Читать книгу Wind Of Change: - Martin Popoff - Страница 12
ОглавлениеKurze Zeit nach Taken By Force nahmen die Scorpions das Doppel-Live-Album Tokyo Tapes in Angriff, das ebenso cool war wie all die anderen gefeierten Klappcover-Alben dieser Ära. Es war tatsächlich die Blütezeit des Live-Albums: So gehörten etwa Blue Öyster Cults Some Enchanted Evening, Strangers In the Night von UFO, Thin Lizzys Live And Dangerous sowie Unleashed In the East von Judas Priest zu den populärsten Alben dieser Bands, und dann gab es selbstverständlich auch noch Live! Bootleg (Aerosmith), On Stage (Rainbow) und The Song Remains The Same (Led Zeppelin).
Das manisch rockende Frontcover gab adäquat die Schlagkraft der enthaltenen Musik wieder, wobei die beiden exklusiven Tracks „All Night Long“, ein flottes, technisch anspruchsvolles Riff-Ungeheuer, und „Suspender Love“, ein sexy-glamouröser Party-Rocker mit einer ausgefuchsten Wendung im Refrain, ein besonderes Geschenk an die Fans darstellten. Allerdings wären die Uriah-Heep-mäßigen Interpretationen der Fifties-Ausschussware „Hound Dog“ und „Long Tall Sally“ (oder, wenn wir schon dabei sind, „Kojo No Tsuki“) nicht wirklich nötig gewesen. Hingegen sind „Speedy’s Coming“ und „Top Of The Bill“ wieder die reinste deutsche Rock-Invasion.
„Es war eine Art finales Statement zum Abschied“, erklärt Uli. „Es war Klaus Meines Idee. Ursprünglich wollte ich die Japan-Tour nicht mehr mitmachen. Aber er überredete mich mitzukommen, es würde unser Ding zum Abschied sein und wir würden ein Album machen. Es sollte das Ende einer Ära sein. Ich bin froh, dass er das tat, weil es eine sehr gute Erfahrung war.“
Im Hinblick auf etwaige zweifelhafte nachträgliche Ergänzungen, vor denen manche Live-Alben nur so strotzen, erklärt Uli: „Nein, da wurde nicht viel gemacht. Na ja, vielleicht ein paar Gesangs-Overdubs. Keine Gitarren-Overdubs. Wir probierten ein paar Dinge mit den Gitarren, weil ich mit irgendetwas nicht zufrieden war, aber ich bekam den Sound nicht hin. Der Sound in der Sun Plaza Hall war fantastisch auf der Bühne, aber im Vergleich dazu schrecklich im Studio. Ich bekam das nicht einmal annähernd hin, also ließ ich das gleich wieder bleiben und wir entschieden uns gegen diese Tracks. Ich war auch gar nicht mehr da, um das Album abzumischen, weil ich das Interesse daran verloren hatte. Ich hatte die Band bereits verlassen und arbeitete schon an Songs für Electric Sun. Rückblickend bereue ich es, dass ich nicht dabei war, um beim Mischen zu helfen. Aber leider unterlief dem japanischen Tontechniker beim Aufnehmen mit dem mobilen Gerät ein schrecklicher Fehler. Er nahm die Tracks mit EQ auf, weshalb es teilweise zu spröde klingt. Zu viel EQ. Das war ein Missgeschick, das sich nicht mehr korrigieren ließ. Sie hätten es direkt aufnehmen sollen. Es ist die gängige Prozedur, alles direkt aufzunehmen, aber aus irgendeinem Grund geschah das nicht. Also war ich wieder einmal nicht glücklich mit dem Sound [lacht]. Ich möchte nicht wie ein ewiger Nörgler wirken, aber das ist die Wahrheit. Irgendwie war ich immer unzufrieden.“
Seine spielerische Leistung und im Besonderen seine Solos kommentiert Uli folgendermaßen: „Bei den meisten Songs versuchten wir, uns nahe am Original zu bewegen – vor allem, wenn es sich um ein komponiertes oder strukturiertes Solo handelte, so wie etwa diese Twin-Leads bei ‚We’ll Burn The Sky‘, ‚In Trance‘, ‚Catch Your Train‘ oder was auch immer. Diese Sachen spielte ich eher Note für Note gleich, weil sich das nicht wirklich zum Jammen eignete. Andere Dinge waren dann eher wieder spontan. „Kojo No Tsuki“ entstand praktisch beim Soundcheck. Klaus kam zu mir mit der Gesangsmelodie, die ihm die Leute vom japanischen Fanclub oder so gegeben hatten. Er sang sie mir a capella vor und ich ergänzte die Akkorde und überlegte mir an Ort und Stelle ein Arrangement. Wir spielten es und das war dann auch schon wieder alles. Das ist es, was du auf dem Album hörst. Wir spielten es an diesem Abend.“
„Was ‚Suspender Love‘ betrifft, weiß ich noch, dass wir die Nummer als B-Seite für eine Single aufgenommen haben, also existiert irgendwo, wenn ich mich nicht irre, auch eine Studioversion davon. ‚All Night Long‘ ist mehr oder weniger ein Jam, den ich während einer Probe runtergerissen hatte. Für mich war das eigentlich gar kein richtiger Song.“ Die Studioversion von „Suspender Love“ war tatsächlich die B-Seite von „He’s A Woman – She’s A Man“, der Flop-Single vom letzten Album.
