Читать книгу Wind Of Change: - Martin Popoff - Страница 8
ОглавлениеUlrich „Uli“ Jon Roth, damals 19 Jahre alt, war nicht der einzige Neuankömmling bei den Scorpions, da von der Band, die Lonesome Crow aufgenommen hatte, nur Klaus und Rudolf übrig geblieben waren, die es nach Michaels Ausstieg kurz in Erwägung gezogen hatten, das Handtuch zu werfen. De facto verschmolz die Band mit einer konkurrierenden Gruppe.
„Uli Roth und ich hatten eine vierköpfige Band namens Dawn Road. Jürgen Rosenthal war der Drummer und Achim Kirschning spielte Keyboards“, erklärt Bassist Francis Buchholz. „Eines Tages rief Rudolf von den Scorpions an und bat Uli darum, bei ein paar Shows als Leadgitarrist einzuspringen, weil Michael Schenker die Band verlassen hatte. Kurz darauf zerbrachen die Scorpions und Rudolf besuchte uns in unserem Proberaum. Er brauchte neue Jungs für seine Scorpions, weil alle anderen ihn im Stich gelassen hatten. Wir diskutierten mit ihm darüber, wie man den Scorpions neues Leben einhauchen könnte. Rudolf spielte mit dem Gedanken, den Gesang zu übernehmen. Aber davon kam er schnell wieder ab und überzeugte Klaus von der Idee, sich uns anzuschließen. Also stiegen Rudolf und Klaus eigentlich in unsere Band Dawn Road ein, aber wir nannten uns ab da Scorpions, weil der Name bereits stärker etabliert war.“
„James Jamerson ist eines meiner frühen Idole“, antwortet Buchholz auf die Frage nach seinen Vorbildern am Bass. „Mit seiner Arbeit habe ich mich intensiv auseinandergesetzt. Wenn ich mir einen Basslauf einfallen lassen, habe ich diesen Sixties-Groove im Kopf. Doch der Basslauf, der letztendlich entsteht, hat nichts mit alter Musik zu tun, sondern ist etwas völlig Neues. Ich höre mir viele neue Sachen an und lasse mich hie und da inspirieren. Kurz gesagt, ich habe eigentlich keine Bass-Helden. Am wichtigsten ist mir, dass ein Basslauf perfekt zu einem Song passt. Der Bass sollte den Song unterstützen und ihn – wenn möglich – zu neuen Ufern bringen. Bei uns gab es damals keine Heavy-Bands, weshalb wir uns an der englischen Rockszene orientierten … Die Deutschen waren aber nicht glücklich darüber, dass sie da eine Heavy-Band hatten, die diesen Stil, einen amerikanisch-englischen Stil, in Deutschland spielte und auf Englisch sang. Sie fanden, dass wir besser auf Deutsch singen sollten, aber wir wollten eine internationale Band werden. Deshalb entschieden wir uns für Englisch.“
Francis ergänzt die Geschichte der Band in den frühen Siebzigerjahren: „Nach ihrem ersten Album lösten sich die Scorpions auf und verloren auch ihren Plattenvertrag bei Metronome Records hier in Deutschland. So wurden die ‚neuen‘ Scorpions formiert: Klaus Meine, Uli Roth, Rudolf Schenker, Jürgen Rosenthal und Francis Buchholz. Ein Konzertveranstalter aus Hannover, der uns damals betreute, war in der Lage, bei RCA Records [heute Sony BMG] Interesse an uns zu wecken. Wir hatten Glück und unterschrieben schließlich für fünf Alben. Unser erstes Album bei RCA, Fly To The Rainbow, entstand im Musicland Studio in München. Betreut wurden wir von einem Studiotechniker namens [Reinhold] Mack, der später auch mit Queen dort arbeitete. Ich erinnere mich noch an seinen Mercedes SL, Baujahr 1970. Wir nahmen alles mit sehr gutem Sound und in relativ kurzer Zeit auf. Schlagzeug spielte Jürgen Rosenthal und Keyboards Achim Kirschning, die beide von unserer vorherigen Band Dawn Road stammten. Achim war aber kein festes Bandmitglied; er wollte Lehrer werden. Und bald nach den Aufnahmen verließ Jürgen die Band, da er zum Wehrdienst eingezogen wurde.“
