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5. Kapitel

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Nun waren wir also in diesem Kastell von Milfontes. Es gehörte einer alten Condessa. Edmund hatte schon allerhand Fabelhaftes von der alten Dame gehört, sodaß meine Neugierde recht gespannt war, sie kennenzulernen. Und dann sollte es noch eine hübsche Nichte oder Tochter geben, von der man sich allerhand Seltsames erzählte, die recht eigenwillig sein sollte und fast so selten zu sehen wie ihre Tante oder Mutter. Doch ich war sehr enttäuscht, daß sich die alte Dame während des ganzen Aufenthaltes im Kastell nicht einmal zeigte. Aber bald sollte eine andere Person meine Aufmerksamkeit mehr als beanspruchen.

Das Personal des Hotels war ein wohltemperiertes Quintett: der dezente Diener, das adrette Stubenmädchen, die resolute Hausdame, die rundliche Köchin, und die einfache Frau zum Abwaschen.

Edmund und Michelle hatten das Zimmer Nummer drei bekommen, ich Nummer vier, 'Heather room'. Gegenüber auf der anderen Seite des Flurs lagen die Bäder: alt und schrecklich, aber sauber. Mein Zimmer hatte zwei Betten mit grüngeblümten Decken. Pfosten, Stühle, Schrank-Ecken, Griffe; - alles aus naturverkrümmtem Kastanien-Astholz.

Das Kastell steht an der Mündung des Flusses Mira in den Atlantik. Vor der Wut des Ozeans und dem ewigen Westwind wird es geschützt durch die Felsen und Dünen weit draußen. Es war zum Schutze der kleinen Stadt gegen arabische Piraten erbaut worden. Eine geschwungene Straße führt zum Strand hinab, der streckenweise steinig ist. Im Norden der Bucht liegen Dünen, dann eine Steilküste. Im Südosten streckt sich das Dorf aus, - oder die kleine Stadt: - Vila nova de Milfontes.

Edmund und ich wollten am Nachmittag endlich schwimmen gehen. Michelle war noch müde von der langen Autofahrt, und wollte lieber etwas schlafen.

"Michelle ist keine Frau, sondern ein Murmeltier." war Edmunds betrübter und resignierter Kommentar.

Es war nur der Himmel über uns und Luft und Licht - und in der Ferne schlief blau das Meer. Wir wanderten ein wenig am Strand entlang, neben den Dünen, bis zum Beginn der Steilküste, oder eines Kliffs; ihm gegenüber ragte fahl und grau und schemenhaft, fast körperlos der Felskegel der Möweninsel auf, wie eine zweite unwirkliche Festung. Überall lag das moderne Strandgut, abgeschabte Plastikflaschen, Beutel, Kanister, von der rauhen Zunge des gierigen Meeres beleckt. Es war unwirtlich hier, der Wind war kalt, das Wasser eisig.

Auf dem Rückweg sanken unsere Füße tief im Schwemmsand ein, in einem Sand, der wie Sumpf war. Dann wurde der Sand wieder fester und wir kamen an einem kleinen hübschen Strandrestaurant vorbei, einem Holzpavillon in Weiß und Blau.

"Schade, daß wir dort nicht zu Abend essen werden!" sagte Edmund bedauernd, denn wir hatten Vollpension bestellt. Bald danach überquerten wir die Straße und warfen einen Blick in die kleine Welt am Hafen, dann gingen wir noch in den Ort - oder in das Dorf. Niedrige, meist nur zweistöckige Häuser mit Ziegeln gedeckt oder flach. Die Gärten mit Mauern oder Hecken aus Bambusschilf eingefaßt. Dazwischen standen einige ältere, vornehmere Häuser mit schönen Balkonen. Und alles wurde überragt von der Kuppel der Kirche Nossa Senhora de Piedade.

Ein Menschentypus tauchte vor meinem geistigem Auge auf, fraglich, verschlossen, mit dem Tod auf vertrautem Fuß. Die Frauen glatt gescheitelt, die lockigen Haare straff zusammengebunden, - so wie Michelle manchmal ihre Haare trug. Die Männer mit zwei unbezähmbaren Stirnlocken und grauen Augen, von der Art des silbernen Mondlichts über den Klippen. Der Sohn im steten Kampf mit dem Vater.

