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8. Kapitel

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Edmund kam auch wirklich bald herab zu mir in den Innenhof, und wir machten vor dem Zubettgehen noch einen kleinen Rundgang durch das Kastell. Im Kreuzgang fanden wir eine Tafel aus blauen Kacheln, die in die Wand eingelassen war: 'Ich kaufte dieses Kastell als Ruine 1939. Fünf Jahre lang habe ich es wiederaufgebaut mit der Hilfe des Architekten ... und des Meisters ... September 1944' - Welch ein glückliches Land, in diesem für das übrige Europa so schrecklichen Jahr!

Im Bogengang setzte ich mich auf die Fensterbank, dort lagen Kissen, und sah hinab auf den Fluß. Edmund blieb neben mir stehen, angelehnt an die Bogenlaibung. Die Fenster-scheiben waren vom Salz getrübt. Einige fehlten. Doch die grünen Rahmen ließen sich leicht öffnen.

Eine Fledermaus jagte über unseren Köpfen. Am östlichen Himmel hing ein müder blasser Mond. Die flachen Wellen des Meeres brachen sich wie Quecksilberperlen auf dem fernen Sandstrand. Die Hitze, die uns den ganzen Tag gequält hatte, hatte endlich nachgelassen. Wir hatten wenig Lust zu reden, und ließen die Schönheit des Abends unangetastet.

Die Dämmerung fiel unmerklich, schob den Horizont ins Blaue, das Blau des Meeres schwamm hoch bis zu den Dünen, der Himmel wölbte sich zu seiner ursprünglichen Form. In der Ferne fuhren die alten Männer in ihren winzigen Booten in den Abendhimmel hinein, in das Weltuntergangslicht, dort hinten, wo das Meer aufhörte.

"Warum bist du eigentlich von Paris fort und nach Thailand gegangen, - nur um diesen Film zu drehen?", fragte mich Edmund. Ich wollte nicht von Javica sprechen und sagte:

"Als bei dem letzten Film, den ich vor Thailand gedreht hatte, einer unserer Schauspieler, ein Mann, den ich kaum kannte, er war übrigens geschieden, mir beim Kaffee von seinen Depressionen berichtete und von seinen Plänen, sich aufzuhängen, und ich mich, nachdem ich müde zugehört hatte, bei den Worten ertappte: 'Das mögen wir aber gar nicht!', da dachte ich: jetzt ist es soweit!"

Edmund lachte kurz auf,

"Hat er sich denn aufgehängt?"

"Ich weiß es nicht! Jedenfalls will ich so bald keine Filme mehr drehen."

"Was willst du dann tun?"

"Ich weiß es nicht! Meinen Onkel fragen, ob er mir Geld leihen kann."

Wir schwiegen eine Zeitlang. Ich hing wieder meinen Gedanken an Mildred und an ihre Mutter nach, - und auch, ja auch an Anna, - und versuchte, die merkwürdige Unruhe, die mich hier immer wieder überfiel, zu verstehen. - War ich etwa verliebt? - Ja, vielleicht, - aber in wen?

"Es wird Nebel geben heute nacht!", unterbrach Edmund mein Nachsinnen, "Schau! Über dem Meer steigt Dunst auf. Und fühl einmal! Die Kissen werden schon feucht von niedersinkenden Tau."

Schließlich standen wir auf und gingen hoch auf die Plattform, die man über die gleiche Wendeltreppe erreichte wie den oberen Flur, wo unsere Zimmer lagen.

Der Möwenfelsen in der Ferne ragte schwarz und silbern aus dem Meer, das blau, wie magisch, leuchtete. Es war wie eine Kaiserkrönung des Felsens, ein schroffes Profil wurde sichtbar, schwarz und funkelnd, eine Krone dem Herrscher im Totenreich.

Der Himmel war zu tiefem Schwarz geworden. Der fast runde Mond stand jetzt schon über den verbrannten Hügeln in der Ferne, über den spärlichen trockenen Eukalyptus- und Pinienhainen hoch im ewig wolkenlosen glimmenden Nachthimmel. Der Abendstern glühte, ein Halogen-Brillant. Die anderen Sterne waren dagegen nichts als fade verblichene Punkte, Lampen leerer Batterien. Der Wind kämmte zärtlich die kurzen Wellen. Dort oben hinter den Sternen wurde es still. Wir redeten wieder, aber behutsam.

