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Julia hatte ihr Ziel erreicht. Sie stellte den Wagen auf dem Parkplatz hinter dem kleinen Hotel ab. Die Erinnerungen an eine nahezu unbeschwerte Kinder- und Jugendzeit überwältigten sie für einen kurzen Augenblick. Ihr Elternhaus stand ein paar Querstraßen weiter; das Gymnasium war mit dem Bus knapp zwanzig Minuten entfernt. Paul, ihre erste große Liebe – damals war sie vierzehn – hatte sie an der Bushaltestelle gefragt, ob sie mit ihm gehen wolle und dann geküsst.

Julia lachte bei dem Gedanken daran laut auf. Unbeholfene Zungen, viel zu viel Spucke und Zahnspangen – nichts war so, wie sie es sich in ihren romantischen Mädchenträumen vorgestellt hatte. Aber gekribbelt hatte es trotzdem, was vielleicht auch daran lag, dass Paul gleich noch seine Hand unter ihr Shirt geschoben hatte. Die Beziehung hielt nur wenige Wochen. Mit einer schäbigen SMS hatte Paul Schluss gemacht: »Weil ich jetzt Sabine liebe.« Sie hatte tagelang geweint und ihr Tagebuch mit traurigen Gedichten gefüllt. »Wo Herz auf Schmerz gereimt, brach, was dereinst geeint.« Es war der einzige Vers, an den sie sich auch nach so vielen Jahren noch erinnern konnte. »Ich muss unbedingt das Tagebuch rauskramen, wenn ich wieder Zuhause bin!«, kicherte Julia und zog die Reisetasche schwungvoll vom Beifahrersitz.

***

In der kleinen Hotellobby war es angenehm kühl. Das Weiß des Mobiliars und der Wände stand in modernem Kontrast zum warmen Holz der Dielen und Deckenbalken. Hinter dem Tresen lächelte sie eine Frau in den Sechzigern freundlich an. »Herzlich Willkommen im Kleinen Hotel. Sie haben reserviert?«

»Guten Tag! Ja, Baker. Eine Übernachtung.« Julia legte die Reservierungsbestätigung vor. Nach einem prüfenden Blick in den Computer griff die Damen hinter sich an das Schlüsselbrett. »Zimmer 12 – erstes OG. Und hier ist die Gästeanmeldung. Wenn Sie das bitte noch ausfüllen möchten. Ist Ihr Mann noch am Wagen?«

»Nein, ich bin alleine angereist. Entschuldigung!« Julia sah die Frau bedauernd an. »Ein unvorhergesehener Geschäftstermin …«

»Das ist aber schade.« Die Frau tätschelte ihr warmherzig die Hand. »Sind Sie auf der Durchreise oder was führt Sie in unsere kleine Stadt?«

»Ich bin hier aufgewachsen«, gab Julia ehrlich zurück. »Ist allerdings schon ein paar Jahre her. Jetzt bin ich zum Klassentreffen für einen Tag zurück.«

Die Dame sah sie unverhohlen neugierig an, warf einen Blick auf das Anmeldeformular und entdeckte mit geübten Auge Julias Geburtsnamen. »Dann sind Sie die Julia Dörr aus der Michelsgasse? Die Tochter von Erika und Josef?« Sie strahlte über das ganze Gesicht. »Mein Gott, Kind. Gut schaust du aus.« Julia ließ überrumpelt eine freundliche Umarmung über sich ergehen. »Wie lange ist das jetzt her seit deine Eltern – Gott hab sie selig …«

»Entschuldigung, aber ich …«

»Ich bin die Elke Scheuner – die Mama vom Paul. Erinnerst du dich nicht mehr?«

»An Paul? Aber na klar.« Und jetzt auch wieder an Elke. Sie hatte sie vom ersten Tag an wie eine Tochter aufgenommen und mit selbstgebackenem Kuchen und Fruchtsäften verwöhnt. Vermutlich war sie ebenso traurig wie Julia gewesen, als Paul sich Sabine zuwandte. Wie viele Töchter ihr Paul wohl im Laufe der Jahre beschert hatte? »Ach, das ist alles schon lange her, Elke!« Automatisch war Julia zum Du übergegangen. »Wie geht es Paul denn?« Nicht, dass sie das wirklich interessierte, aber sie wollte auch nicht unhöflich sein. Elke winkte ab. »Dem geht` s gut! Hat eine Finca im Norden von Spanien und züchtet jetzt Schafe … mit seinem Partner«, setzte Elke etwas leiser nach. Julia sah sie fragend an. Elke zuckte mit den Schultern. »Der Julio ist ein netter Kerl. Halt nicht die Schwiegertochter, die ich mir gewünscht habe«, lächelte sie ein wenig gequält. »Und Enkelkinder kriege ich nun auch nicht.« Elke machte eine nachdenkliche Pause. »Wenn du magst, können wir ja später noch ein bisschen über die alten Zeiten plaudern. Jetzt möchtest du bestimmt erst einmal auspacken und dich ein wenig frisch machen.« Sie deutete auf den Treppenaufgang neben der Rezeption. »Einen Aufzug haben wir nicht. Also die Treppe hoch und dann links.«

»Das werde ich finden.« Julia ließ den Zimmerschlüssel in ihre Hosentasche gleiten und hob das Gepäck an. »Bis später!« Sie war neugierig, ein bisschen durcheinander von Elkes Geschichten und schlagartig ziemlich müde.

Auch Schmetterlinge können sterben

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