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Kapitel 4
ОглавлениеAm nächsten Tag sprach Lord Raymond auf dem Weg nach Schloss Windsor bei Perditas Hütte vor. Die roten Wangen und die funkelnden Augen meiner Schwester verrieten mir halb ihr Geheimnis. Er war vollkommen selbstbeherrscht; er sprach uns beide mit Höflichkeit an, schien sofort unsere Gefühle zu verstehen und mit uns übereinzustimmen. Ich musterte den Ausdruck seines Gesichts, das sich veränderte, während er sprach, aber in jeder Veränderung schön war. Der übliche Ausdruck seiner Augen war weich, obschon sie zuweilen vor Wildheit blitzten; seine Hautfarbe war hell; und aus jedem seiner Gesichtszüge sprach vorherrschend Eigenwille; sein Lächeln war angenehm, obschon er zu häufig verächtlich seine Lippen kräuselte – Lippen, die für weibliche Augen das Höchste an Schönheit und Liebe waren. Seine für gewöhnlich sanfte Stimme erschreckte oft durch einen hohen, misstönenden Klang, welcher zeigte, dass sein üblicher tiefer Ton eher das Werk der Übung als der Natur war. So voller Widersprüche, unbeugsam, doch hochmütig, sanft und doch wild, zärtlich und wiederum nachlässig, fand er durch eine seltsame Kunst einen leichten Zugang zur Bewunderung und Zuneigung der Frauen; sie erst liebkosend und dann tyrannisierend, je nach seiner Stimmung, aber in jeder Veränderung ein Despot.
Bei jener Gelegenheit wollte Raymond offensichtlich liebenswürdig erscheinen. Witz, Heiterkeit und tiefsinnige Betrachtungen vermischten sich in seiner Rede und verwandelten jeden Satz, den er äußerte, in einen Lichtblitz. Er überwand bald meine heimliche Abneigung; ich bemühte mich, ihn und Perdita zu beobachten und mich an alles zu erinnern, was ich zu seinem Nachteil gehört hatte. Doch alles erschien so aufrichtig, und alles war so faszinierend, dass ich bald nur noch an das Vergnügen dachte, das seine Gesellschaft mir bereitete. Um mich mit der Bühne der englischen Politik und Gesellschaft, von der ich bald ein Teil werden sollte, vertraut zu machen, erzählte er eine Reihe von Anekdoten und skizzierte viele Charaktere; seine Worte flossen reich und vielfältig dahin und erfüllten alle meine Sinne mit Vergnügen. Wäre da nicht eine Sache gewesen, hätte er vollkommen triumphiert. Er kam auf Adrian zu sprechen und sprach von ihm mit jener Herabsetzung, mit der die weltlichen Weisen den Enthusiasmus stets bedenken. Er nahm die aufziehende Wolke wahr und versuchte sie zu zerstreuen; aber die Stärke meiner Gefühle erlaubte mir nicht, so leicht über diesen Gegenstand hinwegzugehen; so sagte ich mit Nachdruck: »Gestatten Sie mir zu bemerken, dass ich dem Graf von Windsor treu ergeben bin; er ist mein bester Freund und Wohltäter. Ich verehre seine Güte, ich stimme seinen Meinungen zu und beklage bitter seine gegenwärtige und, wie ich vertraue, vorübergehende Unpässlichkeit. Diese Krankheit macht es mir wegen ihrer Eigentümlichkeit über die Maßen schmerzlich, von ihm anders sprechen zu hören als in Worten der Achtung und Zuneigung.«
Raymond antwortete, aber in seiner Antwort lag nichts Versöhnliches. Ich sah, dass er in seinem Herzen diejenigen verachtete, die aus anderen als weltlichen Motiven handelten. »Jeder Mann«, sagte er, »träumt von etwas, von Liebe, Ehre und Vergnügen. Sie träumen von Freundschaft und opfern sich für einen Wahnsinnigen auf, nun, wenn das Ihre Berufung ist, dann haben Sie zweifellos das Recht, ihr Folge zu leisten.«
Eine Erinnerung schien ihn zu peinigen, und der Schmerz, der für einen Moment sein Gesicht erschütterte, gebot meiner Empörung Einhalt. »Glücklich sind die Träumer«, fuhr er fort, »so sie nicht erweckt werden! Könnte ich nur träumen! Doch der ›helle und grelle Tag‹ ist die Wirklichkeit, in der ich lebe; ihr blendender Schein kehrt die Szene für mich um. Selbst der Geist der Freundschaft ist von mir gewichen, und ebenso die Liebe.« Er brach ab; ich konnte nicht erraten, ob die Verachtung, die seine Lippen kräuselte, gegen die Leidenschaft oder gegen sich selbst gerichtet war, weil er ihr Sklave war.
Dieser Bericht kann als ein Beispiel meiner Unterredungen mit Lord Raymond genommen werden. Ich wurde vertraut mit ihm, und jeder Tag bot mir Gelegenheit, mehr und mehr seine starken und vielseitigen Begabungen zu bewundern, die zusammen mit seiner Beredsamkeit, die elegant und gewitzt war, und seinem jetzt gewaltigen Reichtum, dafür sorgten, dass er gefürchtet, geliebt und verhasster als jeder andere Mann in England wurde.