Bald wurde es uns dort langweilig und wir gingen zurück zum Meer, zur Bucht. Die Mündung des Flusses Mira ist eine weite, sich zum Meer hin wieder verengende Bucht, wie eine Mundhöhle, vorn die Lippen und Zähne, 'zweimal täglich mit Salzwasser spülen!' so sagte es Anna später. - Anna!

Am Strand dort, zwischen den Agaven und dem Müll, saßen nur wenige Menschen. Doch hier war kaum Wind und wir zogen uns aus.

"Los!" rief Edmund, "Komm mit hinein!" und damit stürzte er sich in die Flut. Ich folgte ihm kurz darauf nach. Doch wir waren beide erschrocken, wie das Wasser uns empfing. Jetzt erst sahen wir, daß die Badestelle im Wasser mit einer rotweißen schwimmenden Schnur eingegrenzt war. Jetzt erst merkten wir auch, warum: Wir schwammen auf der Stelle, so stark war die Strömung, die uns hinaustragen wollte. Ich schwamm Schmetterlingsstil, aber nur einige schlaffe Schläge. Die Kälte lähmte mich, sie preßte mir die Schläfen zusammen in einem heftigen Schmerz.

Nach kurzer Zeit schon mußten wir das Wasser verlassen, trocketen uns ab und gingen zurück zum Kastell. Dort schien noch die Sonne. Meine helle Hose war naß geworden vom Salzwasser, das mir beim Umziehen von den Armen und Schultern getropft war.

"Das wird Flecken geben!" sagte ich leicht bestürzt.

"Um halb neun müssen wir pünktlich an der Tafel sitzen. Pünktlich und sauber!", sagte Edmund kalt. Ich wollte die Hose auf die Felsen legen, um sie trocknen zu lassen, doch der Wind nahm sie und trug sie davon; glücklicherweise nicht sehr weit. Als ich sie wieder eingefangen hatte, blickte ich zufällig hoch zur Zinne des Kastells. Dort oben, im Gegenlicht, stand eine schlanke Frau mit langen Haaren und schien sich über mein Mißgeschick gut zu amüsieren. In einer Art Schreck ließ ich meine Hose wieder in den nassen Sand fallen.

"Was denkst du über Michelle?" fragte Edmund, der mich inzwischen eingeholt hatte. Ich bückte mich gerade, um meine Hose aufzuheben.

"Eine reizende Frau!", sagte ich ohne zu überlegen, richtete mich wieder auf und starrte hoch zur Zinne. Es schien mir, als ob die Gestalt oben auf dem Kastell spöttisch zu mir herabsah.

"Eine interessante Frau." sagte ich.

"Ich glaube, sie mag dich!", sagte Edmund.

"Wirklich?", sagte ich abgelenkt und blickte immer wieder verstohlen nach oben. Endlich sah ich, wie die Frau oben sich einen Moment schwer auf die Brüstung lehnte, als wollte sie unten im Graben etwas suchen. Meine Gedanken gerieten in Aufruhr. Doch weshalb?

"Wir müssen gehen!", drängte Edmund.

"Sie hat einen guten Mann verdient ...", sagte ich mechanisch.

"Wer?", fragte Edmund, "Ich rede von Michelle!"

"Achso!", sagte ich, "entschuldige!". Die Frau auf der Zinne wich zurück, ohne noch einmal zu mir herabzusehen.

Meine Hose war voller Flecke. Braune schmierige Flecke vom Sand, häßlich sah es aus auf dem hellgelben Stoff.

"Wird man uns so überhaupt einlassen?", fragte Edmund im Scherz, "Ich kenne dich jedenfalls nicht!"

Verwundert schaute ich ihn an, er grinste, und wir beide fingen an zu lachen. Doch die Flecken trockneten schnell, und der Sand ließ sich sicherlich abbürsten.

Wir standen jetzt oben am Tor des Kastells. Im Graben, unter der Zugbrücke, konnten wir die haarigen Krabben beobachten, die dort zwischen den Steinen herumkletterten, offenbar war Ebbe und das Meer war weit zurückgewichen.

Edmund zog an der Glockenschnur, diesmal kräftig und energisch.