„Ich war noch kein ganzes Jahr bei der Band“, bestätigt Uli die Vorgeschichte seines ersten Albums. „Die ursprünglichen Scorpions hatten sich aufgelöst. Dann herrschte erst einmal Ebbe. Die Gruppe lag irgendwie auf Eis. Ich hatte eine Band namens Dawn Road, bei der wir zu viert waren: Francis Buchholz, Jürgen Rosenthal, ein Keyboarder und ich selbst. Wir taten uns schließlich mit Rudolf zusammen. Dann kam auch noch Klaus zurück, und da die Scorpions einen Plattenvertrag hatten und in Deutschland halbwegs bekannt waren, nannten wir die Band eben Scorpions. Von da an ging’s weiter. Damals hatte ich als Songschreiber noch sehr wenig Erfahrung. Ich hatte zwar schon ein paar Sachen für Dawn Road geschrieben, aber bei den Scorpions fing ich richtig damit an. Der erste Song, den ich schrieb, hieß ‚Drifting Sun‘. Allerdings hatten ein paar der Songs auf dem Album schon so halb existiert, sagen wir mal. Rudolf hatte schon ein paar Akkordwechsel und ein paar Melodien und die arbeiteten wir dann zusammen aus.“
Fly To The Rainbow erschien am 1. November 1974 und hatte den klaren Krautrock-Einschlag beibehalten, auch wenn die Elemente von Hardrock und Proto-Heavy-Metal dieses Mal stärker zur Geltung kamen. Das Artwork war auf fast schon sinnbefreite Weise surrealistisch. Es war jedenfalls um Längen greller als die Illustration auf dem ersten Album, die eine Hand zeigte, die von einem Skorpion bedroht wurde. Die Rückseite des Covers legte außerdem einen letalen Ausgang dieser Konfrontation nahe, während sich eine Krähe auf dem ausgestreckten Arm des Opfers niedergelassen hatte.
Auf das Cover von Fly To The Rainbow angesprochen, das eine auf zwei Flugzeugen balancierende Gestalt zeigt, muss Uli lachen. „Persönlich gefällt mir das Cover überhaupt nicht. Ich versuchte alle davon zu überzeugen, es nicht zu nehmen. Ich mochte es einfach nicht. Die Band hatte damit nichts zu tun. Ein Studio in Hamburg war dafür verantwortlich. Sie bekamen das Album und den Auftrag, und dieser Coverentwurf fiel ihnen dann dazu ein. Ich sagte: ‚Rudolf, guck dir das an, das können wir doch nicht als Albumcover nehmen. Ich finde es lächerlich.‘ Er antwortete darauf: ‚Nun, der Typ hat tolle Arbeit beim ersten Album geleistet.‘ Damit meinte er Lonesome Crow. Da stimme ich ihm zu. Auch mir gefiel das Cover von Lonesome Crow. Er sagte: ‚Anscheinend ist es das, was er fühlt, wenn er das Album hört.‘ Für mich passte es einfach nicht mit dem Album zusammen. Ich erinnere mich noch daran, dass unser damaliger Drummer, Jürgen Rosenthal, gerne malte, mit Ölfarben. Er malte ein Albumcover für Fly To The Rainbow, das ich damals vorgezogen hätte, aber letztendlich fiel die Wahl auf jenes Cover, das jeder kennt.“