Für das Live-Album wurden die Konzerte am 24. und 27. April 1978 mitgeschnitten. „Insgesamt spielten wir an drei Abenden in Tokio“, sagt Uli. „Eine Show in Osaka, eine in Nagoya, ein paar weitere Auftritte, einer im Fernsehen, wo wir zu einem Playback spielten. Wir nahmen an zwei Abenden in der Sun Plaza Hall auf. Schade war nur, dass wir am allerersten Abend meiner Meinung nach – und ich sehe das immer noch so – unsere bis dahin beste Show überhaupt abgeliefert hatten, und das war der Abend, an dem wir nicht aufzeichneten. Es war, als ob an diesem Abend alles perfekt gestimmt hätte. Die anderen beiden Shows waren auch gut, aber sie waren nicht ganz so magisch wie diese eine.“
„Als wir im Frühjahr 1978 zum ersten Mal rüberflogen, war es fantastisch, wie die Beatles am Flughafen Tokio willkommen geheißen zu werden“, erinnert sich Herman, dem Montezumas Rache zu schaffen machte, nachdem er bei einer außerplanmäßigen Zwischenlandung in Neu Delhi – die DC-10, mit der die Band flog, hatte mit Triebwerksproblemen zu kämpfen – eine Eiscreme gegessen hatte. „All die Fans, Mädchen, es war unglaublich. Und Mr. Udo, der Konzertveranstalter, hat großen Einfluss in Japan. Er kennt alle Radio- und Fernsehsender dort. Ich glaube, dass keine Band ohne seine Hilfe sehr erfolgreich sein konnte. Er hatte dort so etwas wie ein Monopol. Damals lief alles über Mr. Udo. Ich hielt ihn für einen sehr guten Konzertveranstalter. Außerdem erinnere ich mich daran, dass er uns in eines dieser japanischen Beef-Restaurants mitnahm, wo sie dieses sehr, sehr zarte Rindfleisch servieren, das auch ganz toll schmeckt. Sie erzählten uns, dass sie ihre Kühe massierten. Ich erinnere mich auch noch an unseren ersten Besuch im Badehaus [lacht]. Ich werde niemals vergessen, wie diese Mädchen auf einem saßen und einen mit dem ganzen Körper massierten. Und das Einölen machten sie nicht mit ihren Händen, sondern mit ihrer Muschi. Das war total unwirklich. Also wenn ich an Mr. Udo denke, fällt mir gleich der erste Besuch im Badehaus ein. Diese Massagen … So etwas hatten wir in Deutschland nicht, da gab es nur normale Puffs. Das nennt sich Pouli-Massage, was dort ein anderer Name dafür ist, dass da nicht gevögelt wird. Irreal. Wenn du mich auf Mr. Udo ansprichst, kommt mir als Erstes das in den Sinn. Auch an die Kirschbäume im Frühling in Kyoto kann ich mich erinnern; und an den Schnellzug. Es war ein wunderbarer Aufenthalt. Wir spielten in Locations wie der Sun Plaza Hall, die ungefähr 2.200 Leute fasst. Als wir in einer TV-Show auftraten, weigerte sich Uli, seine Parts bei ‚He’s A Woman – She’s A Man‘ zu spielen, was schon witzig war. Er sagte, dass das nicht sein Stil wäre und er das nicht spielen würde. ‚Was sollen denn meine Fans von mir denken?‘ [lacht] Er sagte, dass es billig wäre. Du weißt schon, auf die Qualität bezogen. Ich finde, dass das ein tolles Solo ist. Später wurde er, wie du weißt, durch Michael Schenker ersetzt. Egal, das sind so meine ersten Erinnerungen. Ich lief noch Wochen später, als wir wieder zu Hause waren, im Kimono herum. Wir waren eine junge Band und es war komplett anders als bei uns in Deutschland. Und plötzlich standen wir auf diesen Super-Bühnen in Japan.“