"In das grünende Haus der Venus und ihrer Tochter drin-gen wir ein!", sang ich leise die berühmte Stelle aus dem Tannhäuser vor mich hin. Der Diener öffnete auf unser Läuten und ließ uns wortlos ein. Er schien auf diese Weise sein Mißfallen an unserem Aufzug kundtun zu wollen. Er schloß das schwarze feste Tor hinter uns, drehte sich mit einer angedeuteten Verbeugung um und ging.

6. Kapitel

Wir machten uns fertig für das Abendessen, Als ich us dem Zimmer auf den Flur trat, und Michelle neben Edmund erblickte, erschrak ich beinahe. Sie hatte ein feines schwarzes Hängekleid angezogen, das ihren rundlichen Körper seltsam deutlich modellierte. Sie hatte sogar ihre Fingernägel lackiert, die leuchteten wir rosa Plastikrosen. Ich machte ihr ein höfliches Kompliment, worauf sie huldvoll lächelte. Dann gingen wir alle zusammen hinab in den Innenhof des Kastells.

In einer Ecke des Innenhofes entdeckten wir eine Tür, mit grüner Gaze verschleiert. Dahinter lag die Bar; daneben die Bibliothek, die natürlich unsere Neugierde erregte.

Auf der einen Seite stand ein Regal mit englischen Kriminalromanen: Wahllos griff ich mir eines der Bücher, es war 'The Striptease Murders', und las ein wenig darin: ' er hatte nur Theater gespielt, seine Augen waren trocken ...' Schnell stellte ich das Buch zurück. An der andern Wand: Französisch. Vieles unaufgeschnitten. Theatre de Alexandre Dumas fils. Die Kameliendame und ähnliches. - Doch da kam schon der Diener, und bat uns mit Gesten zu Tisch, in das Eßzimmer.

Was war das für ein Raum? Die Fenster waren zum Teil verhangen, der Raum wirkte dadurch dumpf und sogar ein wenig feucht. In einer Ecke stand ein alter japanischer Wandschirm mit der Darstellung von Störchen - den Sinnbildern langen Lebens. Die Wände waren mit Holz verkleidet, glattgehobeltem lasierten Pinienholz.

Der Diener hatte jetzt eine weiße Jacke an, die bis zum Hals hochgeknöpft war. Er wies uns stumm die Plätze an, schweigend setzten wir uns. Edmund saß natürlich neben Michelle, ich setzte mich den beiden gegenüber. Ziemlich weit von mir entfernt saßen die zwei blonden Damen, vermutlich Mutter und Tochter, die wir im Flur beim Telephonat gesehen hatten. Zwei Plätze an der Tafel waren nicht besetzt. Für wen waren diese Gedecke bestimmt?

Wir waren uns fast alle fremd und musterten uns schweigend. Leise, fast flüsternd begann eine zögernde Unterhaltung, dort in Englisch, da in Portugiesisch, hier in Französisch. War die grauhaarige Dame am Ende des langen Tisches die alte Condessa, die Besitzerin des Kastells? Aus ihren Blicken strahlte die kluge herzliche Güte des Alters. Wer diese alte Frau sah, hätte sie zur Großmutter haben wollen.

Neben der alten Dame saß das junge Mädchen, Anna. Anna erregte immer wieder meine Aufmerksamkeit. Sie schien nicht nur ziemlich altklug zu sein, sondern zeigte Andeutungen eines theatralischen Talents. Wenn sie sich unbeobachtet glaubte, spielte sie kleine Grimassenszenen für sich, so als ob sich zwei Leute pantomimisch miteinander unterhielten. Anna konnte ihr Gesicht kaum ruhig halten. Und immer wieder sah sie mich kurz und verstohlen mit einem verschwöre-

rischen Lächeln an.

'Nun, das bedeutet hungrig bleiben!' dachte ich, während ich die leeren Teller betrachtete und die Wohlerzogenheit, mit der alle warteten. Doch dann ertönte ein leiser Gong, aus der Küche offenbar, und der Diener verschwand. Er kam wieder, eine große Platte in der Hand, die er wie eine Opfergabe vor sich hertrug. Er beugte sich vor, wie in einem tiefen Hofknicks, und sank damit auf den Tisch. Offenbar wollte er die Ellbogen abstützen, denn die Platte war schwer, er verfehlte aber dabei den Tisch, und fiel beinahe, doch er hielt sich in letzter Sekunde und lächelte devot. So ging es reihum. Der Diener brachte uns noch mehrere Schüsseln und Platten. Zum Zeichen, daß man anfangen durfte, trat er zurück an die Tür.

