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Wenn man über das mitreißende dritte Scorpions-Album spricht, muss man auf jeden Fall zuerst noch auf den bereits erwähnten Besetzungswechsel hinterm Schlagzeug eingehen.

„Er wurde nicht ausgetauscht“, betont Uli in Bezug auf den Abschied von Jürgen Rosenthal, dem letztendlich Rudy Lenners nachfolgte. „Nein, er musste zum Wehrdienst einrücken. In Deutschland musste man eineinhalb, zwei Jahre lang zum Militär. Ich entkam dem Ganzen zum Glück, weil ich Kontakte nach Berlin hatte, aber ich war da die Ausnahme. Ich wollte nämlich nicht zum Militär. Ich bei denen – das wäre eine Katastrophe gewesen, für die zumindest [lacht]. Da hätten die jeden Krieg verloren. Aber das war der Grund, warum Jürgen die Band verließ. Auf ihn folgte der nächste Drummer. Er hieß Doobie Fechter [auch bekannt als J. F. Doobie, als er noch bei Viva spielte, bei denen einst auch die Schwester der Gebrüder Schenker, Barbara, Mitglied war!]. Er blieb fast ein ganzes Jahr lang, aber er schaffte es auf keine unserer Platten, weil er sich kurz vor In Trance dazu entschied, auszusteigen – wegen eines Mädchens, das war alles ein großer … ich weiß auch nicht. Das wurde ihm einfach zu viel. Egal, er verließ die Band und so fanden wir Rudy Lenners. Niemand wurde bei den Scorpions hinausgeworfen. Die gingen immer von alleine [lacht].“

Lenners hatte die Band in Belgien live gesehen. Schon damals war klar, dass sie Rosenthal würden ersetzen müssen. Als Lenners schließlich vorspielte, legte er bei seinem ersten Versuch noch eine Bauchlandung hin. Als er um eine zweite Chance bat, konnte er die Ansprüche der Gruppe erfüllen und wurde sofort für eine Tour durch Frankreich engagiert. Interessant war auch, dass der Belgier Lenners nur auf Englisch mit der Band kommunizieren konnte, bis er sich irgendwann ein paar Deutschkenntnisse zugelegt hatte.

Nachdem der zwischenzeitlich vakant gewordene Schlagzeuger-Posten wieder besetzt war, fand die Band mit Dieter Dierks auch noch einen geeigneten Produzenten. Dierks sollte schon bald für Scorpions das werden, was Martin Birch für Deep Purple war – oder sogar was George Martin für die Beatles bedeutete.

„Dieter wirkte in erster Linie wie ein Produzent und Geschäftsmann auf uns“, erläutert Roth. „Wir kannten ihn vorher nicht. Aber wir fingen an, mit ihm zu arbeiten – und die Studioarbeit mit ihm gefiel mir. Er war ein unglaubliches Arbeitstier. Ich war sehr beeindruckt. Ich weiß noch, dass er Nacht für Nacht wach blieb und voll konzentriert war. Deshalb hatte er auch einige Herzanfälle. Davon wusste ich damals aber nichts [lacht]. Doch ja, das war schon erstaunlich, dieser Schwung, den er im Studio hatte. Da konnte ich schon etwas lernen – und nicht nur das. Allerdings gab es auch ein paar Differenzen. Ich war etwa nicht glücklich damit, wie unsere Zeit im Studio eingeteilt war, weil plötzlich bei den Leadgitarren ganz zum Schluss Eile herrschte. Wir verbrachten aber ungefähr zehn Tage mit den Backing-Tracks, was eigentlich leicht gewesen wäre. Ich weiß noch, dass ich sauer deswegen war. Ich war der Meinung, dass es andersherum hätte sein sollen. Aber es war eine längere Aufnahmesession als noch bei Fly To The Rainbow. Zuerst nahmen wir in Dieter Dierks’ Studio ein Demo auf und dann – ich weiß nicht genau, wie lange alles dauerte – nahmen wir zwei oder drei Wochen lang das Album auf. Ich erinnere mich recht genau daran, dass ich ganz am Ende innerhalb von zwei Tagen alle Leadgitarren einspielen musste, was mich ziemlich ärgerte. Alles andere hatte so lange gedauert und mich nervte das. Aber es gab nicht viel, das ich tun hätte können, weil wir uns an einem strikten Zeitplan orientierten.“

„Uns liefen damals keine großen Bands über den Weg“, antwortet Roth auf die Frage, ob auch noch andere Gruppen gleichzeitig das Studio für ihre Zwecke nutzten. „Im Studio war das immer alles getrennt. Du weißt schon, auf Tour trafen wir auf andere Leute, aber nicht im Studio. Das lief alles ziemlich privat ab. Und da wir in Deutschland waren, war das auch eine andere Szene. Dieter Dierks’ Studio lag außerhalb von Köln, auf dem Land. Das war schon ein weiter Weg dorthin. Wenn noch andere Bands dort aufnahmen, dann taten die das, wenn wir nicht dort waren. In London hast du zum Beispiel das Olympic Studio und wenn du dort eine Session hast, dann dauert die vielleicht bis neunzehn Uhr – und dann kommt abends auf einmal Eric Clapton oder so rein. Aber in diesen Studios in Deutschland gab’s das nicht, weil das eben nicht London, New York oder Paris war. Es war halt auf dem Land [lacht]. Das passte uns gut. Wir konnten uns auf die Alben konzentrieren und arbeiteten sehr, sehr hart vom Morgen bis zum Umfallen. Sehr intensiv.“