„Es dauerte Jahre, bis wir in Deutschland groß wurden“, sagte Rarebell 1980. „Weil die Deutschen keine Bands akzeptieren, die aus Deutschland kommen. Klar, der Prophet zählt nun mal nichts im eigenen Land. Wir mussten erst nach Japan, um uns zu beweisen.“ Aber zumindest verstanden die Deutschen die auf Englisch gesungenen Texte der Band. „Weißt du, warum sie Texte so gut verstehen? Ich sag’s dir. Nach dem Krieg blieben die Soldaten, die deutsche Weiber nagelten, einfach hier und die Kids lernten ihre Sprache. Im Rock ’n’ Roll gibt es nur eine Sprache und das ist Englisch. Wir wollen keine Band sein, die nur in Deutschland groß ist. Wir wollen auf der ganzen Welt groß sein. Wenn wir in England auf Deutsch gesungen hätten, hätte uns niemand verstanden. Sie wären zu faul gewesen, die Sprache zu lernen.“
„Früher gab es sehr wohl Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und selbstverständlich auch zwischen den Kontinenten, weil die Leute sich eben anders verhielten“, sagt Rudolf. „In Japan sagte uns der Konzertveranstalter, der Laden wäre ausverkauft. Wir saßen hinter der Bühne in der Garderobe und man hörte keinen Lärm [lacht]. Wir sagten zu Mr. Udo: ‚Du hast gesagt, dass die Show ausverkauft ist!‘ – ‚Ja‘, sagte er darauf, ‚ist sie ja auch!‘ Wir blickten hinter den Vorhang und sahen, dass der Laden voll war. Trotzdem hörte man nichts. Alle saßen nur da und erst als wir die Bühne betraten, änderte sich das.“
Wie bereits erwähnt, war es kein Geheimnis, dass Uli die Band nach der Tour verlassen würde. „Ja, das hatte er bereits gesagt“, erklärt Rarebell. „Ich schloss mich der Band an und versuchte, sie in eine etwas kommerziellere Richtung zu lenken, amerikanischer zu machen, und die Songs mehr aufs amerikanische Hit-Radio zu trimmen, wohingegen er extrem von Hendrix beeinflusst war. Er hielt sich für dessen Reinkarnation, wie Frank Marino aus Kanada, und konnte diese Richtungsänderung nicht mittragen. Er sagte immer zu mir, dass er mehr in die Hendrix-Richtung gehen wollte, also war es klar, dass er früher oder später seine eigene Band gründen oder wir diese Musik spielen würden. Das war der Schritt damals. Ich bin froh, dass wir uns dafür entschieden, als Band und als Team zu arbeiten, weil wir in den Achtzigerjahren sehr erfolgreich wurden. Er war aber auch immer sehr spirituell. Als Monika Dannemann noch am Leben war, stellte er vor den Konzerten zusammen mit ihr Kerzen auf. Sie taten das einfach, um mit ihrer spirituellen Seite in Kontakt zu treten. Er sagte zu mir, dass Hendrix’ Geist in ihn eindringen würde, wenn er performte. Nun kann man so etwas glauben oder auch nicht, aber Uli ist ein exzellenter Hendrix-Gitarrist. So gut wie Frank Marino. Ich sah Frank ein paarmal, und auch er ist eine sehr gute Hendrix-Kopie.“
