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2.4 Mobilität

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Die Fortbewegung war eines der zentralsten Elemente des Landjägerdaseins. Dies traf am offensichtlichsten bei der grossen Mehrheit der Landjäger auf den Laufposten zu. Der Begriff Laufposten ist während der ersten Jahre seit Aufstellung des Bündner Polizeikorps im überlieferten Quellenmaterial kaum anzutreffen. Er avancierte insofern zum Charakteristikum für die entsprechenden Landjäger, als das Laufen zum Namenspaten der entsprechenden Berufsgattung wurde. In der Instruktion von 1828 hiess es, dass die Landjäger

«außer den Sonn- und gebotenen Feiertagen und einem beliebigen freien Tage in der Woche, täglich, wenn aber mehrere Landstreicher bemerkt werden, oder es sonst irgend nothwendig ist, ohne Ausnahme täglich, herum zu patroullieren [hätten]».241

Am augenfälligsten wird dieser permanente Bewegungszustand bei der Konsultation der ersten Instruktion, als das Kantonsgebiet wegen des geringen Korpsbestands in noch grössere Bezirke unterteilt war. Die in Disentis (Surselva), Splügen (Misox und Hinterrheintal) und Oberhalbstein (Bivio, Bergün, Alvaschein, Tiefencastel, Belfort und Churwalden) stationierten Landjäger sollten sich beispielsweise alle acht Tage in Reichenau treffen.242 Damit musste der Landjäger von Splügen innerhalb von acht Tagen für die jeweilige Hin- und Rückreise rund 85 Kilometer zurücklegen. Von Splügen über den San-Bernardino-Pass bis nach San Vittore an der Tessiner Grenze waren es nochmals je 65 Kilometer, sodass er innerhalb von acht Tagen de facto 215 km Grundroute zurücklegen musste. Darin waren all die Nebenrouten mit den berüchtigten «Schlupfwinkel[n]» und «Nachtquartiren»243 in den zahlreichen Seitentälern wie dem Calancatal, Richtung Splügenpass, dem Averstal und so weiter nicht miteinberechnet.


20 Landjägerposten, 1804.

Das anfänglich beabsichtigte Abdeckungsschema der Polizeileitung konnte damit kaum wie erwünscht umgesetzt werden. Mit dem Korpszuwachs verkleinerten sich die Bezirke, was jedoch nicht zwangsläufig bedeutete, dass die Intensität der Patrouillen abnahm. Die simple Berechnung der Landjägerdichte pro Fläche verdeutlicht den Anspruch, durch gleiche Mobilitätsfrequenzen und verkleinerte Zuständigkeitsgebiete die Haupt- sowie andere Auftragsbestimmungen zu einem erfolgreicheren Soll-/Ist-Verhältnis zu führen. Dennoch darf das Mobilitätskonzept des Landjägerkorps wohl als derjenige Bereich der Bündner Polizeiorganisation bezeichnet werden, bei dem Anspruch und Wirklichkeit am weitesten auseinanderklafften. Die Patrouillen machten den mit Abstand grössten Anteil an physischer Arbeit der Landjäger aus, sodass hier die grössten Ausfallquoten zu verzeichnen waren.

