Читать книгу Wind Of Change: - Martin Popoff - Страница 7
ОглавлениеJene Besetzung, die das erste Scorpions-Album aufnahm, bestand aus Rudolf und seinem Bruder Michael an den Gitarren, Klaus als Sänger, und dazu noch Lothar Heimberg am Bass sowie Wolfgang Dziony hinterm Schlagzeug.
Für die ganze Entwicklung nicht minder wichtig war auch Produzent Conny Plank, eine prominente Figur innerhalb der Krautrock-Szene – einer wagemutigen, wenn nicht sogar subversiven, progressiv ausgerichteten Musikströmung, die auch in Bezug auf elektronische Elemente eine Vorreiterrolle einnahm. Aber auch im Hardrock-Bereich hatte er aufgrund seiner Zusammenarbeit mit Scorpions und anderen (Jane, Eloy, Night Sun, Hairy Chapter!) einen sehr guten Namen.
Conny arbeitete ’71 und ’72 mit Gruppen wie Guru Guru, Eloy, Cluster, Neu!, Kraftwerk, Ash Ra Temple und Night Sun. Im Februar 1972 erschien schließlich Lonesome Crow auf dem legendären Label Brain/Metronome. Interessanterweise kam das Album damals auch schon in den USA heraus, und zwar auf einem kleinen Chicagoer Label namens Billingsgate (BG-1004, die vierte Veröffentlichung der Plattenfirma), das auch Aufnahmen von Neu! (BG-1001), Lucifer’s Friend, Frumpy und Epitaph im Programm hatte und Amerika behutsam die Facetten des Krautrocks vermittelte.
Plank bekam für die Band einen soliden, kompakten Sound hin. Lonesome Crow erinnerte in seiner Gesamtheit an die Stoner-Rock-Ausflüge von Ted Nugent & The Amboy Dukes zu Zeiten ihrer Alben Marriage on the Rocks und Survival of the Fittest, aber gekreuzt mit dem Debütalbum von Black Sabbath, wie man schon an den krachenden Akkorden und den erdigen Lead-Parts des Eröffnungsnummer „I’m Goin’ Mad“ erkennen konnte. Es war eine kluge Entscheidung, alle Lyrics auf Englisch zu schreiben, da deutsche Texte ihre Möglichkeiten, international erfolgreich zu sein, radikal eingeschränkt hätten. Für besagten Track wurde sogar ein ordentliches Musikvideo gedreht, in dem die Band auf einer Felsformation spielte: Rudolf auf seiner Flying V, Michael auf einer gewöhnlichen Les Paul – und Klaus sah mit seinem Vollbart wie ein Bergbewohner aus.
Der nächste Song auf dem Album, „It All Depends“, behält den Sabbath-Vibe gleich bei. Die Band gibt sich jazzig-verspielt, während Michael ein paar Lead-Riffs vom Stapel lässt, die schon verdammt nahe an Iommi herankommen, und Dziony Bill Ward imitiert.
„Lonesome Crow war meine erste Platte“, erinnert sich Michael, „und, weißt du, ich war vierzehn. Ich entdeckte gerade die Sounds von Deep Purple, Black Sabbath, Jeff Beck und Led Zeppelin und so weiter. Das war meine Welt, genau das wollte ich auch machen. Also fing ich an, mir Sachen einfallen zu lassen, von denen ich dachte, sie würden aus mir kommen und ich sollte sie spielen. Ich begann, Melodien und Songs zusammenzustellen, und spielte sie dann Klaus vor. Im Grunde genommen schrieb ich die ganze Musik, zumindest den Großteil davon, aber letzten Endes bekam jeder einen Songwriting-Credit dafür … Es waren meine ersten Schritte als Songwriter, und mit diesem Material gingen wir ins Studio und fingen an, es tatsächlich aufzunehmen. Und dann hörten wir’s im Radio, wo es so einen besonderen Sound hatte [lacht]. Faszinierend.“
Aber auch wenn Michael in der Lage war, seine Idole zu imitieren, sollte das nicht länger sein bevorzugter Modus operandi bleiben. „Nein, ich bin mir seit vielen, vielen Jahren – tatsächlich sind es sogar schon vierzig Jahre – absolut bewusst, dass die Sachen, die ich schreibe und entwickle, sich nicht an äußeren Einflüssen orientieren. Nur in der Zeit zwischen neun, als ich anfing, und meinem siebzehnten, achtzehnten Lebensjahr kopierte ich andere Musiker, andere Gitarristen. Als ich mit vierzehn auf der Bühne stand, orientierte ich mich schon an Jeff Beck und Jimmy Page. Sie waren einfach außergewöhnliche Performer, und ich wollte unbedingt auch das können, was