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4. Kapitel

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Am späten Vormittag machte ich mit Edmund einen Spaziergang zum Dorf, dann hinaus über die Felder, um die Umgebung ein wenig kennenzulernen. Die Straße wurde bald brüchig, ein einsames Gehöft tauchte auf, es schien völlig menschenleer zu sein, nur ein einzelner Hahn pickte auf dem Weg, er suchte wohl Käfer im ockerfarbenen Staub, zwischen Mauern, die aussahen, wie aus den Wunden der Erde gerissen. Es war still hier, sehr still. Die Stille stritt mit der Einsamkeit.

Wir verließen die Straße und gingen durch brusthohe vertrocknete Felder, gelbe Blumen wuchsen zwischen dem Getreide, liefen auf trockenen Wegen, aus denen die kleinen wilden Gladiolen sprossten. Dann durch Mandelbaum-plantagen. Viele der Bäume waren tot; nackt und schwarz standen sie in Reih und Glied auf nackter roter Erde. Wieder Gehöfte wie Burgen, wieder endlose Wege zwischen Steinmauern.

Die Hitze stand wie ein flimmerndes Fieber über der Landschaft. Ab und zu wurden wir umschwirrt von einer riesigen roten oder blauen Libelle, oder von den grünschillernden Käfern des Glücks. Hoch oben über uns kreisten zwei Adler.

In einem Zitronenhain, der gesäumt war von Zypressen, legten wir uns auf eine Wiese, in den Schatten, um ein wenig auszuruhen. Ich fürchtete in dieser Gluthitze einzuschlafen, weil ich Angst hatte, in einem anderen Körper aufzuwachen, so sehr hatte mir die Hitze zugesetzt. Um mich wachzuhalten, begann ich ein Gespräch mit Edmund. Das war wirklich schön an diesen Ferien, die Aussicht, daß ich mich fast zu jeder Zeit mit Edmund unterhalten konnte.

"Kann man sich in eine Seele verlieben?", fragte ich, ohne recht zu wissen, wieso ich auf diesen Gedanken gekommen war, "In die Seele einer Frau?"

Edmund antwortete erst nicht, er war anscheinend kurz eingenickt. Er gähnte und es dauerte eine geraume Zeit, bis er zu sich kam,

"Vielleicht ist die Frage falsch gestellt," sagte er, "vielleicht hättest du fragen sollen: 'Kann man sich in eine Frau ohne Seele verlieben!'"

"Und wie ist die Antwort?"

"Zweifellos ja! Das passiert sogar sehr häufig!"

Ich erschrak vor der Bitterkeit in seiner Stimme, und spürte eine Welle von Mitgefühl, vielleicht auch von Mitleid für Edmund. Wie leer und traurig mußte sein Leben mit Michelle sein, daß er soetwas sagen konnte! Edmund lächelte schmerzlich, als hätte er meine Gedanken erraten, und sagte:

"Ich denke, die Männer sind nicht geschaffen, nur eine Frau zu lieben. - Ich würde gern frei sein! Irgendwo sein, wo ich niemandem Rechenschaft schuldig bin!"

"Frei?", fragte ich, "Wirklich frei sind wir nur wenige Minuten, dann melden sich schon wieder irgendwelche Bedürfnisse, Zwänge, andere Menschen mit ihren Anforderungen."

"So will man immer das haben, was man nicht hat!" erwiderte Edmund.

Ich nickte, stand auf und begann ein paar wilde Blumen abzupflücken. Edmund sah mir dabei zu.

"Für wen sind sie?" fragte er.

"Ich weiß es nicht. Komm, pflück du auch welche!"

"Für wen?"

"Für Michelle!" sagte ich. Er zögerte, dann sagte er:

"Meinst du?"

"Versuch's!" Schließlich pflückten wir jeder einen Strauß Feldblumen und waren sehr vergnügt bei diesem unschuldigen Tun.

Als wir endlich wieder im Kastell eintrafen, herrschte die größte Mittagshitze. Michelle war in das Dorf gegangen, hörten wir, sich eine Illustrierte zu kaufen.

Edmund sah sie durch die Glastür aus dem kleinen Flur kommen und ging mit dem Strauß auf sie zu. Ich sah sofort, Michelle freute sich nicht über die Blumen. Sie schaute den Strauß an mit einem Blick, der vermutlich bedeutete: 'Was soll ich mit wilden Blumen, die überall umsonst wachsen?' Sie wollte die Blumen nicht einmal annehmen. Edmund war darüber so überrascht und verlegen, daß er nicht wußte, was tun, bis ich eingriff.

"Gib her!", sagte ich und nahm ihm den Strauß, den er ratlos in den Händen hin und her drehte, ab.

Da sah ich, daß das junge Mädchen, Anna, wieder in ihrem Liegestuhl lag. Sie war bleich, zusammengekrümmt und ganz in sich selbst versunken. Anna blickte auch nicht hoch, als sie uns hörte. Sie sah so traurig und verloren aus, daß ich mir vornahm, sie hinterher anzusprechen und irgendwie zu versuchen, sie zu trösten.

"Was hat die Kleine?", fragte Michelle leise. In einer plötzlichen Regung ging ich zu der kleinen Anna und gab ihr die Blumen, die sie zögernd und von Rot übergossen entgegennahm. Mir schien dabei, als ob sie jede Falte meines Lächeln suchte.

Sie stand sogar auf, machte einen kindlichen Knicks, danach einen übertriebenen Theater-knicks, hatte sich aber schnell wieder in der Gewalt. Dann lachte sie auf, wie über einen kleinen Scherz. - Was war mit diesem halben Kind?

Das Geheimnis der Anhalterin

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