„Die Scorpions waren niemals Krautrock“, schwört Uli im Gespräch mit Sam Dunn. „Das Einzige, was wir mit Krautock gemein hatten, war, dass wir bei denselben Festivals wie die Krautrock-Gruppen und die deutschen Progressive-Bands auftraten. Mir war die Bezeichnung ohnehin immer schon ein wenig suspekt. Damals waren aber die meisten deutschen Band recht progressiv, weißt du? Da gab es zum Beispiel Eloy, Guru Guru, solche Leute eben, und das waren auch die Gruppen, mit denen wir auf Festivals spielten. Wir waren aber die Außenseiter. Wir klangen viel Englischer und ich denke, dass die Band eher international angehaucht war. Aber wie gesagt, mit Krautrock hatten wir nichts gemein. Wir machten echt was anderes. Außerdem war unser Zeug höchst melodisch. Eine sehr melodische Rockband – und zwar in Bezug sowohl auf den Gesang als auch auf die beiden Gitarren – war etwas Ungewöhnliches. Es gab da vielleicht eine Handvoll Bands … In England gab es etwa Wishbone Ash. Sie hatten auch zwei Gitarren und waren melodiös. Aber ich denke, dass die Scorpions noch etwas melodiöser als andere Gruppen waren, und das war ein wichtiger Erfolgsfaktor.“
„Ich muss aber sagen, dass wir nicht darüber nachdachten, ob das etwas Neues war, was wir da machten“, fährt Uli fort. „Rückblickend habe ich vermutlich schon begriffen, dass es neu war. Es war wie eine Art Variation von Dingen, die ich zuvor schon gemacht hatte, aber es war eine sehr interessante Kombination, ein ungewöhnlicher Sound. Wir waren eine vereinnahmende Gruppe von Individuen, die auf und abseits der Bühne gut als Team funktionierten. Wir machten, während ich bei der Band war, fünf Alben zusammen. Jedes von ihnen war ein Teil der Reise. Wir erkundeten die Musik und wurden ständig besser. Wir standen als deutsche Band ziemlich allein da, das ist wahr. Allerdings entsprach das nicht wirklich unserer eigenen Sichtweise. Wir taten einfach das, was wir tun wollten – und wir wollten neue Musik machen, weißt du? Schon bald begannen wir, im Ausland aufzutreten, und spielten in Frankreich, Belgien und dann auch in England. Jedes Jahr. Also, ja, wir waren eine deutsche Band und vermutlich klangen wir bis zu einem gewissen Grad auch so, aber wir waren stark von den britischen und amerikanischen Bands dieser Zeit beeinflusst.“
In Bezug auf Hardrock tat sich damals denkbar wenig in Deutschland, was Uli zu der Feststellung brachte, die Scorpions hätten „ziemlich allein“ dagestanden. „Es war alles ganz anders. Als wir anfingen, so um 1973, waren Bands wie etwa Emerson, Lake and Palmer angesagt. Solche Gruppen eben. Yes legten gerade richtig los. Wir in Deutschland waren, glaube ich, damals schon eine Art Anachronismus. Ich stand auf Hendrix und lernte viel von ihm, aber damals war Hendrix, na ja, er war erst drei Jahre tot, aber er war ein wenig aus der Mode gekommen. Wir waren schon ein sehr eklektischer Haufen und spielten Stilrichtungen, die manche Leute in Deutschland überhaupt nicht verstanden. Aber sobald wir anfingen, im Ausland aufzutreten, und die Band immer besser wurde bei dem, was sie tat, begannen wir, den Festivals unseren Stempel aufzudrücken. Dann wurde es anders. Es wurde nun auch in Deutschland mehr respektiert. Das war so um 1975 herum.“
Also ist es nicht schwer, sich Fly To The Rainbow als Album, das zwischen zwei Welten existiert, vorzustellen, das sich etwas mehr in Richtung Hardrock neigte, was zum Großteil daran lag, dass der neue Leadgitarrist der Gruppe über keinerlei Krautrock-Einflüsse verfügte.