Meine Abstammung, die Interesse weckte, wenn sie nicht gar Respekt erheischte, meine frühere Verbindung mit Adrian, die Gunst des Botschafters, dessen Sekretär ich gewesen war, und jetzt meine Vertrautheit mit Lord Raymond ermöglichten mir leichten Zugang zu den eleganten und politischen Kreisen Englands. In meiner Unerfahrenheit erschien es mir zunächst, als stünden wir am Vorabend eines Aufstands; jede Partei war aufgebracht, erbittert und unnachgiebig. Das Parlament war in drei Fraktionen unterteilt, Aristokraten, Demokraten und Royalisten. Nach Adrians erklärter Vorliebe für die republikanische Regierungsform war die letztere Partei fast führerlos gewesen, doch als Lord Raymond als ihr Führer hervortrat, belebte sie sich wieder mit doppelter Kraft. Einige waren Royalisten aus Prinzip und alter Neigung, und es gab viele Gemäßigte, welche die launische Tyrannei der Volkspartei und den unbeugsamen Despotismus der Aristokraten gleichermaßen fürchteten. Mehr als ein Drittel der Mitglieder reihte sich unter Raymond ein, und ihre Zahl nahm ständig zu. Die Aristokraten bauten ihre Hoffnungen auf ihren überwiegenden Reichtum und Einfluss; die Reformer auf die Macht der Nation selbst. Die Debatten waren aufgebracht, und noch aufgebrachter waren die Reden der einzelnen Politiker, als sie sich versammelten, um ihre Maßnahmen zu organisieren. Schmähreden wurden verbreitet, Widerstand sogar mit dem Tod bedroht, Versammlungen der Bevölkerung störten die stille Ordnung des Landes; wo außer im Krieg sollte dies alles enden? Gerade als die zerstörerischen Flammen bereit waren auszubrechen, sah ich sie einlenken, beschwichtigt durch die Abwesenheit des Militärs, durch die Abneigung, die alle gegenüber jeder Gewalt empfanden, außer in der Sprache, und durch die herzliche Höflichkeit und sogar Freundschaft der feindlichen Führer, wenn sie sich in privater Gesellschaft trafen. Ich sah mich aus tausend Gründen dazu veranlasst, dem Verlauf der Ereignisse minutiös zu folgen und jede Wendung mit großer Neugierde zu beobachten.
Ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass Perdita Raymond liebte; mich dünkte auch, dass er die schöne Tochter Verneys mit Bewunderung und Zärtlichkeit betrachtete. Doch ich wusste, dass er seine Ehe mit der mutmaßlichen Erbin der Grafschaft Windsor vorantrieb, kühn die Vorteile erwartend, die ihm daraus erwachsen würden. Die Freunde der einstigen Königin waren alle auch seine Freunde; keine Woche verging, in der er nicht in Windsor Beratungen mit ihr abhielt.
Ich hatte die Schwester Adrians nie gesehen. Ich hatte gehört, dass sie reizend, liebenswert und faszinierend sei. Warum sollte ich sie sehen? Es gibt Zeiten, in denen wir ein unbestimmtes Gefühl der bevorstehenden Veränderung zum Guten oder Schlechten haben, die aus einem Ereignis entstehen wird; und sei es nun zum Guten oder Schlechten, wir fürchten die Veränderung und versuchen das Ereignis zu verhindern. Aus diesem Grund mied ich diese hochgeborene Jungfrau. Für mich war sie alles und nichts; ihr Name, der von einem andern erwähnt wurde, ließ mich zusammenfahren und zittern; die endlosen Gespräche über ihre Verbindung mit Lord Raymond empfand ich als eine wahre Qual. Mich dünkte, dass ich nun, da Adrian sich aus dem aktiven Leben zurückgezogen hatte und diese schöne Idris wahrscheinlich ein Opfer der ehrgeizigen Pläne ihrer Mutter wurde, vortreten sollte, um sie vor übermäßigem Einfluss zu bewahren, sie vor Unglück zu beschützen und ihr die Entscheidungsfreiheit zu sichern, das Recht eines jeden Menschen. Doch wie sollte ich dies bewerkstelligen? Sie selbst würde meine Einmischung ablehnen. Darum musste ich ihr gegenüber gleichgültig oder verächtlich sein und sie besser, am allerbesten meiden, statt mich vor ihr und der höhnischen Welt der Möglichkeit auszusetzen, das verrückte Spiel eines närrischen, törichten Ikarus zu spielen.
Eines Tages, einige Monate nach meiner Rückkehr nach England, verließ ich London, um meine Schwester zu besuchen. Ihre Gesellschaft war mein wichtigster Trost und meine Freude; und meine Stimmung hob sich immer in der Erwartung, sie zu sehen. Ihre Unterhaltung war voller kluger Bemerkungen und Einsichten; in ihrer angenehmen Laube, die mit schönen Blumen verziert und mit prunkvollen Statuen, antiken Vasen und Kopien der feinsten Bilder von Raffael, Correggio und Claude, die sie selbst gemalt hatte, geschmückt war, fühlte ich mich wie in einem märchenhaften Schlupfwinkel, der unberührt von und unzugänglich für die lauten Streitigkeiten von Politikern und die frivole Beschäftigung mit der Mode war. Bei dieser Gelegenheit war meine Schwester nicht allein, noch konnte ich umhin, ihre Gefährtin zu erkennen: Es war Idris, der bis jetzt unsichtbare Gegenstand meiner närrischen Schwärmerei.
