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ANOBIUM DOMESTICUM
ОглавлениеAUTOR: Julian Barnes
TITEL: Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln (Aus dem Englischen von Gertraude Krueger)
ORIGINALFASSUNG: 1989
Unsere Art gelangte, wie ich mit Stolz berichten kann, ohne Bestechung oder Gewaltanwendung an Bord; andererseits sind wir nicht so leicht zu entdecken wie ein junger elch.
Endlich packt einmal jemand aus und schildert, wie es wirklich zuging auf der Arche Noah.
Dass es natürlich mehr als eine Arche gab, sonst hätten all die Tiere nie draufgepasst.
Dass Klatsch und Tratsch blühten, etwa darüber, ob Noahs Schwiegertochter wohl etwas mit einer (seither) ausgestorbenen Affenrasse angefangen hat?
Dass der Archpatriarch selbst ein Schluckspecht war und sich durch nichts weder für den Job des Weltretters noch für jenen des Kapitäns qualifizierte, dass er also nur aufgrund seiner peinlichen Gottesfürchtigkeit ausgewählt worden war.
Ganz nebenbei erwähnt der – von der menschlichen Leserschaft (letztlich lauter Abkömmlinge Noahs) deutlich desillusionierte – Erzähler, dass er der Gattung Anobium domesticum angehört. Diese wurde 1785 von einem gewissen Geoffrey beschrieben. Wer das nachgoogelt, hat die Pointe aber sowieso schon verstanden. Gut möglich, dass die meisten anderen bis zum letzten Satz der Geschichte Der blinde Passagier (Kapitel 1 von zehneinhalb in Julian Barnes’ Zusammenfassung der Weltgeschichte) warten müssen, bis das Aha-Erlebnis eintritt: »Aber letztendlich, was können wir dafür, wir sind halt Holzwürmer.«
Auf der Arche Noah erwünscht waren die Holzwürmer weder zu zweit (wie die unreinen Tiere) noch zu siebt (wie die reinen Tiere, was aber nur bedeutete, dass die Menschen sie essen konnten, was sie auch taten). Da Arche wie Nebenarchen allesamt aus Holz gebaut waren, hatten die blinden Passagiere vor allen anderen geboardet.
Interessant an der Berichterstattung des Holzwurms ist unter anderem seine Mischung aus Solidarität und journalistischer Distanz. Einerseits reiht sich der Erzähler durchaus unter die anderen Tiere ein, wenn es darum geht, den Irrsinn an Bord zu schildern (»Ja, sicher, wir haben uns gegenseitig aufgefressen und so.«). Andererseits erklärt er sich zum objektiven Beobachter: »Ich stehe etwas außerhalb der übrigen Tiergesellschaft, die noch immer ihre nostalgischen Zusammenkünfte hat.« Weshalb: »Meiner Darstellung könnt ihr vertrauen.«
Diese seine Darstellung ist jedenfalls sehr humorvoll, auch wenn man bald ahnt, worauf sie hinausläuft. Denn warum war wohl am Ende nur noch die Hälfte der Flotte übrig? Wovon werden sich die sieben Holzwürmer, denen peinlich war, zufällig genau in der für den Menschen heiligen Anzahl angetanzt zu sein, ernährt haben? Genau. »Gopher«, das Holz, aus dem sie die Arche(n) gebaut hatten.
Bibelforscher (aber auch Holzforscher) vermuten, es handle sich dabei um Zypressenholz. Wahrscheinlicher ist, dass dieses Holz ebenso ausgestorben ist wie viele der Tiere, die einst gutgläubig bei der Sintflutkreuzfahrt eincheckten. Und ausgestorben heißt: aufgefressen. Was für eine Welt!
LEBENSRAUM: Arche Noah
ERNÄHRUNG: Arche Noah
ARTENSCHUTZ: nicht empfohlen
BESTER-FREUND-DES-MENSCHEN-FAKTOR:
ERSTES GEBOT: kein Sex an Bord (zu gefahrlich)
NATÜRLICHE FEINDE: Noahs