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Schlimm genug, dass meine Eltern so was wie ein Liebesleben hatten – irgendwie mussten meine Geschwister und ich ja entstanden sein –, meine Mutter nun aber auch noch als Groupie eines stadtbekannten Casanovas zu sehen, überforderte mich ein wenig. Ich rief sie an und verabredete mich mit ihr in ihrer Mittagspause in einem Café unweit der Ostfriesischen Landschaft, in der sie beim Archäologischen Dienst arbeitet.

Meine Mutter war wie immer überpünktlich und saß schon an einem der kleinen runden Tische vor dem Café, als ich ankam. Sie stand auf und umarmte mich zur Begrüßung. »Hallo, Eleonore. Ist es dir recht, wenn wir draußen sitzen? Ich brauche dringend frische Luft.«

»Klar, kein Problem.«

Wir setzten uns, nach kurzer Zeit kam eine kräftige Frau auf klackernden Absätzen herbeigelaufen und nahm unsere Bestellungen auf. Ebenso klackernd verschwand sie wieder.

»Wie geht es Hans?«, fragte ich, da ich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte.

»Gut so weit, er wird morgen wahrscheinlich schon wieder entlassen.«

Sehr gut. Und die perfekte Voraussetzung, um meine Mutter mit dem Foto zu konfrontieren. »Ich habe noch ein bisschen über Andreas Kalski recherchiert, den Sohn der Künstlerin, von der ich dir erzählt habe. Die du nicht kennst.«

Meine Mutter zuckte fast unmerklich zusammen. »Ich dachte, der Bericht hätte sich erledigt, du wolltest doch über Alexa schreiben.«

»Das habe ich auch, aber die Kalski-Sache hat mich einfach interessiert. Daher habe ich den Reporter aufgesucht, der früher über den Fall berichtet hat.«

Die Bedienung kehrte zurück und stellte die dampfenden Kaffeebecher auf den Tisch. Ich warf zwei Stück Zucker in meine Tasse, kippte Milch dazu und rührte um, während ich darauf wartete, dass meine Mutter ihre Sprache wiederfand.

»Und was hast du von ihm erfahren?« Sie sah mich nicht direkt an, sondern hielt den Blick auf ihre Kaffeetasse gerichtet.

Statt einer Antwort legte ich den Schnappschuss auf den Tisch, der sie mit Andreas Kalski zeigte.

Sie schloss die Augen. »Ich habe geahnt, dass du es herausfinden würdest.« Sie presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, als sie das Foto musterte.

»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du ihn kanntest?« Ich griff nach meiner Kaffeetasse und trank einen Schluck.

»Wir waren nicht einfach nur Bekannte.« Sie hob den Blick und sah mir direkt in die Augen. »Wir waren verlobt.«

Ich verschluckte mich, der heiße Kaffee brannte in meiner Kehle. »Verlobt?«, keuchte ich.

Mein Vater hatte meiner Mutter im Laufe der Jahre so viele vergebliche Heiratsanträge gemacht, dass er davon Arthrose in den Kniegelenken bekam. Erst als ich im vergangenen November beinahe ermordet worden wäre, hatte sie ihre Einstellung zur Ehe geändert. Es überraschte mich, dass sie sich als junge Frau schon so früh hatte binden wollen.

Die Augen meiner Mutter glänzten feucht. Sie rührte ihren Kaffee um, obwohl sie weder Milch noch Zucker hineingetan hatte. »Ich hätte ihn gern geheiratet, wir waren sehr glücklich miteinander.«

»Aber … was war mit seinen ganzen Affären?«

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das war vor meiner Zeit, den Ruf ist er bloß nie wieder losgeworden.«

»Wie habt ihr euch kennengelernt? Wenn ich richtig rechne, war er ein paar Jahre älter als du.«

»Vier Jahre. Andreas hatte das Abitur nicht bestanden und musste die Dreizehnte wiederholen. Übrigens nicht das einzige Mal, dass er sitzen geblieben ist, er war ein unglaublich fauler Hund. Wir hatten die gleichen Leistungskurse, und so saß er auf einmal bei uns im Unterricht.«

»Und da war es Liebe auf den ersten Blick?«

»Von wegen, ich kannte ja seinen Ruf. Er bemühte sich zwar von Anfang an sehr um mich, aber ich wollte keine seiner Eroberungen werden. Irgendwann hat er sich dann richtig reingehängt und für die Schule gebüffelt, da haben wir dann auch mal miteinander gelernt.« Sie lächelte bei der Erinnerung. »Und uns letztlich doch verliebt.«

