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Hey, erinnert ihr euch noch, wie wir als Kinder diese komplizierten Tauschhandel abzogen, bei denen wir etwa Tennisschläger, Sammelkarten oder auch zwei lahmarschige Platten gegen eine gute Scheibe eintauschten? Mein erster solcher Handel kam zustande, als mein brandneues Exemplar von Virgin Killer – die Platte hatte mich 6,99 Dollar gekostet – für ein gleich teures, ebenfalls eine halbe Stunde zuvor gekauftes Exemplar des Debütalbums von Yesterday & Today den Besitzer wechselte. Mein Kumpel Fiver und ich waren damals beide dreizehn und ließen unsere LPs auf dem Plattenspieler der Eltern meines Tauschpartners kreisen, nachdem wir sie von Kelly’s oder dem Rock Island Tape Centre, wo wir beide arbeiteten, mit nach Hause gebracht hatten.

Ich erinnere mich noch heute, warum ich mich auf diesen Tauschhandel einließ. Virgin Killer war irgendwie unheimlich, kratzig und unzugänglich, eher heavy und deprimierend und am rauen und ruppigen Stilspektrum der Band angesiedelt, für das Uli stand. Yesterday & Today (sie benannten sich erst später in Y&T um) brachten hingegen einfachen amerikanischen Gute-Laune-Hardrock, mit dem ich mich identifizieren konnte.

Im Laufe der Jahre lernte ich Virgin Killer viel mehr schätzen – und war darüber hinaus begeistert von Taken By Force, liebte Lovedrive und stand tierisch auf Animal Magnetism. Und ich bin mir sicher, dass auch Blackout viele, viele Male auf dem Plattenteller landete. (Obwohl, eigentlich war es vermutlich eher Back in Black auf Kassette oder ein Acht-Spur-Tape, das bei unseren Partys das Blut in Wallung brachte.)

Später flaute mein Enthusiasmus aber wieder ab, was es mir erschwerte, dieses Buch zu schreiben, wie ich vorweg anmerken möchte. Aber es ist ja kein Geheimnis, dass die meisten ernsthaften Fans der Scorpions auf deren frühen Output schwören – und ich halte es in Bezug darauf mit der Mehrheit. Aber hey, ist es nicht cool, dass sich das nicht nur auf die Ära von Uli Jon Roth beschränkt? Es gibt schließlich mindestens gleich viele abgefahrene Klassiker mit Matthias Jabs an der Leadgitarre wie mit Uli.

Oh Mann, was waren wir sauer, als Love At First Sting ein paar Wochen nach der unwiderstehlichen Vorab-Single „Rock You Like A Hurricane“ in die Läden kam. Nicht nur war das der beste Song auf der ganzen verdammten Scheibe, sondern es war auch der dritthärteste. Es war vielleicht kein Debakel wie Attention Shoppers! von Starz, aber zumindest so verstörend wie British Steel nach Killing Machine, Pyromania nach High ’n’ Dry oder auch Metallicas zurückhaltendes Schlurfen nach der ungebremsten Attacke, die Justice gewesen war. Mit anderen Worten, die Scorpions hatten ihre Formel verflacht und abgeschwächt – und wir waren wütende Metalheads, die damit rein gar nichts anfangen konnten.

Aber wenn man an Büchern wie diesem hier schreibt, besteht immer die Chance, dass man über Juwelen stolpert, die man bisher nie als solche erkannt hatte. Beim Schreiben fielen mir eine Reihe guter Songs auf Savage Amusement, Crazy World, Face The Heat und – zu meiner großen Überraschung – auch Pure Instinct auf, obwohl letzteres Album nicht allzu heavy ist. Allerdings ist es meiner Meinung nach ein unterschätzter Halbedelstein und gehört zu den reifsten und intellektuell gehaltvollsten Werken der Band.

Dann gab es eine Phase, in der ich der Gruppe kaum Aufmerksamkeit schenkte und auch ganz ehrlich gesagt nicht viel fand, was mich ansprach. Diese Phase hielt bis zum angeblich (so behauptete die Band damals) letzten Album Sting In The Tail an, das ich für verdammt solide halte. Und das war der springende Punkt für mich: Ich hätte mich wohl kaum aufraffen können, dieses Buch zu schreiben, wenn ich nicht mit etwas Positivem hätte aufhören können – und Sting In The Tail war für mich in Kombination mit der kraftvollen Abschiedstour unserer alten deutschen Freunde, die uns noch einmal alle zum Tanzen brachte, positiv genug, um das Projekt vor mir selbst zu rechtfertigen. Aber dann kam natürlich doch alles anders. Die Band schob Return To Forever hinterher, ging noch einmal gründlich auf Tour und alles war wieder gut.

Etwas, das im Text gar nicht ausführlich thematisiert wird, will ich hier gleich vorab sagen: Es sind Uli Jon Roths Spirit und seine beispielhafte Art zu leben, die sich durch die Seiten dieses Buches ziehen. Ach, es wurde schon oft erklärt, dass Uli für eine gitarrenlastigere, mehr an Hendrix orientierte, etwas klassischere und mitunter sogar „krautrockigere“ Ausprägung ihrer Musik eintrat, was ihn letztlich dazu veranlasste, der Band (ohne jeglichen Groll) den Rücken zu kehren. Also stiegen zuerst Herman und dann Matthias ein, die zusammen Klaus und Rudolf davon überzeugten, einen direkteren, amerikanischeren Sound anzupeilen. Na gut, genau das geschah dann auch und eine Menge großartiger Musik kam so zustande.

Egal, es ist trotzdem ziemlich cool, dass Uli so lange durchhielt, bis er schließlich selbst ein paar intellektuell inspirierende Alben am Start hatte. Und es ist sogar noch inspirierender zu sehen, dass er dynamische Konzerte spielt, dabei jung wirkt und auch jedes Mal einen Draht zu seinen alten Kameraden zu finden scheint, wenn sich die Möglichkeit dazu ergibt.

Bis zu einem gewissen Grad lässt sich das auch über Michael Schenker, Herman Rarebell und Francis Buchholz sagen, die überraschenderweise wieder einmal die Bühne miteinander teilen, was in mir die Vorstellung befeuert, dass sich ein paar von diesen Jungs (wenn nicht alle) tatsächlich wie alte Freunde fühlen. Für mich sind sie das nämlich auf jeden Fall.

Martin Popoff

martinp@inforamp.net

www.martinpopoff.com

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