Читать книгу Auch Schmetterlinge können sterben - Martina Decker - Страница 5

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Roman war schnell unter die Dusche gesprungen. Nachdem er das Memo doch kurz überflogen hatte, wollte er möglichst rasch in die Kanzlei. Es gab da eine Passage, die ihm nicht schlüssig schien. Das wollte er unbedingt noch mit Felizitas klären – vor der Besprechung.

Nun stand er händeringend vor seinem Kleiderschrank und die gewonnene Zeit verrann sinnlos und ungenutzt. Julia hatte seine Hemden noch nicht aus der Reinigung abgeholt, stellte er missmutig fest. Zwar war die Auswahl groß, doch es war kein weißes Hemd darunter.

»Lindgrün? Nicht zum dunkelblauen Sakko«, murmelte er. »Creme? Nicht gerade perfekt, aber eine vertretbare Notlösung.« Beim dritten Knopf entdeckte er den kleinen Kaffeefleck. Verärgert riss er das Hemd über den Kopf, ließ es auf den Boden fallen, griff widerwillig das hellblaue. Auch, wenn es hervorragend passte und seine eisblauen Augen noch eine Spur mehr strahlen ließ … Seit die Männer von der Firmensecurity blaue Hemden trugen, war diese Farbe einfach keine Option mehr. Warum hing das Teil überhaupt noch im Schrank? »Weil Julia der Meinung ist, es wäre zu schade für die Altkleidersammlung«, murrte er unwirsch und warf es zusammengeknüllt zu den anderen auf den Boden.

Natürlich würde man ihn niemals für einen der Sicherheitsleute halten. Seine Anzüge sprachen eine völlig andere Sprache als die Uniformen aus billigem Synthetikgewebe. Natürlich konnte er trotzdem hellblaue Hemden tragen. Und natürlich konnte er … »Ich will aber nicht!«, sagte er verbissen und spürte, wie die Ader an der Schläfe anschwoll und das Blut aggressiv zu pulsieren begann. Die Zeit saß ihm im Nacken und er hatte nichts anzuziehen.

Verdammt, warum hatte Julia die weißen Hemden nicht abgeholt? Sie das allerdings ausgerechnet jetzt zu fragen, wäre keine gute Idee - das war sogar ihm klar. Nach ihrem Wutausbruch hatte sie sich wie immer, wenn ihr etwas nicht passte, in ihrem Arbeitszimmer verschanzt. In letzter Zeit schien sie solche Ausbrüche regelrecht zu lieben. Sie regte sich über jede Kleinigkeit auf und nörgelte ständig an ihm und seinem Job herum. Dass dieser Job – zugegeben mit häufig miesen Arbeitszeiten – ihnen ein sorgloses Leben garantierte, ignorierte sie dabei geflissentlich. Die teuren Restaurants, das ein oder andere Designerkleid … Was glaubte sie eigentlich, wer das bezahlte? Sie mit ihrem Teilzeit-Lehrergehalt doch mal sicher nicht.

»Nicht weiter darüber nachdenken«, rief er sich selbst zur Ruhe. Er war wütend, ja, aber er wollte sich da jetzt auf keinen Fall noch mehr reinsteigern. Das würde ihn nur ablenken und dafür war das anstehende Meeting einfach zu wichtig. Wenn sich Julia bis heute Abend nicht wieder abgeregt haben würde, dann musste und würde er reagieren. So wie in den letzten Wochen wollte er jedenfalls nicht weitermachen. Das war keine Ehe, das war eine Katastrophe!

Energisch warf er die Kleiderschranktür zu. Julia sollte ruhig hören, wie wütend sie ihn mit ihrem Gezeter gemacht hatte. Vielleicht würde sie dann mal endlich über ihr Verhalten nachdenken und käme von selbst darauf, wie lächerlich das Ganze eigentlich war.

***

Das Türenschlagen am Schrank war nicht zu überhören. Julia bemühte sich eisern, es zu ignorieren. Vermutlich suchte Roman nach einem Hemd. Roman suchte jeden Morgen nach dem richtigen Hemd, denn diesbezüglich hatte er seine ganz eigene Philosophie: dieses für Besprechungen mit den Mitarbeitern, jenes für Meetings mit Klienten, solches für Vertragsverhandlungen.

»Und alle sind sie weiß!«, murmelte Julia. Aus dem romantischen Jurastudenten war ein erfolgreicher Lifestyle-Anwalt geworden; Arbeit, Klienten, Prestige und Statussymbole bestimmten sein Leben: Es musste das entsprechende Auto sein, das richtige Logo auf dem Hemd, die unverwechselbare Gürtelschnalle. »Das ist das Geheimnis meines Erfolgs. Du bist, wie du auftrittst. Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.«

Selbstverständlich sollte er sich schick anziehen und sich natürlich auch den Gepflogenheiten seines Berufsstandes anpassen. Aber man konnte es auch übertreiben. Wer brauchte zwanzig weiße Designer-Hemden und und ein Fünfzehn-Liter-Auto?