In welchen passenden Begriffen der Bewunderung und des Entzückens, in welchen gewählten Ausdrücken und sanftem Fluss der Sprache kann ich die Schönste, Weiseste, Beste beschreiben? Wie mit der ärmlichen Auswahl von Worten den Glorienschein, die tausend anmutigen Reize, die sie umgaben, vermitteln? Das Erste, was einen beim Anblick dieses bezaubernden Antlitzes beeindruckte, war seine vollkommene Tugendhaftigkeit und Offenheit. Freimut sprach aus ihrem Gesicht, Schlichtheit aus ihren Augen, himmlische Güte aus ihrem Lächeln. Ihre große, schlanke Gestalt war anmutig wie eine Pappel in der Brise, und ihr göttlicher Gang war wie der eines geflügelten Engels, der soeben von der Höhe des Himmels herabgestiegen war. Die perlengleiche Makellosigkeit ihres Antlitzes war mit einer zarten Röte überhaucht, ihre Stimme ähnelte dem leisen, gedämpften Ton einer Flöte. Am einfachsten ist es vielleicht, dies im Gegensatz zu beschreiben. Ich habe die Vollkommenheit meiner Schwester ausführlich beschrieben; und doch war sie Idris völlig unähnlich. Perdita war, selbst wo sie liebte, zurückhaltend und schüchtern; Idris war offen und vertrauensvoll. Die eine schreckte in die Einsamkeit zurück, um sich dort vor Enttäuschung und Verletzung zu verschanzen; die andere ging frei heraus und glaubte, dass ihr niemand etwas antun würde. Wordsworth hat eine geliebte Frau mit zwei schönen Gegenständen in der Natur verglichen; doch seine Zeilen schienen mir stets eher ein Gegensatz als eine Ähnlichkeit zu sein:
Ein Veilchen bei dem moosgen Stein
Vom Auge kaum gesehn,
Schön wie ein Sternlein, das allein
Am Himmelsdom darf stehn.
Solch ein Veilchen war die süße Perdita, die selbst davor erzitterte, sich der Luft auszusetzen, die vor der Betrachtung zurückschrak, aber von ihren Vorzügen verraten wurde; und denen, die sie auf ihrem einsamen Pfad aufsuchten, mit tausendfacher Anmut die Mühe vergalt. Idris war wie der Stern, in einzigartiger Pracht in der trüben Dämmerung des milden Abends strahlend; bereit, die Welt zu erleuchten und zu erfreuen, jeden Makel verhütend durch ihre unendliche Entfernung von allem, was nicht wie sie dem Himmel gleich war.
Ich fand diese Vision von Schönheit vor Perditas Hütte, in ernsthafte Unterhaltung mit deren Bewohnerin vertieft. Als meine Schwester mich sah, erhob sie sich, nahm meine Hand und sagte: »Er ist hier, gerade auf unseren Wunsch; dies ist Lionel, mein Bruder.«
Idris erhob sich ebenfalls, wandte mir ihre himmlisch blauen Augen zu und sagte anmutig: »Sie brauchen kaum vorgestellt zu werden; wir haben ein von meinem Vater hoch geschätztes Bild, das Ihren Namen sofort erklärt. Sie werden diese Verbindung anerkennen, Verney, und ich fühle, dass ich Ihnen als Freund meines Bruders vertrauen darf.«
Dann, mit einer unter den Lidern zitternden Träne und bebender Stimme, fuhr sie fort: »Liebe Freunde, haltet es nicht für merkwürdig, dass ich jetzt, wo ich euch zum ersten Mal besuche, eure Hilfe erbitte und euch meine Wünsche und Ängste anvertraue. Allein zu euch wage ich zu sprechen, ich habe euch von unparteiischen Zuschauern loben hören, ihr seid die Freunde meines Bruders, deshalb müsst ihr auch die meinen sein. Was kann ich sagen? Wenn ihr euch weigert, mir zu helfen, bin ich in der Tat verloren!« Sie richtete die Augen gen Himmel, während ihr verwundertes Publikum schweigend lauschte; dann rief sie, wie von ihren Gefühlen übermannt: »Mein Bruder! Geliebter, unglückseliger Adrian! Was sagst du zu deinen üblen Geschicken? Zweifellos habt ihr beide die gegenwärtige Geschichte gehört; glaubt der Verleumdung womöglich; doch er ist nicht von Sinnen! Selbst wenn ein Engel vom Fuße des Thrones Gottes dies behaupten würde, so würde ich es doch niemals, niemals glauben. Er wird betrogen, verraten, eingekerkert – rettet ihn! Verney, Sie müssen es tun, suchen Sie ihn, in welchem Teil der Insel auch immer er verborgen wird, finden Sie ihn, retten Sie ihn vor seinen Verfolgern, stellen Sie ihn für sich selbst wieder her, für mich – auf der ganzen Erde kann ich niemanden lieben als nur ihn allein!«