»Erinnerst du dich, wann du ihn zum letzten Mal gesehen hast?«

»Das war am Tag vor seinem Verschwinden. Wir haben den Nachmittag zusammen in der Stadt verbracht, abends hat er sich noch mit seinem Freund Frank getroffen. Wir waren auch für den nächsten Tag verabredet, aber da war er dann fort.«

»Was, glaubst du, ist aus ihm geworden?«

»Es deutet alles darauf hin, dass er ins Ausland gegangen ist.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es muss wohl so sein, schließlich führten alle Spuren in diese Richtung.«

»Hat die Polizei damals nicht ermittelt? Er war doch mit dir verabredet und führte ein geordnetes Leben. Da haut man doch nicht einfach grundlos ab.«

»Das ist es ja. Die Polizei wurde zwar hinzugezogen, und natürlich habe ich auch eine Aussage gemacht, aber die Ermittlungen wurden schon nach kurzer Zeit eingestellt. Sein Ruf hat Andreas eingeholt, man ging davon aus, dass er sich hier Ärger eingebrockt hatte oder einfach seinen Horizont erweitern wollte. Er hat immer davon gesprochen, Ostfriesland verlassen zu wollen, um in einer Großstadt zu leben, am liebsten im Ausland, auch wenn es noch keine konkreten Pläne gab. Er ist auch oft mit dem Zug nach Hamburg oder München gefahren, aber es hat ihn wohl weiter in die Ferne gezogen.«

»Einfach so, ohne jemandem von seinem konkreten Vorhaben zu berichten? Hätte er denn einen Grund gehabt, sich abzusetzen?«

»Du meinst, ob es eine Art Flucht gewesen ist? Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber was weiß ich schon? Er hat mir ganz offensichtlich nicht alles erzählt. Irgendeinen Grund muss er ja gehabt haben.«

»Wärst du mitgegangen, wenn er dich gefragt hätte?« Meine Mutter hatte während ihres Studiums eine Zeit lang in Wien gelebt, wäre einem Leben im Ausland also bestimmt nicht abgeneigt gewesen.

»Ich denke schon. Aber es ist müßig, jetzt noch darüber nachzudenken. Es hat eben nicht sollen sein.«

»War das der Grund, warum du Papa all die Jahre nicht heiraten wolltest?«

Sie nickte. »Hochzeiten stehen für mich unter keinem guten Stern. Mein erster Verlobter hat mich sitzen lassen und ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Das hat mich nicht gerade bestärkt. Und schau dir doch an, was jetzt schon wieder alles passiert ist. Seit wir uns zur Heirat entschlossen haben, passiert dauernd irgendein Unglück, und Hans hat sogar einen Herzanfall erlitten.«

»Ist denn kürzlich schon wieder etwas passiert?«

»Nein, seit sage und schreibe zwei Tagen nicht mehr. Aber das heißt doch nichts.« Meine Mutter sah auf die Uhr. »Oh, ich muss zur Landschaft zurück, meine Mittagspause ist gleich vorbei.«

»Kann ich irgendwas für dich tun?«

Meine Mutter dachte kurz nach und nickte, als habe sie einen Entschluss gefasst. »Du könntest herausfinden, was damals mit Andreas passiert ist.«

»Ich bin aber keine Privatdetektivin.«

»Du bist jetzt Journalistin, die stecken ihre Nasen doch ständig überall rein. Vielleicht vergeht dieser Hochzeitsfluch, wenn das Rätsel um Andreas’ Verschwinden endlich aufgeklärt wird.«

Meine erste Aktion als frischgebackene Detektivin – wenn auch nur durch meine Mutter legitimiert – bestand darin, die gesammelten Unterlagen von Günther Fabricius zu sichten. Diana leistete mir dabei Gesellschaft, da sie ohnehin ihren freien Montag hatte. Wir breiteten die Unterlagen auf meinem Wohnzimmertisch aus.

Diana sah einen Stapel Fotos durch. »Meine Güte, deine Mutter war aber ein ganz schön heißer Feger. Kein Wunder, dass Andreas Kalski in sie verschossen war. Und bestimmt nicht nur der.« Sie hielt eine Aufnahme hoch, die meine Mutter mit Hotpants und hohen Stiefeln zeigte, das dunkelblonde Haar fiel locker über ihre Schultern.

Ich widmete mich den vier Notizbüchern, in denen der Reporter seine Gedanken zu den damaligen Ereignissen festgehalten hatte. Jedes war an der Innenseite des Umschlags mit einem kurzen Verzeichnis der enthaltenen Gesprächspartner und Themen versehen, der erste Band befasste sich mit Andreas Kalskis Mutter und seinem Freundeskreis. Violetta Kalski war mir natürlich bekannt, und der Name seines besten Freundes Frank Heykes war von Fabricius erwähnt worden, aber von Rita Janssen, Inge Behrends, Norbert Coordes und Dieter Kuhlmann hatte ich noch nie etwas gehört.