Ich kostete als erstes den Wein.

"Der Wein ist billig und schlecht!", flüsterte ich Michelle zu, "Wahrscheinlich Rhone-Poulenc oder Algerien, douze degrées, irgendein giftiges Zeug. 'Palmenblut!' - so heißt er wahrscheinlich! Solch eine Barbarei! Noch dazu in einem Land des Weins wie Portugal, wo ich schon so aus-gezeichneten Wein getrunken habe."

Michelle lächelte gnädig.

Der Diener, der ein breites rundes Gesicht hatte, und eine platte, etwas aufgestülpte, arabisch wirkende Nase, stand neben der Tür und wartete darauf, daß die Gäste ihm Anweisungen gaben - vielmehr gab er uns mit seinen Blicken Anweisungen, wie ein Zeremonienmeister.

Ich hatte nicht erwartet, so fremdartige Kost vorzufinden, doch vom zweiten Gang an hörte ich auf zu probieren und aß das übrige ohne jede Analyse einfach auf. Ich vermute, daß gedünstete Austern dabei waren, oder irgendwelche anderen Mollusken, die ähnlich schmeckten. Zum Schluß geriet ich an etwas Süßes, eine Birne, die mit einer roten süßen Tunke übergossen war.

Endlich löste sich die erste Befangenheit, die Inseln der halblaut geführten Unterhaltung lösten sich auf, und das Gespräch wurde lauter und lustiger. Doch jedesmal, wenn die Tür ging, schreckte ich zusammen und blickte hoch. Erwartete ich noch jemanden?

Es war nicht die Condessa, die Besitzerin des Hotels, erfuhr ich, sondern Annas Großmutter, die schweigend neben ihrem gesprächigen Gatten saß, lächelnd, erblondet, verblüht.

Einen Teil des Hungers konnte ich, wie ich es gewohnt war, mit Brot stillen. Das Brot, ein helles, mit Sesam bestreutes Weizenbrot, war frisch und schmeckte ganz ausgezeichnet. Ich wollte mich gerade zum zweiten Mal über den Braten hermachen, da bemerkte ich, die anderen hatten längst aufgehört zu essen, also ließ ich es. Dem Diener schien es gefallen zu haben, daß alle so tüchtig zugelangt hatten. Nunmehr brachte er eine dampfende Kanne. Ich glaubte, es würde jetzt Tee angeboten, doch Edmund erklärte mir, daß es heißes Wasser sei, um sich die Fingerspitzen zu waschen.

"Als ob wir Hummer gegessen hätten!" Doch Hummer, bei Gott, war nicht dabei!

"Wir kennen auch die Glöckchen!", sagte Edmund.

"Wer hat Ihnen davon erzählt?", staunte die blonde Dame, die Mutter. An jedem Ende des langen Tisches stand ein kleines Messing-glöckchen. Die Condessa sah schlecht. Wenn sie das Mahl beendet hatte, läutete das Glöckchen. Am anderen Ende des Tisches nahm der letzte Gast das Glöckchen, läutete ebenfalls. Dann durften alle aufstehen.

Heute durfte Anna läuten. Sie wischte sich die Lippen mit den Gebärden einer alten Frau, rollte die Damastserviette umständlich zusammen, schob sie in den silbernen Serviettenring, schaute sich um und läutete. Das andere Glöckchen stand neben Michelle. Sie schob es mit der Rechten zwei Zentimeter von sich, hoffte auf ein Vergessen dieses Brauches.

Als alle den Speiseraum verließen, drängte sich Anna dicht an mir vorbei. Sie schob mir ein Papier in die Hand. Ich nahm es und steckte es weg, ohne Anna anzusehen und vergaß es sofort wieder. Die jüngere blonde Dame, also offenbar die Tochter, bedachte mich mit einem verwunderten Blick, daß ich Michelle zeremoniell den Arm bot, was diese mit einem schmerzlichen Lächeln belohnte, - während ich mich wunderte, wen ich eigentlich während des Essens vermißt hatte.

Das Geheimnis der Anhalterin

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