"Schön, daß du endlich hier bist,", sagte Edmund leise, "und nach so langen Jahren wurde es auch Zeit, daß du einmal kamst!"

"Ja!", erwiderte ich, "Was willst du noch? Hier bin ich!"

Vom Atlantik kamen Wolkenschleier gezogen, die alles in ein milchiges Grau kleideten. Ich erzählte ein wenig von Thailand, von diesem fremden, fremden Land, mit seinen fremden, fremden Menschen. Dann schwiegen wir eine Zeitlang.

"Wenn ich nicht mehr bin," sagte Edmund plötzlich, "ich wüßte nicht, in welch ein Lebewesen ich meine Seele bergen sollte." Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als ich diese Worte hörte.

Kurz darauf hörten wir Schritte die Treppe heraufkommen. Der portugiesische Großvater und die portugiesische Großmutter Annas kamen zu uns auf die oberste Plattform des Kastells. Sie begrüßten uns kurz, standen dann für sich und redeten lange und leise und aufgeregt miteinander. Endlich beruhigten sie sich, gesellten sich für einige höfliche Sätze zu uns, und stiegen schließlich nach einem 'Gute Nacht!' hinab.

Edmund, der die Unterhaltung der beiden verstanden hatte, erzählte, daß sich die Großeltern Sorgen machten über ihre Enkelin, er hatte etwas gehört wie: 'Droht von der Schule zu fliegen - zu den Verwandten geben auf's Land - sie träumt zuviel -' 'Sollen die Eltern sie etwa verheiraten?', hatte die Großmutter gesagt - 'Sie ist doch noch gar nicht reif!' hatte der Großvater geantwortet. - 'Noch nicht, aber Zeit wird's langsam!'"

"Anna?", sagte ich fassungslos, "Sie ist ja noch ein Kind!"

"Weniger als du denkst!", erwiderte Edmund.

Wortlos reichte ich ihm den Zettel, auf dem die Warnung vor einer Frau geschrieben stand.

"Was ist das?", fragte Edmund, las den Zettel und gab ihn mir zurück.

"Eine Kinderei!", sagte ich.

"Hier im Hotel ist Anna das einzige Kind! Kein Wunder, wenn sie sich langweilt.", sagte Edmund.

Er war müde, er wollte ins Bett und ging bald. Ich blieb noch ein wenig, und genoß den Blick in die Weite. Der Fluß, aus dem jetzt der Nebel aufstieg, lag grau unter mir, dahinter, kaum noch erkennbar, die bleichen Häuschen des Dorfes, mit kleinen gelben und blassen Lichtflecken.

Unten, am Steg des Kastells, legte wie ein Schatten ein Boot mit einer zitternden Lampe an. Eine schlanke dunkelhaarige Frau, die außerhalb meines Blickfeldes am Fuße des Kastells gestanden haben mußte, kam zielstrebig die Treppe herab. Sie winkte dem Fährmann und sprang mit einem Satz vom Steg auf das Boot. Von ihrem Sprung schwankte das Boot und duckte sich. Das Boot hatte nicht festgemacht, es setzte seinen nur kurz unterbrochenen Weg fort, schräg gegen die Strömung, hinaus auf das Meer. Ein intensives, drängendes Interesse erwachte in mir: Wer war die schlanke Frau? Und wohin verschwand sie?

Als ich von der Plattform zurück in das Treppenhaus ging, sah ich nur noch die Tür, und sah nicht, daß die Türflügel nicht gleichzeitig mit mir aufgingen, sondern der eine Flügel sich gegen mich verschworen hatte und nun mit aller Härte des Holzes gegen meine Nase und Stirn schlug. Das auch noch! Nasenbluten natürlich. Das würde Flecken geben auf dem Parkett meines Zimmers.

Sicherheitshalber hielt ich mir das Taschentuch vor Nase und Stirn, und spürte einen dröhnenden Kopfschmerz. Unten im Flur tastete ich zum Lichtschalter. Im Flurspiegel sah ich die Röte meines eigenen Gesichts.

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