Francis fügt hinzu: „Dieter hatte uns nach einem unserer Konzerte in Deutschland, das er gesehen hatte, in sein Studio nach Stommeln eingeladen. Das ist ein Dorf in der Nähe von Köln. Wir heuerten Dierks als unseren Produzenten für In Trance an. Zuerst mussten ein paar musikalische Differenzen ausgeräumt werden, was vor allem beim Song ‚Robot Man‘ der Fall war, wo wir eine lange Diskussion im Studio führten. Achim Kirschning kam auch im Studio vorbei und spielte ein paar Sachen auf dem Keyboard.“

„Dieter ist ein Workaholic“, fährt Buchholz fort. „Manchmal dachte ich, er wäre verrückt, dann wieder hatte ich das Gefühl, dass er sehr clever war. Er fing schon früh am Morgen in seinem Büro mit der Arbeit an und wenn dann die Band nach dem Frühstück auftauchte, stand er schon hinter seinem Mischpult, um ein paar Dinge auszuprobieren. Fast jeden Tag war er der Letzte, der das Studio verließ. Erst weit nach Mitternacht. Er war beim Aufnehmen voll konzentriert und korrigierte Fehler gleich an Ort und Stelle. Dieter ist ein sehr guter Gesangs-Coach. Er arbeitete stundenlang mit Klaus an seinem Ausdruck. Aber mitunter fühlte es sich so an, als würden wir mit einem Diktator arbeiten. Er wollte immer die Nummer eins sein. Wenn es etwas gab, das ihm nicht gefiel, dann ließ er es nicht zu.“

Lustigerweise blieb Lenners, der Dierks aufgrund seiner maßgeblichen Rolle für den Scorpions-Sound hoch schätzt, anfangs großenteils von Dieter verschont, was schlicht daran lag, dass Lenners kein Deutsch sprach.

„Ich war bereits erfolgreich, bevor ich mit ihnen zusammenkam“, erklärt Dieter gegenüber Pete Makowski. „Ich hatte mit einer Band namens Atlantis zusammengearbeitet, die ich als erste Gruppe in die USA führte. Damals waren sie die berühmteste deutsche Band und die einzige, die international Ansehen genoss. Es dauerte ein Weilchen, bis deutsche Musik im Ausland respektiert wurde. Ich konnte ihnen dabei behilflich sein, diese Barriere zu überwinden. Zuallererst einmal bin ich Musiker. Ich habe bei einigen Bands gespielt; zwei Jahre lang spielte ich mit schwarzen Musikern, wo ich lernte, den Groove zu spüren. Es ist nämlich so, dass die Deutschen den amerikanischen Groove nicht im Blut haben. Deshalb war das ein sehr gutes Training für mich. Ich begab mich auch in die Vereinigten Staaten und hörte amerikanisches Radio und nahm die gesamte Szene unter die Lupe, um besser verstehen zu können, worauf es in anderen Märkten ankam. Ich fing also mit Bands zu arbeiten an, die nicht aus dem Rock-Bereich kamen, so wie eben Atlantis, die Funk machten. Ich fuhr eigentlich schon immer auf Rock ab, aber ich mochte auch Sachen wie Supertramp, die Eagles und kalifornisch angehauchte Hippie-Musik. Was ich brauche, sind gute Melodien und Harmonien. Auf brutalen Hardrock stehe ich dafür weniger.“

„Dark Lady“, der erste Track auf In Trance, spiegelt definitiv Dierks’ Arbeit mit Klaus wider. Zwar singt Uli hier den Großteil der Strophen, doch ist es Klaus, der einem aus den Lautsprechern entgegenzuspringen scheint und wirkt, als ob er, heulend und knurrend, am Rande eines Nervenzusammenbruchs stünde. Natürlich hilft es auch, dass der Song der bis zu diesem Zeitpunkt härteste Track der Band ist. Uli steuert allerlei Gitarrenwahnsinn bei, bis der Song zum Schluss noch einmal Geschwindigkeit aufnimmt und letztlich mit einer Art Donnergrollen verhallt. Eines war somit unmissverständlich klar: Die Scorpions würden sich von nun an enthusiastisch an der Erschaffung eines neuen, härteren Rocks beteiligen.

„Es kam überhaupt keine Technik zum Einsatz“, lacht Uli, als er nach den irren Sounds gefragt wird, die vor allem bei „Dark Lady“ und dem ersten Song auf der zweiten Seite, „Robot Man“, zu hören sind. „Ich drehte einfach die Amps auf und hatte noch so ein Pedal dabei, mein Wah-Wah. Technische Dinge spielten überhaupt keine große Rolle. Es war alles sehr, sehr reduziert. Weißt du, wir taten unser Bestes mit dem, was uns zur Verfügung stand. Die Band war echt. Es war keine wirkliche Studioband als solches. Wir spielten das Zeug live ziemlich ähnlich, wie wir das im Studio taten. Im Studio war es vielleicht ein bisschen perfekter, da man dort Dinge ergänzen konnte.“

„‚Dark Lady‘ war mehr eine Art Jam und nicht wirklich ein richtiger Song“, fährt Uli fort. „Ich meine, der Song war mehr wie ein Jam zusammengewürfelt. Ursprünglich wollte ich, dass Klaus ihn sang, aber im Studio kam ich zu dem Schluss, dass er nicht wirklich zu Klaus passte. Dieter wies auch darauf hin. Er sagte: ‚Nein, Uli singt den.‘ Der Song ist eher frei fließend, dieser Style eben. Und ich denke, er lag richtig. Meine frühen Songs eigneten sich nicht so gut für Klaus, weil der Gesang eher einen Hendrix/Dylan-Vibe hatte – und das ist nicht der Vibe eines klassischen, melodischen Rocksängers. Den mag ich zwar sehr, aber meine ersten Gehversuche in Bezug auf Songs schreiben waren halt eher … Der Gesang orientierte sich mehr am Bluesigen, weshalb sie nicht wirklich ideal für Klaus waren. Aus demselben Grund sang ich auch ‚Polar Nights‘. Bei ‚Evening Wind‘ war’s so, dass ich den gerne gesungen hätte, weil ich glaubte, dass er zu mir passte. Aber Klaus sagte nur: ‚Nein, nein, nein, der gehört mir.‘ Und, na ja, selbstverständlich hatte er recht. Er war der Sänger und nicht ich [lacht]. So einfach ist das.“

