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DIE BUNTEN AMEISEN
ОглавлениеAUTOR: Gabriel García Márquez
TITEL: Hundert Jahre Einsamkeit (aus dem Spanischen von Curt Meyer-Clason)
ORIGINALFASSUNG: 1967
In der Betäubung ihrer Leidenschaft sah sie, wie die Ameisen den Garten verwüsteten und ihren prähistorischen Hunger am Holzwerk des Hauses stillten, sie sah den Gießbach der lebenden Lava von neuem die Veranda begraben, doch sie bekämpfte ihn nur, wenn er in ihr Schlafzimmer einbrach.
Nirgendwo anders in der Literatur wird die Macht der Natur so eindrücklich geschildert. Menschen, die von dem da draußen Albträume haben, fürchten sich vor genau diesem Bild: den Fluten von kreuchenden und fleuchenden Insekten, die alles und jeden nicht nur unter sich begraben, sondern auch Stück für Stück verspeisen.
Dieser magische Realismus ist von filmischer Echtheit, und das, obwohl Gabriel García Márquez sich zeitlebens gegen eine Verfilmung seines (buchstäblichen) Jahrhundertromans sträubte.
Und obwohl die Buntheit der bunten Ameisen niemals im Detail besprochen wird: Ist jede einzelne Ameise bunt? Eingefärbt mit Zuckerlösung wie in Pseudowissenschaftssendungen im Fernsehen? Oder handelt es sich bei den hormigas coloradas um einen vielfältigen Schwarm monochromer Individuen, die womöglich die Buntbären bei Walter Moers unbewusst inspirierten?
Es ist eine der vielen Ursulas in Hundert Jahre Einsamkeit, eine Art Stammesmutter, die die Natur über Generationen hinweg noch mit Mühe unter Kontrolle hält. Mit ungelöschtem Kalk, den sie in die Löcher streut, tötet sie die Ameisen ab, ohne die Plage je ganz ausmerzen zu können.
Auch Ursula unterliegt dabei jedoch Regeln des Schicksals. Eine von einem fahrenden Zigeuner ausgesprochene Prophezeiung an die Familie Buendía im Dorfe Macondo besagt: »Der Erste der Sippe wird an einen Baum gebunden, und den Letzten werden die Ameisen fressen«.
Es darf nicht als Spoiler gewertet werden, wenn man andeutet, dass es genauso auch passiert. Und, auch so eine Regel: Nach dem Regen (der immerhin vier Jahre, elf Monate und zwei Tage anhält) muss Ursula, auch wenn es sie anstrengt, sterben.
Das ist das Stichwort für die bunten Ameisen: Plötzlich trauen sich die farbenfroh leuchtenden Tiere, die eben während dieser »Sintflut gediehen waren«, schon tagsüber auf die Veranda, und Ursulas Nachfolgerin Amaranta Ursula schafft es nicht mehr, sie im Keim zu bekämpfen. Sie vergisst beinahe die Kalkkur, kommt mit dem Ausrotten nicht mehr hinterher, und jeder Tag Überleben ist nur ein neuer Stellungskrieg gegen den Wucher der Natur.
Obendrein sind sie auch noch laut und machen ein Getöse, von dem man nachts kaum schlafen kann. Nein, es gibt aus menschlicher Perspektive wirklich nichts Gutes über diese Tiere zu berichten.
Am Schluss haben sie es prophezeiungsgetreu sogar auf Kinder abgesehen – und da hört der Spaß endgültig auf. Genauso übrigens wie die Familie Buendía.
GATTUNG: Solenopsis invicta
LEBENSRAUM: Macondo
ERNÄHRUNG: Allesfresserinnen
ARTENSCHUTZ: nicht empfohlen
HERKUNFT: Regen
BESTES GEGENMITTEL: Kalk
MERKMAL: Leuchten
NATÜRLICHE FEINDIN: Ursula I.