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»So, da bin ich wieder«. Mit dem Telefon am Ohr und ihrer Tasse jetzt kalten Tees ging Julia auf die kleine Couch im hinteren Teil ihres Arbeitszimmers.

»Was treibst du denn da?«, fragte Sonja.

»Tür zumachen, Tee trinken, aufräumen!«

»Musst du nicht noch Köfferchen packen? Haare machen oder so was?«

»Nein, Klassentreffen fällt aus!«

»Wie, fällt aus? Grippewelle? Erdbeben? Auto kaputt? In diesem Fall, meine Liebe, lass dir sagen: Es gibt auch noch die Bahn und Fernbusse.«

Julia schlürfte ein wenig von dem Tee, bevor sie antwortete: »Weder noch. Roman hat überraschend ein Meeting mit den Spaniern. Wir müssen heute Abend schick essen gehen.«

»Und das lässt du einfach zu?«

»Habe ich eine Wahl?«

»Frau hat immer eine Wahl!«, meinte Sonja im Brustton der Überzeugung.

»Ja, wenn sie wie du Single ist. Als Gemahlin von Staranwalt Roman Baker sieht das anders aus«, erwiderte Julia frustriert.

»Fahr alleine«, schlug Sonja vor.

»Ganz bestimmt nicht. Was sollen denn die Geschäftspartner denken, wenn ich meinen Mann nicht auf dieses Dinner begleite?«

»Lass sie denken, was sie wollen!«

Julia zuckte unmerklich zusammen. Letzte Woche hatte sie Roman noch vorgeworfen, sich in der Hauptsache Gedanken darum zu machen, was die Leute dachten. Jetzt blies sie wie selbstverständlich in dasselbe Horn. Es war zum Verrücktwerden. »Da wird doch gleich gemunkelt, wir hätten eine Ehekrise.«

»Habt ihr nicht?«

»Was soll das denn bitte jetzt?« Julia richtete sich auf und stellte die Teetasse geräuschvoll auf dem Glastisch ab. »Scheiße …«, rutschte es ihr heraus. Mit dem Ärmel ihrer Strickjacke wischte sie erst über die Platte, dann über den Tassenboden. Ehekrise! Warum musste Sonja gerade jetzt davon anfangen? Vielleicht war es doch nicht so klug, sich wegen jeder Kleinigkeit bei Sonja auszuheulen.

»Ich meine ja nur«, lenkte Sonja ein und schalt sich selbst eine Idiotin. Sie hätte es wissen müssen. Da konnten im Hause Baker noch so sehr die Fetzen fliegen, es war KEINE Krise – da waren sich Roman und Julia dann ausnahmsweise mal einig. »Vergiss es einfach, ok?«

Als Julia nicht gleich antwortete, sprach Sonja in versöhnlichem Ton weiter: »Also, wenn ich du wäre, dann würde ich fahren. Du hast dich so sehr darauf gefreut. Denk doch mal, wie lange du deine ehemaligen Schulkameraden nicht mehr gesehen hast. Soweit ich mich erinnere, warst du wegen irgendwelchen geschäftlichen Terminen von Roman weder beim 15-jährigen noch beim 10-jährigen Treffen. Ich finde, es wird mal langsam Zeit, dass du dich …«

»Ist ja gut, ist ja gut!«, unterbrach Julia ihre Freundin. »Ich habe dich verstanden.«

»Wie schön«, flötete Sonja durch die Leitung. »Dann freue ich mich wahnsinnig, wenn du mir heute Abend oder heute Nacht«, das breite Grinsen war überdeutlich zu hören, »ein paar interessante Bilder über WhatsApp schickst.«

»Mal sehen.« Julia lächelte nachsichtig: Sonja und ihre schmutzige Fantasie.

Sonja spürte, dass sie fast gewonnen hatte. »Süße, alleine auf ein Klassentreffen gehen ist kein Verbrechen. Niemand sagt, du sollst Ehebruch begehen. Niemand zwingt dich, dir die netten Burschen überhaupt anzusehen. Aber ganz entspannt Hallo zu sagen und vielleicht ein oder zwei Gläschen auf die schöne alte Zeit zu trinken, das wird doch wohl drin sein. Ist das Hotel nicht auch schon gebucht?«

»Hm hm«.

»Na, siehste. Kurzfristig stornieren kostet Geld – wahrscheinlich musst du sogar den vollen Preis zahlen - für nichts! In dem Nest wird wohl spontan eher niemand ein Zimmer suchen …«

»Nest? Du sprichst von meinem Heimatdorf«, unterbrach Julia entrüstet.

»In dem du seit wie vielen Jahren nicht mehr warst?«

»Egal – Heimat bleibt Heimat!«

Sonja atmete hörbar ein. »Also gut. Das Zimmer im Hotel deines Heimatdorfes kostet storniert so viel wie belegt. Das ist rausgeworfenes Geld und würde deinem Herzblatt nicht gefallen. Wo er so hart dafür arbeiten muss.«

»Du fängst schon wieder an …«, wies Julia ihre Freundin zurecht.

