Читать книгу Wind Of Change: - Martin Popoff - Страница 6
ОглавлениеNicht viele Bands können von sich behaupten, ein Dutzend Jahre lang hart für ihren Erfolg gearbeitet zu haben, bevor er sich schlussendlich doch noch einstellte. Doch genau dies können sich Rudolf Schenker und Klaus Meine auf die Fahnen schreiben. Es dauerte eigentlich sogar noch länger, wenn man die ersten paar magischen Jahre hinzurechnet, die von ihrer Begeisterung für den ursprünglichen Rock ’n’ Roll und die Beatles geprägt waren, und dann auch noch die Zeit ihres Aufstiegs bis zur absoluten Spitze, die sie mit Blackout erreichten (falls das auch eurer Einschätzung entspricht).
Na klar, bei vielen klassischen Karrieren der Siebzigerjahre (Rush und Judas Priest etwa) sieht es so aus, als wären diese Bands, die zwischen 1975 und 1979 so phänomenale Platten abgeliefert haben, bereits etablierte Rockstars gewesen. Hinsichtlich ihrer Kreativität waren sie sicher auch schon ganz oben, zumindest in den Augen eines scharfsinnigen Metalheads ab einem gewissem Alter. Doch wurde im Laufe der Jahre auch offensichtlich, dass Bands wie Scorpions, Rush und Priest sehr zu kämpfen hatten, während sie gleichzeitig ihre besten Platten für Major-Labels einspielten. Ich erwähne das nur, um die Voraussetzungen zu erklären und um klarzustellen, dass die Scorpions sich definitiv abrackern mussten und dafür größten Respekt verdient haben. Der Lohn all ihrer Mühen war hart erkämpft und die Fähigkeiten der Band wurden über all die Jahre hinweg durch ihre enthusiastische Hingabe vom Rohzustand bis zur Perfektion geschliffen.
Wo fing nun alles an? Nun, zuerst war da Rudolf Schenker, dem sich schon sehr bald Klaus Meine anschloss. Sie beide bilden bis heute den Kern der Gruppe und sind die Jagger und Richards der Band.
So wie auch manche Kids in der Sowjetunion sogen Rudolf und Klaus jeglichen Rock ’n’ Roll auf, an den sie in ihrem Heimatland, das damals schon offiziell Bundesrepublik Deutschland hieß und im Ausland West Germany genannt wurde, herankamen. Eine wichtige Rolle spielten dabei amerikanische GIs, die damals in großer Zahl als Bollwerk gegen den Ostblock in der BRD stationiert waren.
„Ich bin in der alten Zeit aufgewachsen“, erklärt Rudolf. „Das heißt, es drehte sich bei mir um Elvis Presley, Little Richard, Buddy Holly, Eddie Cochran und all diese Leute. Aber dann kamen natürlich die Beatles und die Rolling Stones – und mit ihnen dieser Kontrast zwischen Schwarz und Weiß. Die Beatles waren die Guten und die Stones die Bad Boys. Mir gefielen auch die Pretty Things sehr. Und natürlich die Kinks und die Yardbirds. Das waren so meine Einflüsse, die Bands, die mich inspirierten. Schon als ich ein Fan von Elvis Presley war, wollte ich Musik machen, aber irgendwie spielte ich auch Fußball und realisierte, wie schwierig es war, aus einer Gitarre Musik herauszuholen. Also blieb sie vorerst in der Ecke stehen, bis dann schließlich die Beatles und die Rolling Stones kamen. Der Zeitpunkt, an dem ich anfing, mir wirklich Mühe zu geben, ein guter Gitarrist zu werden, war gekommen, als ich mir diese fünf Typen vorstellte, wie sie um die Welt reisten und Musik für ihre Freunde machten. In meiner naiven Denkweise – und da war es gut, naiv zu sein – führte das dazu, dass ich versuchte, die Scorpions zu formieren und die richtigen Leute dafür zu finden, Musiker, mit denen ich mich auch gut anfreunden konnte. Das war mir nämlich ebenfalls sehr wichtig, und diese