„Überhaupt nicht, nein“, antwortet Uli auf die Frage, inwiefern Krautrock in seinem Repertoire eine Rolle spielt. „Ich weiß nicht, ob das etwas Gutes oder Schlechtes ist, aber ich war sehr zielstrebig und neigte dazu, vieles zu übersehen. Ich glaube, dass ich heute offener bin, aber damals begeisterte ich mich für Hendrix, Cream und etwas später auch ein wenig für Led Zeppelin. Das waren meine Haupteinflüsse, mit denen ich damals anfing. Was auch immer für eine Rock-Szene damals in Deutschland existiert haben mochte, ich bekam sie nicht mit. Das ging komplett an mir vorüber. Und als wir später bei den Festivals auftraten, gab es keine einzige deutsche Band, die mir etwas gegeben hätte. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass es zu der Zeit keine gitarrenlastigen Bands gab. Eher waren da welche, die so episches Zeug schrieben. Da gab es Bands wie Eloy, aber ich interessierte mich mehr für Gruppen, bei denen die Gitarristen im Vordergrund standen – und in Deutschland waren wir die absolut einzigen, von denen man das sagen konnte. Zumindest soweit ich weiß.“
Leslie West und Mountain zählten ebenso zu Ulis frühen Einflüssen. „Sein Beitrag ist enorm, weil er zu den ursprünglichen Gründungsvätern gehört. Er spielte zur Zeit von Hendrix. Auch zu jener von Cream. Er schrieb bereits in Woodstock Musikgeschichte und tat Dinge, die damals niemand sonst machte. Er hatte einen sehr vollen Gitarrenklang, die Songs strotzen nur so vor Powerchords. Sie waren melodisch und er prägte einen gewissen Sound, der andere inspirierte, und man hört überall – links, rechts, oben und unten – Leslie Wests Einfluss auf die heutige Musik. Manche Leute wissen das wahrscheinlich gar nicht, weil sie eher nicht dazu tendieren, tiefer zu graben, aber ich kann es hören und ich weiß, dass er da ist.“
„Ich stand immer schon auf Deep Purple“, verriet mir Uli während einer ausführlichen Unterhaltung, in der er mir auch von der Bewunderung erzählte, die er seinem Freund Steve Morse, dem derzeitigen Gitarrist der Band, entgegenbringt. „Ich sah sie ’72 live und fand sie großartig, vor allem Ritchie und Ian Gillan. Es war absolut einzigartig und immer sehr musikalisch. Ritchie war der totale Trendsetter. Sein Zugang zur Gitarre war absolut einmalig, als er damals am Beginn seiner Karriere stand, und ist es immer noch. Es gibt nur sehr wenige Leute im Musikbusiness, die in der Lage waren, drei ganz unterschiedliche Dinge zu machen und dafür zu sorgen, das sie alle funktionierten – du weißt schon, so wie er mit Deep Purple, Rainbow und Blackmore’s Night. Seine musikalische Begabung ist einmalig und er hat auch ein sehr ausgeprägtes Gespür dafür, was bei den Leuten ankommt. Ich könnte nie so einen Riff wie ‚Smoke On The Water‘ schreiben. Manche Leute lachten vielleicht darüber, weil die Nummer in jedem Musikgeschäft zu hören war. Aber weißt du, das ist auch eine Leistung. Es ist eine Gabe. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass Ritchie als Gitarrist ganz besonders klang. Und er scheute auch nie davor zurück, bis an den Abgrund vorzudringen – in seinem Spiel lag immer eine gewisse Gefahr. Das ist es, was mir gefällt. Ich mag Gitarristen, die etwas Unerwartetes tun. Sie lassen sich auf Risiken ein, lassen gefahrvolle Momente zu und vermeiden Selbstverliebtheit. Sehr oft ziehe ich diese Gitarristen jenen vor, die ganz glatt und vielleicht super-raffiniert spielen, bei denen jede Note perfekt sitzt. Ich glaube, dass mich der kreative Aspekt einfach mehr anspricht – und bei Ritchie bekommt man das immer geboten.
