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Familienidyll

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Juni 1942

Mit den Bewegungen eines alten Mannes ging Conrad Winterberg zum Volksempfänger. Seit seiner Verwundung im vergangenen Winter hatte er ständig Schmerzen in seiner Schulter. Ein glatter Durchschuss hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. So war er, mit einem der letzten Verwundetentransporte, der Hölle Stalingrad entkommen, wo er als Freiwilliger gekämpft hatte, für Führer und Vaterland. Winterberg war der Überzeugung, die Zukunft Europas würde von Adolf Hitler gestaltet werden. Dem Mann, der jetzt hysterisch aus dem Radio krakelte, der Feind werde zurück ins Meer geworfen und der Endsieg stünde kurz bevor. Conrad Winterberg hatte Zweifel, wollte es aber glauben, dass der Krieg nicht verloren war. Ihn hatte er mit Stahlgeschäften reich gemacht. Für ihn war der Krieg vorbei. Er hatte zu jenen rund 2.000 Schweizer Männern gehört, die freiwillig in der Waffen-SS gedient hatten. Nach dem Verbot des Söldnerdienstes von 1927 hätte sich Conrad Winterberg eigentlich vor einem Militärgericht verantworten müssen. Doch seine Familie war schon damals einflussreich gewesen, und so war er offiziell als Geschäftsmann im Dritten Reich unterwegs, nicht als mordender Scherge an der Ostfront.

Zurück in der Schweiz konnte er sich unbehelligt seinen Geschäften widmen und seiner jungen Familie. Wobei, eine richtige Familie waren sie eigentlich nicht. Conrad Winterberg hatte im Lazarett vom Tod seiner Frau Hildegard erfahren. Als er nach Deutschland gegangen war, hatte er noch nichts von ihrer Schwangerschaft gewusst. Die freudige Nachricht, er sei Vater von gesunden Zwillingen, erreichte ihn an der Ostfront, zusammen mit der traurigen Botschaft, Hildegard sei bei der Geburt gestorben. Unter dem Stakkato der Stalinorgeln hatte Conrad eine Träne um seine Frau geweint. Mehr Zeit blieb nicht. Vielleicht war dies einer der Gründe, weshalb er nach seiner Rückkehr in die Schweiz nie ein inniges Verhältnis zu seinen Söhnen entwickelt hatte. Die Erziehung der Zwillinge Robert und Richard oblag dem Kindermädchen, an dessen Name sich Conrad Winterberg später nicht mehr erinnerte.

Sie hieß Colette und kam aus dem Elsass, aber das sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Für den heutigen Tag hatte sie die Kleinen in Anzüge gesteckt und ihnen die Haare ordentlich gekämmt. Den Hemdkragen des Patrons hatte sie zweimal gebügelt und mit so viel Stärke behandelt, dass er Conrad würgte. Wieder und wieder steckte er den Zeigefinger in den Kragen, zog daran und verschaffte sich so etwas Luft. Eigentlich hätte sich Winterberg lieber um seine Geschäfte gekümmert, anstatt wieder ein paar Stunden in diesem Ohrensessel zu sitzen. Porträtmaler Niklaus Mock hob das angefangene Bild auf die Staffelei. Er prüfte es und arrangierte Winterberg: »Etwas nach links, bitte, nur ein bisschen! Sehr schön.«

Die Zwillinge ließ er am Boden sitzen und mit einem Holzpferd spielen. Sie würde er erst ganz zum Schluss ins Bild einarbeiten. Vielleicht spielend vor dem Salontisch mit der Porzellanvase. Hunderte solcher Familienporträts hatte Mock schon gemalt. Doch hier musste er selbst zugeben, es wäre perfekt gewesen, wenn es auch eine Mutter gegeben hätte. Stilvolle Kleidung, elegantes Ambiente, alles sehr geschmackvoll. Noch bevor der Herbst kommen würde, sollte das Bild fertig sein und Mock hätte für ein paar Monate keine finanziellen Sorgen mehr. Vielleicht ging der Krieg bald zu Ende und es ginge wieder aufwärts. Im Gegensatz zu seinem Kunden glaubte Mock nicht an den Endsieg. Er hoffte auf einen Sieg der Alliierten. Die Nazis waren ihm ein Gräuel, auch wenn sie es waren, die ihm als Porträtmaler in den vergangenen Jahren ein Einkommen garantiert hatten. Mock setzte ein paar feine Striche auf die Leinwand, blickte zu seinen Modellen, ließ ein paar Striche folgen und hätte nie daran gedacht, sein Bild könnte Jahre später bei einem grausamen Verbrechen eine entscheidende Rolle spielen.

Tatort Bodensee: Der Fall Winterbergs

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