Als Nächstes folgt der Titeltrack des Albums, wieder einmal eine Art Power-Ballade, obwohl die Betonung hier auf dem doch recht Metal-beeinflussten Refrain liegt. Zum Albumtitel meint Uli: „Ich glaube, der war Klaus’ Idee. Er kam wohl darauf, weil der Song ‚In Trance‘ definitiv zu den Höhepunkten des Albums zählte. Und er schrieb auch die Lyrics dazu. Ich glaube, deswegen haben wir ihn ausgewählt. Der Titel schien einfach zu passen.“

Das Artwork zeigte das erste von vielen sexy Girls, die noch Scorpions-Plattencover zieren sollten. Auch entzündete sich an ihr bereits eine kleine Kontroverse, da man ein bisschen was von ihrem baren Busen erkennen konnte, was aber für die folgenden Pressungen retuschiert wurde. Und die Gitarre? Das ist Ulis weiße Stratocaster, die als Illustration auch noch auf dem Cover seines Soloalbums Wind Fire auftauchen sollte. Aber vor allem bekamen wir auf diesem Cover zum ersten Mal das ikonische Logo der Band präsentiert. „Dieses Logo, glaubt es mir oder nicht, es stammte ursprünglich aus einem Film namens Rollerball“, sagt Uli. „Ich glaube, die Plattenfirma steckte dahinter. Irgendjemand riss es sich einfach unter den Nagel. Daher kommt es nämlich. Den Film hab ich nie gesehen. Ich weiß nicht, wessen Idee es war, so vorzugehen, aber ich glaube nicht, dass wir ein Problem damit hatten.“

Zurück zur Platte. Der dritte Track war mit „Life’s Like The River“ eine weitere klagende Power-Ballade, bei der sich Uli in der Strophe ein flüssiges Konstrukt aus dem Ärmel schüttelt, das sich schließlich im Refrain frei entfaltet und von Powerchords und Lead-Licks getragen wird. Obwohl der Song zurückhaltend wirkt, besteht keine Frage, welche Bereicherung die explosive Produktion für ihn darstellt. Textlich setzt „Life’s Like A River“ erneut auf mystische Themen wie Sterblichkeit, den Wandel der Jahreszeiten, den Übergang von Nacht zu Tag, Einsamkeit und Transzendenz.

Zum Einfluss, den Dieter Dierks auf die Band hatte, sagt Uli: „Er war, sagen wir mal, so eine Art Co-Regisseur. Ich möchte Dieter damit überhaupt nichts absprechen, denn vor allem nach meinem Ausstieg hatte Dieter besonders großen Einfluss auf die Band und war auch sehr wichtig für ihren Erfolg. Aber als ich noch dabei war, war alles ein wenig experimenteller. Es war absolut eine gemeinsame Leistung. Zum Beispiel zwang Dieter einem nichts auf – außer diesen Zeitplan. Wir taten eben das, was wir auch live abzogen. Das, von dem wir das Gefühl hatten, dass wir es tun müssten. Vor allem diese ersten paar Alben, da bin ich mir recht sicher, dass die unabhängig von Produzent und Studio immer ziemlich gleich geklungen hätten, da damals alle Studios recht schlicht klangen. Außer vielleicht in London, in den Olympic Studios oder wo auch immer, wo man diese für Led Zeppelin typischen Sounds hinbekommen hätte. Aber damals war das in der deutschen Musikindustrie nicht so angesagt. – Wir nahmen unsere Alben immer im Sommer auf“, fährt Uli fort, „außer Fly To The Rainbow – das war das einzige Album, das im April entstand. Aber ab In Trance war es immer im Sommer. Ja, definitiv, im Verlauf von drei Wochen oder so. Ich erinnere mich daran, dass wir zuerst bei Dieter ein Demo aufnahmen. Wir verbrachten dort ein paar Tage und nahmen die Songs auf. Dann nahmen wir sie mit nach Hause, um ein paar Dinge noch zu verfeinern, und dann nahmen wir sie richtig auf. Ich weiß auf jeden Fall noch, dass wir zehn Tage oder so für die Backing-Tracks gebraucht haben und ich genervt war, dass wir nicht genügend Zeit hatten. Ich glaube, Rudy und Francis brauchten ein wenig länger. Dann arbeiteten wir am Gesang. Rhythmusgitarren und die Leadgitarren, alles entstand innerhalb von zwei Tagen. Ich erinnere mich daran, wie mich das nervte, weil ich der Meinung war, dass man dafür ebenso ausreichend Zeit aufwenden sollte. Im Studio sah ich mich nämlich absolut als Perfektionisten. Ich erinnere mich noch an ‚Life’s Like A River‘. Ich hatte dieses Intro-Gitarrensolo entwickelt, eine harmonisch gedoppelte Gitarre. Wir nahmen es am Morgen auf. Ich denke, es war der zweite dieser beiden Gitarren-Vormittage. Ich war nicht glücklich darüber, weil es ein paar Fehler in der Umsetzung gab. Dieter wies mich aber in die Schranken und sagte, dass jedes Album einmal ein Ende haben müsse [lacht]! Daran erinnere ich mich noch. Ich ging vor die Tür und musste tatsächlich weinen. Das war das einzige Mal, dass mich jemand im Studio zum Weinen brachte [lacht]. Ich war nicht in der Position, meinen Willen durchzusetzen. Mich regte das sehr auf und ich habe es auch nie vergessen. Aus diesem Grund wollte ich danach als mein eigener Produzent fungieren, weil ich nichts auf Platte pressen lassen wollte, von dem ich wusste, dass ich es eigentlich viel besser drauf hätte. Denn später würde es sich jemand anhören und sagen: ‚Oh, das ist aber nicht so cool, das Solo da.‘ Ist es ja auch vielleicht nicht. Es ist eben eine Frage des Prinzips.“