„Ich sah Deep Purple aber nur einmal live – das war 1972“, fügte er hinzu, „und es war großartig. Aber natürlich sah ich gelegentlich mal ein Live-Video von ihnen, etwa beim California Jam oder so. Mit Ritchie klangen sie immer frisch. Auch wenn sie zum x-ten mal denselben Song spielten. Sie scheuten im Gegensatz zu den meisten Bands nicht davor zurück, auf der Bühne zu improvisieren. Purple spielten nie gleich. An Ritchie mochte ich außerdem, dass er, wann immer ich ihn live sah, einen tollen Klang hatte. Er hatte seinen eigenen Sound und das spricht mich an. Ich respektiere Gitarristen, die einen einzigartigen Klang haben – und ein gutes Gehör für den Sound. Er opferte die Spielbarkeit des Instruments für seinen großartigen Klang. Es ist nämlich nicht leicht, diese Sounds mit einer fast cleanen Gitarre zu spielen, so wie er das tat.“
„Was lässt sich über Ian Gillan sagen?“, überlegte Uli. „Ian war von Anfang an fantastisch, schon als er in Jesus Christ Superstar auftrat. Weiß du, das war echt prägendes Zeug. Ich würde sagen, dass, wenn irgendwer den sogenannten ‚Rock-Sound‘ kreiert hat, den Tausende von Sängern kopiert haben, dann war das Ian. Zuvor hatten wir vielleicht noch Robert Plant bei Led Zeppelin, aber Robert war ein bisschen mehr am Blues orientiert, da er aus diesem Bereich kam. Aber Ian verlieh dem Rock diese unglaubliche Belcanto-Schärfe. Fast wie ein Opernsänger, doch ohne die für die Oper typischen Sounds. Aber ebenso wirksam. Das ist so schwer für die meisten Leute und ich glaube, dass er eigenständig dieses ganze Genre begründet hat. Das ist meine persönliche Meinung dazu. Oder zumindest war er der Erste, der das wirklich auf die Reihe bekam, mit ‚Child In Time‘ und alldem.“
„Anfangs waren wir noch Teil einer großen Szene“, sagt Rudolf. Er sucht nach Worten, um zu erklären, wo in der deutschen Rocklandschaft die Scorpions ihren Platz hatten. „Aber wir waren nur eine ganz kleine Nummer. Als wir zu Beginn in Deutschland auftraten, fiel uns auf, dass unsere Art, wie wir unsere Musik spielten, anders war als der Rest der deutschen Szene, die sich Krautrock nannte. Wir sahen uns vom Feeling her mehr auf einer Linie mit amerikanischer und englischer Musik – Yardbirds, Led Zeppelin und all das. In Richtung Sabbath und so. Wir begaben uns dann ins Ausland, etwa nach Frankreich und Belgien und so, und wir begriffen, dass es ein wenig ein anderer Stil als bei den Amerikanern und Engländern war, weil wir Deutsche waren. Es war natürlich amerikanische und englische Musik, aber vielleicht auch ein wenig von klassischer Musik inspiriert. Vielleicht wussten wir das nicht einmal. Aber später, wenn ich Interviews gab, hieß es: ‚Wisst ihr, Jungs, ihr seid schon eher von klassischer Musik beeinflusst.‘ Wir wussten das nicht, weil wir nie auf klassische Musik abfuhren. Ich glaube, dass wir anders waren, weil wir aus Deutschland kamen und auf uns aufmerksam machen mussten, denn niemand hätte gedacht, dass aus Deutschland auch Rockmusik und Heavy-Metal kommen kann. Also beschritten wir andere Wege als die amerikanischen und englischen Bands, und so begannen wir unsere eigene Persönlichkeit zu formen.“
