Читать книгу Auch Schmetterlinge können sterben - Martina Decker - Страница 4

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Julia saß in ihrem Arbeitszimmer und hatte das Gesicht in die Hände gelegt. Was war bloß los mit ihr und Roman? Sie hatte den Eindruck, dass sie nur noch miteinander stritten. Ein normales Gespräch war kaum noch möglich. Und jedes Mal bügelte er sie mit einer Arroganz ab, die völlig unangebracht war. Sie war doch nicht sein Lehrmädchen oder sonst irgendein Depp. Sie war seine Frau!

Wo war der entspannte, ganz normale Roman, den sie vor 17 Jahren im Biergarten kennen und lieben gelernt hatte? Der sie mit einem selbst gepflückten Blumenstrauß überrascht und ihr ins Ohr geflüstert hatte: »Du bist das Wichtigste in meinem Leben!« Irgendwo zwischen besagtem Biergarten und heute war dieser Mann, vielleicht sogar die Liebe, auf der Karrierestrecke geblieben. Ob sie doch ein bisschen überreagierte? Sollte sie sich vielleicht bei ihm entschuldigen?

Eigentlich hatte sie keine Lust auf ein spöttisches »Na, hast du dich wieder beruhigt?« Roman nahm ihre emotionalen Ausbrüche selten ernst. Er huldigte der Ratio. Frauen, die heulend aus einem wie er es nannte »konstruktiven Gespräch« wegliefen, litten seiner Ansicht nach entweder unter PMS oder waren hysterisch. Ab einem gewissen Alter gestand er ihnen gnädig auch noch die Auswirkungen der Wechseljahre zu, was im Ergebnis nicht minder herablassend war. Nun war sie aber definitiv weder hysterisch noch in den Wechseljahren. PMS war aktuell auch nicht zu befürchten. Oder?

Julia blätterte in ihrem Kalender. »Mist, könnte doch sein ...«, murmelte sie. Sie war ein paar Tage überfällig! »Das ist dieser ganze Stress und Ärger«, schimpfte sie leise und klappte den Kalender energisch zu. »Nicht nur mein Eheleben ist aus dem Takt - mein Bio-Rhythmus ist es auch!« Dass Roman mit seiner frauenfeindlichen und absurden Theorie einen Treffer gelandet haben könnte, gefiel ihr gar nicht.

»Nein, dieses Mal muss er zuerst kommen. Sehe ich doch gar nicht ein«, murmelte sie. »Er hat mich egoistisch und selbstbezogen genannt. Wenn sich einer entschuldigen sollte, dann er!«

Das würde aber nie passieren und das wusste Julia. Roman entschuldigte sich nicht, solange er sich im Recht sah. Und eigentlich hatte Roman immer recht – glaubte Roman. In ein paar Tagen würde er mit einem großen Blumenstrauß ankommen und lapidar sagen: »Für dich. Weil du frische Blumen doch magst.«

Bis dahin wären aber Klassentreffen und dieses blöde Essen mit den Spaniern schon lange gewesen.

»Klassentreffen versus Geschäftspartner?«, schrieb Julia auf einen Zettel und kritzelte ein Muster daneben. »Nobelrestaurant – kaltes Buffet? Tanzen – Small Talk? Spanier – alte Freunde?« Sie warf den Stift auf die Schreibtischplatte. »Verdammt noch mal, ich bin nicht egoistisch! Ich werde es ihm beweisen!«

Sie griff nach der Einladungskarte und betrachtete sie wehmütig. Silhouetten von tanzenden Menschen – gute Laune in Schwarz und Pink. Die Neunziger ließen grüßen. »Ich brauche eine Ausrede! Mein Mann hat einen wichtigen Termin!« Julia schüttelte den Kopf. »Das klingt, als dürfte ich nicht alleine verreisen.« Zwei der drei auf der Karte abgebildeten Figuren hatten jetzt einen gemalten Bart; eine der Frauen trug jetzt Hut. »Vielleicht: Leider muss ich wegen eines überraschenden Geschäftstermins meine Teilnahme absagen. Das lässt zumindest offen, ob es mein oder sein Termin ist. Trotzdem doof.« Unzufrieden zerknüllte Julia nach einigen Minuten den Zettel mit diesen und anderen Entwürfen. »Ich nehme den Klassiker: Viruserkrankung. Ist wenigstens nicht ganz gelogen – nur ein bisschen übertrieben.« Seit Tagen war ihr ständig übel. Nicht so, dass sie das Treffen tatsächlich hätte absagen müssen. Eher latent und lästig. »Zumindest bleiben mir jetzt die klassischen Verlierer erspart, die vermutlich schon ihre zweite oder dritte Scheidung hinter sich haben und einen aufgewärmten Flirt anno 1995 suchen.«

Es war ein schwacher Trost, zugegeben, aber besser als nichts. Sie würde das freie Wochenende als geschenkte Zeit annehmen. Zeit, die sie darauf verwenden wollte, Ordnung auf ihrem Schreibtisch und in ihren Unterlagen zu schaffen. Ihr Arbeitsplatz war übersät mit kleinen, bunten Klebezetteln. Wichtige und flüchtige Notizen, manche längst übertragen, manche längst überholt; andere, die unbedingt noch gebraucht wurden; die, die sie schon gesucht, aber im Durcheinander nicht gefunden hatte.