sie machten. Das war der Enthusiasmus, der mich dazu brachte, unablässig zu üben. Ich wollte einer der besten Gitarristen der Welt werden, was nichts anderes bedeutete, als dass ich so gut sein wollte wie diese Jungs, die ich für die Besten hielt. Ich wollte dieselbe Wirkung auslösen, wie sie sie auf mich hatten. Also kopierte ich Gitarristen, um mich zu fokussieren, bis ich so vierzehn, fünfzehn war. Der letzte Gitarrist, dessen Lead-Breaks ich versuchte zu imitieren, war Leslie West mit ‚Theme From An Imaginary Western‘. Das war es dann. Seitdem halte ich mich sozusagen von Musik so gut wie möglich fern. Ich wusste schon immer, dass das Unendliche und Kreative aus einer tiefgründigeren Quelle sprudelt. Also hatte ich die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Die eine bestand darin, mich auf äußere Einflüsse zu fokussieren und zu kopieren, was ich da draußen so vorfand, und zu versuchen, es besser zu machen, und die andere bedeutete, mich in mich selbst zurückzuziehen und zu versuchen, neue Farben zu schaffen, etwas, das es vielleicht so noch nicht gegeben hat.“
Michael betont: „Ich höre also gar nicht sonderlich fokussiert Musik. Wenn ich mich auf Musik konzentriere, dann schreibe und erfinde ich. Vor allem höre ich mir keine Rockmusik an, weil ich will, dass für mich alles frisch und aufregend bleibt. Wenn ich den ganzen Tag Rockmusik hören und dann noch ein Album machen sollte, wäre ich komplett ausgelaugt. Das ist, als würde man zu viel Schokolade essen. Da will man ja auch, dass das was Besonderes bleibt.“
Um zum Album zurückzukommen: „Leave Me“ ist ein etwas unbefriedigender, bluesiger Sechzigerjahre-Popsong, dem durch die Gesangsharmonien im Stile von Moody Blues eine etwas dunklere Note verpasst wird. Klaus singt kraftvoll und Conny würzt ein wenig nach, indem er ein paar spacige Krautrock-Keyboard-Effekte ergänzt. Gegen Ende des Songs liefert Michael noch ein paar kreischende Sabbath-Leads über eine Passage im doppelten Tempo, bei der die Band – auch wegen der unheimlichen Gesangsharmonien – sehr stark an Uriah Heep erinnert.
Die letzte Nummer der ersten Seite, „In Search Of The Peace of Mind“, war ebenso von Uriah Heep durchdrungen und kombinierte epische Sequenzen mit einer düsteren Weichheit, die einen eben an Stücke wie „Come Away Melinda“ denken ließen. Im Verlauf der fünfminütigen Laufzeit des Songs bekommt der Hörer eine Menge beklemmenden und progressiv beeinflussten Rock geboten, was die Glaubwürdigkeit der Band in Sachen Krautrock noch mal unterstreicht. Michael bestätigte mir gegenüber, dass „In Search Of The Peace Of Mind“ der erste Song war, den er je geschrieben hatte. In Hinblick auf seine lebenslange Beziehung zum Thema Spiritualität meinte er: „Das fing schon früh bei mir an. Ich glaube, als ich fünf war. Und in Deutschland beschäftigt man sich im Rahmen des Konfirmandenunterrichts zwei Jahre lang mit der Bibel. Ich wurde mit vierzehn konfirmiert. Als ich dann fünfzehn oder sechzehn war, entdeckten mein Bruder und ich östliche Religionen für uns. Von da an ging das so weiter und ich streckte meine Fühler in alle Richtungen hin aus.“
Nun zur B-Seite, auf der die Band mit „Inheritance“ gleich einmal ihre Fähigkeiten als solide Jam-Musiker unter Beweis stellt, was durch Connys heißblütige Produktion und seinen Mix noch unterstrichen wird. Wieder einmal fühlt man sich an den Vibe des ersten Sabbath-Albums erinnert, was sowohl an der musikalischen Darbietung als auch an der klanglichen Qualität liegt. Dieser Song könnte als eine Mischung aus „The Warning“ und „Planet Caravan“ vom zweiten Album durchgehen. Textlich merkt man hier weniger, dass Englisch die zweite Sprache der Band ist, als bei den meisten anderen Songs auf dem Album. Der Song setzt sich mit dem Übel des Geldes beziehungsweise des Geldverleihens auseinander – obwohl auch Handwerker ihr Fett abzubekommen scheinen!
