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3. Der richtige Lösungsweg: Grundsätzliche Nichteinbeziehung sämtlicher AGB
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Wenn also beide Seiten ein gleichwertiges Interesse an der Einbeziehung ihrer AGB haben und diese einander widersprechen, kann – in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung[3] – nur eine Lösung zutreffend sein: Weder die AGB der einen noch die der anderen Seite werden Vertragsbestandteil. Rechtsdogmatisch wird dies Ergebnis erreicht durch eine interessengerechte Handhabung des § 154 I BGB[4]: Wenn beide Parteien ihre (einander widersprechenden) AGB einbeziehen wollen und sich gegen fremde AGB mit Hilfe einer Abwehrklausel verwahrt haben, befinden sie sich im offenen Dissens über vertragliche Nebenbestimmungen (accidentialia negotii). Damit ist an sich nach § 154 I BGB der Vertrag nicht geschlossen. Diese Regel gilt aber nur im Zweifel, d.h. dann nicht, wenn beide Parteien durch ihr gesamtes Verhalten ihren Willen erkennen lassen, dass der Vertrag auch ohne Rücksicht auf die AGB zustande kommen soll. Ein solcher Wille kommt namentlich dann zum Ausdruck, wenn die Parteien ungeachtet ihrer Meinungsverschiedenheiten bezüglich der AGB zur Durchführung des Vertrags schreiten.
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In Einzelheiten befindet sich dieser Lösungsansatz noch im Fluss. In Teilen der Rechtsprechung sowie in der Literatur wird er nämlich teilweise selbst für den Fall befürwortet, dass auf einer oder beiden Seiten keine Abwehrklausel in den AGB enthalten sind, sondern sich diese lediglich inhaltlich widersprechen[5]. Dieser Auffassung ist zuzustimmen: Ein offener Dissens über die Einbeziehung von AGB besteht immer schon dann, wenn beide Seiten mit einander widersprechenden AGB aufwarten. Das Interesse beider Parteien, die eigenen AGB durchzusetzen, ist ohne Rücksicht darauf, ob jene AGB eine Abwehrklausel enthalten oder nicht, als gleichwertig anzusehen. Wenn beide Parteien auf ihre AGB hinweisen, kann keine von ihnen damit rechnen, die Gegenpartei werde, wenn sie im weiteren Verhandlungsverlauf nicht widerspreche, ohne weiteres bereit sein, die eigenen AGB hinzunehmen. Daher verbietet sich auch ohne Rücksicht auf eine Abwehrklausel jede Lösung, wonach die Einbeziehung von AGB von der zufälligen Reihenfolge der AGB abhängt. Wer die vertragliche Leistung erbringt, ohne auf eine Klärung der offene Frage zu dringen, wessen AGB nun Vertragsbestandteil werden, bringt damit vielmehr zum Ausdruck, dass ihm die Geltung der eigenen AGB nicht so wichtig sind, er vielmehr statt dessen ohne eine vertragliche Regelung der accidentialia negotii, d.h. zur Not auch auf dem Boden des dispositiven Gesetzesrechts zu kontrahieren und zu leisten bereit ist[6]. Freilich ist darauf hinzuweisen, dass der BGH (entgegen der hier vertretenen Ansicht) bis in die jüngere Zeit eine Abwehrklausel für erforderlich hält, um sich mit Erfolg gegen die AGB der Gegenseite zu verwahren[7].
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Die Unerheblichkeit von Abwehrerklärungen zeigt sich auch in umgekehrter Richtung: Selbst wenn eine Partei sich (neben oder anstelle einer Abwehrklausel in AGB) durch individuelle Erklärung gegen die AGB der Gegenseite verwahrt und auf den eigenen AGB besteht und die Gegenseite hiergegen im weiteren Verlauf keinen Widerspruch erhebt, wird keine der beiden AGB Vertragsbestandteil[8]. Erst recht genügt es entgegen der Ansicht des BGH[9] nicht, wenn eine Partei auf sonstige Weise unmissverständlich klar macht, dass sie nur zu ihren eigenen AGB kontrahieren will; und schon gar nicht reicht eine besonders scharf formulierte Abwehrklausel in AGB hin[10]. Denn alle diese Erklärungen ändern nichts daran, dass das Interesse beider Parteien an der Einbeziehung ihrer AGB gleichwertig ist und keine Partei, selbst wenn sie noch so heftig auf den eigenen AGB besteht, davon ausgehen kann, die Gegenseite werde jene AGB mangels ausdrücklichen Widerspruchs akzeptieren. Vielmehr stehen zwei gleichrangige und gleichwertige Vertragswerke einander gegenüber. Vorrang gewinnt das Klauselwerk einer Partei gegenüber dem der anderen nur dadurch, dass es zur Individualabrede i.S.d. § 305 I 3 BGB erstarkt; dann verdrängt es entgegenstehende AGB nach § 305b BGB. Zur Individualabrede erstarken AGB aber erst dann, wenn der Verwender sie ernsthaft zur Disposition stellt (im Einzelnen oben Teil 1 Rn. 139).