Philosophie ist auch der Grund dafür, dass wir immer noch zusammen sind. Der Ausgangspunkt ist Freundschaft, dazu kommt die Freude daran, zu einer Gang zu gehören und auf der Suche nach Abenteuern um die Welt zu reisen – und nicht, darauf zu schielen, wie man am meisten Geld verdienen kann. Und weil wir uns nicht aufs Geld konzentrierten, sondern auf das Abenteuer, reisten wir später so viel und besuchten Orte, an denen vor uns noch niemand gespielt hatte. Das ist der Grund, warum es uns nach Russland, Manaus im Dschungel, den Regenwald und an die Pyramiden vor Kairo verschlug. Weil wir es genießen wollten. Weil wir echt auf Tour gehen und uns an der Musik und unseren Fans erfreuen wollten. Ich glaube, das legte den Grundstein für alles: dass ich so naiv war, mir vorzustellen, mit vier oder fünf Freunden die Welt zu bereisen. Diese Denkweise floss von Anfang an in die Scorpions ein, und das ist auch der Grund, warum die Band zusammengeblieben ist.“
„Die Scorpions waren am Anfang“, fährt Rudolf fort, „also schon von 1965 an, sehr auf das Gitarrenspiel fokussiert, vor allem aber auf die Leadgitarre. Der erste Gitarrist, den wir zusätzlich zu mir hatten, war schon ein sehr guter Leadgitarrist, und mein Bruder, der sich der Band anschloss, sollte sehr erfolgreich werden. Uli Jon Roth war ein sehr bekannter Gitarrist – zumindest wurde er sehr bekannt. Deshalb behaupteten wir immer, dass wir die kontinentaleuropäischen Yardbirds wären. Irgendwie hatten wir bei den Scorpions immer Gitarristen, die später ihre eigene Karriere machten, weil sie einfach so gut waren und viele andere junge Bands beeinflussten.“
Es ist schon ziemlich unfassbar, dass Rudolf berichtet, er habe bereits ab 1965 den Namen The Scorpions verwendet. Es ist eine offensichtliche Anspielung auf die Beatles [wird im Englischen wie „the Beetles“ – die Käfer – ausgesprochen; Anm. d. Red.], genauso wie Alice Cooper und Dennis Dunaway ihre Gruppe The Earwigs [„die Ohrwürmer“] und dann The Spiders nannten. So viel Gekrabbel! Jedoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Rudolf eher an härteren Bands als den Beatles Gefallen fand. Wenn auch alle anderen von den „Fab Four“ angetan waren, so traf das auf Schenker weniger zu. Andere Argumente für den Namen waren, dass seine deutsche Übersetzung der englischen Version sehr ähnlich war sowie dass der Stachel des Skorpions der Nadel auf einem Schallplattenspieler glich. Daneben spielte auch eine Rolle, dass viele Leute das Sternzeichen Skorpion trugen und dass der Name mit einem „S“ anfing – wie in Schenker und im Namen seiner Geburtsstadt Schwetzingen.
„‚Hippy Hippy Shake‘, kennst du das? Von den Swinging Blue Jeans?“, antwortet Rudolf auf meine Frage, wie seine frühesten Erfahrungen mit dem Thema Rock, in welcher Form auch immer, ausgesehen haben. „‚Hippy Hippy Shake‘ [Er beginnt zu singen], aber auch ‚House Of The Rising Sun‘ von Eric Burdon. Oder etwas später dann ‚Rainin’ In My Heart‘ von den Pretty Things und ‚Don’t Bring Me Down‘ von den Animals. Vielleicht auch ‚Empty Heart‘ von den Stones. Was war damals noch neu? Also, ich war kein großer Beatles-Fan, die hörte ich mir nicht so oft an. Aber die Stones waren dafür schon stark in unserem Repertoire verankert. Was wir hier in Deutschland hatten, das war für uns junge Typen schrecklich. Die USA hatten da schon mehr zu bieten, etwa Coca-Cola, Elvis Presley und Kaugummi – das war unser Lebensgefühl. Das waren für uns die Dinge, die