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C. LACHRYPHAGUS

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AUTORIN: Andrea Grill

TITEL: Das Paradies des Doktor Caspari

ORIGINALFASSUNG: 2015



Mein Verhältnis zu diesen Schmetterlingen gleicht, könnte man sagen, und nicht einmal nur in Retrospektive, nein, bis jetzt, bis zu diesem Augenblick, in dem ich das niederschreibe, einer Ehe im Sinne Dostojewskis; große Gefühle, endlose Missverständnisse, Enttäuschungen, Erklärungsversuche, Geldknappheit – und all das zu niemandes Nutzen, weder für mich noch für andere.

Doktor Franz Wilhelm Caspari hat diese Schmetterlinge wiederentdeckt, er hat ihnen das Leben gerettet – kein Wunder, dass da eine besondere Bindung entsteht. Und das, obwohl keiner von ihnen einen Namen hat, alle nur nach Geburtstag, Häutungsdatum und Anzahl der Verpaarungen katalogisiert werden, ein kurzes Leben leben und er sie auch so pragmatisch entsorgt, dass seine Freundin Shambhavi ihn für herzlos hält. Aber schließlich haben Falter ja auch kein Herz, oder?

Auf der Insel Mangalemi im Indischen Ozean hat er sich verschanzt, wie einer dieser durchgeknallten Wissenschaftler, die an atomaren Weltherrschaftsplänen brüten. Aber Caspari brütet nur Schmetterlinge. Er ist Biologe, arbeitet an seinem großen Durchbruch. Der Haken dabei: Dass die als ausgestorben geltende Art Calyptra lachryphagus von ihm neu belebt wurde, darf noch keiner wissen.

Auch die Menschen im Ort kennen nicht die ganze Wahrheit. Sie halten den etwas über Dreißigjährigen für einen schrulligen Kulturphilologen, weil er so gerne ihre Begräbnisse besucht. Der wahre Grund für den Trauerfetisch ist aber ein anderer: Casparis Schmetterlinge ernähren sich von den Tränen der Menschen.

Als daher eine Zeit lang niemand auf der doch überschaubaren Insel stirbt, sieht Franz Wilhelm sich gezwungen, ins Gefühlsleben etwa seiner Haushälterin vorzudringen und sie mit geschürten Sorgen über ihre kranke Mutter zum Heulen zu bringen. Evil scientist und Emo in einem. »Der Tod erleichtert mir das Leben«, schreibt Caspari einmal.

Durch die salzhaltige Ernährung gestärkt, pflanzen sich die Lachryphagen (der Name sagt es eigentlich: Tränenfresser, schade nur, dass unter den Insulanern offenbar niemand Altgriechisch gelernt hat) fort und sterben dann auch bald.

»Ohne sich anzusehen hängen sie aneinander, die Leiber verbunden, festgesaugt, rühren sich nicht, berühren sich nur an einer einzigen Stelle; Kuss fiele mir ein, das Wort; schwer zu lösen, Austausch von Körperflüssigkeiten, eine Eigenart von Kuss. Wäre eine nicht unzutreffende Beschreibung, aber verboten in meiner Art Wissenschaft.«

Nun, deshalb hat die Österreicherin Andrea Grill die Biologie auch zugunsten der Belletristik hinter sich gelassen. Der eloquenteste Schmetterlingsfanatiker unter den Schreibenden wird zwar noch länger Vladimir Nabokov bleiben, aber Grill flattert ziemlich eifrig mit ihren bunten literarischen Flügeln.

SPITZNAME: Mützchen

ANZAHL BISHER: 38669

LEBENSRAUM: Mangalami, Indischer Ozean

ERNÄHRUNG: Tränenflüssigkeit

HOBBY: Knutschen

ARTENSCHUTZ: empfohlen, aber gar nicht so einfach

BESTER-FREUND-DES-MENSCHEN-FAKTOR:

Das Buch der Tiere

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