„Aber abgesehen davon waren wir, denke ich, großenteils glücklich mit dem Album“, räumt Roth ein. „Die Leute sagen, dass die Songs gut klingen und auf jeden Fall auch frisch. Man spürt die Energie, aber es hieß auch, dass wir live besser klangen, manchmal zumindest. Im Studio hingegen hätten wir mehr Zeit gebraucht, um der Sache völlig gerecht zu werden. Aber rückblickend ist es wohl egal. Es ist so, wie es ist – eine vermutlich angemessene Wiedergabe dessen, zu dem wir damals imstande waren. Wenn ich es mir allerdings heute anhöre – was ich schon lange nicht mehr getan habe [lacht] –, dann höre ich immer noch dieselben Fehler heraus, genau dort, wo ich Änderungen vornehmen wollte. Fehler im Mix oder was auch immer. Die sind nach wie vor da. Ich glaube aber, dass das Außenstehenden egal sein dürfte.“

Als nächster Song folgt „Top Of The Bill“, der vierte Scorpions-Track aus den frühen Tagen der Band – die anderen sind „Speedy’s Coming“, „Dark Lady“ und „In Trance“ –, der im Lauf der Jahrzehnte einen bleibenden Eindruck hinterlassen konnte. „‚Top Of The Bill‘ war absolut Rudolfs Riff“, merkt Uli an. „Es ist ganz typisch für Rudolf, eine richtige deutsche Eiche, fest umrissen, Powerchords – niemand kann das so wie Rudolf [lacht]. Es ist unglaublich deutsch, aber gleichzeitig auf seltsame Weise auch international. Irgendetwas daran ist unwiderstehlich. Niemand schreibt solche Riffs wie Rudolf.“

Und tatsächlich hat „Top Of The Bill“ alles, was einen klassischen Scorpions-Song ausmacht. Klaus singt kraftvoll und mit Nachdruck. Er ergänzt Harmoniegesang zu einer Struktur, die urwüchsig-primitiv erscheint, aber gleichzeitig durch ihre Schnörkel und Punktierungen an Queen erinnert. Der Track findet seinen Höhepunkt in durchgeknallter Raserei, bei der Klaus den Songtitel schreit und Uli und Rudolf auf ihren Gitarren über einen militärisch anmutenden Marschtrommel-Beat von Rudy Lenners ein Duell austragen, bevor etwas Dampf abgelassen wird und der Song zu seiner melodischen Prämisse zurückkehrt. Wie auch schon „Dark Lady“ und „Speedy’s Coming“ demonstrierte „Top Of The Bill“, dass diese Band in der Lage war, dynamischen und durchdachten Heavy-Rock zu komponieren – zumindest was den musikalischen Aspekt betraf. Textlich gesehen war der Track nämlich nicht viel wert. So wie schon bei „Speedy’s Coming“ und im Gegensatz zu den vorwiegend spirituell angehauchten Themen der Band ging es hier schlichtweg ums Rocken an sich.

Die erste Seite von In Trance endet mit dem bis dahin epischsten Klagelied der Band, „Living And Dying“. Der melancholische Gesang steigert sich hin zu einem niederschmetternden Refrain, in dem Klaus mit Leidenschaft über das immer wiederkehrende Thema der Einsamkeit singt und Powerchords die gähnende Leere seines Raums zu füllen scheinen. In Trance unterschied sich jedenfalls auch dadurch von den ersten beiden Alben, dass die Band ihre Neigung, Songs in die Länge zu ziehen, im Zaum hielt: Hier befanden sich pro Seite jeweils fünf Songs und nur ein einziger sprengte die Fünf-Minuten-Barriere.

Auf der zweiten Seite legte die Band gleich mal richtig hart los und zwar mit dem punkigen wie kompakten „Robot Man“ aus der Feder von Schenker und Meine. Roth steuerte ein weiteres düsteres, bluesiges Epos mit dem Titel „Evening Wind“ bei, wo er sein Geschick im Umgang mit Klangfarben erneut unter Beweis stellt, während sich der Text wieder einmal mit dem Thema Einsamkeit und dem Wechsel der Jahreszeiten befasst. Auf „Evening Wind“ folgt „Sun In My Hand“, ein pulsierender Blues-Song, auf dem Roth über die Magie der Musik singt. Die Kombination aus Stimme und Gitarre klingt wie eine Eingebung direkt von Hendrix, und der farblose Schlagzeug-Sound verleiht dem Track Entschlossenheit und Drive, über den Roth ein aggressives Solo sowie ein cooles, fast schon keltisch anmutendes Doppel-Lead spielt.

„Longing For Fire“, eine Zusammenarbeit von Schenker und Roth, ist eine eigentümliche Blues-Pop-Nummer, die wie ein Vorläufer zu „Back­stage Queen“ wirkt, aber in der Umsetzung nicht ganz so gelungen ist, dem Album aber nichtsdestotrotz ein Minimum an Krautrock-Integrität verleiht und sich auf einen ansprechenden Basslauf stützt.