„Krautrock war ja eigentlich eine Art experimenteller Rock“, fährt Schenker fort. „Es ging darum, einen anderen Weg zu finden, Musik zu machen, ohne dabei englische oder amerikanische Musik zu kopieren, eine eigene Herangehensweise zu entwickeln – und das war natürlich nicht kommerziell. Aber irgendwie war dieser Trend mit Amon Düül, Guru Guru, Kraftwerk so anders, dass die Sache einen eigenen Markennamen erhielt, nämlich Krautrock. Die Engländer dachten ja ohnehin, sie hätten die Rockmusik erfunden. Also konnten sie erst mal nicht anders und lachten darüber. Aber gleichzeitig gab es auch Leute in England und der ganzen Welt, die sich dachten, dass das doch mal etwas anderes wäre. Sie wollten sehen sich mal ansehen, was das genau war. Aber diese ganze Denkweise entsprach nicht unserer Vorstellung von einer Rockband. Wir wollten ganz geradlinige Rockmusik machen.“
„Uli war stark von Jimi Hendrix beeinflusst“, bestätigt Klaus. „Das ist er immer noch! Absolut! Ich wusste gar nicht, wie nahe Uli an Jimi heranreichte, bis ich ein paar Jahre später ein Video von Jimi sah und sagte: ‚Oh, das ist ja wie Uli!‘ [lacht]. Es war unglaublich! Aber Uli ist ja auch ein unglaublicher, außergewöhnlicher Gitarrist. Das steht ganz außer Frage. In diesen Jahren mit Uli waren wir sehr stark, aber es waren andere Scorpions, die viele Fans ‚Scorpions Edition One‘ nennen.“
Die Eröffnungssalve von Fly To The Rainbow mit dem Titel „Speedy’s Coming“ war ein gutes Beispiel für diesen neuen Ansatz, den Uli mitprägte: kompromisslos und direkt, eine echte Breitseite. Tatsächlich repräsentierte diese kurze, frenetische Nummer den ersten Schritt der Band in ein aufkeimendes Genre, in dem die Band in den Jahren darauf noch manchen Treffer landen sollte. Es war auch nicht überraschend, dass der Song als Single (mit „They Need A Million“ auf der B-Seite) ausgekoppelt wurde. Der Track war aber zugleich der einzige Vorstoß in den Bereich Heavy-Rock, den das Album zu bieten hatte. Rudolf erweist sich als Meister der Rhythmusgitarre mit einer Spielweise, wie sie zur Grundlage eines Dutzends Smash-Singles werden sollte. Im Kontrast zu ihm lässt Uli ein aggressives Gitarrensolo nach dem anderen hören, die – unter vehementem Einsatz des Vibratoarms – dynamischer daherkamen als alles, was wir von Michael gekannt hatten.
Von da an ging es auf dem Album mit ziemlich germanisch anmutendem Prog-Rock weiter, etwa mit „They Need A Million“, das sich durch eine spanisch angehauchte Melodie auszeichnete, die so etwas wie die Blaupause für den viel metallischeren Song „Steamrock Fever“ war, der drei Platten später das Licht der Welt erblicken sollte.
Darauf folgte wiederum ein recht harter Track mit dem Titel „Drifting Sun“, für den Uli allein verantwortlich zeichnete. Die fallende Riff-Struktur orientiert sich stark an Hendrix und Cream und Uli steuerte zum ersten Mal während seiner Zeit bei der Band auch den Leadgesang zu einem Song bei, was er im Verlauf der vier Studioalben, die er mit der Band aufnehmen würde, noch ein paarmal wiederholen sollte. Was den Song so heavy erscheinen lasst und gleichzeitig schon fast ein wenig ablenkt, ist die polternde Performance von Rosenthal, die von Roth selbst mit omnipräsenten, jaulenden Lead-Parts akzentuiert wird.
Hinterher ist man natürlich immer schlauer, aber eine solch viszerale Schlagzeug-Aufnahme … Man könnte sie mit dem Zutun von Studiotechniker Mack erklären, der sich seine Erwähnung als Tontechniker mit Horst Andritschke teilte, während die Scorpions selbst als Produzenten des Albums angeführt wurden.