Diese Ausführungen berücksichtigend muss der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Leitungsgremien darauf bedacht waren, Ausfällen von Landjägern durch gezielte Massnahmen wirksam entgegenzuwirken. Die Bezirksverkleinerung war zweifelsohne ein wichtiger Aspekt: Dadurch konnte nicht nur der Kanton seinem innerhalb des Hauptauftrags eigens auferlegten Ziel effizienter nachkommen. Auch die Landjäger wurden so in mehrfacher Hinsicht entlastet: Durch die Konzentration auf das Gebiet rund um einen Hauptposten und den daraus folgenden regelmässigeren Aufenthalt in der gemieteten Wohnung konnten sie sich besser von den Strapazen erholen und zudem Kosten sparen. Sie hatten im Übrigen einen besseren Überblick über Veränderungsprozesse innerhalb ihres Gebiets, sodass damit gewisse Zusatzanstrengungen, zum Beispiel eine Kontrollroute als Folge des Vergewisserungsdrangs, vermieden werden konnten. Diese Entlastung der Landjäger war wohl kaum ein kalkuliertes Ziel, sondern eher willkommener Nebeneffekt. Unverkennbar war der Kanton jedoch auch weiterhin an einer möglichst intensiven und maximalen Patrouillentätigkeit der Landjäger interessiert. Dies versuchten die Leitungsgremien in erster Linie durch die Tourbuchkontrolle zu erlangen. Hierbei handelte es sich um die an die Landjäger gestellte Forderung, ihre niedergeschriebenen Patrouillenrouten und sonstige Tätigkeiten bei allen Obrigkeitsvorstehern visieren zu lassen: Gemäss Publikation vom 30. Mai 1804 mussten die Landjäger alle 14 Tage Rapport erstatten und diesen «dem nächsten ersten Gerichts- oder Ortsvorsteher einhändigen», welcher ihn dann dem Kleinen Rat weitersandte.244 Dies war eine Vorform der Mobilitätskontrolle, welche man schon von den Harschierkorps im 18. Jahrhundert her kannte: Gemäss Bundstagsbeschluss sollten der Landrichter von Disentis im Oberen-, der Landammann von Davos im Zehngerichten- und der Amtsbürgermeister von Chur im Gotteshausbund, in ihrer Abwesenheit die Bundsschreiber der jeweiligen Bünde, die Tourbüchlein der drei Harschiere visieren.245 Ähnlich wie 1804 hiess es in der Instruktion von 1813 ohne genaue Angabe, dass die Landjäger «sich ihre gemachten Patrouillen von den Vorgesezten im Dienstbüchlein bescheinigen laßen» müssten.246 Die Instruktion von 1828 forderte ein halbjährliches Einsenden des Tourbuches, in welchem «alle Patrouillen und andere Dienstverrichtungen von den betreffenden Vorgesezten» zu bescheinigen seien.247 In der der Instruktion von 1828 beigelegten Weisung hiess es sogar, dass die Landjäger die Tourbüchlein vierteljährlich einsenden müssten.248 Ab Juli 1829 wurde diese strengere Weisung wieder aufgehoben, wodurch von den Landjägern wie ehemals ein halbjährliches Einsenden des Tourbuches gefordert wurde.249

Unter Patrouillierung ist in erster Linie die ausschliesslich auf Polizeibeamte reduzierte, im Rahmen einer Routinetätigkeit zu erfassende Fortbewegungsart zu verstehen. Sobald der Polizeibeamte der Gesetzesbrecher habhaft wurde, sollte er einen Gefangenen- oder sogenannten Schüblings-Transport ausführen. Zur ersten Gruppe gehörten vor allem ausgeschriebene (signalisierte) Personen und Deserteure, zur zweiten, ganz im Sinn des formal-normativen Hauptauftrags, die sogenannten Eskortierungen von fremden Bettlern, papierlosen Vaganten oder etwa unerwünschten Hausierern. Als Beispiel für eine der zahlreichen Weisungen innerhalb dieses Kommunikationsprozesses kann die Aufforderung des Verhörrichters an den in Splügen stationierten Landjäger Johann Steger dienen:

«Derselbe wird darnach seine Touren so einrichten, daß er gegen Abend immer nach Haus kommen kann auch bei etwa vorfallenden Eskortirungen von Schüblingen nach Mesocco, Runkellen [usw.] so viel als möglich nach Hause eilen [kann].»250

Im polizeilichen Diskurs wurde die Abschiebung der Vaganten und Heimatlosen unter dem Schlagwort «Schub» subsumiert. Dieser Geschäftszweig des Verhörrichteramtes und der späteren Polizeidirektion liess im Lauf der Jahre einen überaus grossen Bestand an Aktenmaterial entstehen, welcher für diesen Aktentypus durchaus typische Archivpurifikationen späterer Jahrzehnte über weite Strecken überlebt hat und seitdem im Staatsarchiv Graubünden unter der Signatur StAGR C IV 5 b 2 eingesehen werden kann.


21 Vom Verhörrichteramt des Kantons Graubünden ausgestellter Schubpass für Johann Hermann Schläpfer von Schwellbrunn (AR), Chur 3. 4. 1835.

Die Organisation der Transporte konnte sowohl zu Fuss als auch mithilfe von Zugtieren erfolgen. Bei letztgenannter Methode bedienten sich die Landjäger der Transportdienste der Fuhrleute. Die ermittelten Fahrt-, Verköstigungs- und Logierkosten für die zu Transportierenden konnten, sofern nicht von den Obrigkeiten zur Verfügung gestellt, 251 die Landjäger dem Verhörrichter später in Form einer Quittung zusenden, 252 wobei dieser sie zur Rückerstattung dem Standeskassier weiterleitete. Im Normalfall wurden Personen ohne Aufenthaltsbewilligung für den Kanton Graubünden von Landjäger zu Landjäger weitergereicht, bis sie über die Grenze – im wahrsten Sinn des Wortes – abgeschoben und den dortigen Polizeibeamten übergeben wurden. In der Zeit zwischen Ende Juni 1832 und Ende Juni 1833 beispielsweise wurden offiziell «462 Individuen mit 107 Kinder wegen Bettel [und/oder] Schriftenlosigkeit» über die Grenzen geführt. Des Weiteren «wurden noch 52 Innländer mit 30 Kindern von den Landjägern in ihre betreffende Gemeinden geschafft».253 Diese Praxis der ständigen Umherschieberei und der permanenten Aufenthaltswechsel ist in bestimmten Fällen auch aus der Sicht der betroffenen Personen dokumentiert: Cyprian Axt etwa berichtete Ende März 1854 während des Verhörs «auf dem Bureau» des Generalanwalts in Bern von den im Verlauf der verflossenen 30 Jahre gewählten Aufenthaltsorten seiner Familie in der Ostschweiz. Darin kommt der Kanton Graubünden für den Zeitraum zwischen 1836 und 1838 zweimal vor, wobei einmal auch von einem Polizeitransport die Rede ist:

«Nun begaben wir uns auch in den Kt. Graubünden: […] durch die untere Herrschaft hintere ins Brättigäu: Schiers und hintere bis nach Klosters. Ich kann da nicht alle Orte angeben es ist dort so «pumpelusisch», ich kann nicht sagen wie sie heißen. Klosters ist z’hinterst. Von dort sind wir nach Davos, und wegen dem Scherr mußten wir zurück durchs Brättigäu in die untere Herrschaft und wurden dann bald über die untere Zollbrücke in den Kt. St. Gallen hinübergeschoben. Im Ganzen mag dieser Aufenthalt in dem Kt. Graubünden etwa 4 Monate ausmachen. [/] Wir blieben nun 3 Monate lang auf einem Gut zwischen Sargans und Ragaz bei einem Lehenmann Namens Hauptmann Zäh. Wir wurden verrathen, da machten wir uns Nachts fort gegen den Kt. Appenzell IR aber dann auf der andern Seite wieder in den Kt. St. Gallen an die Thurgauer Grenze. […] Von der Zeit, die wir wieder an [der] Grenze verbrachten waren wir meistens auf St. Galler Boden; die St. Galler waren nie so scharf wie die Thurgauer. [/] Den folgenden Winter [1836/37, M. C.] waren wir wieder im Kt. Graubünden und zwar 3 Monate lang im Fläscherfelsen, an der Grenze gegen das Lichtensteinische, aber auf Graubündn[e]r Boden. [/] Wir watteten über den Rhein, er ist dort so breit – und giengen wieder zum Hauptmann Zäh hinüber, wo wir abermals etwa 6 Wochen waren.»254

Da es sich oftmals um Papierlose handelte, welche keinem bestimmten Zielort zugeteilt werden konnten, wurden diese Personen nicht selten auch ohne offizielle Übergabe über die Grenzen abgeschoben, was nach ihrer Rückkehr zur erneuten Abschiebung führen konnte, sodass es im Extremfall theoretisch zu mehrfachen Überführungen ein- und derselben Person kommen konnte. Insbesondere Wirsing hat in seiner Untersuchung zu den süddeutschen Staaten des frühen 19. Jahrhunderts auf diesen Umstand hingewiesen. Ein extremes Beispiel aus den Verhandlungen der zweiten Kammer der Ständeversammlung des Königreichs Bayern aus dem Jahr 1827/28 zitierend schreibt er, dass ein- und derselbe Vagant in einem Quartal von der Gendarmerie 54 Mal über die Grenzen geführt worden sei, wodurch in der Statistik 54 Vaganten erscheinen würden.255 Ob auch in Graubünden dieselbe Person mehrmals verzeichnet wurde, geht aus diesen Zahlen nicht hervor, ist angesichts der genauen Zahl und der strengen Buchführung mit Übersicht über alle berichteten Personennamen und von den Landjägern erfassten Signalemente jedoch eher unwahrscheinlich.


22 Cyprian Axt, 38 Jahre, aus Tautmergen, Württemberg. Polizeifahndungsfotografie von Carl Durheim, Bern 1852/53.


23 Das Rheintal von Pfäfers aus betrachtet, um 1815. Gouache von J. A. Knip. Am rechten Rheinufer Maienfeld mit der St. Luziensteig und dem zum Rhein abfallenden Fläscherberg an der Grenze zum Fürstentum Liechtenstein.

