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Wie das Christkind zum Christkind wurde

Der Leiter des Waisenhauses taufte das kleine Mädchen, das ihnen jemand am 24. Dezember auf die Türschwelle legte, auf den Namen Christina. Man wusste nicht, woher es kam, und da niemand einen Anspruch auf das kleine Wesen vermeldete, blieb es einfach dort.

Schreckliche Zustände herrschten in dem Waisenhaus, es war für alles zu wenig Geld da und unter den Kindern regierte das Gesetz der Straße. Wer sich nicht wehren konnte, ging unter. Es war keine Seltenheit, dass den Kleineren von den Größeren das Essen geraubt wurde, und man vermochte sich gar nicht vorzustellen, wie oft sich jemand sein Recht durch rohe Gewalt verschaffte.

Doch trotz all der Kälte und Gefühllosigkeit um sich herum wuchs Christina zu einem hübschen und außerordentlich freundlichen jungen Mädchen heran. Sie besaß goldblondes, langes Haar und in allen Farbschattierungen funkelnde Augen.

Sie war von sanftem, gütigem Charakter und vor allem für die Kleineren und Schwächeren hatte sie ein großes Herz. Und Schwache gab es im Kinderheim leider genügend.

Am 24. Dezember wurde immer ihr Geburtstag gefeiert. Ach, welch trügerischer Ausdruck! Man konnte wohl kaum von einer Feier sprechen – es gab weder Kuchen noch wurde ein Geburtstagslied gesungen.

Nicht einmal das heilige Weihnachtsfest wurde in irgendeiner Form gewürdigt. Es bestand einzig darin, dass alle Kinder unter Androhung von Stockschlägen an diesem Tag in die Kirche gehen mussten, auch diejenigen, die sonst nie gingen. Christina hingegen nahm stets gerne an der heiligen Messe teil und saß immer in der vordersten Reihe.

Für sie war das Weihnachtsfest etwas Großes und Heiliges und es betrübte sie, dass es außer ihr niemand besonders wertschätzte.

An Christinas elftem Geburtstag und somit ihrem elften Weihnachtsfest im Kinderheim wurde gegen Mittag auf einmal die kleine Luisa vermisst.

Luisa war erst drei Jahre alt und immer sehr ungebärdig, weil sie grade erst ins Waisenhaus gekommen war. Sie hatte dunkle Korkenzieherlocken und braune Knopfaugen.

Christina liebte dieses kleine Mädchen mehr als alle anderen, weil sie Luisas Mut bewunderte und oft davon träumte, gemeinsam mit ihr anderswo glücklicher zu sein als hier. „Wir müssen sie suchen“, flehte Christina den Heimleiter an. „Es friert draußen und sie wird es nicht lange überleben.“

Der Heimleiter warf einen genervten Blick auf die Uhr. Seine Dienstzeit endete in einer Viertelstunde und er freute sich schon darauf, Weihnachten im Kreis seiner Familie zu verbringen. Die Waisenkinder waren ihm herzlich egal und das kleine, ungehorsame Mädchen ein besonderer Dorn im Auge, weil Luisa ständig für Unruhe sorgte, indem sie die anderen aufwiegelte.

„Nein“, entschied er. „Sie ist wider besseres Wissen davongelaufen, sie ist selbst schuld. Keiner meiner Mitarbeiter wird am Weihnachtstag in der Kälte herumrennen und ein Kind suchen, das ohnehin besser gar nicht mehr auf der Welt wäre.“

Christina spürte, wie die Tränen in ihr hochstiegen, und floh verzweifelt aus dem Zimmer. Sie konnte die kleine fröhliche Luisa einfach nicht im Stich lassen!

Über die grausamen Worte des Heimleiters war sie schockiert. Heute war doch Weihnachten. Das Fest der Liebe, wie es überall geschrieben stand. Und dieser Mann meinte, es wäre besser, wenn ein dreijähriges Kind tot wäre! Sie packte sich in warme Kleidung und schwor sich, alles zu tun, um hier hinauszukommen. Wenn sie nur Luisa retten konnte.