»Wie dem auch sei … Los jetzt! Hoch von der Couch und ab unter die Dusche. Und dann weg mit dir.« Sonja sandte einen dicken Schmatzer durchs Telefon und legte auf.

Julia starrte auf das Telefon. Es würde Roman nicht gefallen, wenn sie ohne ihn dort übernachtete – schon gar nicht nach dem Streit. Klar, er hatte gesagt, sie könne alleine fahren. Weil er davon ausgehen konnte, sie würde es sowieso nicht machen. Da war es leicht, sich gönnerhaft zu geben. Andererseits: Vielleicht war es mal an der Zeit, ihm das Gegenteil zu beweisen. Das Hotel war gebucht und bezahlt, die Zusage an das Festkomitee schon vor Wochen raus. Und wer sollte die Rede halten, die sie sich hatte aufschwatzen lassen als ehemalige Klassensprecherin? »Ich könnte sie Rebecca per Mail zukommen lassen«, überlegte Julia. Rebecca war schon zu Schulzeiten die geborene Entertainerin gewesen.

Das Telefon klingelte erneut. Gedankenverloren meldete Julia sich mit einem fragenden »Ja?«. »Habe ich es doch geahnt! Warum bist du noch nicht unter der Dusche?«

»Weil ich noch einen Augenblick nachgedacht habe, Sonja!«

»Du bist wirklich ein schwerer Fall«, seufzte die Freundin dramatisch. »Was gibt es denn noch zu überlegen?«

»Ich weiß einfach nicht, ob das so eine gute Idee ist«, antwortete Julia. »Roman hat zwar gesagt, wenn es mir so wichtig wäre, müsste ich eben allein dahin gehen, aber …«

»Na, dann ist doch alles gut«, warf Sonja ein.

»Eben nicht!«, widersprach Julia. »Ich kenne ihn besser als du. Er geht mit Sicherheit davon aus, dass ich ihn heute Abend begleite.«

»Dann muss eine andere Begleitung her.«

»Soll ich einen Escort-Service buchen oder was?«

»Spare dir das Geld. Ich würde mich opfern und dich bei diesem komischen Dinner vertreten, wenn es dir die Entscheidung erleichtert.«

»Du? Ihr beide seid doch wie Hund und Katz`.«

»Deswegen habe ich ja auch opfern gesagt. Ich werde mich zusammenreißen und die Krallen bei mir behalten«, versprach Sonja.

»Magst du nicht vielleicht lieber mit mir zum Klassentreffen fahren?«

»Um deine Anstandsdame zu mimen? Nein, danke, hab du mal schön alleine Spaß! Und auf notgeile Vierziger habe ich auch keinen Bock.« Sonja machte eine kurze Pause. »Zudem bin ich mir sicher, dass Roman damit noch viel weniger klar käme. Das sieht doch aus, als hätten wir beide nur darauf gewartet. Und dass Roman mich für den schlechtesten Einfluss aller Zeiten für dich hält, weißt du doch wohl? «

»Wo du recht hast, hast du recht!«, gestand Julia ein. »Bleib mal in der Leitung, ich frag' ihn, ob er dich als Ersatz für mich akzeptiert.« Bevor Sonja etwas einwenden konnte, legte Julia das Telefon ab und verließ kurz das Zimmer.

***

»Sonja?« Julia plumpste zurück auf die Couch, »Er ist schon weg! Und anrufen will ich nicht, weil er jetzt bestimmt in dem Meeting sitzt.«

Einen Moment lang schwiegen beide Frauen. Im Hintergrund hörte Julia, wie eine Männerstimme Sonja um irgendeine Akte bat. »Kommt sofort«, hörte sie ihre Freundin sagen und dann wieder zu ihr: »Sei mal mutig und mach' dein eigenes Ding. Fahr einfach! Ich komme nachher rüber und frage deinen Mann ganz artig, ob ich mit darf«, sagte Sonja leicht genervt. »Nur bitte, entscheide dich endlich! Ich kann nicht den ganzen Vormittag privat telefonieren. Also: drei – zwei – eins …«

»Ok - überredet: Ich fahre.« Julia fühlte sich trotz aller guten Argumente nicht wohl dabei. Aber sie gab sich betont heiter. »Wenn Roman es zulässt, dann mach' dir einen schönen Abend mit meinem Mann. Sei so um halb acht da. Das Essen ist für zwanzig Uhr angesetzt. Ich schicke Roman eine Nachricht aufs Handy. Dann hat er wenigstens von mir erfahren, dass ich ohne ihn weg bin.«

»Na, dann will ich dich nicht länger aufhalten!« In Sonjas Stimme lag ein Hauch von Triumph. »Denk' an die Fotos … ich will unbedingt wissen, was da so abgeht.«

»Was soll da denn abgehen?«, entgegnete Julia, aber Sonja hatte bereits eingehängt. »Gar nichts wird da abgehen«, murmelte Julia und rappelte sich von der Couch hoch. »Die Einzige, die jetzt abgeht – nämlich ab unter die Dusche und dann ab ins Auto – bin ich. Sonst überlege ich mir die ganze Sache vielleicht doch noch mal.«

Auch Schmetterlinge können sterben

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