Ihr ernsthafter Appell, so süß und leidenschaftlich ausgedrückt, erfüllte mich mit Verwunderung und Mitgefühl; und, als sie mit aufgeregter Stimme und Blick hinzufügte, »Sind Sie bereit, dieses Unternehmen zu wagen?«, schwor ich voller Tatkraft und Aufrichtigkeit, mich der Wiederherstellung und dem Wohlergehen Adrians in Leben und Tod zu widmen. Dann besprachen wir den Plan, den ich verfolgen sollte, und die wahrscheinlichsten Mittel, um seinen Aufenthaltsort zu entdecken. Während wir uns ernst unterhielten, kam Lord Raymond unangekündigt herein. Ich sah Perdita zittern und erbleichen und die Wangen Idris’ hoch erröten. Er hätte erstaunt über unsere Versammlung gewesen sein müssen, sogar bestürzt; doch er war weder das eine noch das andere; er grüßte meine Gefährtinnen und sprach mich mit einem herzlichen Wort an. Idris verstummte für einen Augenblick und sagte dann mit äußerster Liebenswürdigkeit: »Lord Raymond, ich vertraue auf Ihre Güte und Ehre.«
Er lächelte hochmütig, neigte sein Haupt und fragte eindringlich: »Vertrauen Sie wirklich, Lady Idris?«
Sie bemühte sich, seine Gedanken zu lesen, und antwortete dann mit Würde: »Wie es Ihnen beliebt. Es ist gewiss am besten, sich nicht durch irgendeine Verschleierung zu kompromittieren.«
»Verzeihen Sie mir«, antwortete er, »falls ich Sie beleidigt habe. Ob Sie mir vertrauen oder nicht, Sie können sich stets darauf verlassen, dass ich mein Äußerstes tun werde, um Ihre Wünsche zu erfüllen, worin auch immer diese bestehen mögen.«
Idris lächelte zum Dank und erhob sich, um zu gehen. Lord Raymond bat um die Erlaubnis, sie nach Schloss Windsor zu begleiten, was sie ihm bewilligte, und sie verließen die Hütte gemeinsam. Meine Schwester und ich blieben zurück – wahrhaft wie zwei Narren, die glaubten, sie hätten einen goldenen Schatz erhalten, bis er sich im Tageslicht als Blei erwies – zwei dumme, glücklose Fliegen, die in den Sonnenstrahlen gespielt hatten und sich dabei im Spinnennetz verfingen. Ich lehnte mich gegen den Fensterflügel, beobachtete diese beiden herrlichen Wesen, bis sie in den Waldlichtungen verschwanden, und wandte mich dann um. Perdita hatte sich nicht bewegt; ihre Augen waren auf den Boden gerichtet, ihre Wangen blass, ihre Lippen weiß. Regungslos und steif, jeder Zug in ihrem Antlitz von Kummer gezeichnet, saß sie da. Erschrocken ergriff ich ihre Hand, doch sie zog sie zitternd zurück und rang um Fassung. Ich bat sie, mit mir zu sprechen: »Nicht jetzt«, antwortete sie, »und sprich auch du jetzt nicht mit mir, mein lieber Lionel; du kannst nichts sagen, denn du weißt nichts. Ich werde dich morgen sehen.« Sie erhob sich und ging aus dem Zimmer; sie hielt jedoch an der Tür inne, lehnte sich dagegen, als hätten ihre schwermütigen Gedanken ihr die Kraft genommen, sich aufrecht zu halten, und sagte: »Lord Raymond wird wahrscheinlich zurückkehren. Wirst du ihm sagen, dass er mich heute entschuldigen muss? Denn es geht mir nicht gut, ich werde ihn morgen sehen, wenn er es wünscht, und dich ebenfalls. Du solltest besser mit ihm nach London zurückkehren, dort kannst du die vereinbarten Erkundigungen über den Graf von Windsor einholen und mich morgen wieder besuchen, bevor du weiterreist – bis dahin, leb wohl!«
Sie sprach stockend und schloss mit einem schweren Seufzer. Ich gewährte ihr die Bitte, und sie verließ mich. Ich fühlte mich, als sei ich aus der Ordnung der systematischen Welt ins Chaos gestürzt, ins Finstere, Widersprüchliche, Unverständliche. Dass Raymond Idris heiraten sollte, war unerträglicher denn je; doch war meine Leidenschaft, obwohl sie von Geburt an stark war, zu roh und ungeübt, als dass ich das Elend, das ich in Perdita wahrgenommen hatte, sofort gespürt hätte. Was sollte ich tun? Sie hatte sich mir nicht anvertraut; ich konnte von Raymond keine Erklärung verlangen, ohne die Gefahr einzugehen, ihr vielleicht am sorgfältigsten gehütetes Geheimnis zu verraten. Ich würde die Wahrheit am nächsten Tag von ihr erhalten – in der Zwischenzeit – aber während ich damit beschäftigt war, mir immer mehr Gedanken zu machen, kehrte Lord Raymond zurück. Er fragte nach meiner Schwester, und ich übermittelte ihre Nachricht. Nachdem er einen Augenblick darüber nachgedacht hatte, fragte er mich, ob ich nach London zurückkehren würde und ob ich ihn begleiten wolle. Ich stimmte zu. Er war gedankenverloren und blieb während eines beträchtlichen Teils unseres Ritts still; endlich sagte er: »Ich muss mich bei Ihnen für meine Abwesenheit entschuldigen, die Wahrheit ist, Rylands Antrag kommt heute Abend an die Reihe und ich denke über meine Antwort nach.«
Ryland war der Führer der Volkspartei, ein dickköpfiger und auf seine Weise fähiger Mann. Er hatte die Erlaubnis erhalten, einen Gesetzentwurf einzubringen, der darauf abzielte, den Versuch, den gegenwärtigen Stand der englischen Regierung und die geltenden Gesetze der Republik zu ändern, zum Verrat zu erklären. Dieser Angriff richtete sich gegen Raymond und seine Pläne zur Wiederherstellung der Monarchie.