„Das war der berühmte Mack, nur damals war er noch gar nicht so berühmt“, lacht Roth. „Seinen Vornamen erfuhren wir gar nicht. Er wollte nicht, dass wir den herauskriegten [lacht]. Das war schon witzig. Wir hatten zwar einen Produzenten für das Album, aber das funktionierte nicht wirklich. Die Plattenfirma war nicht glücklich darüber. Schlussendlich bekamen wir selbst den Credit für die Produktion.“
Als er bezüglich des Aufnahmeprozesses ein wenig ins Detail geht, ergänzt Uli: „Musicland war, glaube ich, ein sehr etabliertes Aufnahmestudio zu jener Zeit. Es waren ja gerade die Stones dagewesen, bevor wir dort arbeiteten. Daran erinnere ich mich noch. Aber für mich waren die Sessions zu Fly To The Rainbow das erste Mal im Studio. Deshalb hatte ich keine Anhaltspunkte. Ich kam da als kompletter Neuling hin. Und für mich fühlte es sich klaustrophobisch an. Es war richtig winzig. Der Sound war schrecklich dort. Es war wie eines dieser Studios heutzutage, die altmodisch und komplett ‚tot‘ sind. Sie dämpfen alles, bis gar keine Resonanz mehr da ist. Genau so war es dort, und ich war überhaupt nicht glücklich mit dem Gitarren-Sound. Aber Mack sagte: ‚Das ist der beste Gitarren-Sound in Deutschland.‘ Deswegen fühlte ich mich auch nicht besser, aber mir fehlten die Maßstäbe. Doch tief drinnen wusste ich, dass es nicht das war, wonach ich suchte. Ich wollte, dass die Gitarre so klang wie auf der Bühne, viel natürlicher, mit natürlicher Atmosphäre. Der große Marshall-Sound ist wie ein wilder Hengst. Wie ein Formel-eins-Rennwagen oder ein Flugzeug. Das kann man nicht in eine kleine Box sperren. Das funktioniert so einfach nicht. Das war aber genau das, was die damals taten. Klar, ich fand das Album schon gut, aber andererseits stellten mich diese Dinge auch nicht zufrieden.“
Was die Sache mit der „Eigenproduktion“ anging: „Eigentlich hätten wir ja einen Produzenten gehabt. Er war ein Gründungsmitglied, ja, der Gründer von Eloy, Frank Bornemann. Aber aus irgendeinem Grund … Er war da, als wir aufnahmen, aber aus irgendeinem Grund ging es nicht gemeinsam weiter. Wir produzierten mehr oder weniger selbst. Es herrschte einfach nicht die richtige Chemie zwischen uns, denke ich mal. Deshalb wurden wir als Produzenten angeführt. Das Album musste auch noch einmal gemixt werden wegen der Plattenfirma. Damals fehlte uns einfach noch die Erfahrung. Wir wussten nicht, dass wir dem Studiotechniker genau sagen konnten, was er zu tun hatte. Zum Beispiel mischte der Typ den Gesang zu leise. Ich wusste das auch, aber er hatte eben andere Präferenzen. Die Plattenfirma, damals war das RCA, lehnte deshalb die Aufnahmen ab. Daraufhin gingen Rudolf und ich in ein anderes Studio, das in Norddeutschland lag, um im Verlauf von ein paar Nächten alles zu ändern, indem wir die Gesangspassagen neu abmischten. Und so entstand das fertige Produkt.“
Den Abschluss der ersten Seite der originalen Vinyl-Pressung bildete die erste der berüchtigten „Power-Balladen“ der Band. „Fly People Fly“ orientierte sich an der Formel „langsam, leise und dramatisch“ in der Strophe und „hymnisch und heavy“ im Refrain. Der Song stammte zum Teil – wie noch zwei weitere Songs auf dem Album – aus der Feder des ehemaligen Gitarristen Michael Schenker.