Nach dem Klassentreffen hatte sie anfangen wollen, nun würde sie eben schon heute damit beginnen. »Was du heute kannst besorgen ... « Je eher sie hier Ordnung gemacht haben würde, desto früher konnten auch für sie die Sommerferien beginnen.

Für die nächsten Tage war sommerlich warmes Wetter angekündigt. Ideal, um sich ein Plätzchen im Garten zu suchen und endlich mal wieder ein gutes Buch zu lesen.

Nicht mehr ganz so lustlos griff sie nach dem ersten Stapel lose aufeinanderliegender Blätter. Im gleichmäßigen Surren des Aktenvernichters schweiften ihre Gedanken immer wieder ab. Mal weilten sie in Sichtweite des Stapels mit ungelesenen Büchern, mal sprangen sie zurück zu dem hässlichen Streit mit Roman. Heimlich gestand sie ein, dass sie eindeutig ein ganz klitzekleines bisschen hysterisch gewesen war.

Es war nicht Romans Schuld, dass die Spanier drei Tage zu früh gekommen waren; dass er deswegen nicht freimachen konnte und heute Abend mit den Sigñores und Sigñoras im noblen Restaurant Business & More speisen musste.

Roman hatte sich darauf gefreut, mit auf ihr auf das Klassentreffen zu fahren. Ok, vielleicht nicht ganz so sehr, wie sie sich darauf gefreut hatte. Aber egal – gefreut ist gefreut!

Was nichts an der Tatsache änderte, dass es schon wieder ordentlich gekracht hatte. Diese permanenten Streitereien wegen nahezu allem waren schon fast Alltag Ob es bei ihnen anders laufen würde, wenn sie eine richtige Familie geworden wären? Irgendwie hatten sie nie den richtigen Zeitpunkt gefunden, um eine Familie zu gründen. Während des Studiums waren Kinder kein Thema gewesen, danach hatte sie erst einmal beruflich durchstarten wollen. Roman war damit einverstanden gewesen.

»Liebling, ich habe doch dich! Ich brauche kein Baby!«

»Du bist süß!«, hatte sie ihm geantwortet. »Aber bis ich dreißig bin, haben wir eine ganz große Familie. Mindestens drei Kinder. Das verspreche ich dir.«

Er hatte gelächelt und ihr einen sanften Kuss auf die Wange gegeben. »Wir werden sehen, Liebes.«

Als Julias Kollegin letztes Jahr ein Baby bekam, war Julia hellauf begeistert gewesen. »Ich will auch endlich ein Baby«, hatte sie zu Roman gesagt.. »Die kleine Luise ist zum Anbeißen süß. Ich hätte sie am liebsten gar nicht mehr hergegeben.«

»Ein eigenes Baby?« Roman sah sie völlig entgeistert an. »Liebling, das ist kein guter Zeitpunkt!«

»Wenn wir uns immer nur um den besten Zeitpunkt Gedanken machen, werden wir nie Eltern.«

»Und, was wäre daran so schlimm?«

»Was daran schlimm wäre?« Jetzt war es Julia, die entgeistert guckte. »Schon vor unserer Hochzeit haben wir uns Kinder gewünscht. Mittlerweile sind wir fünfzehn Jahre verheiratet, haben ein wunderschönes Haus mit Garten und verdienen endlich genug Geld, um …«

»Du hast dir Kinder gewünscht«, unterbrach er sie sanft.

»Du nicht?«

Er lachte kurz auf. »Ich brauche kein Baby! So ein kleiner Scheißer schreit den ganzen Tag, macht die Hosen voll und sabbert.«

»Das ist jetzt nicht dein Ernst!« Hatte er das wirklich gesagt?

»Julia, wir haben doch ein tolles Leben.« Er zog sie zu sich und sah ihr direkt in die Augen. »Wir können kommen und gehen, wie es uns gefällt. Können verreisen, wann und wohin wir wollen. Nichts stört unsere Nachtruhe und wenn wir den ganzen Tag im Bett bleiben wollen, ist das auch in Ordnung. Außerdem«, er strich ihr über die Brüste hinunter zum Bauch und bis hin zu den Oberschenkeln. »Das ist alles so schön straff und in Form. Willst du wirklich …«

Julia schlug seine Hand weg und machte einen Schritt zurück. »Deswegen willst du kein Kind? Damit meine Brüste nicht hängen und der Bauch flach bleibt?«

»Wenn du das sagst, klingt es, als wäre es ein Verbrechen, keine Kinder haben zu wollen.«

»Du hast mir jahrelang was vorgemacht. Du hast mich belogen, betrogen …« Julia rang nach Worten.

»Dein Hang zu Dramatik ist bewundernswert.« Er sah sie nachsichtig an. »Und jetzt krieg dich wieder ein. Wie gesagt, wir hatten doch bisher ein gutes Leben ohne Kind!«

Sie war fast vierzig und beinahe zu alt für ein Baby. Roman und sie führten ein Leben zwischen Klienten, Besprechungen und Dienstreisen; ein Leben, in dem ein Kind, zumindest seiner Meinung nach, keinen Platz hatte.

Auch Schmetterlinge können sterben

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