Raymond fragte mich, ob ich ihn an diesem Abend ins Parlament begleiten würde. Ich erinnerte mich an meine Suche nach Informationen über Adrian; und in dem Wissen, dass meine Zeit voll beansprucht sein würde, entschuldigte ich mich. »Nun«, sagte mein Begleiter, »ich kann Sie von Ihrem gegenwärtigen Hinderungsgrund befreien. Sie haben vor, Erkundigungen bezüglich des Grafen von Windsor einzuziehen. Ich kann sie Ihnen sofort beantworten, er ist auf dem Gut des Herzogs von Athol in Dunkeld. Beim ersten Auftreten seiner Erkrankung reiste er von einem Ort zum andern, bis er, als er in diese romantische Abgeschiedenheit kam, sich weigerte, sie zu verlassen, und wir Vereinbarungen mit dem Herzog trafen, damit er dort bleiben konnte.«
Ich war von dem achtlosen Ton verletzt, mit dem er mir diese Nachricht überbrachte, und antwortete kalt: »Ich bin Ihnen für Ihre Auskunft verpflichtet und werde davon Gebrauch machen.«
»Tun Sie das, Verney«, sagte er, »und wenn Sie an Ihrem Vorhaben festhalten, werde ich es Ihnen erleichtern. Aber bitte bezeugen Sie zuerst das Ergebnis des Disputs dieser Nacht, und den Triumph, den ich im Begriff bin zu erreichen, wenn ich es so nennen darf, während ich fürchte, dass der Sieg für mich in Wahrheit eine Niederlage ist. Was kann ich tun? Meine größten Hoffnungen scheinen ihrer Erfüllung nahe zu sein. Die vormalige Königin gibt mir Idris, Adrian ist völlig unfähig, das Erbe eines Grafen anzutreten, und dieser Titel wird in meinen Händen zum Königreich. Bei Gott, der kümmerliche Titel eines Grafen von Windsor wird denjenigen, der die Rechte erwirbt – die dem, der sie besitzt, auf ewig zustehen müssen –, nicht mehr zufriedenstellen. Die Gräfin wird niemals vergessen, dass sie eine Königin war, und sie wird sich nicht dazu herablassen, ihren Kindern ein vermindertes Erbe zu hinterlassen; ihre Macht und meine Klugheit werden den Thron wiedererrichten, und diese Stirn wird von einem königlichen Diadem geschmückt werden. – Ich kann dies bewirken – ich kann Idris heiraten.« –
Er verstummte jählings, sein Antlitz verdunkelte sich und sein Ausdruck veränderte sich immer wieder unter dem Einfluss in ihm kämpfender Leidenschaften. Ich fragte: »Liebt Lady Idris Sie?«
»Was für eine Frage«, antwortete er lachend. »Sie wird mich natürlich ebenso lieben wie ich sie, wenn wir verheiratet sind.«
»Sie fangen es verkehrt an«, sagte ich spöttisch, »die Ehe wird gewöhnlich als das Grab und nicht als die Wiege der Liebe betrachtet. Also werden Sie sie lieben, aber Sie tun es noch nicht?«
»Verhören Sie mich nicht, Lionel, seien Sie versichert, dass ich meine Pflicht ihr gegenüber erfüllen werde. Liebe! Ich muss mein Herz dagegen stählen, sie von ihrem starken Turm vertreiben, mich verbarrikadieren: die Quelle der Liebe muss aufhören zu sprudeln, ihre Wasser ausgetrocknet werden, und alle leidenschaftlichen Gedanken, die damit einhergehen, sterben – das heißt die Liebe, die mich regieren will, nicht jene, die ich regiere. Idris ist ein sanftes, hübsches, süßes kleines Mädchen, es ist unmöglich, keine Zuneigung zu ihr zu empfinden, und meine Zuneigung zu ihr ist eine sehr aufrichtige, nur sprechen Sie nicht von Liebe – Liebe, die Tyrannin und die Tyrannenbezwingerin, Liebe, bislang meine Erobererin, jetzt meine Sklavin, das hungrige Feuer, das unzähmbare Tier, die giftspeiende Schlange – nein – nein – ich will nichts mit dieser Liebe zu tun haben. Sagen Sie mir, Lionel, stimmen Sie darin zu, dass ich diese junge Frau heiraten sollte?«
Er richtete seine scharfen Augen auf mich, und mein unkontrollierbares Herz schwoll in meiner Brust. Ich antwortete mit ruhiger Stimme – aber wie weit von der Ruhe entfernt war der Gedanke, der aus meinen ruhigen Worten sprach – »Niemals! Ich kann niemals zustimmen, dass Lady Idris mit jemandem vereint sein sollte, der sie nicht liebt.«
»Weil Sie selbst sie lieben.«
»Eure Lordschaft hätten diese Neckerei unterlassen können: ich liebe sie nicht, wage nicht, sie zu lieben.«
