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VI. Vereinheitlichungstrends

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Die Unterschiede zwischen den nationalen Verwaltungssystemen und Verwaltungsgesetzen sehen sich neuerdings externem und internem Druck ausgesetzt, der auf eine Annhäherung, vielleicht gar auf eine Vereinheitlichung hinwirkt. Nationale Verwaltungen sind oft mit vergleichbaren Problemlagen konfrontiert und haben, trotz ihres unterschiedlichen Kontexts, im Allgemeinen ähnliche Lösungswege gewählt. Es trifft deshalb nicht zu, dass im Bereich des Verwaltungsrechts die Besonderheiten vorherrschen und jedes nationale System einzigartig ist.

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Kolonialismus und Krieg hatten großen Einfluss auf die Entwicklung der Verwaltungsstrukturen. Ersterer trug zur Hierarchisierung und zur Herausbildung von Autorität innerhalb der nationalen Verwaltungen bei, ungeachtet der Differenzen zwischen dem französischen Modell (wo „la Métropole gouverne et administre“[55]) und dem britischen Modell der „indirect rule“.[56] Der Krieg führte zu einer Ausweitung der Regierungsverantwortlichkeiten, denn er zwang die nationalen Regierungen dazu, neue Regelungen in Bezug auf Verwaltungsverträge zu schaffen, mehr Steuern einzuziehen, den Sektor der staatlichen Wirtschaft auszudehnen, die staatlichen Interventionen in die Wirtschaft zu intensivieren und die Versorgung der Armeeangehörigen und ihrer Familien sicherzustellen.

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Wirtschaftskrisen, insbesondere die große Krise der Jahre 1929 bis 1933, drängten die Regierungen zum Handeln zugunsten der wirtschaftlichen Entwicklung, sahen sie sich doch einer „Letztverantwortung“ für die Wirtschaft ausgesetzt. Trotz einiger Unterschiede zwischen den Ländern (von denen einige mehr, andere weniger „etatistisch“ waren) trieben wirtschaftliche Krisen die Ausweitung der Regierungsfunktionen maßgeblich voran. Dies geschah nicht zuletzt im Wege der Nachahmung, da sich die Länder in Momenten der Krise in besonders intensiver Weise ausländischer Vorbilder bedienten.

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Innerstaatlicher Druck hin zu einer Verwaltungsvereinheitlichung setzte mit der Industrialisierung, dem Rationalismus und schließlich der Dezentralisierung ein. Nach dem Ersten Weltkrieg gewannen der Taylorismus und die „wissenschaftliche Betriebsführung (scientific management)“ unter den Regierungen an Einfluss.[57] Nach dem Zweiten Weltkrieg kam das Zeitalter der Organisation und der „managerial revolution“.[58] Die 1960er Jahre sahen die Entwicklung des „Planning, Programming, Budgeting System (PPBS)“ und die „Rationalisation des Choix Budgetaires (RCB)“. In den 1990er Jahren verbreitete sich das „New Public Management“ in allen Verwaltungssystemen. Alle diese Reformen basierten auf der Vorstellung, dass Verwaltungen weitgehend wie Unternehmen geführt werden können, und man stellte auf vermeintlich rationalere Organisations- formen und Verfahren um.

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In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging ein weiterer interner Druck von der Dezentralisierungsbewegung aus. Sie war in allen europäischen Staaten mehr oder weniger stark zu spüren und führte zu einer Neuverteilung der Machtstrukturen; es kam zu zahlreichen komplexen Vereinbarungen zwischen Zentrum und Peripherie. Insbesondere das deutsche föderale Grundgesetz diente als Inspirationsquelle für die Reformen in Italien, Spanien und Frankreich.[59]

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Um die Vereinheitlichungstendenzen richtig zu verstehen, muss man auch die Wissenschaft in den Blick nehmen. Über die gesamten beiden letzten Jahrhunderte führten Rechtswissenschaftler intensive rechtsvergleichende Untersuchungen zum öffentlichen Recht im Allgemeinen und zum Verwaltungsrecht im Besonderen durch. Der Blick richtete sich dabei insbesondere auf England und Frankreich (zu denken ist an den Diskurs von Albert Venn Dicey und Alexandre Vivien, Léon Aucoc und Henry Berthélemy oder auch Maurice Hauriou und wiederum Dicey),[60] Frankreich und Deutschland (dabei ist Otto Mayer hervorzuheben),[61] Deutschland und England (Rudolf von Gneist),[62] Italien und Deutschland (Vittorio Emanuele Orlando und Paul Laband, Santi Romano und Georg Jellinek),[63] Italien und Frankreich (Romano und Hauriou),[64] Italien und England (Massimo Severo Giannini und William Wade),[65] Österreich und Frankreich (Hans Kelsen und Charles Eisenmann),[66] und nicht zu vergessen England und die Vereinigten Staaten (William Robson, Frank Johnson Goodnow und James McCauley Landis).[67] An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert waren ein Mitglied des französischen Conseil d’État, Max Boucard, und ein namhafter Verwaltungsrechtsprofessor, Gaston Jèze, die Herausgeber einer „Bibliothèque internationale de droit public“, in der Werke von Paul Laband, Albert Venn Dicey, Frank Johnson Goodnow, Josef Redlich und James Bryce sowie die französische Ausgabe von Otto Mayers „Deutsches Verwaltungsrecht“ publiziert wurden.

Einführung§ 41 Die Entfaltung des Verwaltungsstaates in Europa › VII. Die Charakteristika der traditionellen Gestalt der Verwaltung und des Verwaltungsrechts

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