Ich las mir zuerst die Informationen zu Frank Heykes durch. »Frank Heykes war Andreas Kalskis bester und ältester Freund«, sagte ich zu Diana. »Die beiden kannten sich seit der ersten Klasse, waren aber ab der vierten Klasse keine Klassenkameraden mehr, weil Andreas den Jahrgang wiederholen musste. Der Freundschaft hat das keinen Abbruch getan. Sie galten beide als Frauenhelden.«

»Wollen wir ihm mal einen Besuch abstatten?«

Ich sah von meiner Lektüre auf. »Ich dachte, du willst mit mir die Unterlagen sichten?«

»Mir ist heute doch nicht so danach. Sieh’s mal so: Frank Heykes wird Andreas am ehesten Vertrauliches erzählt haben. Dinge, die Heykes wahrscheinlich nicht an die Zeitung weitergegeben hat, weil sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.«

»Gutes Argument. Vermutlich wäre es tatsächlich effizienter, ihm direkt einen Besuch abzustatten.«

»So will ich dich hören. Theorie war noch nie so mein Ding, ich bin mehr für praktische Erfahrungen.«

Es kostete mich nur eine kurze Internetrecherche, um Frank Heykes’ aktuelle Anschrift in Wilhelmshaven ausfindig zu machen. Wir nahmen Dianas Fiat, denn mein Auto besaß keine Klimaanlage, und schon nach fünf Minuten in der Sonne fühlte man sich wie in einem Backofen auf Rädern. Wenn man das Fenster runterkurbelte, gab es die Umluftfunktion gratis dazu.

Wir fuhren durch die Auricher Vororte und durchquerten Wittmund und Jever, bis wir nach einer Dreiviertelstunde schließlich in Wilhelmshaven bei Frank Heykes’ Adresse ankamen.

Diana öffnete die Autotür und schüttelte den Kopf beim Anblick des Schottergartens, der sich vor Frank Heykes’ Haus erstreckte. »In Aurich ist’s traurig, in Leer noch viel mehr«, zitierte sie einen bekannten ostfriesischen Spruch. »Doch wen Gott will strafen, den schickt er nach Wilhelmshaven.«

»Oder er pflanzt ihm die Idee für einen vermeintlich pflegeleichten Kiesgarten in den Kopf.« Ich grinste und nickte in Richtung der Garage, neben der ein beleibter Mann vor einem der Kiesbeete hockte und die Steinchen mit einem Staubsauger reinigte. Aus seiner heruntergerutschten Hose lächelte uns ein Maurerdekolleté entgegen.

Ich räusperte mich, kam aber gegen das Heulen des Saugers nicht an. Schließlich machte Diana kurzen Prozess und schaltete das Gerät aus.

Frank Heykes sah zu uns auf, kämpfte sich auf die Füße und reichte uns die Hände, nachdem ich Diana und mich vorgestellt hatte. Er hatte nichts mehr von dem »schneidigen Kerl« an sich, von dem Günther Fabricius gesprochen hatte. Ein imposanter Bierbauch wölbte sich über dem Hosenbund, und anstelle der einst so üppigen Haarpracht glänzte eine verschwitzte Glatze im Sonnenlicht.

»Sie sind Maria Vogels Tochter? Und Sie wollen mit mir über Andreas sprechen? Da haben Sie aber Glück, dass Sie mich gerade angetroffen haben, ich muss heute noch weiter.« Er deutete auf einen weißen Lieferwagen, der auf der Auffahrt stand und in verschnörkelten Buchstaben für eine Gartenbaufirma warb.

»Ist das Ihre Firma?«, fragte ich.

»Nein, ich bin dort angestellt. War vorher auf dem Bau, aber ich wollte mal was Kreatives machen.«

Ich betrachtete die grauen Kiesbeete, in denen vereinzelt in perfekte Form gestutzte Büsche standen. Besonders kreativ sah das nicht aus, es erinnerte mich eher an einen Friedhof.

»Kommen Sie, wir holen uns was zu trinken.« Er bedeutete uns, ihm zu folgen.

Wir gingen zwischen Garage und Haus hindurch in den hinteren Teil des Gartens. Rasen in Golfplatzqualität, in den Beeten wiederholte sich das Trauerspiel aus verschiedenfarbigem Schotter, neben der Terrasse plätscherte ein Wasserspiel vor sich hin. Sofort zwickte der Kaffee von heute Mittag in meiner Blase.