Lebensfreude repräsentierten. Alles andere, das typisch Deutsche … Pünktlichkeit, Arbeitseifer, du weißt schon, die klassischen deutschen Tugenden eben. Mach dich nicht lustig darüber. Hier muss man pünktlich sein und schwer arbeiten. Du arbeitest, bis du fünfundsechzig bist, und dann sparst du trotzdem weiter. Das war genau das, was wir nicht wollten. Klaus auch nicht. Er spielte in einer anderen Band, die hieß Mushrooms. Ich war bei den Scorpions, und beide sagten wir uns, dass wir nicht diesen Weg beschreiten wollten. Wir wollten Abenteuer erleben und etwas aus unserem Leben machen. Ich nannte dies die dritte Dimension. Das hatten wir irgendwo aufgeschnappt. Es gab eine Möglichkeit, wie wir das Leben genießen und andere Menschen glücklich machen konnten – und das war die treibende Kraft hinter unserer Karriere.“
„Das waren zweifellos zwei Bands, nämlich Black Sabbath und Led Zeppelin“, antwortet Rudolf auf die Frage, wer ihn dazu inspirierte, mit der Band mehr in Richtung Hardrock zu gehen. „Schon die Yardbirds gingen in diese Richtung. Das hatte mit Jimmy Page und Jeff Beck zu tun. Wer war noch bei denen? Genau, Eric Clapton. Also, auch die Yardbirds waren eine sehr wichtige Band für uns. ‚For Your Love‘ etwa, ganz großartig. Einer der Gründe, warum die Scorpions die deutschen Yardbirds waren, war ja auch, dass wir mit Uli Jon Roth, Michael und Rudolf Schenker sehr gitarrenlastig waren.“
Auch Deep Purple gehörten zu den unmittelbaren Vorbildern, die maßgeblich beeinflussten, was Rudolf mit seiner eigenen Gruppe vorhatte. „Sie hatten die richtigen Songs. Ich sah sie zum ersten Mal – es war vielleicht ’68 oder ’69, ich weiß nicht – und mir fiel als Erstes auf, wie laut sie spielten. Ritchie Blackmore, das war ein richtig, richtig guter Gitarrist. Und die Kombination mit den Keyboards … Ich bin der Meinung, dass das eine organische Rockband war. Musik in seiner effektivsten Form – ihre Power, ihr ganzes Auftreten, alles drum und dran. Natürlich, ‚Child In Time‘ – und ‚Smoke On The Water‘ – war für Deutschland der Bringer. Das ist der Grund, warum auch wir schon vom ersten Album an immer zwei Seiten hatten: einerseits Balladen und andererseits unsere Rock-Seite. Das war bei Deep Purple nicht anders, weil Ian Gillan der perfekte Typ war, um einen Song wie ‚Child In Time‘ zu singen. Ich glaube, diese ganze Mischung – die richtigen Songs, die Art, wie sie ihre Songs performten –, das alles war perfekt für den deutschen Markt geeignet.“
Aber zuerst standen bei den Jungs noch die Beat-Bands hoch im Kurs. Rudolf gründete „The Scorpions“ 1965 in Hannover. Klaus und Rudolfs noch sehr junger Bruder Michael schlossen sich der Band schließlich am 30. Dezember 1970 an, nachdem sie ihrer ersten Gruppe Copernicus den Rücken gekehrt hatten. Anfangs kümmerte sich Rudolf um alle Angelegenheiten der Band, da ein Band-Management, wie wir es heute kennen, im damaligen Deutschland verboten war. Das ist auch der Grund dafür, dass Bassist Francis Buchholz bis weit in die Zeit, in der die Band schon Platten aufnahm, als Manager fungierte.
Das, was als erste „echte“ Version der Scorpions gilt, datiert aus dem Jahr 1968; von den späteren bekannten Gesichtern war zu der Zeit aber nur Rudolf dabei. Neben ihm gehörten noch Karl-Heinz Vollmer an der Gitarre, Achim Kirchhoff am Bass und Wolfgang Dziony am Schlagzeug dazu. Die Besetzung der Band aus dem Jahr 1970 war dann schließlich schon jene, die das erste Album einspielen sollte.
