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LANMO
ОглавлениеAUTORIN: A.L. Kennedy
TITEL: Leises Schlängeln
(aus dem Englischen von Ingo Herzke)
ORIGINALFASSUNG: 2016
Warum liegt eine goldene Schlange quer auf Ihrer Pultkante und tut so, als sei sie ein Lineal?
Wenn Menschen berühmt werden, setzen sie ihre Popularität oft für einen guten Zweck ein, treten öffentlich für Feminismus oder gegen Walfang auf. Die schottische Autorin A.L. Kennedy, die 2000 mit ihrem Erzählband Gleißendes Glück berühmt wurde, nimmt sich einer überraschenden Randgruppe an: fiktiver Schlangen. »Schlangen brauchen eine Lobby!«, heißt es hinten auf dem wertvoll produzierten, in Prinzessinnenrosa gehaltenen Einband von Leises Schlängeln.
Die benötigte Lobby wird im Buchinneren dann einem besonders giftigen Exemplar der Gattung zuteil, das professionell um die Welt kriecht, um Menschen zu töten. Der Schlangerich heißt Lanmo und unterhält sich vor der jeweiligen Tat noch mit seinen Opfern. Indem seine Zunge die Luft in ihrem Umfeld abfühlt, »schmeckt« Lanmo, ob es eine arme, gute Oma oder einen reichen, grausamen Tyrannen erwischt (dazwischen gibt es nichts).
Als Lanmo das bitterarme Mädchen Mary kennenlernt, verspürt er plötzlich Liebe. Er hilft Mary gegen seilspringende Tussen in der Schule, verkuppelt sie mit dem klugen Paul und zeigt beiden den Weg zu einem besseren Leben.
Sie wiederum erzählt ihm alles, macht aus ihrem Herzen keine Schlangengrube und vermisst ihn, wenn er dienstlich unterwegs ist. Alles recht rührselig, aber hilft es dem Ruf der Schlangen? Werden Schlangen nun die neuen Ponys?
Vielleicht helfen ja die folgenden Fun Facts aus dem Märchen: Lanmo macht zischelnde Geräusche beim Schlafen, es ist seine Art zu schnarchen. Süß, oder? Wenn er aufwacht, vollführt er eine komplexe Choreografie des Ver- und Entknotens, rollt den Leib schließlich zu einer schönen Schleife und hebt den Kopf. Seine Augen sind rubinrot, und überhaupt ist er wunderschön. Warum? Weil er das sagt. »Ich bin ungemein hübsch«, stellt er sich eingangs Mary vor. »Hallo, Herr Hübsch. Ich heiße Mary.«
Und jetzt kommt das Beste: Er darf Trauungen durchführen. Argument: Wenn die saublöden Schiffskapitäne das können, kann eine Schlange das auch – nur besser, weil man aus den wertvollen Schuppen an ihrem Körper edle Ringe machen kann. So werden Mary und Paul in ihrem besseren Leben nach der Flucht Ringschmiede.
All das verdanken sie Lanmo, der natürlich auch Mary am Ende ihres Lebens unweigerlich besucht, um den letzten Biss zu praktizieren. Das ist sehr herzzerreißend. Aber na ja: Das Leben ist kein Ponyhof. Sondern, wie es aussieht, doch eine Schlangengrube.
GATTUNG: Serpentes
HERKUNFT: Hölle
GESCHLECHT: männlich (obwohl: »die« Schlange)
FARBE: golden (Augen: rubinrot)
SCHÖNHEIT: ungemein
BERUF: Richter und Henker
NEBENBERUF: Juwelier
NATÜRLICHE FEINDE: reiche Menschen