Rund um das Waisenhaus war ein großer See und daran angrenzend ein dunkler Wald. Es schneite heftig, und Christina hatte Mühe, in den Schneeflocken etwas zu erkennen. Die bittere Kälte schnürte ihr den Atem ab und sie merkte, wie die äußere Kälte auch in ihr Herz vordrang. Die Menschen waren so schlecht. Immer ging es nur um Geld und Macht, niemals um Güte oder innere Werte.

Als sie das kleine Mädchen dann liegen sah, erfroren in der Kälte, da brach sie in so heftige Tränen aus wie nie zuvor. Sie befanden sich direkt neben einer Kapelle, und Christina zog den leblosen kleinen Körper hinein.

„Gott“, schluchzte sie vorwurfsvoll. „Warum nur tust du so etwas? Warum muss heute, am Weihnachtstag, ein Kindchen sterben? Warum schätzen die Leute das Weihnachtsfest nicht? Warum sind die Menschen so böse und denken nur an sich?“

Sie erwartete keine Antwort und war umso überraschter, als auf einmal eine tiefe Stimme zu ihr sprach.

„Mein Kind, ich … ich weiß es auch nicht“, die Stimme erstarb und Christina sah auf einmal einen von Licht umfluteten grauhaarigen älteren Mann auf sie zutreten, von dem ein inneres Leuchten ausging.

„Du bist der liebe Gott“, erkannte sie und war wie vom Donner gerührt.

„Richtig“, sprach der Grauhaarige und streckte die Hände nach der kleinen Luisa aus. „Ich nehme sie jetzt mit in den Himmel“, erklärte er und streckte daraufhin auch Christina die Hand hin.

Christina schluckte ein paar Mal. „Du meinst, ich darf auch mit?“, fragte sie und wusste, dass sie sich nichts mehr als das wünschte. Hier auf der Erde hatte sie absolut niemanden und im Himmel würde sie bestimmt von Liebe und Wärme umgeben sein.

Gott lächelte. „Ja“, sagte er. „Weißt du, ich hab schon ganz lange nach jemandem mit einer reinen Seele gesucht, der das Weihnachtsfest liebt und sich darum kümmert, dass die Menschen es wertschätzen und nicht nur mit Geschenken und Äußerlichkeiten verschwenden. Ich glaube, dass du für diese Aufgabe geboren wurdest, Christina“, er betrachtete sie nachdenklich.

Seit Jahren beobachtete er Christinas Wirken und war jeden Tag aufs Neue von ihrer inneren Güte überrascht gewesen. Wenn es überhaupt jemand schaffen konnte, die Menschen wieder zu mehr Liebe und Herzlichkeit zu bewegen, dann dieses junge Mädchen, das mit seiner inneren wie äußeren Schönheit geradezu für die Aufgabe geschaffen schien.

Christina griff nach Gottes Hand und spürte, wie zum ersten Mal bei der Berührung mit einem anderen Wesen Wärme durch sie floss.

„Das würde ich gerne tun“, sagte sie und fühlte sich schrecklich aufgeregt. „Was werden denn meine Aufgaben sein?“, fragte sie dann mit ein wenig bangem Herzen.

Der liebe Gott lächelte. „Wenn du mitkommst, wirst du das Christkind sein. Die Kinder werden ihre Geschenke von dir bekommen und sich darauf freuen, dass du kommst.

Vorher werden sie dir Wunschzettel schreiben. Du kannst frei entscheiden, welche Geschenke sie bekommen und welche nicht. Sie werden von dir hören und wissen, dass es dich gibt, aber sehen dürfen sie dich nie.“

Christina lächelte glücklich. Das Christkind! Was für ein wundervoller Name, grade für sie, die Weihnachten so sehr liebte!

„Danke“, flüsterte sie und griff nach der ausgestreckten Hand. Und dann ging sie mit ihm, mit Gott, und ließ die kalte Winterlandschaft hinter sich. Sie würde alles tun, um ihrer neuen Aufgabe gerecht zu werden und um den Kindern künftig ein schönes und friedvolles Weihnachtsfest zu bescheren.

Katharina Männl wurde 1980 in Linz geboren und studierte Medizin. Seit 2011 arbeitet sie in ihrer Heimatstadt als Assistenzärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit ihrem 16. Lebensjahr verfasst sie kurze Geschichten. In nächster Zeit werden einige davon auch in Anthologien des net-Verlages veröffentlicht.

Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 5

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