Читать книгу Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 3 - Martina Meier - Страница 15

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Fjutsch

Schnee und Kälte bedecken Wald und Flur,

wo sind die vielen Kinder nur?

Daheim sind sie in ihren warmen Stuben,

die Mädchen und auch die Buben.

Jener angenehme Zimt und Mandelgeruch, der sich gemächlich durchs Haus schlängelte, ließ darauf schließen, dass Weihnachten in greifbare Nähe rückte. Bei Buschkins hatte man jedenfalls alle Hände voll damit zu tun, die vielen Schoko- und Vanilleplätzchen in den Backofen zu balancieren. Währenddessen gab ein Bariton im Radio Schneeflöckchen Weißröckchen zum Besten. Alle waren emsig und gut gelaunt bei der Sache – außer der achtjährigen Emma. Diese hatte sich in ihrem Zimmer verkrochen und war auch nicht willens, es vorläufig zu verlassen. Den Kopf auf beide Hände gestützt, verfolgte sie schweigend den lautlosen Tanz der unzähligen Schneeflocken vor ihrem Fenster.

„Emmaaa! Ich hab schon dreizehn Tannenbäumchen ausgestochen“, prahlte Hannes aus voller Kehle, „wo bleibst du denn?“

„Emma, komm doch endlich“, bat die Oma unwesentlich später.

„Emma Buschkin!“, schloss sich die energische Stimme der Mutter als Letztes an. „Jetzt verjag doch endlich diesen alten Trotzkopf und komm herunter.“

Aber die Achtjährige hatte wahrlich größere Sorgen, als dass sie sich der jährlichen Familientradition hätte anschließen wollen. Sie verspürte weder Lust auf Plätzchenbacken, noch war ihr danach zumute, Weihnachtslieder zu trällern. Stattdessen schlich sie eine Weile später auf Zehenspitzen die Treppe hinunter – wie eine Katze, die auf Beutejagd war.

Ohne Jacke und Mütze trat sie hinaus in die kalte Winterluft. Zügigen Schrittes stapfte sie hinüber zur Scheune. Nachdem sie eingetreten war, schloss sie fröstelnd die knarrende Holztür hinter sich. Maika, ihre Ziege, lag noch immer regungslos im Stroh. Wenn sie doch nur endlich wieder auf die Beine käme!

Emma wusste genau, dass die Erwachsenen Maika zu Onkel Kuno bringen wollten. Morgen früh schon. Sie hatte es genau gehört. Liebevoll streichelte sie ihrer Lieblingsziege übers Fell. Emma merkte gar nicht, dass sie weinte. „Meine gute liebe Maika“, wimmerte sie vor sich hin und drückte die schwarz-weiße Ziegendame ganz fest an sich.

„Hab’ ich mir doch gedacht, dass du hier steckst“, schimpfte die Mutter auf einmal hinter ihr. „Komm jetzt rein, du holst dir ja den Tod hier draußen.“

Emma wirbelte erschrocken herum. „Na und!“, gab sie trotzig zurück. „Maika wollt ihr ja auch …“ Sie brach den Satz ab und schlug kummervoll beide Hände vors Gesicht. Nur widerwillig und mit gesenktem Kopf folgte sie ihrer Mutter ins Haus zurück.

„Ich hasse euch“, brüllte Emma durch den Korridor und stürmte in ihr Zimmer. Dort warf sie sich bäuchlings aufs Bett und hielt sich beide Ohren zu. Sie wollte mit niemandem mehr sprechen und sie wollte auch niemandes Rufe mehr hören.

Sie wäre vor Erschöpfung beinahe eingeschlafen, als eine sanfte Berührung auf ihrer Schulter sie aufschrecken ließ. Zögernd richtete Emma sich auf. Als sie sich jedoch umsah, stellte sie fest, dass sie allein im Zimmer war – außer ihren Kuscheltieren, die sie in der Ecke zu einer stattlichen Pyramide aufgebaut hatte. Vielleicht hatte sie sich diese Berührung ja auch nur eingebildet. Aber dann riss Emma jäh ihre Augen ganz weit auf, weil eines ihrer kleineren Kuscheltiere sich fortzubewegen versuchte.

Auf allen vieren krabbelnd pirschte sie sich neugierig heran. Gerade wollte sie ihre Hand nach dem Zebra ausstrecken, da kam ein kleines vierbeiniges Etwas hervorgetrappelt. Komisch! Emma zog verwundert die Brauen hoch. „Wer ... wer bist du denn? Du siehst ja aus wie ein …“ Sie stutzte und rieb sich beide Augen, in der Annahme, sie würde nur träumen.

Nein, es war aber keine Illusion. Vor ihr stand ein kleines pferdeartiges Wesen mit goldschwarzem Schweif und sah sie mit seinen kastanienbraunen und freundlichen Augen an. Emma, die noch immer nicht fassen konnte, was sich direkt vor ihrer Nase abspielte, wagte es kaum, den Blick abzuwenden.

„Ich bin Fjutsch“, sagte das Wesen schließlich und scharrte dabei zweimal mit dem rechten Vorderhuf.

„Fjutsch?“, wiederholte Emma mit skeptischer Stimme.

Fjutsch nickte. „Bei uns erzählt man sich, du hättest ganz großen Kummer.“ Emma atmete tief ein und senkte einen Moment lang die Augenlider.

„Stimmt das denn, Emma?“, hakte Fjutsch nach, während sein buschiger Schweif hin und her pendelte.