„Wir sind nicht nur sehr gute Freunde, nein, wir glauben auch noch an dieselben Dinge. Ich finde ihn absolut brillant“, sagt Uli über Frank Marino. „Ich glaube, die meisten Leute wissen nicht einmal, wie brillant er ist. Er spielt heute besser als je zuvor. Aber heutzutage ist das Business für praktisch jeden schwer. Es ist kompliziert, den passenden Rahmen für jemanden zu finden, der so anders und besonders ist wie Frank. Die ganze Industrie ist so durchgenormt und engstirnig. Wenn man nicht nach ihrer Pfeife tanzt, hat man nur sehr geringe Chancen, irgendetwas zu erreichen. Frank ist aber nicht der Typ, der nach irgendjemandes Pfeife tanzt. Er ist immer seinen eigenen Weg gegangen. Das ist es, was ihn zu Frank Marino macht. Die Leute da draußen, im Musikbusiness oder wo auch immer, die sind es, denen echt was entgeht, wenn sie ihm keine Beachtung mehr schenken.“
Es gab definitiv Parallelen zwischen Franks Karriere und jener, die Uli nun einschlagen wollte. „Ja“, lacht Uli, „ich bin auch nie Kompromisse eingegangen. Ich blieb meinem Weg stets treu, auch wenn ich gegen Widerstände ankämpfen musste. Auch bei den Scorpions schwamm ich gegen den Strom. Ich zog immer mein eigenes Ding durch. Auf lange Sicht ergeben sich so Resultate, die sich vom Mainstream abheben. Es ist ganz sicher schwerer, sich über Wasser zu halten, wenn man gegen den Strom schwimmt. Aber es ist nicht unmöglich und ich muss sagen, dass ich immer sehr viel Glück hatte. Also kann ich mich nicht beschweren. Für mich ergibt sich immer etwas.“
„Uli stieg wegen künstlerischer Differenzen bei den Scorpions aus“, umschreibt Francis den Abschied dieses Eckpfeilers der Band. „Er kam nicht länger mit unserem Produzenten Dieter Dierks klar, glaube ich, weil Uli eben einen anderen musikalischen Ansatz verfolgte. Außerdem wollte Uli sein eigenes Ding machen und fühlte sich nicht wohl, wenn er ein paar Songs spielte, die andere Bandmitglieder geschrieben hatten. Wir führten so einige Male lange Diskussionen während der Aufnahmesessions im Studio. Er wollte die Band direkt im Anschluss an Taken By Force verlassen und ich war sehr glücklich darüber, dass es mir gelang, Uli davon zu überzeugen, die Japan-Tour als seine letzte Scorpions-Tour noch mitzumachen. Daraus entstand ja noch das großartige Album Tokyo Tapes. Das war ein sehr gutes Album, dass die Live-Qualitäten der Band demonstrierte. Es machte mich stolz, dass ich darauf sehr gut gespielt hatte, emotional und ohne Fehler.“
Roth über seine Zeit mit der Band: „Meine Zeit bei den Scorpions war in Bezug auf die ganze Musik-Szene, das ganze Business und das Aufnehmen von Alben ein bisschen wie meine Ausbildung. Ich genoss es alles sehr, aber nur die ersten vier Jahre. Im letzten Jahr wurde ich zunehmend unzufriedener. Das lag an der Richtung, in die die Band ging, weil sie sich immer mehr von jener unterschied, in die ich gehen wollte. Die Band hatte ihr eigenes Bezugssystem, das wir im Prinzip selbst etabliert hatten. Ein paar der Dinge, die ich tun wollte, hätten dieses System komplett gesprengt. Als wir zum Beispiel an Taken By Force arbeiteten, schrieb ich bereits an Songs wie ‚Earthquake‘ und ‚Sundown‘. ‚Earthquake‘ hätte ich bei den Scorpions nie spielen können. Also gab es für mich keine Alternative. Mein Ausstieg war ein notwendiger Schritt und wir gingen im Guten auseinander. Und so soll das ja schließlich auch sein.“