Frank Heykes ging die paar Schritte zur Hintertür und öffnete sie einen Spalt. »Kannst du uns drei Kaffee bringen, Bine?«, rief er ins Innere.

Er zeigte auf zwei der Stühle am Tisch, setzte sich, und wir tauschten ein paar Belanglosigkeiten aus. Er fragte, was meine Mutter so trieb, also erzählte ich ihm von ihrem Job beim Archäologischen Dienst der Ostfriesischen Landschaft.

Eine hübsche Frau mittleren Alters trat aus der Hintertür, in den Händen ein Tablett mit Kaffee, Milch, Zucker und Keksen. Das, was Frank Heykes über die Jahre an Attraktivität eingebüßt hatte, glich seine Frau locker aus. Sie war jünger als er, hatte lange Haare, die in einem natürlichen Blondton gefärbt waren. Sie unterstrich ihr jugendliches Aussehen durch eine helle Jeans, über der sie eine weiße Bluse trug, die nur vorne in den Bund gesteckt war und ihre sportliche Figur betonte.

Ich beneide ja Leute, die diesen Vokuhila-Look tragen können. Bei mir sieht es immer so aus, als hätte ich mich nach dem letzten Toilettenbesuch nicht wieder richtig angezogen.

Sabine Heykes setzte sich zu uns, ihr Mann stellte uns vor.

»Sind Sie nicht die mit dem Buch?«, fragte sie mich.

»Ja, ich bin Autorin.« Wenn »die mit dem Buch« das bedeuten sollte.

»Elli hat gerade ihren zweiten Roman herausgebracht«, sagte Diana. »Und sie arbeitet jetzt auch als Journalistin für den Ostfriesland-Reporter.«

»Dann wollen Sie einen Artikel über Andreas schreiben?«, fragte Frank Heykes. »Mir fällt jedenfalls sonst kein Grund ein, warum mich jemand von der Zeitung aufsuchen sollte.«

»Ich bin eher privat hier«, sagte ich. »Ich habe heute erfahren, dass meine Mutter früher mit ihm verlobt war, und ich möchte ihr helfen, etwas über seinen Verbleib herauszufinden.«

»Nur zu«, sagte er. »Vielleicht kommt ja tatsächlich eines Tages raus, was aus Andreas geworden ist.«

»Haben Sie denn eine Vermutung?«

Er zuckte die Achseln. »Vielleicht hat er eine neue Frau kennengelernt und ist mit ihr durchgebrannt. Das hätte zu ihm gepasst.«

»Aber er war doch verlobt«, sagte ich. »Er hatte sich festgelegt und wollte meine Mutter heiraten.«

Frank Heykes lächelte mild. »Das stimmt, aber ich könnte mir vorstellen, dass er seine Meinung geändert hat. Ich glaube nicht, dass sich Menschen so grundlegend ändern können. Bestimmt hat er es versucht, aber es widersprach einfach seinem Wesen. Er und Maria waren völlig verschieden. Sie war viel zu intelligent für ihn, unabhängig und ehrgeizig. Keiner von uns hat der Sache eine Zukunft gegeben. Zu ihr hätte jemand Solideres gepasst.«

»Meine Mutter sagte, Andreas habe sich im letzten Jahr in der Schule sehr reingehängt. Klingt, als wollte er ihr beweisen, dass ihm die Sache mit ihr sehr ernst war.«

»Ich glaube, es ging ihm hauptsächlich um die Eroberung, auch wenn er das in dem Moment vielleicht nicht so sah. Andreas war ein Jäger. Wenn er ein Mädchen ins Auge gefasst hatte, bekam er es und nahm dafür auch einiges an Anstrengungen in Kauf.«

»Haben Sie noch Kontakt zur damaligen Clique?«

»Nein, schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Wie es aussieht, war Andreas die einzige Verbindung zwischen uns. Als er fort war, gingen wir getrennte Wege. Kürzlich habe ich Norbert Coordes noch mal zufällig getroffen, als er in ein Fitnessstudio ging, vor dem ich gerade ein neues Kiesbeet anlegte. Wir sprachen kurz über die alte Zeit, aber das war’s auch schon.«

Sabine Heykes lauschte unserem Gespräch, ohne etwas zu ergänzen.

»Gehörten Sie damals auch zur Clique?«, fragte ich sie.