Der zweite von gerade mal drei Tracks auf der zweiten Seite ist ein Song übers Schnellfahren, der den Titel „Action“ trägt. Auch so manche Wiederveröffentlichung von Lonesome Crow wurde im Laufe der Jahre unter dem Namen dieses Songs herausgebracht, der als jazziger Jam durchaus typisch für das Album ist und mit weiteren volltönenden Solo-Parts von Michael untermalt wird.
Der epische Titel-Track des Albums, „Lonesome Crow“, schließt das Album ab und erstreckt sich über dreizehneinhalb Minuten voller … nun, wie nicht anders zu erwarten, voller düsterer, stimmungsvoller Parts, Powerchord-Passagen, jazziger Rhythmen und jeder Menge kreischender Gitarre obendrauf, die von Michael beigesteuert wird. Dzionys Schlagzeugspiel erinnert stark an Bill Ward, und in klanglicher Hinsicht orientiert sich Conny hier an Roger Bains Produktion des ersten Sabbath-Albums. Mitsamt den unheimlichen Soundeffekten und Klaus’ gespenstischen Schreien schien es fast so, als ob der Band ihre eigene Version von Sabbaths „The Warning“ gelungen wäre.
Die Scorpions gingen anlässlich der Veröffentlichung von Lonesome Crow 1972 und ’73 intensiv auf Tour, allerdings ausschließlich in Deutschland, wo sie sowohl in Clubs als auch bei Festivals auftraten. Die Bekanntheit der Band erhielt außerdem noch mal einen Schub, als ein paar Songs von Lonesome Crow für den deutschen Anti-Drogen-Film Das kalte Paradies verwendet wurden, wobei Conny Plank eine entscheidende Rolle spielte. „Wir gingen ins Studio, um drei Songs für den Soundtrack aufzunehmen“, erinnert sich Schenker. „Das waren ‚I’m Going Mad‘, ‚Lonesome Crow‘ und noch einer. Conny Plank war im Studio. Er sagte: ‚Was?! Habt ihr schon einen Vertrag? Nein? Ich werde mich darum kümmern.‘ Im Oktober 1971 nahmen wir unser erstes Album auf und diese beiden Songs kamen auch drauf. Das war vor sehr langer Zeit.“
Auf Tour spielten die Scorpions vor Rory Gallagher, Uriah Heep, Chicken Shack und UFO. Im Juni 1973 luchsten Letztere, also UFO um Phil Mogg, der Band ihren auffallenden blonden Gitarristen Michael ab. UFO klangen damals noch sehr psychedelisch und spacig und promoteten gerade ihr „Space-Rock“-Album Flying.
