Читать книгу Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 3 - Martina Meier - Страница 12

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Der Weihnachtszug

Der Schneesturm tobte überall im Lande. Viele Straßen waren unpassierbar. Übermütig kletterten der siebenjährige Hannes und seine jüngere Schwester Gerti auf die Plattform des Waggons der kleinen Schmalspurbahn. Mit ihren Eltern waren sie auf dem Weg zu den Großeltern.

Zischend setzte die alte Dampflok sich in Bewegung. Schnell nahm sie Fahrt auf und fuhr durch das Schneegestöber. Dabei stieß sie dicken Rauch aus. Normalerweise standen die Kinder immer während der Fahrt auf der Plattform, doch diesmal verbot der Schaffner den Aufenthalt dort bereits beim Einsteigen. Aus Gründen der Sicherheit, wie er sagte.

Hannes sah sich um. Auf der hintersten Bank im Waggon saß ein alter Mann mit weißem Bart. Er blätterte in einem kleinen Buch. Von Zeit zu Zeit hustete er verhalten. „Der Rauch von diesem Dampfross“, entschuldigte er sich bei der dicken Frau, die ihm gegenübersaß. Die hielt einen Korb auf ihren Knien und redete unaufhörlich auf ihn ein. Sie sei von ihrer Schwester eingeladen worden und hätte ihr zum Dank dafür einen Kuchen gebacken. Freundlich nickte der Alte und blätterte weiter in seinem Buch. Auf der anderen Seite saßen zwei junge Männer. Neben ihnen standen Rucksäcke und Skier. Sie unterhielten sich über ihre Wanderroute.

Da bemerkte Hannes einen Jungen in der Mitte des Waggons. Er kannte ihn. Ihre Großeltern waren Nachbarn.

„Darf ich zu Florian?“ Seine Mutter nickte. Der Schneesturm beunruhigte sie. Doch davon merkten die Jungen nichts, die sich angeregt über Weihnachten unterhielten. Im Nachbarwaggon übten Kinder ein Lied, das auch Gerti kannte. Leise sang sie mit. Jemand spielte auf einer Gitarre. Nach der letzten Strophe applaudierten die Fahrgäste.

Die kleine Bahn schnaufte durch die hügelige Winterlandschaft. Die Fahrt fiel ihr immer schwerer. Manchmal musste sie große Schneemassen vor sich herschieben, die sich besonders in den Senken angehäuft hatten. Ab und zu pfiff die kleine Lok, als wäre sie froh, wieder ein Hindernis überwunden zu haben. Gerade zuckelte der Zug durch den Winterwald, als er mit einem Ruck stehen blieb. Neugierig stiegen einige Passagiere aus und sahen, wie der Lokführer und der Heizer vor einer riesigen Schneewehe standen. Mit Schippen versuchten die beiden, die Gleise freizuschaufeln. Doch es half nichts.

„Es tut mir sehr leid“, informierte der Schaffner die Fahrgäste, „doch wir müssen auf Hilfe warten.“

„Aber es ist Weihnachten und wir haben alle heute noch etwas vor“, regte sich ein kleiner Mann in einem teuren Mantel auf.

Bedauernd hob der Schaffner die Schultern.

„Jemand muss Hilfe holen.“ Die Dame mit dem Korb sah sich suchend um.

„Es wird bald dunkel und da ist es viel zu gefährlich, durch den Schneesturm zu laufen“, mahnte der Schaffner.

Aufgeregt rannten Hannes und Florian durch die Waggons und erzählten den übrigen Fahrgästen, was sie bei den Erwachsenen aufgeschnappt hatten.

„Setzt euch jetzt hin, Jungs“, forderte Hannes´ Vater die Kinder auf. „Durch das rein und raus wird es hier drinnen immer kälter.“

Der Schaffner nickte und sagte: „Nicht lange, und man wird uns vermissen.“ Dabei zog er eine Taschenuhr aus seiner Weste. „Das wird in genau siebenundzwanzig Minuten der Fall sein. Bis dahin möchte ich Sie bitten, Ruhe zu bewahren.“

Inzwischen machte man sich große Sorgen am nächsten Bahnhof. Die kleine Schmalspurbahn hatte pünktlich die letzte Station verlassen und war nun längst überfällig. Schnell wurden Einsatzkräfte zusammengetrommelt, die zu Fuß mit großen Laternen die Strecke abliefen.

Auch die Kinder in der Bahn wurden unruhig. „Sicher ist der Weihnachtsmann längst weg, wenn wir bei Großmutter ankommen.“

Florian sah Hannes an. „Du meinst, dann gibt es keine Geschenke?“

Gerti begann zu jammern. Im Nachbarwaggon weinte ein Mädchen.