In Trance schließt mit einer Art Betthupferl, „Night Lights“, ab. „Du weißt schon, jeder dieser Songs hat seine eigene kleine Geschichte“, sinniert Roth, der alleinige Komponist dieses Instrumentalstücks, „einige von ihnen mehr als andere. Es war so – ich hatte ebenso viel Anteil an den anderen Songs, aber die Credits bekam ich, wenn ich einen Song praktisch alleine schrieb. Diesen jedenfalls schrieb ich mehr oder weniger zu Hause. Ich wollte in Bezug auf Melodie etwas – sagen wir mal – Ausgefeilteres versuchen. Weil es eben mein zweites Album war. Auf dem ersten musste ich erst noch in die Spur finden, weil ich bis dahin sehr viel klassische Gitarre gespielt und die E-Gitarre vernachlässigt hatte. Als es dann mit Scorpions losging, fing ich wieder damit an. Also probierte ich auf In Trance etwas mehr aus und experimentierte mehr mit dem Instrument. Ich fing an, Gitarren-Leads zu komponieren, anstelle sie nur zu improvisieren. Ein frühes Bespiel hierfür war eben „Night Lights“. Ich schätze, es ist stark von Jeff Beck beeinflusst. Außerdem war es eine Übung für mich, bei der ich in etwas eintauchen konnte, das eher unbekanntes Territorium für mich darstellte. Zum Glück ging das bei den Scorpions damals. Wir waren durch nichts eingeschränkt. Wir erkundeten das Unbekannte. Was auch immer uns zuflog, wir probierten es aus. Es lief alles sehr frei ab.“ Vielleicht auch noch immer ein wenig zu frei für den Geschmack der breiten Masse, aber deswegen sollte sich schließlich kein Künstler graue Haare wachsen lassen, oder?

Zwar enthält In Trance schon mehr zugängliche Songs und wurde positiver als seine Vorgänger aufgenommen, doch wirkte das Album immer noch nicht wirklich zusammenhängend. Wenn etwas darauf einen zusammenhängenden Eindruck vermittelte, dann am ehesten noch das Konzept tiefschürfender Gedanken vor einer Kulisse aus schwermütigem, düsterem Hardrock.

„Fly To The Rainbow promoteten wir 1974, und dafür spielten wir hauptsächlich in Deutschland“, erinnert sich Uli und schildert den Umfang der damaligen Touren. „Wir traten auf ein paar großen Festivals auf, spielten aber auch viele Club-Gigs. 1975 gingen wir dann vermehrt ins Ausland. Wir spielten in Holland, Frankreich, Belgien und nach In Trance auch zum ersten Mal in England. Das machte einen großen Unterschied aus, weil wir auf diesen Touren mehr und mehr Inspiration sammeln konnten. Und weil du danach fragst: 1975 spielten wir auch mehrere Touren als Support-Band. Wir waren etwa mit der englischen Gruppe The Sweet unterwegs. Das war eine Glam-Rock-Band, die einige Hits hatte. Ihr Publikum bestand im Grunde aus vierzehn bis sechzehn Jahre alten Kids. Das war nicht wirklich angemessen für uns, aber wir schlugen uns wacker.“

Apropos The Sweet: Ebenso im Jahr 1975 begaben sich die Scorpions „undercover“ und nahmen als The Hunters deutschsprachige Coverversionen von „Fox On The Run“ und „Action“ auf. Das Cover der Single zierte ein lieber, kuscheliger Fuchs.

Auf die Frage, was für ihn die erste richtig große Tour-Erfahrung außerhalb Deutschlands gewesen sei, antwortet Francis, dass dies wohl nur Großbritannien sein könnte. „Wir spielten zwanzig bis dreißig Shows in kleineren Clubs. Zu den Höhepunkten zählten der Cavern Club in Liverpool, wo die Beatles in ihre Anfangstagen auftraten, und das Marquee in London, wo die wichtigste Show stattfand, weil jeder von der Plattenfirma und den Musikzeitschriften aufkreuzte. Die Booking-Agentur buchte das letzte Konzert immer in London. Ich glaube, die machten das, weil sie Angst hatten, die Band würde im Anschluss gleich wieder heimfahren und in den weniger wichtigen Städten gar nicht mehr auftreten. Das lag vor allem daran, dass unsere Gage so niedrig war und wir in den billigsten Absteigen schlafen mussten. Ich erinnere mich etwa noch an die schrecklichen Betttücher, die aus einem einfach zu waschenden, nicht bügelbaren dünnen Stoff gefertigt waren. Manche Besitzer dieser Gästehäuser wuschen die Laken gar nicht. Ich weiß noch, dass Rudolf mit Handschuhen und einem Schal über dem Mund schlief, damit er nicht mit dem Stoff in Kontakt kam.“

Um genau zu sein, spielte die Band 1975 ab Ende April bis Jahresende wieder in Deutschland (sowie ein Konzert in Frankreich). Ab Februar 1976 wurde wieder in heimatlichen Gefilden gespielt. Dazu kamen noch etliche Auftritte in Frankreich sowie ein Abstecher nach Großbritannien Anfang März.