Doch widerspricht Uli Francis dahingehend, dass seine Entscheidung irgendwie in Zusammenhang mit Dieter gestanden hätte. „Nein, Dieter produzierte Alben ja nur in dem Sinne, dass er im Studio anwesend war, um sicherzustellen, dass die Dinge seinen Vorstellungen entsprechend aufgenommen wurden. Das Material suchten wir immer selbst aus, zumindest solange ich dabei war, und wir konnten uns meist ganz problemlos auf das Material einigen. Es gab nur ein paar Songs, die ich echt nicht mochte und auf denen ich nicht spielen wollte, es aber letztendlich dennoch tat. Aber im Großen und Ganzen hatten wir bei der Songauswahl kein Problem. Es ergab sich irgendwie ganz natürlich. Wir machten damals einfach, wonach uns war. Gegen Ende hin richteten die anderen ihren Blick mehr auf den kommerziellen Erfolg und dachten darüber nach, was zu tun wäre, um mehr Platten zu verkaufen. Diese Denkweise war mir ein Dorn im Auge, weil ich eigentlich nur daran interessiert war, zu erkunden und auszudrücken, was ich sah oder fühlte. Natürlich war das nicht sehr oft kommerziell brauchbar, vor allem nicht auf kurze Sicht. Denn da geht es eben ausschließlich um Trends. Ich sehe mich selbst aber eher als Trendsetter – so anmaßend das auch klingen mag. Manchmal stolpere ich über Dinge, die später ziemlich angesagt sind, aber wenn das dann mal so weit ist, bin ich schon wieder weitergezogen.
„Es war damals zuallererst einmal seine eigene Entscheidung“, betonte Klaus gegenüber Jeb Wright. „Er wollte seine eigene Musik spielen. Er hatte seine eigene Formel, nach der er Songs schrieb. Es war alles sehr spannend, aber wir bemerkten, dass wir musikalisch auseinanderdrifteten. Wir blieben Freunde und respektierten es, dass er sein eigenes Ding verfolgen wollte. Als Matthias Jabs bei uns einstieg, konnten Rudolf und ich unseren eigenen Weg gehen und tun, was wir tun wollten. Es war der nächste Schritt für uns. Dann kamen Lovedrive, Animal Magnetism, Blackout und Love at First Sting. Mit Uli wären wir auch eine sehr schlagkräftige Band gewesen, aber ich glaube nicht, dass wir die nächsten zehn Jahre überlebt hätten. Wir waren einfach zu verschieden. Mittlerweile sind wir alle viel entspannter. Auch Uli ist relaxter und kann auf diesen Abschnitt seines Lebens und seiner Karriere mit Genuss zurückblicken. Er liebt es, ab und an auch wieder mit uns zu spielen.“
Meine sagt, es falle ihm schwer, etwas über Ulis umfangreiches Solo-Repertoire zu sagen, das in den darauffolgenden Jahren entstehen sollte: „Ich bewundere Uli zwar als genialen Gitarristen, aber ich habe seine Alben nie so genau verfolgt. Das liegt vielleicht daran, dass ich Sänger bin und er Gitarrist. Es ist durchaus etwas Besonderes, aber seine Songs sind in Bezug auf den Gesang nicht sonderlich interessant für mich.“
Die Band verzichtete darauf, Taken By Force mit einer Tour zu promoten. Bevor sie nach Japan aufbrachen, spielten die Scorpions im Dezember ’77 und Januar ’78 nur eine Handvoll Shows in Frankreich und Deutschland. Ohne Tokyo Tapes hätten sie mit komplett leeren Händen dagestanden.