»Zumindest«, fuhr er hochmütig fort, »liebt sie Sie nicht. Ich würde keine regierende Herrscherin heiraten, wenn ich nicht sicher wäre, dass ihr Herz frei ist. Aber, o Lionel! ein Königreich ist ein mächtiges Wort, und wohlklingend sind die Begriffe, die das Königtum beschreiben. Waren nicht die mächtigsten Männer alter Zeiten Könige? Alexander war ein König, Salomo, der weiseste aller Menschen, war ein König, Napoleon war ein König, Cäsar starb in seinem Versuch, einer zu werden, und Cromwell, der Puritaner und Königsmörder, strebte nach der Königswürde. Der Vater Adrians gab das schon zerbrochene Zepter Englands auf, ich aber werde die gefallene Pflanze aufrichten, ihre zerstückelten Glieder wieder verbinden und sie über alle Blumen des Feldes erheben. Wundern Sie sich nicht, dass ich Adrians Schlupfwinkel bereitwillig verriet. Glauben Sie nicht, dass ich bösartig oder töricht genug wäre, meine beabsichtigte Oberhoheit auf einen Betrug zu gründen, und noch dazu einen, der so leicht als die Wahrheit oder Unwahrheit erkannt werden könnte wie der Wahnsinn des Grafen. Ich bin gerade von einem Besuch bei ihm zurückgekommen. Ehe ich bezüglich meiner Ehe mit Idris eine Entscheidung fällen wollte, entschloss ich mich, ihn noch einmal zu besuchen und über die Wahrscheinlichkeit seiner Genesung zu urteilen. Er ist unwiederbringlich wahnsinnig.«
Ich rang nach Luft –
»Ich werde Ihnen«, fuhr Raymond fort, »die traurigen Einzelheiten ersparen. Sie sollen ihn sehen und selbst zu einem Urteil kommen, obwohl ich fürchte, dass dieser für ihn nutzlose Besuch unerträglich schmerzhaft für Sie sein wird. Es lastet seit jeher auf mir. Gut und sanftmütig, wie er selbst in der Zerrüttung seines Verstands ist, verehre ich ihn nicht wie Sie, sondern würde alle meine Hoffnungen auf eine Krone und meine rechte Hand dazu hingeben, um ihn wieder ganz bei sich zu finden.«
Seine Stimme drückte das tiefste Mitgefühl aus: »Sie höchst unerklärliches Wesen«, rief ich, »wohin werden Ihre Taten Sie führen, in diesem ganzen Labyrinth von Absichten, in dem Sie verloren scheinen?«
»Wohin? Zu einer Krone, einer goldenen, mit Edelsteinen besetzten Krone, wie ich hoffe, und doch wage ich nicht, darauf zu vertrauen, und obgleich ich von einer Krone träume und auf eine hoffe, flüstert mir immer wieder ein geschäftiger Teufel zu, dass das, wonach ich strebe, nichts als eine Narrenkappe sei und dass ich, wenn ich weise wäre, sie sein lassen und an ihrer statt nehmen sollte, was alle Kronen des Ostens und Präsidenten des Westens wert ist.«
»Und das wäre?«
»Wenn ich mich entschieden habe, sollen Sie es erfahren; zurzeit wage ich nicht davon zu sprechen, nicht einmal daran zu denken.«
Wieder schwieg er, und nach einer Weile wandte er sich mir lachend zu. Wenn nicht Spott seine Freude inspirierte, wenn es echte Fröhlichkeit war, die seine Gesichtszüge mit einem freudigen Ausdruck überzog, wurde seine Schönheit überirdisch, göttlich. »Verney«, sagte er, »mein erster Akt, wenn ich König von England werde, wird sein, sich mit den Griechen zu vereinigen, Konstantinopel einzunehmen und ganz Asien zu unterwerfen. Ich beabsichtige, ein Krieger, ein Eroberer zu sein; Napoleons Name soll hinter meinem verblassen; und die Schwärmer sollen, anstatt sein felsiges Grab zu besuchen und die Verdienste der Gefallenen zu würdigen, meine Majestät verehren und meine berühmten Errungenschaften preisen.«
Ich hörte Raymond mit großem Interesse zu. Wie hätte ich anders als ganz Ohr für jemanden sein können, der die ganze Erde in seiner mitreißenden Phantasie zu regieren schien und der nur versagte, wenn er versuchte, sich selbst zu beherrschen. Denn von seinem Wort und seinem Willen würde mein eigenes Glück abhängen – das Schicksal all jener, die mir lieb und teuer waren. Ich bemühte mich, die verborgene Bedeutung seiner Worte zu entziffern. Perditas Name wurde nicht erwähnt; dennoch konnte ich nicht bezweifeln, dass die Liebe zu ihr das Zaudern verursachte, das er gezeigt hatte. Und wer war der Liebe würdiger als meine edle Schwester? Wer verdiente die Hand dieses sich selbst einsetzenden Königs mehr als sie, deren Blick der einer Königin der Nationen war? Wer liebte ihn, wie er sie liebte; obgleich ihre Leidenschaft von Enttäuschung gehemmt wurde und seine in hartem Kampf mit seinem Ehrgeiz lag.