Die dicke Frau kramte nervös in ihrem Korb herum. „Ist das nicht furchtbar?“, fragte sie den alten Mann. „Da sitzt man Weihnachten in der Wildnis und muss vielleicht erfrieren.“

„Wir müssen erfrieren?“ Hannes sah seinen Vater an. Ängstlich drückte sich Gerti an ihre Mutter.

„Reden Sie doch nicht so einen Unsinn“, ärgerte sich Hannes´ Vater. „Sie machen den Kindern ja Angst.“ Schmollend drehte sich die Frau weg und starrte aus dem Fenster.

„Ich werde die anderen Passagiere zu uns in den Waggon holen. Dann brauchen wir nur diesen zu beheizen und die Kohle reicht länger.“ Der Schaffner ging.

Draußen wurde es dunkel. Jemand begann, seinem Kind die Weihnachtsgeschichte zu erzählen. Es wurde still im Waggon. Alle lauschten.

„Eigentlich war der für meine Schwester.“ Die dicke Frau war zu den Erwachsenen getreten und hielt einen großen Kuchen hin. „Aber die Kinder müssen ja schließlich was essen.“

Einer der jungen Wanderer stellte eine Henkelkanne auf den Tisch. „Heißer Tee“, sagte er lächelnd. Immer mehr Fahrgäste sahen nach, was sie dazugeben konnten. Wenig später lagen Kekse, Nüsse, Äpfel und zwei Tafeln Schokolade auf dem kleinen aufklappbaren Tisch unter dem Waggonfenster und sogar selbst gemachte Limonade stand dabei. Jemand legte Kerzen daneben. Mit staunenden Augen beobachteten die Kinder, wie der Waggon im sanften Licht der Kerzen erstrahlte.

Dann war die Weihnachtsgeschichte zu Ende. In der andächtigen Stille stimmte Gerti ein Lied an und alle sangen mit. Niemand bemerkte, wie sich im hinteren Teil des Waggons die Tür leise schloss. Keiner vermisste den alten, hustenden Mann.

Plötzlich polterte es draußen. Erschrocken verstummten alle. Die Kinder rückten ängstlich zusammen. Die Tür öffnete sich und Schnee stiebte in den Waggon. Einige Kerzen erloschen und Gerti begann zu weinen. In den Schein der restlichen Kerzen trat ein Mann in einem langen roten Mantel mit hochgeschlagener Kapuze. Schwerfällig stellte er einen großen Sack neben sich ab und strich über seinen weißen Bart.

„Der Weihnachtsmann“, riefen Hannes und Florian gleichzeitig.

Die Erwachsenen stießen sich heimlich an.

„Ja, gibt es denn so was? Warum seid ihr denn um diese Zeit hier im Zug? Beinahe wäre ich mit meinen Rentieren vorbei geflogen.“

Nun erwachten auch die anderen Kinder aus ihrer Erstarrung.

„Wir sind eingeschneit.“

„Festgefahren.“

„Wir müssen gerettet werden.“

„Halt, halt, nicht alle gleichzeitig“, rief der Weihnachtsmann. Er hustete. Hannes´ Eltern sahen sich an.

„Bekommen wir nun unsere Geschenke?“ Mutig war Hannes vorgetreten.

„Hm, hast du denn auch etwas für mich?“

Laut trug Hannes das Gedicht vom Weihnachtsmann, der nicht so böse schauen sollte, vor.

„Immer wieder ein Klassiker“, lachte der Alte. Damit zog er ein kleines Päckchen aus dem Sack und überreichte es Hannes. Geduldig hörte sich der Weihnachtsmann auch die Vorträge der übrigen Kinder an und ein jedes erhielt ein kleines Geschenk.

„Da kommen sie“, rief plötzlich jemand. Alle drängten sich an die Fenster. Deutlich konnte man die Lichter der Laternen erkennen.

In der Aufregung fiel es keinem auf, dass sich noch einmal die Tür öffnete und kurz darauf wieder schloss.

Neben dem Zug hielten Schlitten, die von kleinen starken Pferden gezogen wurden. Die Kinder durften zuerst umsteigen. Begeistert kletterten sie in die mit warmen Fellen ausgestatteten Fahrzeuge. Dann ging es schnell zum nächsten Bahnhof, wo schon die Verwandten auf sie warteten.

Über dem Bahnhofsgebäude erklang leises Schellengeläut. Alle spähten neugierig hinauf und sahen einen von Rentieren gezogenen Schlitten, der sich hoch oben am nun klaren Sternenhimmel entfernte.

Nur noch leise war es zu hören, das „Ho, ho, ho“ und ein unterdrücktes Husten.

Silke Walkstein, geboren 1965 in Schwedt, ist einfache Mutter und zweifache Oma. Beruflich selbstständig verfasst sie für Interessierte Biografien und Familienchroniken. In ihrer Freizeit schreibt sie gerne Kurzgeschichten, u.a. für ihre Enkelkinder. Einige ihrer Erzählungen sind bereits veröffentlicht worden.

Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 3

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