„Er hatte an ein paar der Songs mitgeschrieben“, erklärt Uli. „Als Michael bei UFO einstieg, löste sich die Band auf. Es gab keine Scorpions mehr. Rudolf und Klaus und Dawn Road – gemeinsam formierten wir eine neue Band, die neuen Scorpions. Aber es gab bereits ein paar Songs, etwa ‚Far Away‘. Wir benutzten sie als Grundlage für das Album. Ich hatte ja gerade erst angefangen, Songs zu schreiben, und es war gutes Material, das wir nicht wegwerfen wollten. Deshalb ist er auch als Songwriter angeführt.“ Uli bestätigt außerdem, dass es sich bei diesen Songs nicht um Überbleibsel vom letzten Album handelte. „Nein, nein, die entstanden nachher.“
Auf Seite zwei offeriert die Band mit This Is My Song kecken wie kräftigen Pop-Rock. Dies gelingt, indem die Prog-Neigung der Gruppe in eine prägnante und druckvolle Struktur umgeleitet wird. Abgerundet wird das Ganze noch durch einen denkwürdigen Doppel-Lead-Riff, das auf witzige Weise noch eher an Maiden als an Thin Lizzy denken lässt. Es existieren professionell gedrehte Filmaufnahmen, auf denen die Band durch ebendiese Nummer pflügt und dabei sowohl klanglich als auch optisch an Uriah Heep auf Steroiden denken lässt.
„Far Away“ bietet noch mehr akzeptablen Hardrock, obwohl die Powerchords, die hier zum Einsatz kommen, eher an etwas ältere Sachen wie etwa Hendrix, Cream, Humble Pie und sogar BTO erinnern, was im Kontrast zu den späteren Platten mit Uli steht. Textlich bildet sich ein roter Faden heraus, der im Grunde genommen bis zum Debütalbum zurückreicht – es geht ums Fliegen, die Fantasie, das Alleinsein, die Einsamkeit und das Schenken von Liebe.
Das Album schließt wie schon sein Vorgänger mit einem langen, aufwendigen Song ab, der gleichzeitig auch als Titeltrack fungiert. „Fly To The Rainbow“ vermengt massenhaft Prog-Anleihen mit ein wenig Folk, wobei erneut traurig anmutende doppelte Gitarren-Leads, wie wir sie von Maiden kennen, für besondere Stimmung sorgen. Interessant ist auch, dass hier sowohl Uli Jon Roth als auch Michael Schenker, die nie gemeinsam an Songs schrieben, beide mit einem Songwriting-Credit bedacht werden. Es ist erst das zweite Mal auf dem Album, dass Uli als Songwriter in Erscheinung tritt, nachdem er „Drifting Sun“ alleine beigesteuert hat.
Ein paar interessante Fakten: Uli Jon Roths erste Show mit der Band fand am 29. Juni 1973, nur fünf Monate nach der Veröffentlichung von Lonesome Crow, in einem deutschen Club statt. Die Scorpions nahmen im April ’74 Fly To The Rainbow auf. Schlagzeuger Jürgen Rosenthal verließ die Gruppe wenig später und spielte seine letzte Show am 30. Juni 1974, also ganze fünf Monate vor dem Erscheinen des Albums, auf dem er noch getrommelt hatte.
Der schon etwas umfangreichere Tour-Fahrplan führte die Band im Anschluss an das Erscheinen von Fly To The Rainbow an der Seite von Acts wie Edgar Broughton und Dr. Hook erneut vorrangig durch Deutschland. Doch die Reaktion auf das Album blieb in der westlichen Hemisphäre hinter den Erwartungen zurück. In erster Linie wurde Fly To The Rainbow aufgrund des überaus absurden Plattencovers als Krautrock-Album gesehen, das irgendwie in den Genuss eines weitreichenden Vertriebs gekommen war und nun auch in der Musikabteilung eines Drugstores in der amerikanischen Provinz auftauchte. Was die Musik selbst betraf, so untermauerte das Album die allgemein vorherrschende Meinung, dass viele dieser Bands, so progressiv sie auch waren, doch auch ziemlich auf Hardrock abfuhren und sich gerne bei dessen Grundlagen, wie sie Deep Purple und Uriah Heep bei ihren Deutschland-Besuchen präsentiert hatten, bedienten. Dennoch sollte es noch bis zur nächsten, um einiges stärker fokussierten Platte dauern, bis die Band ihren Durchbruch schaffte und der westlichen Welt demonstrierte, „warum Skorpione zustechen müssen“, um es in der plakativen Ausdrucksweise dieser Band zu formulieren, die alles daran setzte, sich mitzuteilen.