„Meine Mutter betreibt in Nordengland ein Hotel“, erklärt Buchverleger Rob Godwin, der auch Ulis frühe Solowerke auf CD veröffentlichte. „Ich war da so etwas wie das Mädchen für alles. Oft stiegen Musiker und amerikanische Touristen bei uns ab. Eines Tages spazierte ich in die Lobby und sah da diese Typen an der Rezeption. Man sah ihnen sofort an, dass sie Rock ’n’ Roller waren. Fünf Typen aus der Band und ihre dreiköpfige Road-Crew. Sie hatten die Haare praktisch bis zum Arsch. Ich war total aufgeregt und fragte sie, ob sie in einer Band spielten. Sie sagten: ‚Yeah, wir sind die Scorpions.‘ Ich wusste, dass es in der Stadt nur einen Ort gab, wo sie hätten auftreten können, und zwar in der Nelson’s Column, der großen Konzerthalle in Nelson. Die Beatles und Hendrix hatten auch dort gespielt. Also fragte ich sie: ‚Wo wollt ihr denn auftreten?‘ Sie meinten daraufhin, dass sie in ebendieser Location auf die Bühne gehen würden. Ich sah sie an und sagte: ‚Nein, nein, das werdet ihr nicht.‘ Die Jungs sahen mich an, als hielten sie mich für total bescheuert: ‚Oh doch, das werden wir.‘ Ich blieb dabei: ‚Glaubt mir, ihr werdet nicht dort spielen.‘ Jetzt wollten sie von mir wissen, wovon ich da überhaupt sprach. Sie konnten aber nur wenig Englisch. Ein paar von ihren Roadies schon, aber die Band nicht wirklich. Am Tag zuvor – dem 18. März – war ich in der Stadt gewesen und mit meiner Kamera um den Hals herumspaziert, weil ich einen Fotokurs besuchte. Bei meinem Bummel wurde ich zufällig Zeuge, wie Nelson’s Column niederbrannte. Ich war der einzige vor Ort mit Kamera und schoss Bilder davon, wie das Feuer diese berühmte Konzerthalle zerstörte. Meine Fotos waren sogar in der Zeitung abgedruckt worden. Ich erklärte den Jungs also: ‚Die Location ist gestern erst abgebrannt.‘ Sie sahen mich ganz verdattert an. Ich versicherte ihnen, dass ich keine Scherze machte, und zeigte ihnen die Zeitung. Sie wussten nun nicht, was sie tun sollten, weil sie eigentlich direkt vom Hotel zum Soundcheck fahren wollten. Deshalb saßen sie eine Weile einfach herum und wirkten verloren. Wir checkten sie dann in ihre Zimmer ein. Ich bot ihnen Essen und so an, weil im Hotel sonst nichts los war. Es war kaum jemand da.“

„Wir hingen eine Weile zusammen herum. Uli schien total cool zu sein“, fährt Godwin fort. „Uli Roth hatte lange, weißblonde Haare, die ihm den ganzen Rücken hinunterhingen. Wie auch immer, nachdem sie ihren Gig nicht spielen konnten, kamen sie stattdessen in meine … nun ja, Disco. Es war aber keine Disco, wie wir sie uns heute vorstellen. Dafür war es noch ein wenig zu früh. Es war eigentlich nur ein Raum, in dem ich am Abend Musik auflegte und wo Leute herumsaßen, tranken und sich amüsierten. Die Band kreuzte also in meiner Disco auf und setzte sich zu mir. Irgendwann fingen sie an, sich Songs von mir zu wünschen. Die nächsten drei Stunden oder so markierte ich also den DJ für sie und spielte, was sie hören wollten.“

Godwin macht jetzt einen Schnellvorlauf zum Ende des Abends. „Das Hotel schloss um ein Uhr, sie hatten schon ein paar Drinks intus und wollten noch nicht Schluss machen. Also bot ich ihnen an, mich zu meinem Cottage zu begleiten. Die Hütte war nicht allzu weit vom Hotel entfernt. Ich sagte: ‚Da könnten wir weiter trinken und ich könnte euch ein paar Hendrix-Bootlegs vorspielen.‘ Uli Roth war richtig begeistert von dieser Idee. Drei oder vier von ihnen kamen also mit zu meinem Cottage und ich spielte ihnen Hendrix Live At The LA Forum vor. Uli war schwer angetan davon. Wir saßen herum und hörten zu. Dann kramte ich noch das brandneue Album der Pretty Things hervor, zu dem sie total abfeierten. Sie fanden, es wäre das beste Album, das sie im ganzen Jahr gehört hätten. Ich verstand mich auch richtig gut mit ihren drei Roadies: ein Belgier namens Bernard, ein Deutscher namens Axel und noch ein weiterer Deutscher, den sie Langer riefen. Rudy, ihr Schlagzeuger, sprach am besten Englisch und wir verstanden uns gut. Klaus, der Sänger, vermittelte damals den Eindruck, dass er gar kein Englisch spräche. Die Roadies fragte ich, wie zum Teufel er die Songs auf Englisch singen konnte. Sie erklärten mir, dass er im Grunde genommen phonetisch vorging. Es bestand für mich kein Grund, dies anzuzweifeln, weil er nie Englisch mit mir sprach. Rudy war echt nett. Auch Uli Roth sprach echt gutes Englisch und ich verstand mich sehr gut mit ihm. Am nächsten Morgen wollte er das Frühstück in sein Zimmer gebracht haben. Als ich in sein Zimmer kam, saß er mit seiner weißen Stratocaster auf dem Bett und spielte sie über einen kleinen Amp. Es war elf Uhr morgens und er übte auf seiner Matratze in seinem Hotelzimmer. Ich stellte ihm also sein Frühstück hin und hörte ihm zu. Ich war total geplättet davon, wie gut der Typ war. Es war unglaublich. Dann sagte er mir, dass er jeden Tag übte. Das war eines der Dinge, die er mir gegenüber betonte. Auf die Art: ‚Mir ist nichts in den Schoß gefallen, ich arbeite jeden Tag hart an mir.‘“