Als Beispiel für einen polizeilich dokumentierten «Schüblings»-Transport kann der Rapport des provisorischen Landjägers Johann Weber an den Verhörrichter herangezogen werden, welcher sich durch sehr genaue Angaben zu den Übergabezyklen auszeichnet:

«Mitkommend erhalten Sie die Liste die vom 27 Feber bis 4 April durch den unterzeichneten aufgefundenen Vaganten und Transportirten Arrestanten den Patesta Barmolin aus Welsch Lavin dem Landjager Petter Clavadetscher übergeben zu Zernetz den 2 März, und den Victor Canepa aus der Provinzia Babio [Bobbio? M. C.] übernohmend. 3. März vom H. Pass-Commissair zu Madulain u. übergeben dem landjäger [Jakob] Wunderer zu Berganova [Borgonovo, M. C.] den 4. März, und 16 März die Maria Margreth Tschudi übernohmen von Landjäger Petter Clavadetscher, u. dem Landjäger [Leonhard] Fausch zu Avaneuer Land übergebend. 17 März am 18 v. Landjäger Fausch den Petter Joh. Malgrit übernohmen und dem Landjäger [Johann] Bäder in Cierfs [Tschierv, M. C.] übergeben den 20. März, und der Landjäger Petter Clavadetscher schon am Morgens fruh sich nach dem Münster Thall begeben hatte für seine Tur zu machen. […] Unterthänigster Diener [/] Joh. Weber prov Landjäger.»256

Falls möglich wurden Papierlose zuweilen auch für weitere Abklärungen zum Verhörrichter nach Chur transportiert. Dorthin wurden sowohl ausgeschriebene Personen als auch einheimische Gefangene überbracht, welche die Gemeinden zur Verwahrung nach Chur in den Sennhof transportieren lassen wollten. Nach der Abklärung in Chur wurden ausgeschriebene nicht einheimische Personen wieder von Landjäger zu Landjäger bis zur Grenze des den Häftling in Empfang nehmenden Staats transportiert. Schliesslich gab es noch diejenige Gruppe einheimischer Gefangener, welche die Landjäger von Gericht zu Gericht transportieren sollten. Diese Variante war gewissermassen eine Fortsetzung der ursprünglich im Freistaat der Drei Bünde durch den Gerichtsweibel gehandhabten Praxis der vorrevolutionär-protopolizeilichen Gefangenentransporte. In diesem Zusammenhang kann das Beispiel des im Einleitungskapitel erwähnten Landjägers Michael Mutzner herangezogen werden: Der Aufruf zur Verhaftung des Jakob Anton Peterelli von Savognin sei, so Mutzner an den Verhörrichter, durch Landammann Rudolf von Planta und Kommissär Gilli erfolgt.257 Übernommen habe er Peterelli in der Wohnung des Doktors Andreas Bernhard in Zuoz. Nach Präsentation vor den Auftraggebern habe er den Gefangenen «beim Weißen Creüz auf dem Rathaus in beisein des L[and]Weibels» eine Nacht lang überwacht. Danach habe er ihn später «mit Begleit des Weibels beim Herren Gillj» zu Landammann Rudolf Biveron in Pontresina geführt. Letztgenannter habe ihm ein Schreiben an Landvogt Peterelli und an die Obrigkeit von Savognin gegeben, gemäss dem «sie disen mann bei Haus Halten sollen in betretungsvall mann disen auf ihrer Spesen Überlieferren werde».

Abschliessend gilt zu unterstreichen, dass die Landjäger für jegliche Art von Transporten, insbesondere bei Gefangeneneskortierungen, auf die Hilfeleistungen von freiwilligen Ortsbürgern, welche dann vom Kanton vergütet wurden, zählen konnten.258 Die Regelung hatte jedoch nicht absoluten Charakter, sondern war an die jeweiligen Gegebenheiten gebunden: In seiner Weisung an den in Splügen stationierten Landjäger Peter Clavadetscher etwa schrieb der Verhörrichter betreffend Gaudenz Mani, der «wegen Miteskorte über den Bernhardin-Berg bei Transportierung des Vidua und des Negro» behilflich gewesen sei, dass man demselben zwei Gulden zukommen lasse. Das Gesetz schreibe zwar vor, dass man Helfern in der Regel zehn Kreuzer pro Stunde ausbezahle, Mani jedoch erhalte wegen der schlechten Witterung den Sold für zwölf Stunden.259 Ein weiterer Beweis für die Relativität der gesetzlichen Bestimmung zeigt das Beispiel des Johann Sprecher. Der Verhörrichter liess den in Davos stationierten Landjäger wissen, was im Gegensatz zur Behandlung von verurteilten oder ausgeschriebenen Häftlingen bei einem Vagantentransport zu gelten habe: Es sei im Fall Sprechers, da es sich in den Augen des Verhörrichters offenbar um eine vergleichsweise kleine Gruppe handelte, «wegen zweÿ erwachsenen Personen und 2 Kindern wohl nicht nöthig [gewesen,] einen Gehülfen zu nehmen».260



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