Am Abend gingen wir gemeinsam ins Parlament. Raymond war, obschon er wusste, dass seine Pläne und Aussichten während der erwarteten Debatte diskutiert und entschieden werden sollten, heiter und unbeschwert. Ein Summen wie von aus zehntausend Bienenstöcken schwärmenden Bienen betäubte uns, als wir den Kaffeeraum betraten. Die Politiker versammelten sich mit besorgten Mienen und lauten oder tiefen Stimmen. Die Adelspartei, die reichsten und einflussreichsten Männer in England, schien weniger aufgeregt als die anderen, denn die Frage sollte ohne ihre Einmischung erörtert werden. In der Nähe des Kamins standen Ryland und seine Anhänger. Ryland war ein Mann von unbedeutender Geburt und von immensem Reichtum, geerbt von seinem Vater, der ein Fabrikant gewesen war. Er hatte als junger Mann die Abdankung des Königs und die Verschmelzung des Unter- und des Oberhauses miterlebt; er hatte mit diesen vom Volk ausgehenden Übergriffen sympathisiert, und es war das Geschäft seines Lebens gewesen, sie zu vereinen und zu vergrößern. Seitdem hatte sich der Einfluss der Grundbesitzer verstärkt; und zuerst machte es Ryland nichts aus, die Werke Lord Raymonds zu beobachten, der viele Anhänger seines Gegners ausschaltete. Aber die Sache ging nun zu weit. Der ärmere Adel begrüßte die Rückkehr des Königtums als ein Ereignis, das ihnen ihre nunmehr verlorene Macht und Rechte wiederherstellen sollte. Der halb erloschene Geist des Königtums erwachte wieder in den Köpfen der Menschen; und sie, als willige Sklaven und selbstgeschaffene Untertanen, waren bereit, ihren Hals dem Joch zu beugen. Einige aufrechte und mannhafte Geister blieben noch als Säulen des Staates aufrecht stehen, aber das Wort Republik war dem gewöhnlichen Ohr schal geworden, und viele – das Ereignis würde beweisen, ob es eine Mehrheit war – sehnten sich nach dem Flitter und der Pracht des Königtums zurück. Ryland wurde zum Widerstand aufgerüttelt. Er behauptete, dass seine stillschweigende Duldung allein die Vergrößerung dieser Partei ermöglicht hätte; doch die Zeit für Nachsicht wäre vorüber, und mit einer Bewegung seines Armes würde er die Spinnweben hinwegfegen, die seine Landsleute blendeten.
Als Raymond den Kaffeeraum betrat, wurde seine Anwesenheit von seinen Freunden mit freudigen Rufen begrüßt. Sie versammelten sich um ihn, zählten ihre Stimmen und schilderten ausführlich die Gründe, warum sie jetzt Unterstützung dieser und jener Mitglieder erhalten sollten, die sich noch nicht erklärt hatten. Einige unbedeutende Geschäfte des Parlaments wurden erledigt, die Anführer nahmen ihre Plätze in der Kammer ein; das Geschrei der Stimmen fuhr fort, bis Ryland aufstand, um zu sprechen, und dann war die geringste geflüsterte Bemerkung hörbar. Alle Augen waren auf ihn gerichtet, wie er dastand – schwerfällig von Gestalt, klangvoll in der Stimme und mit einer Art, die, wenngleich nicht elegant, beeindruckend war. Ich wandte mich von seinem markanten, steinernen Gesicht zu Raymond, dessen Gesicht, von einem Lächeln verhüllt, seine Sorge nicht verraten wollte; dennoch zitterten seine Lippen ein wenig, und seine Hand umklammerte die Bank, auf der er saß, mit einem so festen Griff, dass er die Muskeln verkrampfen ließ.
Ryland begann damit, den gegenwärtigen Zustand des britischen Imperiums zu loben. Er rief ihnen die früheren Jahre in Erinnerung; die elenden Auseinandersetzungen, die zur Zeit unserer Väter beinahe zum Bürgerkrieg geführt hätten, die Abdankung des verstorbenen Königs und die Gründung der Republik. Er beschrieb diese Republik, legte dar, dass sie jeder Person im Staat die Möglichkeit bot, Bedeutung zu erlangen, und sogar vorübergehende Souveränität. Er verglich den royalistischen und den republikanischen Geist, zeigte auf, dass der eine dazu neigte, den Verstand der Menschen zu versklaven, während alle Einrichtungen des anderen dazu dienten, auch die Gemeinsten unter uns zu etwas Großem und Gutem zu erheben. Er legte dar, dass durch die Freiheit, die sie genossen, England mächtig und dessen Bewohner tapfer und weise geworden seien. Während er sprach, schwoll jedes Herz vor Stolz, und jede Wange glühte vor Freude bei dem Gedanken, dass jeder Anwesende Engländer war und dass jeder etwas zu dem glücklichen Zustand der Dinge beigetragen hatte, dessen jetzt gedacht wurde. Rylands Inbrunst verstärkte sich – seine Augen leuchteten auf – seine Stimme nahm einen leidenschaftlichen Ton an. Es gebe einen Mann, fuhr er fort, der all das ändern und uns zu unseren Tagen der Machtlosigkeit und der Auseinandersetzungen zurückbringen wolle – einen Mann, der es wagen würde, sich die Ehre anzumaßen, die allen zukam, die England als ihren Geburtsort beanspruchten, und der seinen Namen und seinen Titel über den Namen und den Titel seines Landes setze. Ich sah an dieser Stelle, wie Raymond erblasste; seine Augen wandten sich vom Redner ab, er blickte zu Boden; die Zuhörer schauten von einem zum anderen; aber in der Zwischenzeit füllte die Stimme des Redners ihre Ohren – der Donner seiner Denunziationen trübte ihre Sinne. Die Kühnheit seiner Sprache gab ihm Gewicht; jeder wusste, dass er die Wahrheit sprach – eine bekannte, aber nicht anerkannte Wahrheit. Er riss der Wirklichkeit die Maske herunter, mit der sie verkleidet gewesen war, und die Absichten Raymonds, die sich bisher im Verborgenen gehalten hatten, wurden jetzt wie ein gejagter Hirsch in die Enge getrieben – wie jeder wahrnahm, der die unkontrollierbaren Veränderungen seiner Miene bemerkte. Ryland schloss damit, dass jeder Versuch, die königliche Macht wiederherzustellen, zum Verrat erklärt werden sollte und derjenige zum Verräter, der versuchen sollte, die gegenwärtige Form der Regierung zu ändern. Jubel und laute Zurufe folgten dem Abschluss seiner Rede.