Die beiden plauderten noch eine Weile und Godwin erfuhr, „dass sie an diesem Abend noch einen Gig in der Nähe spielen würden. Ich sagte ihm, dass der Ort Accrington hieß. Sie luden dann ihr ganzes Zeug wieder in ihren Truck und ich fuhr zusammen mit Axel, Bernard und Langer mit. Auf dem Weg sagte mir Axel, dass er gerade erst als Roadie mit Yes unterwegs gewesen war, wovon ich schwer beeindruckt war. Ich war damals ja ein großer Yes-Fan … Aber egal – wir trafen also zu diesem Gig in Accrington ein und ich half ihnen dabei, ihre Ausrüstung in diesen winzigen Club mit sehr niedriger Decke zu schleppen und alles aufzubauen. Ich erinnere mich, dass Uli einen Orange-Amp verwendete. So einen hatte ich noch nie gesehen. Alle anderen spielten ja über Marshalls und so ’nen Kram. Er zauberte also diesen knallorangen Verstärker hervor und er sah aus, als hätte er ihn aus einem Süßwarenladen. Dann stellte ich mich nahe am Mischpult hin, von wo aus ich ihren Auftritt verfolgte. Was mir wirklich auffiel, war, dass sie wie zwei Bands auf einmal wirkten. Zuerst spielten sie nämlich vier oder fünf Songs zu fünft. Dann gingen Rudi und Klaus aber von der Bühne ab. Ich weiß nicht, wo sie hingingen, ob in die Garderobe oder an die Bar, aber nun standen Uli, der Bassist und der Drummer als Power-Trio auf der Bühne. Es war ziemlich offenkundig, dass Uli sich bis zu einem gewissen Grad an Hendrix orientierte. Er war ja ein riesiger Hendrix-Fan, das hatte er mir auch schon gesagt. Aber sie spielten Uli Roths Track von In Trance. Ich fand das nur irre schräg für eine Band. Zuerst noch zu fünft auf der Bühne und dann verließen Sänger und Gitarrist die Bühne, um den anderen dreien das Feld zu überlassen.“

Rob glaubt, dass das Uli-Set an jenem Abend drei oder vier Songs umfasste und etwas weniger als hundert Konzertbesucher zu der Show gekommen waren. „Uli spielte also sein eigenes kurzes Set, bis die anderen beiden zurückkehrten, um den Rest wieder zu fünft zu spielen. Und das war’s dann auch schon. Dann half ich ihnen noch, wieder zusammenzupacken. Sie beschlossen daraufhin, dass sie für kurze Zeit das Hotel meiner Mutter als eine Art vorübergehendes Hauptquartier nutzen würden. Sie achtete darauf, dass alles makellos war. Es war ein sehr nettes Hotel mit absolut sauberen Zimmern. Das gab vermutlich den Ausschlag.“

Am darauf folgenden Abend spielte die Band einen Gig in Doncaster, den Godwin ausließ. Allerdings sprang er am Abend darauf in Huddersfield noch einmal pflichtbewusst als Roadie ein.

„Ich ging zweimal mit ihnen aus und sie blieben noch ein paar Nächte, während sie Shows in Blackpool und so spielten. Dann checkten sie wieder aus und reisten ab. Es war schon ein merkwürdiger Zufall, dass wir viele Jahre später, als wir Griffin Music betrieben, die drei Soloalben von Uli angeboten bekamen und Griffin sie veröffentlichte. Ich fand das unglaublich cool, weil ich mich noch daran erinnerte, wie sehr mich Uli beeindruckt hatte. Wir übernahmen also mit Griffin seine Soloalben von EMI Special Projects. Kurz nachdem wir sie herausgebracht hatten, kümmerten wir uns auch um ein Hendrix-Buch, und der Autor ließ mich wissen, dass ihm ein richtig cooles Gemälde, das Hendrix zeigte und Uli gehörte, angeboten worden war. Monika Dannemann hatte es gemalt und wir durften es für das Buchcover verwenden. Er stellte also einen Kontakt zwischen Uli und mir her und wir unterhielten uns. Ich dankte ihm, dass er uns sein Bild für das Cover des Hendrix-Buchs verwenden ließ. Außerdem erinnerte ich ihn an meine kurze Zeit als Scorpions-­Roadie [lacht]. Er konnte sich daran entsinnen, und das fand ich echt cool, denn schließlich waren inzwischen dreißig Jahre vergangen.“

Godwins abschließender Beitrag zur Scorpions-Geschichte sind eine Beschreibung der Musicland Studios, wo die Band Fly To The Rainbow aufnahm, sowie noch ein paar Worte zu Reinhold Mack, dem vorrangigen Produzenten ebendieser Platte, und darüber, wie er ein paar Jahre später arbeitete.

„Ich war mit ein paar Freunden dort, die in einer Blues-Rock-Band spielten, die ich lieber nicht erwähne“, erinnert sich Rob an seinen Studio-Besuch. „Ich freute mich darüber, dort zu sein, weil ich wusste, dass Led Zeppelin dort Presence aufgenommen hatten. Giorgio Moroder hatte das Studio bauen lassen. An den Wänden hingen überall Goldene Schallplatten, etwa von ELO, Queen, Deep Purple und – wohl erst seit Kurzem – Billy Squier. Das Studio befand sich an einem Ort, wo es wohl niemand vermutet hätte, nämlich direkt unter einem Hotel. Keine Fenster. Das einzige Coole dort war, dass die Schlagzeugkabine Türen hatte, durch die man direkt in die Tiefgarage gelangte. John Bonham hatte Presence angeblich mit offenen Türen aufgenommen, um einen bombastischen Sound zu erzeugen. Mack ging dort ein und aus. Er stand damals im Ruf, ein solider Produzent zu sein. Ich hatte schon ziemlich viel Zeit mit ein paar anderen Studiotechnikern und Produzenten in ein paar Studios in Los Angeles verbracht, weshalb mir sofort auffiel, dass Macks Methoden anders waren. Kurz nachdem wir eingetroffen waren, brachte er einen Drumcomputer ins Spiel. Ich war entsetzt, denn der Schlagzeuger, den wir dabei hatten, war ein fantastischer Drummer. Ich konnte einfach nicht nachvollziehen, was Mack sich dabei dachte. Zuerst forderte er den Schlagzeuger auf, zu einem Click-Track zu spielen, was schon eigenartig ist, wenn man Blues spielt. Als der Drummer dann nicht das Feeling hinbekam, das ihm vorschwebte, bat Mack ihn darum, seine Parts doch in den Drumcomputer einzugeben. Irgendwann verließ der Drummer dann frustriert das Studio und flog heim. Als Nächstes vertschüsste sich dann der Bassist. Ich folgte wenig später, zum Teil, weil ich mich abgestoßen fühlte, aber auch, weil es einfach nichts zu tun gab für mich. Das daraus resultierende Album erntete zwar viel Kritikerlob, unterschied sich jedoch stark von dem, für was die Band stand. Vom technischen Standpunkt aus war Mack absolut auf der Höhe, aber dieser Raum und diese Location killten jegliches musikalische Gefühl. Und so war das Endergebnis zwar technisch gesehen makellos, verfügte jedoch über keinerlei Emotionalität. Die technische Sterilität, für die dort in den späten Siebzigerjahren Pionierarbeit geleistet wurde – Drumcomputer, Click-Track, MIDI-Technik und überzogene Produktionsmethoden – repräsentierte in meinen Augen alles, was in der Rockmusik der Achtziger- und Neunzigerjahre falsch lief. Mack war zwar ein fast schon obsessiver Akribiker, aber die Technologie rückte in den Mittelpunkt und die Musik wurde gesäubert und homogenisiert, bis sie zu einer Art ‚McMusic‘ wurde.“