„Scorpions traten vor uns auf“, erinnert sich Pete Way, Bassist von UFO, „und Michael war damals ihr Gitarrist. Bernie Marsden hatte seinen Pass verloren und wir mussten spielen. In der Tat war es Phil, der sagte: ‚Der Typ ist richtig gut, oder? Der Blonde da.‘ Michael sprang also ein. Er sprach kein Englisch und wir kein Deutsch. Aber von nun an war er in der Band.“
„Das war in erster Linie Zufall“, ergänzt UFO-Sänger Phil Mogg, der die Geschichte bestätigt. „Bernie, der damals bei uns Gitarre spielte, als wir in Deutschland auf Tour gehen wollten, hatte seinen Pass vergessen. Das war nicht so toll. Wir hatten Michael bei den Scorpions spielen gesehen. Ein herausragender Gitarrist! Also fragten wir ihn, ob wir ihn uns für den Gig ausborgen dürften. Wir spielten zwei Abende mit ihm und fragten ihn dann, ob er bei uns einsteigen wollte.“
„Ich ging mit den Scorpions schon auf Tour, als ich mich UFO anschloss“, sagt Michael über seine schicksalhafte Entscheidung. „So lernte ich UFO kennen, weil wir mit den Scorpions als Special Guest vor ihnen auftraten. Sie waren ohne Gitarristen und ohne Ausrüstung eingetroffen, weshalb sie sich mich und das Scorpions-Equipment ausliehen. So kamen sie auf mich. Ich spielte ein paar Konzerte mit beiden, UFO und Scorpions, bis der andere Typ doch noch aufkreuzte. Das war so um 1973. Dann kamen sie noch einmal auf mich zu. Ich sagte den Scorpions damals immer, dass ich nach England gehen würde, falls mich jemand fragte, weil die ganze Rockmusik ja von dort stammte. In Deutschland war es sehr schwierig, sich zu entwickeln. Management war verboten und alles war sehr, na ja … Überall regierte Disco-Musik und es fühlte sich alles ein bisschen tot an in Deutschland. Als UFO mich dann wollten, sagte ich: Okay, das ist es. Um meinen Bruder nicht allzu sehr enttäuschen zu müssen, suchte ich nach jemand anderem für sie und fand Uli Roth. Dadurch fühlte ich mich besser und war startklar.“
„Ich wollte einfach mein Ding durchziehen“, erklärt Michael seinen Ausstieg bei jener Band, die einst die populärste Gruppe Deutschlands und letzten Endes kommerziell viel erfolgreicher als UFO sein würde. „Ich denke, Gott wollte es so. Ich glaube nicht, dass es für die Scorpions oder meinen Bruder so gut gelaufen wäre, wenn ich in der Band geblieben wäre … Mein Bruder ist mehr der Gruppen-Typ und ich bin mehr der Einzelgänger. Sein Traum war es immer, in einer der größten Bands der Welt zu spielen, und meiner war es immer, einer der besten Gitarristen der Welt zu sein. Das bestätigt meine Aussage. Mein Bruder teilt seine Energie gerne mit andern und ich gehe gerne in mich und beziehe meine Energie aus der Essenz des Seins. Ich war ziemlich unabhängig. Als wir Lonesome Crow aufnahmen, war ich fünfzehn. Ich zog mit meiner Freundin zusammen, als ich sechzehn war. Ich sagte zu ihr: ‚Siehst du die orangen Kisten da drüben? Wir könnten Möbel aus ihnen machen und zusammenziehen.‘ Sie erzählte das ihrer Mutter. Die jedoch meinte: ‚Auf gar keinen Fall!‘, und kaufte uns Möbel. Ich weiß noch, wie ich sechzehn Jahre alt war, da lag und mit meiner Freundin sprach. Ich sagte zu ihr, dass man mich mitten in China aussetzen könnte und ich dennoch genau wüsste, was zu tun wäre. Das war mir immer schon klar. Mit sechzehn wusste ich, dass alles möglich wäre. Ich sagte damals zu meiner Freundin, dass ich eines Tages einer der besten Gitarristen der Welt sein würde. Doch sie lachte bloß.“
„Als Michael sich uns für das Album Phenomenon anschloss, war es, als wäre er das fehlende Bindeglied gewesen“, fügt Phil noch hinzu. „Dadurch wurde unser Sound, der meiner Meinung nach sehr britisch war, ein bisschen europäischer. Nachdem Michael eingestiegen war, konnte man die deutschen oder auch teutonischen Noten und Notationen in seinem Spiel heraushören. So wurden wir zu einer sehr europäischen Rockband der zweiten oder dritten Generation.“
Michaels Vorgänger bei UFO, Bernie Marsden, der später bei Whitesnake spielen sollte, tauchte tatsächlich nach der schicksalhaften Show seiner Band mit Schenker auf, um die Tour noch zu Ende zu spielen. Michael schloss sich der Band dann im Juni an, nachdem er von Rudolf und Klaus dazu ermutigt worden war. Die beiden zogen es sogar in Erwägung, ihrer eigenen Band nach acht Jahren, in denen sie immer nur in Deutschland aktiv gewesen waren, den Stecker zu ziehen. Doch stattdessen besetzten sie die Schlüsselposition des Leadgitarristen mit einer Persönlichkeit, die Michael in jeder Hinsicht das Wasser reichen konnte, dessen Spielstil und Naturell sich aber stark von seinem Vorgänger unterschied.