuen und ganzen Arten in der Naturgeschichte? „Wenn Gott die Macht hätte, jede Spezies, einschließlich der menschlichen, ex nihilo zu erschaffen, fragt sich, aus welchen Gründen er die Welt über einen so immens langen Zeitraum hinweg erschaffen hat.“100

Das evolutionäre Paradigma konfrontiert den christlichen Schöpfungsglauben mit zwei Herausforderungen: Weshalb bediente sich Gott bei seinem Schöpfungswerk des Mittels der Evolution? Und warum verhindert Gott die durch die Evolutionsmechanismen hervorgerufenen Übel nicht? Zur Beantwortung beider Fragen ist die Entwicklung einer christlichen Theologie der Evolution unverzichtbar, die in Ansätzen bereits vorliegt.101

Christliche Versuche, Evolution und Schöpfung zusammenzudenken, sind m. E. gut beraten, von einem der Spitzensätze biblischer Theologie ihren Ausgang zu nehmen. Eine solche Fundamentalaussage der Bibel bildet die Bestimmung Gottes als Liebe. Gott ist Liebe (vgl. 1 Joh 4,16b).102 Wenn die Liebe das Sein Gottes ausmacht und bestimmt, und Gott stets seinem Wesen gemäß handelt, dann steht alles, was Gott tut und unterlässt, im Zeichen dieser Liebe. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb die kirchliche Lehrtradition von frühesten Zeiten an die These vertreten hat, dass Gott die Welt aus Liebe erschaffen hat (creatio ex amore).103 Da Gott „in sich und aus sich vollkommen selig und über alles, was außer ihm ist und gedacht werden kann, unaussprechlich erhaben ist“104, hat er in reiner Güte, ohne innere Nötigung noch äußeren Zwang (vgl. DH 3002) die Welt erschaffen. Nachdem Gott aus völlig freiem Entschluss das Nichtgöttliche ins Dasein gerufen hat, kann mit dem alttestamentlichen Buch der Weisheit behauptet werden: Gott liebt alles, was ist, und verabscheut nichts von allem, was er gemacht hat; denn hätte er etwas gehasst, so hätte er es nicht geschaffen (Weish 11,24). Aus der Sicht der Heiligen Schrift ist Gott ein Freund des Lebens (vgl. Weish 11,24–26). Die freundschaftliche Verbundenheit Gottes mit der Schöpfung zeigt sich auch im Schöpfungsziel. Dieses wird traditionell in der Gemeinschaft des Geschaffenen mit seinem Schöpfer erblickt. Da Gott die Geschöpfe liebt und nur das Beste für sie wünscht, möchte er sie an seiner eigenen, unüberbietbaren Fülle teilhaben lassen.

Die Liebe bildet, wie gezeigt, das zentrale Schöpfungsmotiv und -ziel. Echte Liebe zeichnet sich aber durch die Fähigkeit und Bereitschaft aus, „anderes frei zu lassen“105. Gilt dies – (zumindest) in analoger Weise – auch für Gottes Liebe, so darf man mit Medard Kehl annehmen: „Wenn Gott aus Liebe überhaupt eine Welt ins Dasein ruft, wird sie wohl in jedem realistisch denkbaren Fall mit der ganzen Ambivalenz endlicher Eigenständigkeit und Freiheit behaftet sein – sowohl mit der Möglichkeit von Übeln und Leid als auch mit der Wahrscheinlichkeit, dass diese Möglichkeit realisiert wird.“106 Dass das Geschaffene Wege zu beschreiten vermag, „die ihm nicht deterministisch von Gott vorgezeichnet sind“107, darunter auch solche, die nicht gottgewollt sind, ist eine Konsequenz des göttlichen Schöpfungsmotivs.108

Ein nicht strikt von Gott determinierter Evolutionsprozess legt sich auch vom Schöpfungsziel her nahe. Gott möchte der Schöpfung Anteil an sich selbst und seiner Fülle geben. „Das Gesetz der Liebe“, bemerkt Klaus von Stosch zutreffend, „ist die Freiheit. Liebe ist das einzige, das sich per definitionem durch keine Macht und Gewalt des Himmels und der Erde erzwingen lässt.“109 Nur wenn Gott die Geschöpfe in die Eigenständigkeit bzw. Freiheit entlässt, kann er ihre Liebe gewinnen. Weil „der Schöpfer die Schöpfung als Antwort auf sein Wort [will]“110, ist von einem Vorentwurf jener Freiheit, die wir dem Menschen zusprechen, in allem Wirklichen auszugehen. Die Ausprägungen der vormenschlichen Freiheit weisen graduelle Unterschiede auf und werden bisweilen sehr bescheiden ausfallen. Wenn Gott jedoch seinem Wesen treu bleibt und nur mit Mitteln der Liebe versucht, die Liebe seiner Geschöpfe zu gewinnen, „kann es kein Geschöpf dieses Gottes geben, das sein bloßes Objekt wäre“111. Gott achtet und respektiert den Selbststand und das Eigensein der Geschöpfe, sollten diese auch noch so gering sein.112

Im Blick auf die zwei Ausgangsfragen lässt sich zusammenfassend festhalten: Der Evolutionsprozess ist Ausdruck des Selbststandes, den Gott der Natur gewährt. Aus Liebe entließ der Schöpfer die Natur in eine gewisse Eigenständigkeit. Und aus Liebe toleriert Gott die Übel, die durch diese Freisetzung der Natur ermöglicht wurden. Gott ist „insofern verantwortlich für das Leid und die Übel in der Schöpfung, als er mit der Eigenständigkeit und Freiheit der Geschöpfe prinzipiell die Möglichkeit dazu eröffnet hat“113. Die Übel in der Naturgeschichte sind gleichsam der Preis, den Gott für die Gewährung von vormenschlicher Freiheit zu zahlen bereit ist. Ob dieser Preis, den auch unzählbar viele Tiere bis auf den heutigen Tag zahlen, nicht zu hoch ausfällt, wird im letzten Kapitel dieses Buches noch eigens zu bedenken sein.114

Der Mensch und das liebe Vieh

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