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1. Kapitel

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Es ist immer unangenehm, die Wahrheit zu berichten, besonders dann, wenn eine Geschichte so endet wie diese. Doch die Erinnerung, wenn es schlimme Dinge zu berichten gilt, selbst wenn sie nur wenige Wochen zurückliegen, ist äußerst unzuverlässig. Schon beginnen sich die Ereignisse in meinem Gedächtnis zu verwischen, ich bemerke, wie ich versuche, schön zu färben, was ich getan habe. Ich muß mich beeilen!

Deshalb erzähle ich Ihnen jetzt, was uns - oder mir - zugestoßen ist, und zwar vor ganz kurzer Zeit, nämlich in der Nacht vom ... zum ..... Wir, das heißt mein Freund Edmund, seine Frau Michelle und ich, wollten an die Atlantik-Küste fahren.

Es war nichts weiter als Übermut, - oder vielleicht war es doch kein Zufall? - daß ich in Lissabon nicht die nächste Maschine nach Paris genommen hatte, sondern diesen Abstecher an die Atlantikküste machte, zu dem mich Edmund überredet hatte. Ich hatte Edmund viele Jahre nicht gesehen. Wie konnte ich da seine Einladung ausschlagen?

Zuvor war ich länger als einen Monat in Thailand gewesen, um einen Film zu drehen, einen Dokumentarfilm über einen Amerikaner, der buddhistischer Mönch geworden war. Ein langweiliger Mensch, der nun im Schweigen und Meditieren seiner Langeweile soetwas wie einen Sinn zu geben versuchte.

Währenddessen hatte in Portugal die unblutige Revolution gegen das Regime von Salazar stattgefunden, schon lange Totgeglaubte waren dem Staatsgefängnis entstiegen, Blitzlichter der Freude in den bleichen Gesichtern, auf den Straßen hatten Feste stattgefunden, und ich, ausgerechnet ich, hatte dieses Ereignis in Thailand verpaßt.

Schon während der letzten Tage meines Aufenthaltes in Lissabon hatte sich das Wetter geändert. Über den Bergen der Umgebung erschienen immer wieder schwarze drohende Wolken und überschütteten die Stadt mit kurzen Regengüssen. Jeden Abend begann ein heftiger kalter Wind stoßweise von Nordwesten zu wehen.

Wir konnten uns erst spät abends in Lissabon von unseren Freunden verabschieden und fuhren bei völliger Dunkelheit los. Wie Sie nicht wissen können, regnete es in jener Nacht. Dazu stürmte es fast während der ganzen Fahrt. Die Natur schien in Aufruhr geraten zu sein.

Wir waren die Fernstraße über Grandola gefahren und hatten uns vom Meer entfernt. Wir waren alle müde, hatten vor dem Aufbruch reichlich zu Abend gegessen und etwas zuviel getrunken und es fiel uns schwer, wach zu bleiben.

Als wir uns dem Atlantik wieder näherten und durch Cercal fuhren, dort, wo die Straße nach Odemira abzweigt, rief Edmund plötzlich:

"Halt einmal! Da winkt jemand!"

Durch die Schlieren, die der Scheibenwischer hin und her schlug, gewahrte ich jetzt im grünlichen Licht einer Laterne am Straßenrand einen Schatten, eine junge Frau. Ich hatte so auf die nasse Straße achten müssen, daß ich sie vorher nicht gesehen hatte.

Sie duckte sich vor dem Regen und verkroch sich in ihrem hochgeschlagenen Mantelkragen. Die langen Haare hingen ihr in das Gesicht.

Nun ist eine junge Frau, die nachts in Portugal an der Straße steht und mitgenommen werden möchte, etwas überaus Ungewöhnliches. Ich bremste also, so scharf es bei dem Wetter möglich war.

Edmund, der hinten saß, öffnete die Tür und fragte sie:

"Wo möchten Sie denn hin?"

Sie antwortete aus der Dunkelheit heraus leise und scheu:

"Nach Vila nova de Milfontes."

"Da wollen wir auch hin." rief Edmund, "Steigen Sie ein!"

Die Anhalterin setzte sich neben Edmund auf die Rückbank und murmelte mit vor Kälte zitternder Stimme ein leises "Danke!" Sie schien vollkommen durchnäßt zu sein. Wir waren froh, ihr diesen kleinen Gefallen tun zu können und auch darüber, etwas Gesellschaft zu haben. Nur Michelle gab keinen Laut von sich, sie schien ungehalten über den neuen Gast im Wagen.

Ab und zu, wenn ein Auto uns entgegen kam, und seine Scheinwerfer Licht in unseren Wagen warfen, sah ich im Rückspiegel ein blasses ovales Gesicht, verhangen mit nassen Haaren. Mein Gott, war sie blaß! Es ging mir ordentlich durch mein Inneres. Nie hatte ich ein so blasses Gesicht gesehen!

"Sie sind so blaß, Sie sind doch hoffentlich nicht krank?" fragte ich sie endlich. Sie schüttelte nur den Kopf. In dem Moment überholte uns ein Lastwagen und übergoß den Wagen mit einem wahren Sturzbach, sodaß die Scheibenwischer Mühe hatten, die Wassermassen wegzuschieben.

Aus Höflichkeit, vielleicht auch aus Neugier, versuchte ich noch ein- oder zweimal, ein Gespräch mit der jungen Frau anzufangen, doch sie war nicht sehr gesprächig. Wahrscheinlich war sie einfach nur müde.

Als wir etwa eine halbe Stunde gefahren waren, wurde sie unruhig, tippte mich an die Schulter, die Berührung war kaum zu spüren, und sagte:

"Können Sie bitte jetzt anhalten?"

"Natürlich, wenn Sie es wünschen, - aber wieso?"

"Ich muß jetzt aussteigen ..."

"Wir nehmen Sie gern mit nach Milfontes, da wollten Sie doch hin?"

"Ich habe es mir anders überlegt."

Wir hielten ihr vor, wie unvernünftig es wäre, jetzt allein durch die Nacht zu irren. Doch sie ließ sich nicht bereden. Etwas wie Panik schwang in ihrer eigentümlich rauhen, fast heiseren Stimme, als sie bat:

"Lassen Sie mich bitte jetzt gleich heraus! So schnell es geht, bitte!" Sie war vielleicht doch ein wenig krank, mindestens erkältet, dachte ich, und sagte:

"Selbstverständlich, wenn Sie es wollen!"

Wir hielten also an, an einem Rondell mit Kreisverkehr außerhalb von Cercal, und ließen sie aussteigen.

Sie beugte sich noch einmal in den Wagen, und reichte Edmund ein Kuvert,

"Hier ist ein Brief, wenn Sie so freundlich sein wollen, ihn in der ... Straße abzugeben."

"Wie sollen wir das jetzt mitten in der Nacht finden?"

"Sie nehmen die letzte Abzweigung links, bevor Sie nach Milfontes hineinfahren. Es ist das Kastell, gegenüber der Flußmündung ..." Damit verlor sie sich in die Nacht.

Wir fuhren weiter, recht beunruhigt darüber, eine junge Frau, ein Mädchen fast noch, so schutzlos und allein in der Nacht zurücklassen zu müssen.

Und wo, um Gottes Willen, wollte sie bei diesem Wetter hin?

Das Geheimnis der Anhalterin

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