„Ich glaube, wir respektieren einander“, sinnierte Michael über seine Beziehung zu seinem Bruder. „Die Art, wie wir aufwuchsen …, da gab es keine Konkurrenz und keinen Streit. Ich bat meine Eltern auch nie um Geld, sondern verdiente es mir selbst. Unsere Erziehung war einzigartig. Wir sind beide aber auch sehr visionäre Typen. Um im Leben etwas zu erreichen, muss man eine Vision haben. Es ist die Vision, die einen voranbringt. Ohne Vision tut man nur das, was alle anderen auch tun. Wenn man ein Individuum ist, dann erschafft man etwas Einzigartiges. So läuft das nun mal. Die Leute in meiner Familie sind alle sehr emotional. Alles, was da geschaffen wird, entsteht mit sehr viel Gefühl.“
Rudolf ermutigte den jungen Michael von Anfang an. Jedes Mal, wenn sich Rudolf eine neue Gitarre kaufte, gab er seine alte an Michael weiter. Wenn Rudolf von seinem eigentlichen Job zu sehr in Anspruch genommen war, bezahlte er Michael dafür, dass dieser Gitarren-Licks nachzuspielen lernte und auch ihm das Gelernte beibrachte, was sich als sehr nützlich herausstellen sollte, als sie die Gitarren-Parts der British-Invasion-Bands (ihre anderen Einflüsse reichten von Little Richard bis hin zu den Gruppen des britischen Blues-Booms wie etwa Fleetwood Mac) ausknobelten. Rudolf gibt zu, dass er zu faul war, um ordentliche Soli zu lernen. Angesichts seiner mangelnden Geduld macht es vermutlich Sinn, dass er sich selbst über die Jahre hinweg standhaft als Rhythmusgitarrist verstand, auch wenn er sich damit irgendwie auch selbst einschränkte.
Klaus übernahm selbstverständlich schon bald von Rudolf den Leadgesang bei Scorpions. Michael war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal fünfzehn Jahre alt (Rudolf und Klaus waren schon zweiundzwanzig). Dennoch war er auch schon so etwas wie ein Routinier, da er schon mit elf mit der Band seines älteren Bruders abhing. Er war von der Leidenschaft fürs Musikmachen ergriffen worden, als Rudolf eines Tages eine Gibson Flying V mit nach Hause brachte.
„Gibt es irgendetwas Deutsches in unserer Musik?“, überlegte Klaus, als er in einem Gespräch mit Dmitry Epstein auf die Anfangstage der Band angesprochen wurde. „Ich weiß nicht, ist aber eine gute Frage! Selbstverständlich sind wir aus Deutschland, aber wir sind mit englischer und amerikanischer Musik aufgewachsen, die einen sehr starken Einfluss auf uns als junge Band hatte. Schon früh, in den Siebzigerjahren, gingen wir nach England und Frankreich, nach Japan und Amerika, wir tourten und wurden zu einer internationalen Band. Ich glaube, unsere Musik war nie deutsch. Da war schon immer dieser angloamerikanische Einfluss. Wir versuchten nie, eine deutsche Band zu sein. Wir sind zwar Deutsche, ja, aber nicht, wenn es um unsere Musik geht. Als wir aufwuchsen, gab es Schlager, diese Art von Popmusik. In Bezug auf unsere Klamotten machten wir alle möglichen Phasen durch, dennoch waren wir, was das anging, näher bei den Rolling Stones, weil auch sie so schmucke Sachen trugen.“
Natürlich gab es den Krautrock … „Ja, heute ist das alles irgendwie kultig und die Leute sagen: ‚Ah, Krautrock!‘ Aber in der Zeit, als diese Krautrock-Sache anfing, damals in den frühen Siebzigerjahren, da stand nur etwas über die internationalen Stars in den großen Musikzeitschriften – sie waren die Einzigen, über die es groß aufgemachte Artikel und hübsche Beiträge gab. Es war, als ob sie unsereinen herabsetzen würden. Sie machten uns ganz klein. Vor allem, als wir noch eine junge Band waren und Unterstützung gebraucht hätten, um etwas Selbstvertrauen sammeln zu können. Wir hatten das Gefühl, dass uns niemand unterstützte, also nahmen wir unseren Mut zusammen und gingen ins Ausland, 1975 nach England. Wir als Deutsche, die auf Englisch sangen. Wir wollten herausfinden, ob wir gut genug waren. Sind wir denn stark genug, um uns unter den englischsprachigen Musikern, die den Rock ’n’ Roll erfunden haben, behaupten zu können? Das war immer die Herausforderung. So wurden wir eine internationale Band. Als wir anfingen, gab es da noch Kraftwerk und Tangerine Dream. Beide Bands wurden international auch sehr groß, aber in anderen Bereichen, anderen Genres. Sie machten eher experimentelle Musik. Kraftwerk waren unglaublich, aber wir machten eben traditionellen Rock. Das waren noch Zeiten!“