Leider hatte gestern die Reinigung wegen eines Betriebsausfluges geschlossen. Julia wollte Roman noch vorgewarnt haben, dass die Auswahl seiner »weißen Kollektion« beschränkt war. Der Streit um das verpatzte Wochenende war dazwischen gekommen. »Pech gehabt!«, dachte sie. »Aber du bist ja ein kluger Kerl und wirst es merken.«


Julia griff seufzend den nächsten Papierstapel, um ihn durchzusehen, da klingelte das Telefon. Ohne den Blick von den Papieren zu nehmen, nahm sie den Hörer auf. »Hallo? Hier Baker!«

»Hi Süße, ich bin's. Wollte dir nur eben noch ganz viel Spaß wünschen für den heutigen Abend.«

»Danke, Sonja, sehr lieb von dir – Moment mal grade …« Julia legte das Telefon zur Seite und schloss die Tür zu ihrem Arbeitszimmer. Der Duft von Romans Aftershave zog um die Ecke und schaffte trotz der räumlichen Distanz eine Nähe, die sie nicht haben wollte. Abgesehen davon lag ihr nichts daran, dass er ihr Gespräch mit Sonja belauschte. Dass sie ihrer Freundin vieles anvertraute, was Roman für ausschließlich privat erachtete, missfiel ihm gehörig. Und an einem weiteren Streit – weder über die fehlenden Hemden, noch über geteilte Geheimnisse – hatte sie im Augenblick so gar kein Interesse. Ihr Bedarf an Streitereien war schon lange gedeckt.

***

Als das Telefon läutete, sah Roman zur Uhr. Ob Felizitas versuchte, ihn zu erreichen? Vielleicht hatte sich der Termin verschoben? Oder war er wegen der unsäglichen Hemdensuche jetzt doch schon zu spät? Eilig warf er einen Blick auf die Badezimmeruhr. Es war knapp, aber noch würde er pünktlich zum Termin erscheinen. Es musste etwas anderes …

Im selben Augenblick schloss Julia die Tür zu ihrem Arbeitszimmer. Er konnte hören, dass sie sprach, aber leider nicht mit wem. Gut! Das Telefonat war also nicht für ihn. Das hieß zumindest, dass in der Firma und mit dem Termin alles in Ordnung war. Aber warum schloss Julia die Tür? Hatte sie jetzt auch noch Geheimnisse vor ihm?

»Sie hat einen anderen«, schoss es ihm durch den Kopf. Aber sofort schüttelte er amüsiert den Kopf. Quatsch! Wer Geheimnisse hat, der muss auch lügen können. Und Julia konnte nicht lügen. Sie bekam nur bei dem Versuch schon einen roten Kopf und fing an zu stammeln. Andererseits wäre es eine Erklärung für ihr abweisendes und übellauniges Verhalten ihm gegenüber in der letzten Zeit. Hatte sie ihm nicht kürzlich erst mit Scheidung gedroht?

»Ich hab überhaupt nichts geahnt!«, hatte ein Kollege aus der Rechtsabteilung kürzlich gesagt. Es war eines dieser Gespräche, die während einer Pause im Meeting aufkommen. Er hatte den Mann nur unverbindlich gefragt, wie es ihm denn so ginge. »Es könnte besser sein«, druckste der Kollege herum, bevor er dann doch noch nachsetzte: »Meine Frau hat die Scheidung eingereicht und ist letzte Woche zu ihrem neuen Freund gezogen.«

»Das tut mir leid.« Roman war nicht wirklich betroffen gewesen, wollte aber wenigstens höflich sein.

»Danke. Der Job … Sie wissen das ja selbst. Morgens früh aus dem Haus, abends spät heim. Arbeit auch am Wochenende: Meetings, Geschäftsessen, und dann gehe ich ja auch noch regelmäßig ins Fitness-Center. Sie hat gesagt, sie fühlt sich alleine gelassen und nicht mehr geliebt.«


Roman führte dasselbe Leben. Wie konnte er sich also sicher sein, dass Julia nicht ebenso empfand wie die Frau? »Das hätte ich doch gemerkt. Und sie hätte auch bestimmt schon mal was gesagt.« Julia war ja nicht schüchtern. Wenn ihr etwas nicht passte, konnte sie ziemlich ungemütlich werden.

»Sie hat in letzter Zeit ziemlich viel gemeckert.«

»Das war doch nur Geplänkel!« War es das wirklich? Auf einmal tauchten Bilder auf und Gesprächsfetzen, die durchaus auch anders interpretiert werden konnten. »Du machst immer nur deinen Kram. Und wenn es schief geht, dann bringst du eben ein paar Blumen mit. Ist ja ganz einfach! Aber ändern tut sich gar nichts. Ich möchte wetten, in ein paar Tagen stehen wir wieder genauso hier, wie jetzt.« Sie hatte die langstieligen Rosen achtlos auf den Tisch gelegt. »Roman, wie lange soll das noch gut gehen?«

Vor zwei Wochen war das gewesen.