»Nein, ich habe zu der Zeit zwar schon heftig für Frank geschwärmt, aber ich war noch zu jung und außerdem ein schüchternes Pummelchen. Er hatte keinen Blick für mich übrig.« Sie sah ihren Mann mit gespielter Strenge an. »Inzwischen sind wir seit fast zehn Jahren verheiratet.«

»Erinnern Sie sich, wann Sie Andreas zuletzt gesehen haben?«, fragte ich Frank Heykes.

»Wir hatten uns am Abend vor seinem Verschwinden getroffen. Bei mir, weil die Villa, in der er mit seiner Mutter lebte, gerade umgebaut wurde.«

»Kam Ihnen an seinem Verhalten irgendetwas seltsam vor? Hat er sich anders benommen als sonst?«

»Ich glaube nicht, aber er hatte sich in der Zeit davor schon um hundertachtzig Grad gedreht, als er mit Ihrer Mutter zusammenkam. Daher habe ich nicht so darauf geachtet. Unsere Freundschaft war nicht mehr so innig wie zuvor.«

»Gab es einen Grund dafür?«

»Wir haben uns einfach in verschiedene Richtungen entwickelt. Zu dem Zeitpunkt arbeitete ich bereits auf dem Bau, Andreas wollte nach dem Abitur Philosophie studieren. Seine neuen Lebensziele hatten ihn sehr verändert. Mit dem Draufgänger, mit dem ich mich einst angefreundet hatte, hatte er jedenfalls nicht mehr viel gemein.«

»Waren Sie der Letzte, der ihn gesehen hat?«

»Nein, seine Mutter hat noch am darauffolgenden Morgen mit ihm gesprochen.«

»Gab es etwas, um das er sich besonders Gedanken gemacht und das ihn beschäftigt hat? Etwas, in das nur Sie als sein bester Freund eingeweiht waren?«

»Die Verlobung wurde nicht an die große Glocke gehängt, falls Sie das meinen, es war ja alles noch recht frisch. Ich war, glaube ich, der Einzige im Freundeskreis, der davon wusste.«

»Vielleicht klären Sie ja sein Verschwinden auf.« Sabine Heykes setzte sich aufrecht hin. »Wie die Schriftstellerin in dieser alten Fernsehserie, die immer wieder in Verbrechen hineingezogen wird. Wie heißt die Sendung doch gleich?«

»›Mord ist ihr Hobby‹«, half Diana ihr auf die Sprünge.

»Genau!«

»Bislang deutet nichts auf ein Verbrechen hin«, sagte ich.

»Ich meine ja nur, weil Sie doch letztes Jahr auch schon einen Mord aufklären konnten. Sie wissen schon, die Leiche im Hafenbecken …«

Daran musste sie mich bestimmt nicht erinnern.

Fürs Erste hatte ich erfahren, was ich wissen wollte. Ich beschloss, lieber das Weite zu suchen, und warf Diana einen hilfesuchenden Blick zu.

»Nichts für ungut, aber wir müssen jetzt los. Elli hat noch einen wichtigen Termin. Schriftsteller, Sie wissen schon.«

Wir verabschiedeten uns und kehrten zum Wagen zurück.

»Kaum zu glauben, dass der früher so ein Schnittchen war.« Diana angelte nach dem Gurt und schnallte sich an. »Seine Frau bereut es jetzt bestimmt, dass sie ihren Jugendschwarm geheiratet hat, der ist inzwischen garantiert klötenlahm. Kriegt seinen kleinen Freund ja auch gar nicht mehr zu Gesicht, höchstens im Spiegel.«

»Dafür wirkte sie aber ganz zufrieden.«

»Findest du? Ich sag dir was: Wenn mein Mann so aus dem Leim gegangen wäre, würde ich mir auch mal was gönnen. Aber die sieht aus, als würde sie jede Kalorie dreimal umdrehen. Die hat bestimmt was mit ’nem anderen Kerl am Laufen, sonst würde sie sich nicht so herausputzen.«

»Oder ihr Mann gehört zu der Sorte, die im Glashaus sitzt, aber mit Steinen wirft. Vielleicht krittelt er ja ständig an ihr rum, weil er sich mit ihr schmücken will.«

»Dann hätte sie keine Selbstachtung, das wäre noch schlimmer. Ich hoffe für sie, dass ich mit dem Lover richtigliege. Wer steht denn als Nächstes auf deiner Liste?«

»Ich reiße mich zwar nicht darum, aber ich muss noch mal mit Violetta Kalski sprechen. Sie war die letzte Person, die ihren Sohn lebend gesehen hat.«

»Soll ich dich begleiten?«

»Lieber nicht. Wenn sie so freundlich und zuvorkommend ist wie beim letzten Mal, setzt sie mich ohnehin nach ein paar Minuten vor die Tür.«

Der falsche Friese

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