Wenn man sich die Tracklist von Tokyo Tapes ansieht, wird rasch klar, dass die Scorpions sich zu einem Riff-lastigeren und eher an der Rhythmusgitarre orientierten Heavy-Rock-Sound hin bewegten. So war hier etwa auch der einzige reinrassige Heavy-Rock-Song von Fly To The Rainbow, „Speedy’s Coming“, vertreten. Auch die drei härtesten Rock-Songs von In Trance – „Dark Lady“, „Top Of The Bill“ und „Robot Man“ – fanden sich hier wieder (der Titelsong dieses Albums wurde noch um ein paar Powerchords erweitert). Virgin Killer wurde hingegen bei der Auswahl der Songs eher stiefmütterlich behandelt: Sowohl „Catch Your Train“ als auch der gefährlich-delikate Titeltrack fehlten hier. Immerhin wurde uns eine dynamische Version von „Pictured Life“ und die Party-Hymne „Backstage Queen“ geboten. Von Taken By Force wurden mit „Steamrock Fever“ und „He’s A Woman – She’s A Man“ zwei der Nummern ausgewählt, die mitverantwortlich für Ulis Ausstieg waren. Und dann enthielt das Album noch zwei Songs, die zuvor auf keiner LP der Band zu hören gewesen waren. Beide sind ziemlich simpel gestrickter Hardrock (auch wenn für „All Night Long“ Uli Roth gemeinsam mit Klaus Meine verantwortlich zeichnete) mit Lyrics über eine heiße Tussi, die einen in den Wahnsinn treibt.
Der neue Drummer der Band, Herman Rarebell, schien die Songs mit nachdrücklichem Einsatz seiner Bassdrum vorantreiben zu wollen. Die Feinheiten und Texturen der Band mit Uli und diversen Rhythm-Sections mussten Platz machen für einen Sound, der sich mit dem von Ted Nugent, Aerosmith oder KISS messen konnte – ganz zu schweigen von all den britischen Bands, die in die Fußstapfen von Sabbath, Zeppelin, Deep Purple und Heep getreten waren.
„Ich denke, das war mein Einfluss“, bestätigt Herman. „Damals war Uli Roth noch in der Band und es gab zwei unterschiedliche Ausrichtungen. Jene von Uli, die sich stark an Hendrix orientierte, und dann waren da noch die Songs von Rudolf und Klaus, die sehr melodiöser Rock waren. Ich tendierte eher zu ihren Sachen, weil ich selbst ein großer Fan von melodiösem Rock bin. Damals war die Zeit von Foreigner und ‚Cold As Ice‘, einem großen Rocksong. Ich war der Meinung, dass wir, wenn wir nach Amerika und dort groß werden wollten, kommerziellere Song für das amerikanische Hit-Radio schreiben müssten. Das taten wir auch, Songs wie ‚No One Like You‘. Der war speziell für Amerika gedacht. Wir wussten, was die Amerikaner hören wollte, da wir all diese Bands live gesehen hatten, also produzierten wir für diesen Markt. Das war damals unser Ziel.“
„Tokyo Tapes hat seine Höhepunkte“, meint Herman. „Mir gefällt mein Drum-Solo in der Mitte von ‚Top Of The Bill‘ immer noch. Tokyo Tapes besitzt eine aufregende Frische. Man darf nicht vergessen, dass das noch die Anfangstage der Band waren. Diesen Vibe spürt man natürlich. Man fühlt, dass alles noch neu ist – zum ersten Mal in Japan, das erste Mal mit japanischen Groupies. Das war alles neu für uns. Zuvor hatten wir in Deutschland und in Clubs gespielt. Da hat niemand geschrien. Ich erinnere mich noch an einen der ersten Gigs, die wir spielten, in Le Havre, in Nordfrankreich. Damals versprach uns die Plattenfirma nämlich, dass sie, wenn wir einen Gig außerhalb von Deutschland ergattern könnten, dort auch die Platte veröffentlichen würde. Also gingen wir nach Frankreich, bekamen die Möglichkeit, dort aufzutreten, spielten aber nur vor dreißig Leuten. Der erste Song war vorüber, niemand klatschte. Auch nach dem zweiten Song klatschte niemand. Stell dir vor, alles war ruhig! Dann, beim dritten Song – es war 1977, die Zeit von Punk – schrie ein Typ: ‚Hitler, geh nach Hause!‘ Kannst du dir das vorstellen? Eine tolle Atmosphäre. Wenn man nach Japan geht, dann begrüßen dich Hunderte japanische Mädchen am Flughafen. Da fühlst du dich natürlich komplett anders. Ich brauchte in Hannover einen Monat, um wieder von Japan runterzukommen. Die Leute fragten mich immer, warum ich hier in einem Kimono herumlief.“