„Morgen wollen sie meine Maika wegbringen“, jammerte Emma kläglich und brachte sich in den Schneidersitz. „Sie ist seit ein paar Wochen krank, weißt du – und der Tierarzt kann nichts mehr …“ Wieder brach Emma in Tränen aus.

„Liebe Emma“, sagte Fjutsch mitfühlend und legte seinen Huf kurz auf ihren Arm, „vielleicht kann ich helfen.“

„Du?“, fragte sie und schnäuzte nebenbei die Nase. „Wie könntest du mir schon helfen? So klein, wie du bist!“

Fjutsch lächelte. „Klein bin ich, da hast du recht, Emma Buschkin.“ Dann fuhr er fort: „Wenn du wüsstest, dass deine Maika große Schmerzen hätte, würdest du dann noch wollen, dass sie bei dir bleibt?“

Emma wischte sich mit dem Ärmel des Pullovers die Tränen von der Wange. „Wie meinst du das?“

„Naja, deine Maika ist schon sehr alt und sie hat viele glückliche Jahre bei euch verbracht, aber jedes Leben geht auch irgendwann einmal zu Ende. Und deiner Maika geht es wirklich ganz schlecht.“

„Hat sie dir das gesagt?“, hauchte Emma kaum hörbar. Fjutsch nickte. „Aber ich möchte trotzdem nicht, dass sie zu Onkel Kuno kommt“, flehte Emma.

„Was würdest du sagen, wenn Maika zu uns käme? Bei uns hätte sie es wirklich gut und sie wäre auch nicht allein. Und sie hätte ihre wohl verdiente Ruhe.“

„Und du passt gut auf sie auf?“, murmelte Emma.

„Versprochen! Aber du darfst niemanden von mir erzählen, Emma.“

„Hm, das kriege ich hin.“

Gemeinsam mit Fjutsch ging Emma dann noch einmal in die Scheune, um sich von ihrer geliebten Ziege zu verabschieden. Schweren Herzens trat sie diesen Weg an, aber sie wollte sie unbedingt ein letztes Mal an sich drücken, um ihr zu zeigen, wie lieb sie sie hatte.

Als Emma am nächsten Morgen in den Stall kam, war Maikas Platz leer. Dennoch setzte sie sich einen Augenblick ins Stroh und tat so, als wäre ihre Freundin noch immer da. Nach wenigen Augenblicken wollte sie gerade gehen, da bemerkte sie im Stroh ein goldschwarzes Haar. Sanft lächelnd nahm sie es an sich.

Die Tage zogen schnell dahin. Heiligabend traf man Familie Buschkin am Nachmittag in der Kirche. Auch Emma folgte mit wachen Augen dem Krippenspiel, und als ihr Blick das kleine Lämmchen neben dem Jesuskind einfing, dachte sie wieder voller Wehmut an ihre Maika. Etwa eine Stunde später saßen alle Buschkins fröhlich singend um den festlich geschmückten Weihnachtsbaum, auf dessen Spitze in diesem Jahr ein silberner Stern thronte und funkelte. Emma hatte unlängst ein rotes Päckchen unter der prächtigen Tanne erspäht, das ihren Namen trug, aber sie verspürte irgendwie überhaupt kein Verlangen, es vom Papier zu befreien.

Hannes drängelte den Opa, endlich mit ihm einen Schneemann zu bauen. Nur wenige Augenblicke später, die beiden waren kaum nach draußen gegangen, erschien Hannes plötzlich völlig außer Atem, mit geöffnetem Mund und fahlem Gesicht in der Tür und brachte vorerst kein Wort heraus. Man hätte meinen können, er wäre einem Geist begegnet. Schließlich presste er doch einige Silben aus der Kehle, die jedoch für seine Zuhörer keinen Sinn ergaben.

„Oi … Emma, du – glaubst nicht … ich habe … du kannst … wir … der Weihnachtsmann!“ Dann griff Hannes nach der Hand seiner Schwester – gefolgt vom Rest der Buschkins eilten sie im Gänsemarsch zur Scheune.

„Da, guckt euch das an!“, freute sich Hannes, auch deshalb, seine Sprache wiedergefunden zu haben.

Beim Anblick des kleinen schwarzen Zickleins, das munter im Stroh umhersprang, füllten sich Emmas Augen mit Wasser. Einzig die Pfoten des putzigen Huftieres, das Köpfchen und die Schwanzspitze waren von weißem Fell durchzogen.

Die Buschkins beschlossen einstimmig noch am Heiligabend, dass Emma dem neuen Familienmitglied einen Namen geben dürfe.

„Und?“, drängelte Hannes fortwährend. „Wie soll es denn nun heißen?“

Emma nahm das Zicklein behutsam auf den Arm. Dann verkündete sie mit zittriger Stimme und voller Dankbarkeit: „Fjutsch.“

Ein schöneres Weihnachtsfest hätte Emma sich nicht wünschen können, auch wenn ihre Familie sie wegen des Namens anfangs schon belächelt hatte ...

Marion Trost, geboren in Nordhausen/Thüringen, absolvierte eine kaufmännische Ausbildung. Schon seit der Grundschule hat sie ein großes Interesse an Büchern und schrieb immer wieder kurze Texte, von denen bereits einige veröffentlicht wurden. 2010 erschien beim Papierfresserchen ihr Buch „Jaspos Quigh und die Zauberin aus Zucketh“. www.marion-trost.com

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