Roman fühlte sich plötzlich unwohl. Die Richtung, die seine Gedanken nahmen, gefiel ihm nicht. Er wollte sich ein Leben ohne Julia nicht einmal im Ansatz vorstellen. »Muss ich auch nicht«, beruhigte er sich selbst. »Es ist nur alles gerade ein bisschen viel!« Er atmete tief ein. Sie hatten gestritten, er war nicht ganz fair gewesen, ein Wort hatte das andere gegeben. Das sollte man nicht überbewerten. Und eigentlich hatte sie ihm ja auch gar nicht gedroht. Sie hatte im Zorn darauf hingewiesen, dass man im Falle eines Falles im Telefonbuch einen Anwalt finden konnte.

»Wir sollten mal wieder Urlaub machen? Möglichst weit weg. Thailand soll schön sein. Und traumhafte Strände haben.« Roman nahm sich vor, die Sache gleich nachdem die Spanier abgereist waren, in die Hand zu nehmen. Er hatte schon lange vorgehabt, den Tauchschein zu machen. Khao Lak? Phuket? Oder doch auf Phi Phi? »Ich werde darüber nachdenken.«

Die Sicherheit gewann wieder die Oberhand. Vermutlich war es einfach nur Sonja, Julias beste Freundin, die am Telefon war. Sie wusste schließlich, dass Julia und er heute zu diesem Klassentreffen hatten fahren wollen. »Wobei ich jetzt nicht wirklich enttäuscht bin, weil das ausfällt«, murmelte Roman. Es gab definitiv spannendere Ereignisse als eine Feier, bei der sich alle wie auf einem Kindergeburtstag benahmen, weil sie sich plötzlich wieder ganz jung fühlten.

Julia würde jetzt ordentlich vom Leder ziehen und ihrer besten Freundin vorjammern, dass sie nicht fahren würden. Würde sich beklagen, wie schlecht und gemein ihr Ehemann war und obendrein ein doofer Karriererist. »Soll sie doch«, brummte Roman. »Wenn sie sich danach besser fühlt.« Sonja würde ihren Job als beste Freundin wie immer ernst nehmen und intensiv ins selbe Horn blasen. Aber was Sonja sagte oder von ihm dachte, war ihm wirklich mehr als egal. Ebenso egal wie das, was die beiden Frauen sich sonst noch zu erzählen hatten. Handtaschen, Schuhe, Maniküre – der ganze Weiberkram eben. Das war es nun wirklich nicht wert, dass er es belauschen wollte.

Roman griff nach seiner Aktentasche und legte sich das Jackett über den Arm. Vor Julias Zimmer zögerte er kurz. Sollte er nett sein, klopfen und wenigstens kurz auf Wiedersehen sagen? Nein, entschied er. Sie hatte sich in ihr Arbeitszimmer verkrochen. Sie hatte die Tür geschlossen – und hatte damit ein mehr als deutliches Zeichen gesetzt.

Nein! Er hatte es beileibe nicht nötig, zu Kreuze zu kriechen.

Auf dem Weg über den Hof bedachte er Julias Wagen mit einem abschätzigen Blick. Wie gerne würde er die Schrottkarre lieber heute als morgen gegen einen repräsentativen Geländewagen eintauschen. Einen mit Automatikgetriebe, denn Julia verstand das Zusammenspiel von Kupplung und Gas sowieso nicht.

Das Problem war diese frauentypische emotionale Bindung zwischen Julia und ihrem Auto. »Es ist mir egal, ob die Leuten denken, wir könnten uns kein besseres leisten. Dieses Auto fahre ich seit zehn Jahren. Es hat mich nie im Stich gelassen“, schmetterte sie seine Vorstöße regelmäßig ab, um dann mit vorwurfsvollem Unterton nachzusetzen: »Damit sind wir damals an den Bodensee gefahren. Erinnerst du dich nicht?« Und wie er sich erinnerte: 45 magere PS, die sich mühsam über jeden Hügel quälten und Sitze ohne jeden Komfort; eine defekte Klimaanlage und Stoßdämpfer, die diese Bezeichnung nicht verdienten. War es wirklich zu viel verlangt, dass sie ein bisschen Rücksicht auf sein Ansehen nahm? Er erwartete doch nur, dass sie sich ein Stück dem anpasste, was er repräsentierte: Erfolg und Lifestyle. »Aber gut!«, murmelte er. »Wenn sie sich partout keinen anderen Wagen aussuchen will …« Er grinste unwillkürlich: Julias Geburtstag war in zwei Monaten. Ein Geschenk würde sie wohl kaum ablehnen können.

Auch Schmetterlinge können sterben

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