Nachdem er sich wieder unter Kontrolle hatte, erhob sich Lord Raymond – sein Gesichtsausdruck war mild, seine Stimme sanft und melodisch, sein Betragen ruhig, seine Eleganz und Sanftheit erschienen nach der laut tosenden Stimme seines Gegners wie ein leiser Flötenhauch. Er erhebe sich, sagte er, um zugunsten des Antrages des Herrn Abgeordneten zu sprechen, mit nur einem kleinen Zusatz. Er sei bereit, in alte Zeiten zurückzukehren und an die Kämpfe unserer Väter und die Abdankung des Monarchen zu erinnern. Voller Edelmut und Größe, sagte er, habe der berühmte letzte Herrscher Englands sich selbst dem scheinbaren Wohl seines Landes geopfert und sich einer Macht entledigt, die nur durch das Blut seiner Untertanen aufrechterhalten werden konnte – jener Untertanen, die nicht mehr solche genannt werden, diese, seine Freunde und Gleichgestellten, hätten ihm und seiner Familie aus Dankbarkeit stets gewisse Gefälligkeiten und Auszeichnungen erwiesen. Ihnen sei ein großes Gut zugeteilt worden, und sie hätten den ersten Rang unter Großbritanniens Adligen eingenommen. Doch könne man annehmen, dass sie ihr altes Erbe nicht vergessen hätten; und es sei schmerzvoll, dass ihr rechtmäßiger Erbe auf gleiche Weise leiden sollte wie jeder andere Bewerber um den Thron, wenn er versuchte, das wiederzugewinnen, was durch altes Recht und Erbschaft ihm gehörte. Er meine damit nicht, dass er solch einen Versuch gutheißen sollte; aber er sage, dass ein solcher Versuch lässlich wäre und dass, wenn der Bewerber nicht so weit gehe, den Krieg zu erklären und eine Fahne im Königreich zu hissen, seine Schuld mit einem nachsichtigen Auge betrachtet werden sollte. In seinem Änderungsantrag schlug er vor, dass in dem Gesetz eine Ausnahme zugunsten jeder Person gemacht werden sollte, die die Hoheitsgewalt im Namen des Grafen von Windsor geltend machte.
Raymond kam auch nicht zum Ende, ohne den Glanz eines Königreiches im Gegensatz zum wirtschaftlichen Geist des Republikanismus in lebhaften und leuchtenden Farben zu zeichnen. Er behauptete, dass jeder Einzelne unter der englischen Monarchie damals wie heute in der Lage sei, einen hohen Rang und eine hohe Macht zu erlangen – mit einer einzigen Ausnahme, jener der Funktion des obersten Richters; ein höherer und edlerer Rang, als ein Tauschhandel treibender, furchtsamer Staatenbund anbieten könnte. Und worauf, bis auf diese eine Ausnahme, liefe es hinaus? Die Natur des Reichtums und des Einflusses beschränke die Liste der Kandidaten zwangsläufig auf einige der Reichsten; und es stehe sehr zu befürchten, dass der durch diesen dreijährigen Kampf erzeugte Unmut und Streit einen ungerechten Ausgang haben würde. Ich kann den Fluss der Sprache und die anmutigen Wendungen des Ausdrucks, die Klugheit und den sanften Spott, die seiner Rede Kraft und Einfluss verliehen, nicht wiedergeben. Seine Redeweise, anfangs zaghaft, wurde fest – sein wandelbares Gesicht begann übermenschlich zu strahlen; seine Stimme, so variantenreich wie Musik, war bezaubernd.
Es wäre überflüssig, die Debatte aufzuzeichnen, die auf diese Ansprache folgte. Es wurden Parteireden gehalten, die die Frage in ihren Worten so sehr verzerrten, dass ihre einfache Bedeutung in einem aus Worten gewobenen Wind verschleiert wurde. Der Antrag scheiterte; Ryland zog sich in Wut und Verzweiflung zurück; und Raymond tat es ihm jubelnd und heiter nach, um von seinem zukünftigen Königreich zu träumen.