„In Trance war im Vergleich zu Fly To The Rainbow schon ein Fortschritt“, glaubt Uli Roth. „Ich fand, dass alle Scorpions-Alben und alle meine späteren Platten fast schon wie Schnappschüsse und Momentaufnahmen klangen. Als Künstler und Musiker bewegt man sich vorwärts – und genau das taten wir auch. Mit jedem neuen Jahr versuchten wir neue Dinge zu lernen und unsere Schwingen auszubreiten. Wir wuchsen musikalisch, weshalb wir bei jedem neuen Album versuchten, etwas anderes auszuprobieren. Die Songs wurden etwas … nun ja, ich würde nicht sagen ausgeklügelter, aber in Bezug auf das Songwriting durchliefen wir schon einen Wachstumsprozess. Wir experimentierten und jedes Album – wir nahmen jedes Jahr ein neues auf – brachte uns einen Schritt weiter. Meiner Meinung nach entstand das erste sehr, sehr schnell, ohne dass im Studio viel Zeit zur Verfügung gestanden hätte. Ich glaube, das Album war nach einer Woche praktisch im Kasten. Außerdem waren wir im Studio auch noch ziemlich unerfahren. Wir mussten uns erst einmal richtig einlernen. Beim zweiten Mal waren wir alle schon ein bisschen erfahrener und das Album spiegelt das vielleicht auch wieder, obwohl manche Leute das erste bevorzugen. Darauf gab es den Titeltrack ‚Fly To The Rainbow‘, der eine Art Vorläufer für gewisse Dinge sein sollte, die später noch folgten.“

Nach den umfangreichen Bemühungen um Großbritannien im Jahr 1976 – die Band trat dort an fast jedem Abend im März auf –, ging es wieder zurück aufs europäische Festland, wo die Scorpions von April bis Oktober und großenteils in Deutschland spielten. Im November rundete die Gruppe das Jahr noch mit einem weiteren Dutzend Gigs in Großbritannien ab.

„Amerika stand ein paarmal zur Debatte, letztendlich kam es aber nicht dazu“, erinnert sich Uli, der der verpassten Möglichkeit nachtrauert. „Wir standen damals bei RCA unter Vertrag und ich glaube, dass der Boss der Plattenfirma in New York kein großer Scorpions-Fan war. Es wäre ja fast dazu gekommen, aber letztlich dann doch nicht. Ich denke, dass wir zu einer Art Kultband in den Vereinigten Staaten wurden. Aber damals wussten wir das nicht. Das fanden wir erst ungefähr zu der Zeit heraus, als ich die Band verließ. Da war es aber eben schon vorbei für mich und ich wollte einfach nur mehr weg.“

„KISS kamen zum ersten Mal nach Europa, nach Deutschland“, berichtet Uli, als er auf die frühen Meilensteine angesprochen wird, die sich tatsächlich für die Band ergaben. „Paul Stanley hatte In Trance gehört und zu den zuständigen Entscheidungsträgern gesagt: ‚Ich will diese Band als Support in Deutschland.‘ Wir wussten aber nicht, wer KISS waren. Zumindest ich nicht. Ich hatte keine Ahnung. Ich weiß noch, wie ich vor dem ersten Gig – bereit, auf die Bühne zu gehen – mit meinen Mokassins im Aufzug stand und neben mir dieses Ungetüm. Es war Gene Simmons in seiner kompletten Aufmachung inklusive der Plateaustiefel. Er lächelte mich von oben an. Ich fragte mich, was zum Geier da vor sich ging. Dann sah ich sie auf der Bühne und er spuckte Blut über die ganze Bühne. Igittigitt! Aber gleichzeitig fand ich es auch irgendwie witzig [lacht]. Das war bevor sie so eine riesengroße Band wurden. Es war schon lustig, weil ich bei der letzten NAMM Show oder dem Jahr davor – ich weiß es nicht mehr so genau – Gene Simmons wiederbegegnete. Er fragte mich, ob Rudolf noch immer Kopfstand macht. Ich verneinte, aber er erinnerte sich an alles von der ersten Tour! Woran er sich aber am besten erinnerte, waren die Ticketpreise! Er sagte: ‚Ach ja, die Tickets kosteten bloß zehn Mäuse oder so!‘ Das war unglaublich, dass er sich nach all den Jahren immer noch darüber ärgerte, dass die Eintrittspreise damals so niedrig gewesen waren.“

Wind Of Change:

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